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     Artikel des Monats Januar 2011 Teil 7

    Die Bedeutung der COMT-Polymorphismen für das Chronische Erschöpfungssyndrom

    Zusammenfassung des Vortrags von

    Dr. Kurt E. Müller

    anlässlich  der Fatigatio-Fachtagung vom 24.-25. September 2010 in Dortmund

    von Regina Clos

    Die Catechol-O-Methyltransferase (COMT) ist ein Enzym, das verschiedene Catecholamine (die Neurotransmitter Noradrenalin, Adrenalin, Dopamin) und neuroaktive Arzneistoffe O-methyliert und damit inaktiviert und dem Abbau zuführt. Es gibt Menschen mit einer genetischen Variation, einem sogenannten Polymorphismus, durch den dieses Enzym in geringerem Ausmaß produziert wird. Das führt dazu, dass die KatecholamineCatecholamine und bestimmte Medikamente weniger schnell abgebaut werden und länger auf den Körper einwirken.

    Dr. Müller erläuterte die komplexen Zusammenhänge an einem Fallbeispiel einer 24-jährigen Frau, die zuvor aktiv und gesund war und sich dann nach einer Infektion nicht mehr erholte. Sie litt an starker und anhaltender Erschöpfung, Müdigkeit und Kraftlosigkeit. Bei geringer körperlicher Beanspruchung verschlechterte sich ihr Befinden rasch, und sie hatte dabei Herzbeschwerden und Herzstolpern. Sie erholte sich nach körperlicher Anstrengung nur langsam. Sie hatte eine erhöhte Anfälligkeit für banale Infekte, chronische Diarrhoen, Haarausfall, trockene Haut und atemabhängige Thoraxschmerzen. Außerdem hatte sie ein Zahnimplantat.

    Dr. Müller macht in solchen Fällen eine Basisdiagnostik, die sich am Leitsymptom orientiert. Er schaute hier nach Leukozyten, Monozyten, NK-Zellen, CD57-NK-Zellen und dem Quotienten der T4-/T8-Zellen. Da die proentzündlichen Zytokine auffällig erhöht waren und dies auf eine Entzündung schließen ließ, untersuchte er auf Coxsackie-Viren und EBV. Beide Infektionen waren nachweisbar.

    Die Suche im peripheren Blut ist unzulänglich, weil diese Erreger da nicht unbedingt nachweisbar sind. Sie ziehen sich u.U. in Organe zurück. Das gilt insbesondere intrazelluläre Erreger.

    Alle chronischen Infekte erzeugen nitrosativen Stress. Das ist physiologisch sinnvoll und so vorgesehen. Der nitrosative Stress hat am Anfang einen gewissen Nutzen, nur wenn er chronisch wird, ist das krankmachend. Deshalb hat er auch bei dieser Patientin den nitrosativen Stress und die ATP-Werte untersucht. Der nitrosative Stress war enorm erhöht und das ATP stark erniedrigt.

    Da alle Multisystemerkrankungen mehrere Pfade haben, auf denen sie entstehen bzw. unterhalten werden, kann man sie nicht auf einen Pfad reduzieren. Da Erschöpfung auch durch eine Störung im Bereich der Neurotransmitter erzeugt werden kann, hat er auch diese untersucht. Dabei ergab sich, dass das Verhältnis von Noradrenalin und Adrenalin pathologisch erhöht war. Das Serotonin war stark erniedrigt, wie man es bei allen Patienten findet, bei denen eine chronische, langandauernde Entzündung vorhanden ist. Das Glutamat war ebenfalls deutlich erhöht – ein Stoff, der für das Gehirn toxisch wird, wenn die Werte zu hoch sind. Der morgendliche Cortisol-Wert war zu niedrig, so dass der morgendliche Energieschub nicht da sein konnte.

    Aufgrund des gestörten Verhältnisses von Noradrenalin und Adrenalin hat er sich diese Catecholamine (Dopamin, Noradrenalin, Adrenalin) näher angesehen. Die Produktion und Abbaugeschwindigkeit dieser Neurotransmitter sind von besonderer Bedeutung. Sie sind nicht nur Teil der physiologischen Dauerregulation des Körpers, sondern sorgen für einen Leistungszuschuss in Situationen, in denen der Mensch unter Stress gerät. Sie sind also Teil der physiologisch notwendigen Stressanpassungsreaktion. Aber ihre Erhöhung muss begrenzt werden auf die Zeit, in der wir sie brauchen, d.h., sie müssen auch wieder abgebaut werden. Deshalb gibt es ein System, über das sie abgebaut werden, wenn sie nicht mehr nötig sind. Zentral in diesem Abbaumechanismus ist das Enzym Catechol-O-Methyltransferase (COMT). Die Abbaugeschwindigkeit der Catecholamine durch COMT ist bei den Menschen unterschiedlich, und wie hoch sie ist, ist genetisch festgelegt. Wenn die Abbaugeschwindigkeit länger ist, dann wirken die Catecholamine deutlich länger.

