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    Offener Brief

    von Regina Clos an die Redaktion des Ratgeber: Gesundheit zur Sendung "Wenn Müdigkeit krank macht" vom 15. Februar 2007

    An

    Redaktion Service Gesundheit

    z.H. Frau Ließmann, Frau Freimann

    Hessischer Rundfunk

    Frankfurt

    16. Februar 2007

    Sehr geehrte Frau Ließmann,

    sehr geehrte Frau Freimann,

    mit Interesse habe ich Ihre gestrige Sendung im HR 3 im Rahmen des Service Gesundheit mit dem Titel „Wenn Müdigkeit krank macht“ betrachtet.

    Als Autorin der Website www.cfs-aktuell.de, die Sie als Link zur weiteren Information angeben, erlaube ich mir folgende Stellungnahme zu Ihrer Sendung:

    Wie so häufig in entsprechenden Sendungen erliegen auch Sie dem verbreiteten Irrtum, chronische Erschöpfung, somatoforme Störungen, Burnout-Syndrom und das schwere Krankheitsbild des Chronic Fatigue Syndroms seien das gleiche oder verschiedene Abstufungen oder Beschreibungen des gleichen Zustands. Das ist nicht der Fall. Es handelt sich hier jeweils um vollkommen unterschiedliche Krankheitsbilder bzw. Befindlichkeitsstörungen. Sowohl die Beschreibung der Symptomatiken in Ihrer Sendung als auch die von Ihnen gegebenen Empfehlungen zur „Behandlung“ sind von dieser unzulässigen Vermischung völlig unterschiedlicher Syndrome durchzogen.

    Das führt bei Betroffenen, deren Angehörigen und der allgemeinen Öffentlichkeit eher zu vermehrter Verwirrung und Desinformation, als zu einer Aufklärung.

    ·        Chronische Erschöpfung kann durch viele Faktoren und Erkrankungen entstehen. Überlastung allein ist hier nur einer von vielen möglichen Faktoren, der wahrscheinlich nur für einen geringen Prozentsatz chronischer Erschöpfungszustände verantwortlich ist.

    ·        Chronische Erschöpfung ist nicht das gleiche wie das Chronische Erschöpfungssyndrom. Von ca. 40-50 chronisch erschöpften Menschen hat wahrscheinlich nur einer tatsächlich das Chronic Fatigue Syndrom. Dieses ist eine klinisch klar definierte Erkrankung, die mit chronischer Erschöpfung etwa so viel zu tun hat wie gelegentliche Vergesslichkeit durch Überlastung mit Alzheimer.

    ·        Das Chronic Fatigue Syndrom wird nachgewiesenermaßen nicht durch Überlastung oder Stress durch dysfunktionale Beziehungsmuster ausgelöst, wie es der in Ihrer Sendung anwesende Arzt behauptete.

    ·        Die Mär von der „Yuppie-Grippe“, die Sie wieder aufleben lassen, ist seit langem von der Wissenschaft widerlegt. Die Centers for Disease Control and Prevention haben in einer großangelegten Prävalenzstudie ermittelt, dass CFS Menschen jeden Alters und aller sozialen Schichten und ethnischen Gruppierungen betreffen kann. Informationen zu Prävalenzstudien finden Sie z.B. hier.

    ·        Burnout, somatoforme Störungen und chronische Erschöpfungszustände sind diagnostisch wie konzeptuell vom Chronic Fatigue Syndrome stark zu unterscheiden. Das CFS ist, wie die mittlerweile mehr als 3.000 wissenschaftlichen Publikationen belegen, eine schwere organische Erkrankung mit noch ungeklärter Ätiologie und Pathophysiologie, jedoch charakteristischen Anomalien im immunologischen, endokrinologischen und neurologischen Bereich. Diese Anomalien sind Gegenstand zahlreicher internationaler Forschungsprojekte, an denen viele renommierte Universitäten und u.a. ganz wesentlich auch die amerikanischen Gesundheitsbehörden Centers for Disease Control and Prevention CDC beteiligt sind. Auf einer kürzlichen internationalen wissenschaftlichen Tagung wurden die neuesten Forschungsergebnisse vorgestellt.

    „Es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht ab und zu unter Erschöpfung leidet.“ Diese Aussage ist eine der wenigen in Ihrer Sendung, deren Richtigkeit man nur unterstreichen kann. Von daher grenzt es an Fahrlässigkeit, diese normale Erschöpfung oder Burnout oder somatoforme Störungen mit einem so schweren Krankheitsbild wie dem Chronic Fatigue Syndrom in Verbindung zu bringen oder gar, wie in den dann folgenden Aussagen suggeriert, das CFS als mögliche Folge der Nichtbeachtung normaler Erschöpfungszustände zu beschreiben. Hier werden Ängste geschürt, die der Sache vollkommen unangemessen sind.

    Menschen mit CFS verlieren zu einem hohen Prozentsatz ihre Arbeit gänzlich oder zumindest teilweise. Einige der leichteren Fälle schaffen es für eine Weile noch, den äußeren Schein zu wahren, bevor sie durch die Überlastung, die die Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit im Angesicht ihrer schweren Erkrankung bedeutet, zusammenbrechen und diese meist aufgeben müssen. Viele fallen dabei durch die groben Maschen unseres sozialen Netzes und verarmen vollkommen. Sie verlieren neben ihrem Beruf und ihrer ökonomischen Sicherheit oft auch ihre Familien und Freunde, ihr soziales Netz. Die Empfehlung, eine Pause zu machen, ein Glas Wasser zu trinken oder aus dem Fenster zu schauen, muss in den Ohren eines schwer leidenden Menschen wie blanker Zynismus klingen.

