Eine
Rezension zu
Katharina Voss: ME - Myalgische
Enzephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom
Fakten Hintergründe Forschung
Eine schwere Krankheit, die von Forschung, Medizin und Politik absichtlich
unter den Teppich gekehrt wird? Deren Opfer verhöhnt, verlassen und
psychiatrisiert werden? Wer glaubt, so etwas gäbe es heute nicht und
das könne nur eine absurde Verschwörungstheorie sein, der möge
Katharina Voss‘ erschütterndes Buch über die neuro-immunologische
Krankheit Myalgische Enzephalomyelitis (ME) lesen. Weit davon
entfernt, ein trockenes Werk über eine seltene Krankheit zu sein,
das nur für wenige Spezialisten geschrieben wurde, liest sich dieses
sprachlich elegante, teilweise mit schwarzem Humor gespickte und gut
lesbar geschriebene Buch wie ein Krimi, den man nicht mehr weglegen
kann.
Katharina Voss zeigt auf, wie aus einer einst von der Medizin äußerst
ernst genommenen und gut beschriebenen Krankheit im Laufe von
Jahrzehnten ein Sammelsurium höchst unterschiedlicher „Störungen“
mit dem lächerlichen und verharmlosenden Namen „Chronic Fatigue
Syndrome“ gemacht wurde, das einzig dem Zweck zu dienen scheint, ME,
eine wahrhaft lebenszerstörende Krankheit, unter einem Haufen
unspezifischer Erschöpfungszustände zum Verschwinden zu bringen und
der Lächerlichkeit preiszugeben. Chronisches Müdigkeitssyndrom –
haha, sind wir nicht alle mal müde? Das soll eine ernstzunehmende
Krankheit sein?
Auf der Basis gründlicher historischer und wissenschaftlicher Recherchen
stellt Katharina Voss die Frage, was die Motivation für die aktive
Vernichtung bereits vorhandenen Wissens über ME und die Verhinderung
der Erforschung einer so schweren und gar nicht seltenen Krankheit
sein könnte. Wieso werden Forschungsansätze vernichtet, vernebelt
statt ausgebaut und mit den heute vorhandenen technischen
Möglichkeiten weiterverfolgt? Wieso werden stattdessen die wenigen
Wissenschaftler, die sich an dieses heiße Eisen heranwagen, ebenso
diskriminiert und bedroht wie die Opfer dieser Krankheit? Wieso
werden keinerlei Forschungsgelder in die biomedizinische Erforschung
der ME gesteckt?
Nicht wenige Forscher haben sich unter diesem Druck aus der Erforschung
der ME zurückgezogen oder beugen sich dem Diktat der Verharmlosung
und Psychiatrisierung – nicht wenigen wurde Karriere und Ruf
vernichtet wie beispielsweise einer renommierten Mikrobiologin, die
30 Jahre in den Spitzenlabors der USA zu HIV und Krebs geforscht
hatte. Judy Mikovits, so ihr Name, wurde unter fadenscheinigen
Begründungen gar ins Gefängnis geworfen, in den finanziellen Ruin
getrieben und musste mehr als einmal um ihr Leben fürchten – „nur“
weil sie zu ihren erschreckenden Erkenntnissen über die weite
Verbreitung von Gamma-Retroviren in der Allgemeinbevölkerung und vor
allem bei ME-Patienten stand. Gamma-Retroviren, die, so zeigt
Katharina Voss mit zahlreichen Literaturverweisen auf, aller
Wahrscheinlichkeit nach unbeabsichtigt über Impfstoffe und/oder
Xenotransplantationsexperimente in der Krebsforschung in die
Humanpopulation geraten sind und sich dort nun auf unkontrollierte
und unbekannte Weise weiterverbreiten.
Nicht nur um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden, sondern vor allem um
nach HIV eine neue, durch ein weiteres Retrovirus verursachte
Kostenlawine zu verhindern, wurden Ende der 1980er und in den 1990er
Jahren nachgewiesenermaßen von großen Rückversicherern Psychiater
engagiert, die die Mär von der psychogenen Ursache der ME in
pseudowissenschaftliche Elaborate gießen und über Fachzeitschriften
und allgemeine Medien verbreiten sollten. Und das ist diesen Herren
gründlich gelungen – allen voran einem gewissen Simon Wessely,
inzwischen von der britischen Königin zum Ritter geschlagen für
seine „Verdienste“ um das Golfkriegssyndrom, das er über Jahrzehnte
ebenso psychiatrisierte wie ME – ein wahres Verdienst für die
Verteidigungsministerien, die so Milliarden an Renten und
Entschädigungszahlen einsparten.
