Wie der Name "Chronic Fatigue Syndrome" eine schwere Krankheit verschleiert
von David Tuller
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Artikel des Monats Februar 201 4 Teil 4Wie der Name "Chronic Fatigue Syndrome" eine schwere Krankheit verschleiertvon David Tuller
http://www.buzzfeed.com/davidtuller/chronic-fatigue-syndrome Beitrag vom 27. Januar 2014 Übersetzung von Regina Clos, mit freundlicher Genehmigung des Autors und von www.buzzfeed.com
Schätzungsweise eine Million US-Amerikaner sind durch diese Krankheit behindert, die von der die Ärzteschaft nur wenig verstanden wird. Patienten und ihre Vertreter argumentieren, das sei teilweise die Folge des Stigmas, das durch den unseriös klingenden Namen verursacht sei. Zehn Jahre zuvor arbeitete Jeannette Burmeister mit Volldampf und notierte 80-Stunden-Wochen als Fachanwältin für internationales Wirtschafts- und Arbeitsrecht in den Niederlassungen einer großen Anwaltskanzlei in der Gegend von San Francisco. Als sie über die Weihnachtsfeiertage im Jahr 2005 eine Nasennebenhöhleninfektion bekam, nahm sie an, dass sie schnell wieder auf die Beine kommen würde. Aber das tat sie nicht. Die Krankheit hielt sich hartnäckig. Burmeister begann dann, neben weiteren Symptomen unter schwerem Energiemangel, unter lähmenden Konzentrations- und Gedächtnisproblemen und unter schweren Schlafstörungen zu leiden. “Ich bin an einem Tag für zwei Stunden zur Arbeit gegangen, habe dann schlapp gemacht und konnte am nächsten Tag überhaupt nicht hingehen“, sagte Burmeister, jetzt 42 Jahre alt, kürzlich in einem Telefoninterview. „Ich konnte nicht mehr klar denken. Es gab Tage, da konnte ich meinen Namen nicht mehr schreiben. Und ich war so absolut erschöpft, wie man das gar nicht beschreiben kann, es war als hätte ich gerade einen Marathonlauf hinter mir, einen Kater und die Grippe, alles gleichzeitig.“ Sie hatte noch nie etwas vom Chronic Fatigue Syndrome gehört, bevor ein Freund es erwähnte; und als sie sich dazu kundig machte, schienen die Symptome zu passen. Wie bei vielen Leuten, die diese Krankheit haben, wurde durch eine Reihe von Tests festgestellt, dass Burmeister abnorm hohe Werte von Antikörpern gegen verschiedene verbreitete Viren hatte, darunter auch das Epstein-Barr-Virus, Humanes Herpesvirus 6, Parvovirus und Coxsackievirus. Der Stellenwert und Bedeutung solcher Befunde sind nicht ganz klar; auch Menschen ohne die Krankheit können erhöhte Viruswerte haben. Burmeister sagte, die Krankheit – und ihre trivial klingende Bezeichnung – habe sie von ihren früheren Freunden und Bekannten isoliert. Sie verstehen nicht, wie krank sie ist, sagte sie, und ihr wird klar, dass es oft vergeblich ist, ihnen das zu erklären. „Vor allem ist da der Name“, sagte sie. „Und wenn Sie erst mal den Namen gesagt haben, dann haben Sie schon die Aufmerksamkeit der meisten Leute verloren, weil sie sagen, ‚Oh ja, ich habe einen harten Job, ich bin auch müde‘‘. Mehr als eine Million Amerikaner leiden unter dem Chronic Fatigue Syndrome, jedenfalls nach Angaben der Centers for Disease Control, obwohl viele Experten glauben, dass die Zahlen der CDC etwas überhöht sind. Die Krankheit ist auch bekannt als „Myalgische Enzephalomyelitis“, was gleichbedeutend ist mit „schmerzhafter Entzündung des Gehirns und des Rückenmarks“, und viele sprechen von der Krankheit jetzt als ME/CFS. Die Patienten sind daran gewöhnt, dass ihre Familien, ihre Freunde, Kollegen und Ärzte ihre Symptome verharmlosen als eingebildet oder sie abtun als Ausdruck einer Depression, obwohl