    Auch die Empfehlung, zum Ausgleich ins Kino zu gehen oder sich zu bewegen kann bei einem an CFS erkrankten Menschen nur Kopfschütteln auslösen. Viele Menschen mit CFS wären nicht einmal in der Lage, den Weg zum Kino zurückzulegen, ohne zu kollabieren oder einen Rückfall auszulösen. Ein solches Unternehmen wie ein Kinobesuch, und das noch „zum Ausgleich“, ist für viele Betroffene oft über Jahre unvorstellbar. Menschen, die Mühe haben, Alltagsaktivitäten wie Körperpflege und leichte Hausarbeiten zu bewältigen, können von einem Kinobesuch nur träumen, und hätten sie wirklich die Kraft dazu, dann würden sie mit dieser Energie alles andere tun, als sie sinnlos mit einem Kinobesuch zu verschleudern.

    Auch die Empfehlung, sich zu bewegen, kann beim Vorliegen eines Chronic Fatigue Syndroms zu schweren Rückfällen führen. Gerade das Thema körperlicher Belastung ist in der Literatur ausführlich behandelt worden. Hierzu empfehle ich die Lektüre einer britischen Selbsthilfeorganisation zum sogenannten „Pacing“, die sie hier als pdf-Datei herunterladen können und die in deutscher Sprache bei www.fatigatio.de gegen eine geringe Schutzgebühr bestellt werden kann.

    Sie erweisen sowohl Menschen mit chronischen Erschöpfungszuständen aller Art und Ursache als auch Menschen mit CFS durch solche Desinformationen wie denen in Ihrer Sendung und auf der HR-3-Website aus den oben genannten Gründen keinen guten Dienst.

    Zudem wird die Öffentlichkeit unter dem Strich in ihrem Vorurteil bestärkt, dass die Betroffenen in gewisser Weise „selbst dran schuld“ seien und, im Falle des CFS, ihre Krankheit durch recht einfache Maßnahmen doch erfolgreich überwinden könnten, wenn sie nur wollten – etwa durch den Kauf eines teuren Hauses oder die Trennung von einem Ehemann wie es die Dame in Ihrer Sendung als Heilmittel für sich aufführte. Und dass sie, wenn sie dennoch weiterhin krank seien, wo es doch angeblich so einfach ist, wieder gesund und fit zu werden, in jedem Falle „selbst dran schuld“ oder wahlweise willensschwach oder Drückeberger seien.

    Für Menschen mit schweren Erkrankungen wie dem CFS muss das wie Hohn klingen.

    Bei Menschen, die an einer relativ leicht behandelbaren chronischen Erschöpfung leiden, können Ängste vor schweren Krankheitsbildern wie dem CFS ausgelöst werden – Ängste, die dann an sich schon wieder behandlungsbedürftig sein können.

    Menschen hingegen, die an einer versteckten Erkrankung leiden wie etwa Krebs, Schilddrüsenfehlfunktionen oder vielen anderen organischen Krankheiten, die zu chronischer Erschöpfung führen können, suggerieren Sie, durch psychologische Maßnahmen oder Veränderungen der Lebenssituation könne ihr Leiden geheilt werden. Wenn sie es dadurch versäumen, sich rechtzeitig in medizinische Behandlung zu begeben und nach der wahren Ursache ihrer Symptome zu suchen, können irreparable gesundheitliche Schäden eintreten. Solche Fehlinformationen zur „Behandlung“ können deshalb fahrlässig sein.

    Es ist schön, dass Sie in ihrer Link- und Literaturliste zumindest zwei Internetadressen angeben, unter denen sich solide und dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechende Informationen finden, so dass verunsicherte „Erschöpfte“ oder deren Angehörige, die durch ihre Sendung noch mehr verwirrt wurden, sich ausreichend informieren können.

    Sie hätten leicht die eklatanten inhaltlichen Fehler Ihrer Sendung vermeiden können, wenn Sie selbst die in den von Ihnen angegebenen Weblinks www.fatigatio.de und www.cfs-aktuell.de enthaltenen Informationen berücksichtigt hätten.

    Ich empfehle Ihnen darüber hinaus für zukünftige Sendungen die Website der amerikanischen Gesundheitsbehören CDC zum CFS (www.cdc.gov/cfs), die gerade im Rahmen einer 4 Millionen-Dollar-Öffentlichkeitskampagne versuchen, solide Informationen zu dieser schweren Erkrankung zu verbreiten. Sie finden dort neben äußerst empfehlenswerten Public Service Announcements (Fernseh- und Radiospots) auch zahlreiche Informationen zu Diagnose und Behandlung. Das Toolkit der CDC wird wahrscheinlich im Laufe der kommenden Woche in deutscher Sprache auf www.cfs-portal.de und www.cfs-aktuell.de veröffentlicht werden.

    Die Lektüre dieser leicht verständlichen Broschüre dürfte helfen, in Zukunft solche Fehler zu vermeiden, wie Sie Ihnen in der genannten Sendung unterlaufen sind.

    Darüber hinaus darf ich Sie auf die vom 10-14. Januar 2007 abgehaltene internationale wissenschaftliche Konferenz der International Association for Chronic Fatigue Syndrome hinweisen, über die Sie eine Video-Zusammenfassung unter dieser Adresse ansehen können.

    Für weitere Informationen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Regina Clos