Die in
diesem Heft enthaltenen Informationen zum Retrovirus XMRV/PLMRV
sind inzwischen veraltet.
Eine
großangelegte Multicenterstudie unter Leitung des renommierten
Virusjägers Ian Lipkin (1) konnte das Retrovirus weder bei
ME/CFS-Patienten noch bei gesunden Kontrollen finden.
Man
vermutet, dass XMRV/PMRV durch eine Rekombination aus endogenen
Retroviren entstanden ist, und zwar in immungeschwächten Mäusen,
von denen man weiß, dass sie eine Menge an endogenen Retroviren
exprimieren.
Dies ist
wahrscheinlich im Labor von Robert Silverman geschehen, der 2006
berichtet hatte, dieses Retrovirus bei Prostatakrebspatienten
gefunden zu haben (2). Seine mit dieser Chimäre kontaminierten
Zelllinien waren die Grundlage der Studie von Lombardi/ Mikovits
von 2009 zum Zusammenhang von XMRV und ME/CFS (3). XMRV/ PMRV
ist also eine Laborkontamination, eine Chimäre, die, soviel man
heute weiß, den Menschen noch nicht infiziert hat.
Zwar
haben Antikörpertests auf Retroviren in einigen Labors der
Lipkin-Studie positive Ergebnisse gezeigt, aber auch hier
vermutet man, dass sie entweder eine unspezifische oder eine
kreuzreaktive Bindung darstellen und keine Infektion mit XMRV/PMRV
anzeigen.
Die
ursprüngliche Studie von Lombardi/ Mikovits sowie aktuelle
Testergebnisse anderer Forscher zeigen jedoch unabhängig von
XMRV/PMRV bei einigen ME/CFS-Patienten immer wieder Spuren
retroviraler Infektion. Hier handelt es sich nicht um
XMRV, sondern offenbar um andere retrovirale Sequenzen. Es ist
unklar, ob hier ein bislang unbekanntes, exogenes Retrovirus
angezeigt wird oder, was derzeit für wahrscheinlicher gehalten
wird, um eine Reaktivierung endogener Retroviren, die alle
Säugetiere in ihrem Genom tragen, die aber normalerweise
replikationsdefekt sind, also nicht von der DNA abgelesen
werden und sich vermehren (4, 5).
Die
Originalstudie von Lombardi/ Mikovits und andere Studien weisen
darauf hin, dass diese endogenen Retroviren bei
immungeschwächten Patienten partiell abgelesen werden und damit
eine Immunaktivierung bewirken und weitere Schäden anrichten
könnten. Die Testverfahren, mit denen man positive
Antikörpernachweise auf Retroviren erhält, könnten aber auch
nicht-virale, normale oder anormale zelluläre Proteine (und eben
kein Virus) anzeigen.
Diese
Fragen müssten nun durch eine Sequenzierung des Genoms von
ME/CFS-Patienten und Kontrollen geklärt werden (1, 7). Moderne
Hochdurchsatz-Sequenzierungsverfahren machen dies prinzipiell
möglich.
Lipkin
betont in seiner o.g. Studie:
„Wir
werden uns weiterhin in der Erforschung der Pathogenese des
CFS/ME engagieren, um sicherzustellen, dass die Konzentration
auf dieses komplexe Syndrom aufrechterhalten wird. Zu den
bereits laufenden Studien gehören auch die Suche nach bekannten
und neuen Erregern und Biomarkern mit Hilfe von
Sequenzierungsverfahren der neuen Generation (deep sequencing)
und der Proteomik.“
(1)
Literatur:
(1) A
Multicenter Blinded Analysis Indicates No Association between
Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalomyelitis and either
Xenotropic Murine Leukemia Virus-Related Virus or Polytropic Murine
Leukemia Virus
Harvey J. Alter,
Judy A. Mikovits, William M. Switzer, Francis W. Ruscetti,
Shyh-Ching Lo, Nancy Klimas, Anthony L. Komaroff, Jose G. Montoya,
Lucinda Bateman, Susan Levine, Daniel Peterson, Bruce Levin, Maureen
R. Hanson, Afia Genfi, Meera Bhat, HaoQiang Zheng, Richard Wang,
Bingjie Li, Guo-Chiuan Hung, Li Ling Lee, Stephen Sameroff, Walid
Heneine, John Coffin, Mady Hornig, and W. Ian Lipkin
Volltext:
http://mbio.asm.org/content/3/5/e00266-12.full
Weitere Informationen
zur Lipkin-Studie und Auszüge aus einem Interview mit Judy Mikovits:
http://www.cfs-aktuell.de/dezember12_1.htm
(2)
Identification of a Novel Gammaretrovirus in Prostate Tumors of
Patients Homozygous for R462Q RNASEL Variant,
Anatoly Urisman, Ross J Molinaro, Nicole Fischer, Sarah J Plummer,
Graham Casey, Eric A Klein, Krishnamurthy Malathi, Cristina
Magi-Galluzzi, Raymond R Tubbs, Don Ganem, Robert H Silverman Joseph
L DeRisi
http://www.plospathogens.org/article/info:doi/10.1371/journal.ppat.0020025
(3)
Science
23 October 2009: Vol. 326. no. 5952, pp. 585 – 589 DOI:
10.1126/science.1179052 Detection of an Infectious Retrovirus, XMRV,
in Blood Cells of Patients with Chronic Fatigue Syndrome
Vincent C. Lombardi,1,* Francis W. Ruscetti,2,*
Jaydip Das Gupta,3 Max A. Pfost,1 Kathryn S.
Hagen,1 Daniel L. Peterson,1 Sandra K.
Ruscetti,4 Rachel K. Bagni,5 Cari
Petrow-Sadowski,6 Bert Gold,2 Michael Dean,2
Robert H. Silverman,3 Judy A. Mikovits1,
(4)
Nature. 2012 Nov
29;491(7426):774-8. doi: 10.1038/nature11599.
Resurrection of
endogenous retroviruses in antibody-deficient mice.
Young GR,
Eksmond U,
Salcedo R,
Alexopoulou L,
Stoye JP,
Kassiotis G.
Source: Division of Immunoregulation, MRC National Institute for
Medical Research, The Ridgeway, London NW7 1AA, UK.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23103862 Übersetzung
des Abstracts unter
http://www.cfs-aktuell.de/dezember12_1.htm
(5) Ein interessanter Artikel zur
Wiederbelebung von endogenen Retroviren findet sich hier:
http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-gene/immunologie-und-genetik-erreger-wieder-auferstanden-11959377.html
(6) Weitere Literatur unter:
http://en.wikipedia.org/wiki/Xenotropic_murine_leukemia_virus-related_virus
(7) Zusammenfassung zum Thema XMRV und
CFS, Stand Dezember 2012, Wilfried Bieger:
http://dr-bieger.de/zusammenfassung-zum-thema-xmrv-und-cfs-stand-dezember-2012/
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