An
Redaktion
Service Gesundheit
z.H.
Frau Ließmann, Frau Freimann
Hessischer
Rundfunk
Frankfurt
16. Februar 2007
Sehr
geehrte Frau Ließmann,
sehr
geehrte Frau Freimann,
mit Interesse habe ich Ihre gestrige Sendung im HR 3 im
Rahmen des Service Gesundheit mit dem Titel „Wenn Müdigkeit krank
macht“ betrachtet.
Als Autorin der Website www.cfs-aktuell.de,
die Sie als Link zur weiteren Information angeben, erlaube ich mir
folgende Stellungnahme zu Ihrer Sendung:
Wie so häufig in entsprechenden Sendungen erliegen auch
Sie dem verbreiteten Irrtum, chronische Erschöpfung, somatoforme Störungen,
Burnout-Syndrom und das schwere Krankheitsbild des Chronic Fatigue
Syndroms seien das gleiche oder verschiedene Abstufungen oder
Beschreibungen des gleichen Zustands. Das ist nicht der Fall. Es handelt
sich hier jeweils um vollkommen unterschiedliche Krankheitsbilder bzw.
Befindlichkeitsstörungen. Sowohl die Beschreibung der Symptomatiken in
Ihrer Sendung als auch die von Ihnen gegebenen Empfehlungen zur
„Behandlung“ sind von dieser unzulässigen Vermischung völlig
unterschiedlicher Syndrome durchzogen.
Das führt bei Betroffenen, deren Angehörigen und der
allgemeinen Öffentlichkeit eher zu vermehrter Verwirrung und
Desinformation, als zu einer Aufklärung.
·
Chronische Erschöpfung kann durch viele Faktoren und Erkrankungen
entstehen. Überlastung allein ist hier nur einer von vielen möglichen
Faktoren, der wahrscheinlich nur für einen geringen Prozentsatz
chronischer Erschöpfungszustände verantwortlich ist.
·
Chronische Erschöpfung ist nicht das gleiche wie das Chronische Erschöpfungssyndrom.
Von ca. 40-50 chronisch erschöpften Menschen hat wahrscheinlich nur
einer tatsächlich das Chronic Fatigue Syndrom. Dieses ist eine klinisch
klar definierte Erkrankung, die mit chronischer Erschöpfung etwa so
viel zu tun hat wie gelegentliche Vergesslichkeit durch Überlastung mit
Alzheimer.
·
Das Chronic Fatigue Syndrom wird nachgewiesenermaßen nicht durch Überlastung oder Stress durch dysfunktionale
Beziehungsmuster ausgelöst, wie es der in Ihrer Sendung anwesende Arzt
behauptete.
·
Die Mär von der „Yuppie-Grippe“, die Sie wieder aufleben lassen, ist
seit langem von der Wissenschaft widerlegt. Die Centers for Disease
Control and Prevention haben in einer großangelegten Prävalenzstudie
ermittelt, dass CFS Menschen jeden Alters und aller sozialen Schichten
und ethnischen Gruppierungen betreffen kann. Informationen zu Prävalenzstudien
finden Sie z.B. hier.
·
Burnout, somatoforme Störungen und chronische Erschöpfungszustände sind
diagnostisch wie konzeptuell vom Chronic Fatigue Syndrome stark zu
unterscheiden. Das CFS ist, wie die mittlerweile mehr als 3.000
wissenschaftlichen Publikationen belegen, eine schwere organische
Erkrankung mit noch ungeklärter Ätiologie und Pathophysiologie, jedoch
charakteristischen Anomalien im immunologischen, endokrinologischen und
neurologischen Bereich. Diese Anomalien sind Gegenstand zahlreicher
internationaler Forschungsprojekte, an denen viele renommierte Universitäten
und u.a. ganz wesentlich auch die amerikanischen Gesundheitsbehörden
Centers for Disease Control and Prevention CDC beteiligt sind. Auf einer
kürzlichen internationalen
wissenschaftlichen Tagung wurden die neuesten Forschungsergebnisse
vorgestellt.
„Es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht ab und zu
unter Erschöpfung leidet.“ Diese Aussage ist eine der wenigen in
Ihrer Sendung, deren Richtigkeit man nur unterstreichen kann. Von daher
grenzt es an Fahrlässigkeit, diese normale Erschöpfung oder Burnout
oder somatoforme Störungen mit einem so schweren Krankheitsbild wie dem
Chronic Fatigue Syndrom in Verbindung zu bringen oder gar, wie in den
dann folgenden Aussagen suggeriert, das CFS als mögliche Folge der
Nichtbeachtung normaler Erschöpfungszustände zu beschreiben. Hier
werden Ängste geschürt, die der Sache vollkommen unangemessen sind.
Menschen mit CFS verlieren zu einem hohen Prozentsatz ihre
Arbeit gänzlich oder zumindest teilweise. Einige der leichteren Fälle
schaffen es für eine Weile noch, den äußeren Schein zu wahren, bevor
sie durch die Überlastung, die die Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit
im Angesicht ihrer schweren Erkrankung bedeutet, zusammenbrechen und
diese meist aufgeben müssen. Viele fallen dabei durch die groben
Maschen unseres sozialen Netzes und verarmen vollkommen. Sie verlieren
neben ihrem Beruf und ihrer ökonomischen Sicherheit oft auch ihre
Familien und Freunde, ihr soziales Netz. Die Empfehlung, eine Pause zu
machen, ein Glas Wasser zu trinken oder aus dem Fenster zu schauen, muss
in den Ohren eines schwer leidenden Menschen wie blanker Zynismus
klingen.