Es gibt also handfeste ökonomische Gründe, Menschen mit ME und ähnlichen
Krankheiten aus der medizinischen Versorgung und dem sozialen Netz
auszugrenzen – mit Hilfe einer pseudopsychologischen Ideologie, die
die Ursache ihrer Krankheit in ihrer „Psyche“ verortet und so die
Schuld für ihr Elend zuschiebt. Diese Rechnung ist auch aus einem
anderen Grund aufgegangen – besänftigt diese ökonomisch motivierte
Psychiatrisierung einer schweren organischen Krankheit doch
gleichermaßen die Ängste und Ohnmachtsgefühle von Ärzten, anderen
professionellen Helfern und auch der Allgemeinbevölkerung. Frei nach
dem Motto, wenn das psychisch bedingt ist, kann es mir ja nicht
passieren, und der Patient ist selbst schuld. Wahrlich ein magisches
Ritual, um die Angst vor einer offenbar übertragbaren Krankheit wie
ME zu beschwichtigen.
Katharina Voss zeigt auf großartige und erschütternde Weise die
archaischen Beziehungsmuster, die Ausgrenzungsmechanismen und
grausamen Menschenversuche auf, die in unserer aufgeklärten Welt auf
kaum andere Weise wie im Mittelalter wirksam werden, wenn Menschen
und Institutionen mit Beängstigendem (Krankheiten, die sie nicht
beherrschen können, die unbekannt und neu sind, die vielleicht ein
erstes Anzeichen der Nemesis sind) konfrontiert werden. Die
bedauernswertesten Opfer dieser mittelalterlich anmutenden
Mechanismen sind Kinder und Jugendliche mit ME und ihre Eltern.
Anhand einiger Fallbeispiele wird die Dimension der Grausamkeiten
deutlich, zu denen ganze Institutionen, Krankenhäuser, Jugendämter,
Schulämter und sogar Gerichte im Sinne der kollektiven, der
institutionellen Abwehr von Angst und Ohnmacht fähig sind. Mit
Verstand und Humanität hat das, was diesen armen Wesen und ihren
Familien passiert, nichts mehr zu tun. Berufsethik und
hippokratischer Eid werden hier mit Füßen getreten.
Anhand des Umgangs mit der schweren organischen Krankheit ME zeigt
Katharina Voss auf, wie Psychologie sich wieder einmal als
Herrschaftsinstrument gegen Schwache, Kranke und politisch Unliebige
missbrauchen lässt – und niemand begreift, dass dies erst der Anfang
einer Entwicklung ist, die unsere gesamte Gesellschaft in die
Inhumanität kippen lässt. Als psychologische Diagnose getarnte
Schuldzuweisungen dienen sie als Rechtfertigungsideologie für
Entsolidarisierungsprozesse – und was in Großbritannien schon zur
Realität wird, bahnt sich hierzulande genauso an: soziale Leistungen
wie Renten und Arbeitslosengeld werden kranken Menschen gestrichen,
wenn sie sich nicht einer „psychologischen“ Zwangsbehandlung,
vermittelt oder gar ausgeführt durch die Arbeitsämter oder
„psychosomatische“ Kliniken, unterziehen und sie fallen ins Nichts.
Hier wird das, was nur in einem herrschaftsfreien Raum auf
freiwilliger Basis gelingen kann, zum Herrschaftsinstrument
pervertiert, wird zur Waffe gegen Kranke. Nicht die Krankheit,
sondern die Kranken werden bekämpft.
Man fragt sich, ob das, was Katharina Voss beschreibt, ein erstes
Anzeichen eines neu aufkommenden Faschismus ist, der sich diesmal
nicht gegen Juden, Schwarze oder Fremde richtet, sondern gegen
Kranke, Alte und alle, die dem Wahnsinn einer sich immer stärker
beschleunigenden Welt nicht mithalten können. Einmal wieder wird
hier Psychologie als Waffe instrumentalisiert, um Macht- und
finanzielle Interessen durchzusetzen, ein bekanntes Muster aus
Diktaturen aller Art. Dieses Buch zeigt viel mehr auf, als die
Misere der Menschen mit ME - es ist ein Dokument von Grausamkeiten,
vom den-Kopf-in-den-Sand-stecken gegenüber Krankheiten, die uns alle
bedrohen, gegenüber Schwäche, die ein immanenter Faktor menschlichen
Lebens ist - und insofern geht dieses Buch uns alle an. Und es ist
leider keine Verschwörungstheorie, sondern ein gründlich
recherchiertes Dokument des Wahnsinns, der sich direkt vor unseren
Augen, unter uns breitmacht. Katharina Voss‘ Buch ist nicht nur das
beste, das bislang im deutschsprachigen (oder gar internationalen)
Raum zu ME erschienen ist und damit ein MUSS für jeden ME-Patienten
und sein soziales Umfeld, sondern mit seinen 200 Seiten
Literaturangaben zugleich ein umfassendes Nachschlagewerk für
Mediziner und andere professionelle Helfer, die sich in die Materie
einarbeiten wollen.
Regina Clos
PS. Und sie hält uns mit
http://meversuscfs.blogspot.de/ weiter auf dem Laufenden!
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