Leben mit CFS bedeutet, die
Erfahrung zu machen, dass
"Wollen" manchmal nicht genug
ist.
Wie viele andere erinnere auch
ich mich genau an den Tag, an
dem ich krank wurde.
Möglicherweise war es auch nur
der Tag, an dem es
offensichtlich wurde dass ich
schon länger krank war.
Ich war eine normale, zufriedene
27-jährige. Mit beiden Beinen
fest im Beruf, einer glücklichen
Beziehung, Hobbies und Spaß am
Leben. Wie hätte ich ahnen
können, dass ich fast alles
innerhalb kürzester Zeit
verlieren sollte? All das, und
noch vieles mehr, was ich als
selbstverständlich hingenommen
hatte?
Nach einem grippalen Infekt, der
mich einige Wochen begleitete,
kamen plötzlich immer mehr
Symptome hinzu. Den Anfang
machten Schwindelattacken,
Muskelzuckungen, komaartige
Müdigkeit, ein schreckliches
Benommenheitsgefühl. Bald darauf
bemerkte ich zunächst beim
Sport, dass meine
Leistungsfähigkeit stark
nachließ. Ich bekam
Kreislaufprobleme, Herzstolpern,
plötzliches Herzrasen.
Irgendwann fiel mir auf, dass
ich an den Tagen nach meinem
Tanztraining besonders schlecht
dran war. Aber welcher Mensch
hat in seinem Leben schonmal
etwas von "post-exertional
malaise", also einer
Symptomverstärkung nach
Anstrengung gehört? Bestärkt von
meinem Hausarzt, versuchte ich
den Abwärtstrend mit dem Motto
"Zähne zusammenbeißen"
aufzuhalten. Für wenige Wochen
gelang es mir, weiterhin
arbeiten zu gehen und zweimal
die Woche zu trainieren, oft im
wahrsten Sinne bis zum Umfallen.
Das ging nicht lange gut, und
das Symptom, dass sich langsam
aber sicher als das mit Abstand
stärkste und schlimmste
herauskristallisierte war eine
totale körperliche Schwäche.
Nur wenige Wochen nach dem
Auftreten der ersten Symptome
war ich bereits zu schwach,
einen ganzen Tag lang auf einem
Stuhl zu sitzen. Kurz darauf
konnte ich nicht mehr länger als
3-4 Minuten stehen. Jegliche
Überschreitung dieser engen
Grenzen rächte sich mit noch
größerer Schwäche. Dazu kamen
nach ungefähr einem Jahr
Parästhesien der Beine: Ein
permanentes starkes Kribbeln und
Brennen, das mich oft beinahe um
den Verstand bringt.
Doch noch immer hatte ich die
Natur meines Feindes nicht
wirklich verstanden. Unzählige
Arzttermine,
Krankenhausaufenthalte und
alternativer Behandlungsversuche
später hatte ich noch immer
keine Ahnung, was mit mir los
war. Der anfänglich geäußerte
Verdachte auf eine
Muskelerkrankung kam mir immer
unwahrscheinlicher vor. Meine
Schwäche bezog sich nicht nur
auf die Muskeln, es fühlte sich
so an, als wäre meinem Körper
der Hauptenergiehahn zugedreht
worden.
Was jedoch ungebrochen war: Mein
Wille, der Sache auf den Grund
zu kommen. Ich rechnete
praktisch jede Minute damit,
dass sich die Sache von selbst
erledigen würde, oder dass Hilfe
nicht weit war.
Obwohl ich mir sicher war, dass
die Psyche nicht der Auslöser
meines Dilemmas war, begab ich
mich auf Anraten eines Arztes in
eine Psychotherapie, versuchte
es sogar mit Antidepressiva.
Doch auch die Therapeutin war
sich sicher, dass etwas mit
meinem Körper ganz und gar nicht
in Ordnung war.
Eines Tages las ich auf einer
Internetseite Berichte von
CFS-Erkrankten. Obwohl sich die
Berichte untereinander deutlich
unterschieden, entdeckte ich
doch unzählige Gemeinsamkeiten,
vor allem einen gemeinsamen
Nenner, der für mich heute zum
Leitsymptom des CFS zählt: Die
Zustandsverschlechterung nach
Anstrengung.
Ich wünschte mir, dass ich einen
Arzt gehabt hätte, der mir von
Anfang an den richtigen Rat
gegeben hätte, nämlich unbedingt
auf meine Grenzen zu achten, und
sie nicht mit Gewalt immer
wieder zu überschreiten. Mir
hätte wahrscheinlich einiges
erspart bleiben können.
Unfgefähr ein Jahr nach
Krankheitsbeginn erreichte mein
Zustand einen neuen Tiefpunkt.
Ich konnte nur noch im Bett
liegen, selbst lesen, fernsehen,
reden oder Licht strengten mich
unglaublich an. Wenn mein Mann
mir das Essen ans Bett brachte,
kamen mir die Tränen, weil ich
nicht wusste, wie ich die Kraft
zum Aufsitzen und zum Essen
aufbringen sollte. Wir kauften
mir einen Bettsitz und eine
Trockenhaube, mit der ich im
Bett meine Haare trocknen
konnte. Zum Zähneputzen musste
man mir alles ans Bett bringen.
Zur Toilette konnte ich nur
kriechen oder getragen werden.
Ich vertrug viele Nahrungsmittel
nicht mehr. Auf die
Schmerzmittel gegen meine
Migräneanfälle, die ich schon
seit Kindheitstagen hatte,
reagierte ich ebenfalls mit
heftigen Beschwerden.
Nach wenigen Monaten besserte
sich mein Zustand wieder leicht,
so dass ich wieder tagsüber
alleine in der Wohnung sein
konnte. Mehr als mir selbst
etwas zu trinken zu holen oder
mir ein Brot zu schmieren war
allerdings seitdem nie mehr
möglich.
Heute bin ich zu 95% ans Haus
gebunden. Ich benötige für alle
Aktivitäten ausser Haus einen
Rollstuhl. An den meisten Tagen
fehlt mir selbst die Kraft, mit
Rollstuhl mein Haus zu
verlassen, obwohl ich das Leben
"draußen" jeden einzelnen Tag
vermisse. Sobald es die Kraft
zulässt, möchte ich ins Grüne
fahren, oder ganz selten
vielleicht mal in ein Café
sitzen. Ich muss anschließend
immer für solchen "Luxus"
bezahlen, aber ohne ihn wäre das
Leben nicht mehr lebenswert.
Trotz alledem gebe ich die
Hoffnung niemals auf. Ich weiß
inzwischen, dass CFS eine
physische, von etlichen Ärzten
und vor allem Forschern
anerkannte Krankheit ist, und
dass weltweit Millionen Menschen
unter ihr leiden.
Dass viele deutsche Ärzte nach
wie vor die Augen vor dem Stand
der Wissenschaft verschließen
und den Patienten eine
angemessene Betreuung
verweigern, ändert daran nichts.
Dieser Blog soll vor allem Mut
machen, wir alle können und
werden an dieser Situation etwas
ändern! Wir sind nicht allein.
Alles Liebe,
eure Nina
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