    Eine verminderte Abbaugeschwindigkeit der Catecholamine, d.h. eine geminderte Aktivität von COMT, hat viele Vorteile, denn diese Menschen haben eine hohe geistige und körperliche Leistungsfähigkeit, eine große Ausdauer, sie erschöpfen erst spät, es fällt ihnen alles leicht. Sie können viele Dinge gleichzeitig erledigen, sie begreifen komplexe Sachverhalte schnell, sie haben eine hohe Sprech- und Sprachbegabung, sind aber auch ungeduldig, rastlos und hastig, sind sportlich vielseitig, aber mit schlechter Teamfähigkeit. Ihre Sinneswahrnehmung ist gesteigert. Alle Sinne sind gleichzeitig hoch wahrnehmungsfähig.

    Auf der anderen Seite hat die geminderte COMT-Aktivität auch Nachteile. Die Menschen sind oft aggressiv, körperlich wie verbal. Sie schwitzen leicht, haben meist keine Gewichtsprobleme. Sie sind unfähig, meditative Verfahren wie Yoga zu verfolgen und erholen sich eher durch körperliche Aktivität. Sie haben ein geringes Schlafbedürfnis, oft Schlafstörungen. Sie haben einen hohen Verbrauch an Mikronährstoffen, kommen also leicht in Mangelzustände. Wichtig ist die Störung der Verstoffwechslung der Catecholamine und auch von Medikamenten und Schadstoffen.

    Für die Synthese der Catecholamine sind eine Reihe von Stoffwechselvorgängen und Mikronährstoffen notwendig. Bei Patienten mit dem COMT-Polymorphismus kommt es leicht zu einem negativen Feedback zwischen Noradrenalin und Dopamin, so dass das Noradrenalin nicht in Adrenalin umgewandelt wird. Wenn Noradrenalin schlechter abgebaut wird, dann hat das eine Wirkung auf Organe.

    Katecholamine fungieren als Transmitter im peripheren und zentralen Nervensystem. Für die Wirkungsintensität hat der Körper zwei steuerbare Elemente: Menge und Rezeptordichte. Wir brauchen die Katecholamine sowohl für die physiolische Dauerregulation als für besondere Anforderungen, d.h. auch im Rahmen der Anpassungsreaktion an Stress. Stressreaktionen sind grundsätzlich überlebenswichtig, selbst Panikreaktionen sind gegebenenfalls lebensrettend. Sie führen zu einer Steigerung von Sinneswahrnehmung, der Hirnleistung, der Handlungsgeschwindigkeit, der Aggressivität. Aber nach dem Stressereignis müssen die Katecholamine wieder abgebaut werden, sonst wird der Energieverbrauch einfach zu hoch.

    Die Katecholamin-Sythese findet im Gehirn, in der Nebennierenrinde und im symphatischen Nervensystem statt. Man hat aber in neuerer Zeit herausgefunden, dass sie auch in den T-Lymphozyten, den B-Lymphozyten, den NK-Zellen, den dentritischen Zellen und den Makrophagen gebildet werden. Das heißt: Die Zellen des Immunsystems sind in der Lage, Stresshormone zu bilden!

    Die physiologischen Funktionen des Enzyms COMT ist neben der Verstoffwechslung der Catecholamine und dem Abbau von Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin auch der Abbau von Arznei- und Umweltschadstoffen wie aromatischen Kohlenwasserstoffen, Benzpyrenen, Dioxinen, Furanen, PCB u.a. Der Abbau erfolgt über eine Methylierung. Deshalb ist die Hintergrundbelastung der Bevölkerung mit diesen Schadstoffen ein Problem, weil diese Umweltgifte COMT zum Abbau brauchen, und das führt zu einer Minderleistung im Bereich der endogenen Regulation, d.h., wir haben sie nicht mehr für die physiologischen Aufgaben zur Verfügung. Damit wird jeder Organismus dereguliert.

    Die Katecholamine wirken auf das Immunsystem, indem sie die Proliferation von T-Lymphozyten hemmen, die Organverteilung von T-Zellen lenken, TNF-alpha, IFN-y, IL 1, IL 12 hemmen, TH1- Zellen (IL 2, IFN-y) supprimieren, IL 10 stimulieren IL 10 und adrenerge Nervenfasern versorgen. Sie wirken auf Knochenmark, Lymphknoten, Thymus und Milz. Adrenerger Stress reduziert die Lymphozyten und Noradrenalin fördert das Wachstum von Bakterien. Das heißt: die Infektabwehr wird durch die Katecholamine beeinflusst. Sie regulieren die Immunabwehr herunter und das Bakterienwachstum hoch. Das führt damit zu Infektionskrankheiten und zu einem Th1-Th2-Shift.

    Katecholamine selbst senken den Serotoninspiegel und haben einen immunsuppressiven Effekt, unabhängig von dem später durch die Inflammation auftretenden Serotonin-senkenden Effekt. Durch die Freisetzung von TNF-α und/oder IFN-γ wird das L-Tryptophan vermehrt in Kynurenin umgesetzt. Dies bedingt eine weitere Reduktion von Serotonin und in der Folge auch von Melatonin. Dieser Serotoninmangel kann zu depressiven Symptomen führen – fälschlicherweise wird dann die Depression als Ursache der Krankheit angesehen, dabei sind sie die Folge von Infektionen.