zwingende Beweise diese komplexe Krankheit mit schweren immunologischen, neurologischen und kognitiven Dysfunktionen in Verbindung bringen. Die Experten sind heutzutage der Überzeugung, dass ME/CFS wahrscheinlich ein Cluster von eng verwandten Erkrankungen ist, die ausgelöst werden, wenn eine akute Infektion oder irgendeine andere physiologische Schädigung wie etwa durch Umweltgifte oder Schimmelpilze das Immunsystem in einen Status lang andauernder Überaktivierung katapultiert. Es gibt keine zugelassenen Medikamente für ME/CFS, aber Burmeister hat in den vergangenen Jahren mit zwei Ampligen-Infusionen in der Woche etwas Erleichterung gefunden, einem nicht genehmigten Immunmodulator, an den sie nur über ein experimentelles Behandlungsprotokoll herankommt. Sie schreibt auf ihrer Website viele Artikel über ihre Krankheit und hat 2012 vor einem Gremium der Food and Drug Administration (der US-Arzneimittelbehörde) eine Stellungnahme abgegeben, als diese überlegte, ob sie eine Genehmigung des Ampligen empfehlen solle oder nicht. (Das Gremium stimmte mit 8 zu 5 Stimmen gegen eine Empfehlung und bezog sich dabei auf Daten über die Sicherheit und Wirksamkeit des Mittels.) In den vergangenen Monaten hat sie auf ihrer Website hartnäckig die Schaffung eines neuen, vom Bundesstaat beauftragten Gremiums verfolgt, welches mit der Durchsicht und der Aktualisierung der diagnostischen Kriterien für die Krankheit beauftragt wurde. Das US-Gesundheitsministerium (Department of Health and Human Services) hat im September bekanntgegeben, dass es das Institute of Medicine (IOM), eine unabhängige, hoch angesehene Tochtergesellschaft der National Academy of Sciences, aufgefordert hat, diese Untersuchung durchzuführen. Bei einer öffentlichen Anhörung in Washington D.C. am Montag, dem 27. Januar 2014, plant Burmeister, den Mitgliedern des Gremiums mitzuteilen, warum sie glaubt, ihr Projekt würde stinken. [Ihre Stellungnahme ist hier auf Deutsch zu lesen, d.Ü.] Nur wenige würden behaupten, es sei einfach, eine Krankheit mit genügender Genauigkeit zu beschreiben, so dass die Ärzte in der klinischen Praxis in der Lage sind, die Krankheit zu erkennen und wirksam zu behandeln. Aber bei den meisten Krankheiten ist die Aufstellung diagnostischer Kriterien – bekannt als klinische Falldefinition – nicht der Stoff für ein heftiges Drama oder für Konflikte. ME/CFS ist jedoch nicht so wie die meisten Krankheiten. Für diejenigen, die nicht an ME/CFS leiden, klingt Chronisches Erschöpfungssyndrom oft, als ob es sich nur um eine stressbedingte oder psychosomatische Störung handeln würde – und ME/CFS ist in der Vergangenheit von der Ärzteschaft oft genau so dargestellt worden. Jetzt fürchten Burmeister und andere Patienten, Kliniker und Forscher, dass das neue 15-köpfige Gremium diesen Fehler wiederholen könnte. Im Allgemeinen werden klinische Falldefinitionen und Leitlinien von Medizinern entwickeln, die Experten für eine bestimmte Krankheit sind. Aber es gibt keine medizinische Fachrichtung, die ME/CFS für sich beanspruchen würde. Die Patienten werden oft von Ärzten verschiedener Fachrichtungen behandelt, darunter Spezialisten für Infektionskrankheiten, Immunologie, Neurologie, Rheumatologie und Psychiatrie. Was einer klassischen medizinischen Fachgesellschaft noch am nächsten kommt, ist die International Association for Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalomyelitis, eine Wissenschafts- und Patientenorganisation für Forscher, Ärzte und andere. Als nun das Institute of Medicine (IOM) im