Auch die Empfehlung, zum Ausgleich ins Kino zu gehen oder
sich zu bewegen kann bei einem an CFS erkrankten Menschen nur Kopfschütteln
auslösen. Viele Menschen mit CFS wären nicht einmal in der Lage, den
Weg zum Kino zurückzulegen, ohne zu kollabieren oder einen Rückfall
auszulösen. Ein solches Unternehmen wie ein Kinobesuch, und das noch
„zum Ausgleich“, ist für viele Betroffene oft über Jahre
unvorstellbar. Menschen, die Mühe haben, Alltagsaktivitäten wie Körperpflege
und leichte Hausarbeiten zu bewältigen, können von einem Kinobesuch
nur träumen, und hätten sie wirklich die Kraft dazu, dann würden sie
mit dieser Energie alles andere tun, als sie sinnlos mit einem
Kinobesuch zu verschleudern.
Auch die Empfehlung, sich zu bewegen, kann beim Vorliegen
eines Chronic Fatigue Syndroms zu schweren Rückfällen führen. Gerade
das Thema körperlicher Belastung ist in der Literatur ausführlich
behandelt worden. Hierzu empfehle ich die Lektüre einer britischen
Selbsthilfeorganisation zum sogenannten „Pacing“, die sie hier
als pdf-Datei herunterladen können und die in deutscher Sprache bei
www.fatigatio.de gegen eine
geringe Schutzgebühr bestellt werden kann.
Sie erweisen sowohl Menschen mit chronischen Erschöpfungszuständen
aller Art und Ursache als auch Menschen mit CFS durch solche
Desinformationen wie denen in Ihrer Sendung und auf der HR-3-Website aus
den oben genannten Gründen keinen guten Dienst.
Zudem wird die Öffentlichkeit unter dem Strich in ihrem
Vorurteil bestärkt, dass die Betroffenen in gewisser Weise „selbst
dran schuld“ seien und, im Falle des CFS, ihre Krankheit durch recht
einfache Maßnahmen doch erfolgreich überwinden könnten, wenn sie nur
wollten – etwa durch den Kauf eines teuren Hauses oder die Trennung
von einem Ehemann wie es die Dame in Ihrer Sendung als Heilmittel für
sich aufführte. Und dass sie, wenn sie dennoch weiterhin krank seien,
wo es doch angeblich so einfach ist, wieder gesund und fit zu werden, in
jedem Falle „selbst dran schuld“ oder wahlweise willensschwach oder
Drückeberger seien.
Für Menschen mit schweren Erkrankungen wie dem CFS muss
das wie Hohn klingen.
Bei Menschen, die an einer relativ leicht behandelbaren
chronischen Erschöpfung leiden, können Ängste vor schweren
Krankheitsbildern wie dem CFS ausgelöst werden – Ängste, die dann an
sich schon wieder behandlungsbedürftig sein können.
Menschen hingegen, die an einer versteckten Erkrankung
leiden wie etwa Krebs, Schilddrüsenfehlfunktionen oder vielen anderen
organischen Krankheiten, die zu chronischer Erschöpfung führen können,
suggerieren Sie, durch psychologische Maßnahmen oder Veränderungen der
Lebenssituation könne ihr Leiden geheilt werden. Wenn sie es dadurch
versäumen, sich rechtzeitig in medizinische Behandlung zu begeben und
nach der wahren Ursache ihrer Symptome zu suchen, können irreparable
gesundheitliche Schäden eintreten. Solche Fehlinformationen zur
„Behandlung“ können deshalb fahrlässig sein.
Es ist schön, dass Sie in ihrer Link- und Literaturliste
zumindest zwei Internetadressen angeben, unter denen sich solide und dem
aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechende Informationen finden,
so dass verunsicherte „Erschöpfte“ oder deren Angehörige, die
durch ihre Sendung noch mehr verwirrt wurden, sich ausreichend
informieren können.
Sie hätten leicht die eklatanten inhaltlichen Fehler
Ihrer Sendung vermeiden können, wenn Sie selbst die in den von Ihnen
angegebenen Weblinks www.fatigatio.de
und www.cfs-aktuell.de
enthaltenen Informationen berücksichtigt hätten.
Ich empfehle Ihnen darüber hinaus für zukünftige
Sendungen die Website der amerikanischen Gesundheitsbehören CDC zum CFS
(www.cdc.gov/cfs), die gerade im
Rahmen einer 4 Millionen-Dollar-Öffentlichkeitskampagne
versuchen, solide Informationen zu dieser schweren Erkrankung zu
verbreiten. Sie finden dort neben äußerst empfehlenswerten Public
Service Announcements (Fernseh- und Radiospots) auch zahlreiche
Informationen zu Diagnose und Behandlung. Das Toolkit
der CDC wird wahrscheinlich im Laufe der kommenden Woche in
deutscher Sprache auf www.cfs-portal.de
und www.cfs-aktuell.de veröffentlicht
werden.
Die Lektüre dieser leicht verständlichen Broschüre dürfte
helfen, in Zukunft solche Fehler zu vermeiden, wie Sie Ihnen in der
genannten Sendung unterlaufen sind.
Darüber hinaus darf ich Sie auf die vom 10-14. Januar
2007 abgehaltene internationale wissenschaftliche Konferenz der International
Association for Chronic Fatigue Syndrome hinweisen, über die Sie
eine Video-Zusammenfassung unter dieser
Adresse ansehen können.
Für weitere Informationen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Regina Clos |