vergangenen Monat die vorläufigen Mitglieder des Gremiums ankündigte, waren viele Patienten aufgebracht, dass mehr als die Hälfte der Mitglieder – was auch immer ihre Fähigkeiten auf ihren eigenen Gebieten sein mögen – nicht dafür bekannt ist, irgendein professionelles Fachwissen über ME/CFS zu haben. Viele Ärzte und Forscher mit Erfahrung auf dem Gebiet haben bereits eine Sammlung diagnostischer Kriterien befürwortet, von der sie sagen, man solle sie als Ausgangspunkt für jegliche neue Falldefinition benutzen. “Ich kann mir kein anderes Gebiet vorstellen, auf dem so etwas passieren könnte“, sagte Burmeister, die in Ostdeutschland aufwuchs, 1999 in die USA auswanderte und 2012 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. „Sie würden doch nicht Wissenschaftler aus der Raketenforschung Leitlinien für die Herzchirurgie erstellen lassen. Dass die Mehrheit der Gremiumsmitglieder keine Experten für ME/CFS sind, das ist natürlich verrückt.“ Eine breitgefasste, ungenaue Definition könnte weitreichende Auswirkungen haben. Patienten wie Burmeister befürchten, dass dann fehlerhafte Ergebnisse die Erforschung der organischen Ursachen untergraben und zu Behandlungsempfehlungen führen könnte, die eher für Depressionen und andere psychiatrische Erkrankungen angemessen sind, aber nicht für ihre Krankheit. Im vergangenen Herbst haben mehrere Dutzend Forscher und Kliniker auf dem Gebiet des ME/CFS einen ungewöhnlichen Protestbrief an Kathleen Sebelius, die US- Gesundheitsministerin, geschickt, in dem sie sie mit Nachdruck dazu auffordern, die IOM-Aktion abzubrechen. Dr. Daniel Peterson, einer der Unterzeichner des Briefes und ein bekannter Experte, der seit drei Jahrzehnten ME/CFS-Patienten in Incline Village, Nevada, behandelt, wiederholte Burmeisters Bedenken über die Rolle der Nichtfachleute im IOM-Gremium. “Wenn ich die Kriterien für Diabetes neu definieren würde, dann würde ich mir sicherlich wünschen, dass 25 Diabetologen ihre Meinung abgeben würden“, sagte Peterson. „Ich würde da keine Neurochirurgen und Psychiater und Leute haben wollen, die niemals einen Patienten gesehen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, in einem Gremium für eine Krankheit zu sitzen, von der ich nichts weiß.“ In diesem Brief haben die Experten auch die Entscheidung des Gesundheitsministeriums kritisiert, eine Million US-Dollar für das IOM-Projekt auszugeben, und das angesichts der Tatsache, dass die National Institutes of Health (NIH) nur fünf Millionen US-Dollar jährlich für die Erforschung der Krankheit ausgeben, sehr viel weniger, als die NIH vielen weniger häufigen Krankheiten widmen. „Da Wissenschaftler und Ärzte, die auf dem Gebiet des ME/CFS Experten sind, bereits eine Krankheitsdefinition für die Forschung und für klinische Zwecke entwickelt und übernommen haben, ist diese Aktion überflüssig und eine Verschwendung rarer Steuermittel, die viel besser in die Erforschung dieser Krankheit fließen sollten,“ schrieben die Experten. „Schlimmer noch, diese Aktion droht die Wissenschaft … zurückzudrehen, indem Nichtfachleute für die Entwicklung einer Falldefinition einer komplexen Krankheit eingesetzt werden, über die sie nicht Bescheid wissen.“ Einer der Unterzeichner des Briefes, Dharam Ablashi, ein berühmter Forscher, der früher am National Cancer Institute gearbeitet hat und jetzt der wissenschaftliche Leiter der HHV-6-Foundation ist, rügte die Bundesbehörde. „Warum wollen Sie eine Million US-Dollar dafür ausgeben, etwas nochmal neu zu erfinden?“, sagte er. „Der entscheidende Punkt ist, es gibt bereits Kriterien, und die funktionieren – sie sind nicht perfekt, aber sie können verändert werden.“ Das Office on Women’s Health des Gesundheitsministeriums, das das IOM-Projekt mitfinanziert, antwortete auf Fragen, indem es auf früher herausgegebene Stellungnahmen des Ministeriums verwies, die konstatierten, dass das Institut ein angemessener Anlaufpunkt sei, um solch heikle Probleme zu lösen und dass eine Publikation des IOM eine maximale Akzeptanz und Glaubwürdigkeit für die Ergebnisse gewährleisten würde. “Das IOM hat einen einzigartigen Ruf im Hinblick auf die Herausgabe von biomedizinischen Empfehlungen zu schwierigen, komplexen und kontroversen Fragen in der Medizin“, – so heißt es zu einer der „häufig gestellten Fragen“ zu dem Projekt. „Das IOM-Verfahren zur Entwicklung von Konsensempfehlungen ist von Fachgesellschaften und anderen medizinischen Institutionen, die klinische Leitlinien verbreiten, weithin akzeptiert.“ Nicht alle Patienten und Experten sind gegen die IOM-Initiative, und die Frage, ob es möglich ist, mit dem Gremium zusammenzuarbeiten, ohne von ihm kooptiert zu sein, war in den sozialen Medien Gegenstand heftiger Debatten. Die CFIDS Association of America, eine große ME/CFS-Organisation, die schon häufig im Widerspruch zu Patientenvertretern von der Basis stand, hat bei einigen Gruppen Murren hervorgerufen, weil sie den IOM-Vertrag des Gesundheitsministeriums unterstützt. Einige Unterzeichner des Expertenbriefes sind ebenfalls eingeladen worden, dem IOM-Gremium beizutreten und haben diese Einladung angenommen. Außerdem scheinen dem Gremium mehr anerkannte ME/CFS-Experten anzugehören, als viele zunächst erwartet hatten – sieben von 15 Mitgliedern, wenn die ersten Berichte stimmen. Carol Head, Präsidentin und CEO der CFIDS Association of America, sagte, sie verstehe die Bedenken derer, die gegen die Beteiligung des IOM sind, stellte aber fest, dass die Krankheit keiner einzelnen medizinischen Fachrichtung angehört. „Es gibt keine etablierte medizinische Gesellschaft, so wie es sie bei anderen Krankheiten gibt, und deshalb erschien es uns sinnvoll, dass das IOM ein Ort sein könnte, an dem man damit anfangen könnte“, sagte sie. Das Gremium wird seinen Bericht voraussichtlich in einem Jahr abliefern und seine Leitlinien werden wahrscheinlich auf breiter Basis verteilt und von den Ärzten akzeptiert werden, und deshalb sind die Risiken für die Patienten hoch. Bei jeder Krankheit sind genaue Falldefinitionen sowohl für die Forschung als auch für die Behandlung entscheidend. Eine Krankheitsdefinition, die zu breit gefasst ist und damit zu viele Personen einbezieht, die die infrage stehende Krankheit gar nicht haben, werden die Forschungsergebnisse verzerren und zu ungerechtfertigten und potentiell schädlichen Behandlungsempfehlungen führen. Und Falldefinitionen, die zu eng gefasst sind, werden am Ende Menschen herausfiltern, die die Krankheit haben und eine Behandlung brauchen, aber möglicherweise nicht entdeckt werden, weil sich ihre Krankheit auf untypische Weise präsentiert. Bei Krankheiten, für die es verlässliche Tests für Biomarker gibt, die das Vorliegen einer Infektion oder anormaler physiologischer Phänomene anzeigen, ist ein positives Testergebnis vielleicht alles, was man für eine genaue Falldefinition braucht. Aber für Erkrankungen, die man über die Symptome bestimmt wie die Golfkriegskrankheit und ME/CFS, ist es weit schwieriger, eine Falldefinition zu schaffen, die einerseits diejenigen einbezieht, die die Krankheit haben, während sie andererseits diejenigen ausschließt, die sich nicht haben. Das gilt besonders dann, wenn einige der Symptome unspezifisch und subjektiv sind. Speziell ME/CFS und Depression können einander ähneln; eine weitgefasste Falldefinition könnte am Ende Menschen miteinbeziehen, deren Hauptbeschwerde eine Depression und nicht ME/CFS ist. Deshalb ist es eine wichtige aber anspruchsvolle Aufgabe, herauszufinden, ob die Depression die Erschöpfung und andere Symptome verursacht oder ob der Patient depressiv ist, weil er tatsächlich sehr krank ist. Leonard Jason, Professor für Psychologie an der DePaul University in Chicago und ein weithin anerkannter ME/CFS-Forscher, sagte, eine gute Strategie zur Unterscheidung der Krankheit von einer Depression sei, die Patienten zu fragen, was sie tun würden, wenn sie plötzlich wieder gesund wären. Diejenigen, die an einer majoren Depression leiden, so sagte er, würden wahrscheinlich sagen, sie wüssten es nicht. „Aber jemand mit ME/CFS würde wahrscheinlich anfangen, all die Dinge aufzulisten, die er/sie gerne machen würde“, sagte er. Misstrauen und Konflikte zwischen den Patienten mit Chronic Fatigue Syndrome und den Bundesgesundheitsbehörden haben eine lange Geschichte. Diese Geschichte hat Hillary Johnson 1996 in ihrem Buch Osler’s Web: Inside the Labyrinth of the Chronic Fatigue Syndrome Epidemic, dokumentiert, einem außerordentlichen Meisterstück von Investigativjournalismus. Als es Mitte der 1980er Jahre mehrere Ausbrüche einer persistierenden, grippeähnlichen Erkrankung in den Vereinigten Staaten gab, hatten viele das Epstein-Barr-Virus als den Übeltäter im Verdacht. Die Centers for Disease Control stellen Untersuchungen an, konnten keinen verursachenden Faktor feststellen und bürdeten der Krankheit den unglücklichen und herablassenden Namen auf – obwohl die im wesentlichen identische Krankheit, als Benigne Myalgische Enzephalomyelitis (oder einfach Myalgische Enzephalomyelitis) bezeichnete Krankheit bereits viele Jahre zuvor genau beschrieben worden war. In den späten 1990er Jahren hat man herausgefunden, dass die CDC Millionen an US-Dollar, die für die CFS-Forschung bestimmt waren, in andere Forschungsprogramme umgeleitet hatten und dann den Kongress darüber belogen hatten. In den 2000er Jahren hat die Behörde die Patienten noch weiter aufgebracht, als sie es ablehnte, eine Bewegung zu unterstützen, den Namen in Myalgische Enzephalomyelitis umzuändern und stattdessen Millionen für eine Öffentlichkeitskampagne ausgab, mit der der Name „Chronic Fatigue Syndrome“ gefördert wurde. „Die Patienten beklagen sich auch seit langem, dass die Behörde sich mehr auf psychologische Fragen konzentriert als auf die organischen Ursachen. Im Jahr 2010 beispielsweise haben die CDC eine Studie veröffentlicht, die Menschen mit der Krankheit als überproportional häufig an „maladaptiven (unangepassten) Persönlichkeitsmerkmalen“ leidend beschrieb – verglichen mit einer Kontrollgruppe hatten die Erkrankten höhere „Neurozitismuswerte“ und höhere Raten an „paranoiden, schizoiden, ängstlich-vermeidenden, zwanghaften und depressiven Persönlichkeitsstörungen“. Tatsächlich aber berichten zwei Drittel der Patienten, dass ihre Talfahrt mit einer akuten Erkrankung wie etwa einer Mononukleose (Pfeiffer’sches Drüsenfieber) oder einer Grippe begann, die einfach nicht mehr wegging. Und Experten und Patienten sind sich darüber einig, dass das Wort „Erschöpfung“ („Fatigue“) große Missverständnisse bei denjenigen hervorruft, die sich nicht mit der Krankheit auskennen. Das Kardinalsymptom, sagen sie, ist nicht Erschöpfung an sich, sondern das, was als Zustandsverschlechterung nach Belastung (Post-exertional Malaise) oder Rückfall nach Belastung (post-exertional relapse) bezeichnet wird – die Unfähigkeit des Körpers, sich sogar von einer geringfügigen Verausgabung von Energie zu erholen. Die Forschung hat in den letzten Jahren das Vorliegen von diesem ungewöhnlichen Symptom bei den Menschen mit ME/CFS bestätigt. Darüber hinaus ist die Erschöpfung, die sie beschreiben, viel schwerer als die Feld-, Wald- und Wiesen-Müdigkeit, die das Wort „Erschöpfung“ andeutet. Die Patienten hassen den Namen, sagte Michael Allen, ein Psychologe, der in den frühen 1990ern erkrankte. „Wenn ich das Wort höre, macht es mich wahnsinnig, als ob man einem Stier ein rotes Tuch vor die Nase halten würde“ ,sagte Allen, der in San Francisco lebt. „Normale Erschöpfung ist das, was Sie haben, wenn Sie gerade fünf Meilen gerannt sind und Sie müde sind und dann ein Nickerchen halten, und dann ist die Erschöpfung weg. Aber bei mir gibt es Tage, an denen ich stundenlang auf dem Sofa liege und mich sprichwörtlich nicht bewegen kann, als ob ich gerade eine schwere Operation hinter mir hätte. Als ob die Mitochondrien in den Zellen meiner Muskeln und meines Gehirns einfach aufgehört hätten, Energie zu produzieren.“ In einem Blog, der diesen Monat in der Oxford University Press gepostet wurde, beschreibt Leonard Jason, der Psychologie-Professor von der DePaul University, einige der möglichen Auswirkungen des schlecht gewählten Namens. “Chronic Fatigue Syndrome ist eine Krankheit, die genauso behindernd ist wie Typ II Diabetes, Herzinsuffizienz, Multiple Sklerose und Nierenerkrankungen im Endstadium“, schrieb Jason. „Dennoch berichten 95% der Menschen, die sich auf ihr CFS medizinisch behandeln lassen wollen, über Entfremdungsgefühle; 85% der Ärzte betrachten CFS als eine ganz oder teilweise psychiatrische Störung; und Hundertausende von Patienten können nicht einen einzigen sachkundigen und verständnisvollen Arzt finden, der sich um sie kümmert. Die Patienten glauben, dass der Name CFS dazu beigetragen hat, dass Ärzte wie auch die allgemeine Öffentlichkeit eine negative Haltung ihnen gegenüber haben.“ Burmeister pflichtet diesem Punkt voll und ganz zu und führt einen Aufenthalt in einer Notaufnahme an, die sie kürzlich aufgesucht hatte, nachdem ihr jemand auf ihr Auto hintendrauf gefahren war. „Ich habe sehr genau darauf geachtet, bei der Aufnahme CFS oder ME nicht zu erwähnen, weil es bekannt ist, dass Patienten misshandelt werden, wenn diese Diagnose in ihrer Krankenakte steht“, sagte sie. Sie weiß, dass sie Glück gehabt hat, einen Ehemann zu haben, der niemals die Realität ihrer Krankheit infrage gestellt hat. „Er hat niemals an mir gezweifelt, aber das ist etwas Seltenes – viele Patienten machen eine Scheidung durch“, sagte sie. Dennoch leben sie getrennt, aber nicht etwa, weil sie das wollten. Nur eine Handvoll Ärzte im Land ist bereit, sich den umständlichen Protokollierungsanforderungen für die Verabreichung von Ampligen zu unterwerfen; einer von ihnen ist Peterson in Incline Villag am Lake Tahoe. Es erschien ihr zu anstrengend, zweimal in der Woche hin- und herzureisen, um ihre Infusionen zu bekommen, weshalb sie für die absehbare Zukunft die meiste Zeit in Incline Village lebt; ihr Eheman Ed, ebenfalls Anwalt in einer großen Anwaltskanzlei, und ihre 3½-jährige Tochter Aimee leben in Menlo Park, südlich von San Francisco. Burmeister hat den Eindruck, dass ihr die Medikation ermöglicht, auf einem bescheidenen Niveau zu funktionieren, obwohl sie immer noch aufpassen muss, dass sie sich nicht überanstrengt. Es bricht ihr das Herz, dass sie Aimee nur alle paar Wochen sehen kann. „Ich wäre so gerne in der Lage, eine richtige Mutter zu sein, sie zu Verabredungen mit anderen Kindern und auf den Spielplatz zu bringen“, sagte sie wehmütig. „Wir skypen und reden am Telefon, aber das ist nicht das gleiche, als wäre ich bei ihr. Sie ist entschieden stärker an meinen Mann gebunden, was für jede Mutter hart ist. Ich spalte das meist ab, um damit umgehen zu können – sonst wäre es zu schmerzhaft, darüber nachzudenken.“
Courtesy of Jeanette Burmeister Die derzeitigen Aktivitäten zu den Falldefinitionen begannen im Herbst 2012, als das Chronic Fatigue Syndrome Advisory Committee – ein Gremium, das unter der Schirmherrschaft des Gesundheitsministers geschaffen wurde um Handlungsempfehlungen zu dem Thema zu liefern –, empfahl, dass die Behörde einen Workshop zusammenrufen solle, um definitive Falldefinitionen sowohl für die Behandlung als auch für die Forschung festzulegen. Im Laufe der Jahre hatten Forscher und Kliniker mindestens ein Dutzend verschiedener Falldefinitionen für ME/CFS erstellt, jeweils auf der Grundlage ihres Verständnisses zu der jeweiligen Zeit. Im Jahr 1994 haben die Centers for Disease Control eine Krankheitsdefinition entwickelt, deren Kriterien am häufigsten eingesetzt wurden. Diese Falldefinition erforderte das Vorliegen einer sechs Monate andauernden Erschöpfung und vier von acht Symptomen: kognitive Probleme, Halsschmerzen, druckempfindliche Lymphknoten, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und die Zustandsverschlechterung nach Belastung (Post-exertional Malaise). Im Jahr 2003 haben Forscher und Kliniker eine strengere Falldefinition entwickelt, die allgemein als Kanadische Konsenskriterien bekannt wurde. Diese Definition erfordert zusätzlich zur Erschöpfung das Vorliegen aller Symptome, die Experten als die Charakteristika der Krankheit anerkannten: Zustandsverschlechterung nach Belastung, Schlafstörungen, Muskel- und Gelenkschmerzen und Belege für neurologische oder kognitive Probleme. Die Kanadischen Konsenskriterien werden deshalb von vielen als die genaueste Krankheitsdefinition angesehen und werden jetzt von Ärzten häufig zur Diagnose verwendet – obwohl man sich allgemein einig ist, dass sie weiterer Aktualisierung und Verbesserung bedarf. Die Empfehlung des Chronic Fatigue Syndrome Advisory Committee an das Gesundheitsministerium enthielt zwei entscheidende Elemente: dass der Workshop, der die Forschungs- und klinischen Definitionen für die Betroffenen auf dem Gebiet des ME/CFS da sein solle, insbesondere Ärzte, Forscher und Patienten, und dass er die Kanadischen Konsenskriterien als Ausgangspunkt für Korrekturen übernehmen solle. Für die Mitglieder dieses Beratungskommittees, die diese Empfehlung unterstützten, war die Entscheidung des Gesundheitsministeriums, stattdessen das IOM unter Vertrag zu nehmen, wie einen Schlag ins Gesicht. Und statt die Kanadischen Konsenskriterien als Basis für Veränderungen zu benennen, beauftragte das Gesundheitsministerium das Gremium mit einer Auswertung einer breiten Palette von vorhandenen Falldefinitionen. (Das Gesundheitsministerium entschied sich auch, ein vollkommen abgetrenntes Verfahren für die Entwicklung einer zweiten für die Forschung geeigneten Falldefinition zu verfolgen und um andere forschungsbezogene Fragen zu untersuchen.) Mary Ann Fletcher, Mitglied des Chronic Fatigue Syndrome Advisory Committee, eine dezidierte Befürworterin der Empfehlungen für ein Gremium aus Experten, sagte, sie sei vollkommen verblüfft über die Aktion des Ministeriums. „Das war niemals unsere Empfehlung, und deshalb habe ich wirklich keine Erklärung dafür, warum sie uns jetzt dahin gebracht haben“, sagte Fletcher, Professorin an der Nova Southeastern University in Fort Lauderdale und führende Expertin in der Immunologieforschung zu ME/CFS. Der Protestbrief der führenden Experten an Ministerin Sebelius hat die Kanadischen Konsenskriterien als die angemessene Basis für weitere Verbesserungen bezeichnet, und das gleiche gilt für die vielen, allumfassenden Einwände gegen das IOM-Projekt, die von überall herkamen. In ihrer Antwort auf den Brief der Experten schrieb Sebelius, dass der IOM-Ansatz „als die angemessenste Reaktion “ auf die Empfehlungen des Chronic Fatigue Syndrome Advisory Committees ermittelt worden sei. Sie bemerkte auch, dass die Kanadischen Kriterien zusammen mit anderen berücksichtigt würden. Das Gesundheitsministerium verwies die Fragen über die Auswahl und Zusammensetzung des Gremiums an das IOM weiter. In einer E-Mail erklärte eine Sprecherin des Instituts, dass das IOM hier die gleiche Strategie zur Gewährleistung der Auswahl von neutralen Gremiumsmitgliedern verfolgt hätte, die es immer für seine Untersuchungen einsetzt. Aber viele Menschen mit ME/CFS sind besonders besorgt aufgrund eines IOM-Reports, den das Institut im vergangenen Jahr im Rahmen eines Vertrages mit der Veteran‘s Administration über die Behandlung der Golfkriegskrankheit herausgegeben hat – wobei das IOM das Golfkriegssyndrom jetzt in “Chronische Multisymptomstörung” (“chronic multisystem disorder”) umbenannt hat. Durch seine ausgiebige Schwerpunktsetzung auf stressbezogene Faktoren und die Empfehlung von kognitiver Verhaltenstherapie und Antidepressiva hat der Bericht Kontroversen ausgelöst und zu Beschwerden der Veteranen geführt. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz (Freedom of Information Act) hat Burmeister Dokumente im Zusammenhang mit dem IOM-Projekt und dem Vertrag zwischen dem IOM und dem Gesundheitsministerium angefordert, in der Hoffnung, dass sie ein Licht auf die Entscheidungen und Absichten der Bundesbehörde werfen würden. Bislang hat sie diese Dokumente nicht erhalten, was nicht ungewöhnlich ist; Bundesbehörden brauchen oft Jahre, bevor sie aktuelle Dokumente auf solche Anforderungen hin aushändigen. Burmeister hat unerschrocken in diesem Monat Klage gegen das Gesundheitsministerium aufgrund der Verletzung des Informationsfreiheitsgesetzes eingereicht. Was auch immer das IOM-Gremium entscheidet, wenn es diesen Bericht abliefert – Burmeister glaubt, es sei unwahrscheinlich, dass sie selbst jemals wieder ganz gesund wird. Sie vermisst ihr früheres Leben; früher hat sie fünf Tage in der Woche im Fitnessstudio trainiert, und sie ist gerne tanzen gegangen. Wenn es ihr besser ginge, sagte sie, könnte sie eine Anwaltskanzlei zusammen mit ihrem Mann gründen, um die Rechte der Menschen mit Behinderungen zu schützen – eine Sache, die ihr aufgrund ihrer Erfahrungen wichtig geworden ist. Wie es aussieht, plant sie, für Menschen mit ME/CFS zu kämpfen, solange es ihr Gesundheitszustand erlaubt. „So viele meiner Freunde sind kränker als ich und können nicht das tun, was ich kann“, sagte sie. „Deshalb ist das etwas, das mir am Herzen liegt und das mir wieder einen Sinn gegeben hat.“
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