    Bei Frauen mit diesem COMT-Defekt kommt ein weiteres Problem hinzu: auch die Östrogene, das Katecholöstrogen werden durch das COMT abgebaut, so dass sie auch durch den hohen Wert an Katecholöstrogenen permanent unter Stress gehalten werden. Dadurch werden die klassischen Catecholamine noch weiter verzögerter abgebaut, so dass sich das gegenseitig aufschaukelt. Dies führt außerdem zu einem erhöhten Krebsrisiko.

    Wenn die Aktivität von COMT reduziert ist und damit die Katecholamine im Körper länger oder stärker wirken, dann kann das zu verschiedenen Krankheiten führen oder zumindest beitragen. Dazu gehören Herzkreislauf-Krankheiten, Schlaganfälle, Infektanfälligkeit und verschiedene psychiatrische Krankheitsbilder wie verstärkt auftretende Psychose bei Morbus Alzheimer, Schizophrenie, bipolare affektive Störungen, stressinduzierte Psychosen und Depression.

    Folie 28 von Dr. Müllers PowerPoint-Vortrag zeigt den Unterschied der Reaktion auf Stress zwischen Menschen mit und ohne diesen COMT-Polymorphismus.

    Zurück zur Patientin: sie hatte eine T-Zell vermittelte Sensibilisierung auf verschiedene Nahrungsmittel (Typ-IV Allergie), die zur Erhöhung von IL 2, IFN-y führen. Das Implantat führte durch den Titangehalt zur starken Expression von IL 1b. Das führt dann zu einer neuronalen Stimulation des Sympathikusnervs, und der führt dazu, dass das Gehirn dann selbst IL1b produziert, also einer Substanz, die Müdigkeit hervorruft.

    Eine mögliche Behandlung, die auf ein Abfedern des COMT-Defekts abzielt, besteht in der Gabe von relevanten Substanzen wie Aminosäuren (Phenylalanin, Tyrosin, L-Tryptophan, 5-http), S-Adenosylmethionin (SAMe), Mikronährstoffen (Vit. B1, B3,B5, B6, B12, Vit. C, Folsäure, Biotin) und Mg, Zn, L-Carnitin, Ubichinon. Eine natürliche L- DOPA Quelle ist Mucuna puriens (Bohne). Diese Stoffe braucht man beim Abbau von Noradrenalin zu Adrenalin und für das Recyceln von Homozystein. Auch Sport kann als Therapie eingesetzt werden. Menschen mit einer genetischen Minderung der Enzymleistung von COMT benötigen regelmäßigen Sport.

    Bei Krankheit springt das System nicht mehr auf Null

    Anlässlich einer Frage aus dem Publikum zum Thema „Stress“ fasste Dr. Kurt E. Müller den Zusammenhang von Stressoren, Regulationsmechanismen und der möglichen Entstehung von chronischer Krankheit als dynamisches Geschehen zusammen. Auszüge:

    „Sie haben beim Thema Stress das typische psychiatrische Verständnis von Stress in Ihre Frage hineingepackt, nämlich dass Stress immer ein rein psychisches, subjektives Erleben der Person ist. Herr Bieger und ich haben genau das Gegenteil gemacht. Wir haben nämlich betont, dass Stress einmal eine notwendige Anpassungsreaktion ist, die wir in vielen Situationen brauchen, dass sie aber auch, wenn sie dauernd einwirkt, biochemisch-neurochemisch deregulierend wirkt. Das kann sowohl akut passieren, wenn akuter Stress so hoch ist, wie das etwa bei einem 10-Kämpfer ist, der sich bis zum Letzten verausgabt. (...)

    Wir müssen bedenken, dass diese Mechanismen, die uns krank machen, physiologisch auch gebraucht werden. (...) Der gleiche Mechanismus wird auch bei Gesunden immer wieder eingesetzt, und wenn er nicht mehr gebraucht wird, springt er wieder auf die Ausgangsstellung zurück. Krank werden heiß, nicht mehr in die Ausgangsstellung zurückkommen.

    Wenn Sie einen grippalen Infekt haben, durchlaufen Sie über drei bis fünf Tage alles, was Dr. Bieger Ihnen erzählt hat, aber am Ende der fünf Tage ist Schluss, und dann braucht es nochmals fünf Tage, und dann ist das System wieder in die Nullstellung zurückgegangen, und beim nächsten Infekt fängt es wieder von der Nullstellung an.

    Werden Sie chronisch krank, kommt das System nicht mehr in die Nullstellung zurück. Das kann langfristig, kontinuierlich über lange Zeiträume passieren, das kann auch in einer akuten Situation passieren, aber wichtig ist: es springt nicht mehr auf Null zurück. Der Stress ist eben ein Faktor, der sehr viel breiter einwirkt, als die Psychiater es sehen.“

    „Mit allem Respekt gegenüber Ihren Forschungsergebnissen, Frau Mikovits – ich glaube nicht, dass wir einen Marker als Virus für CFS finden werden, denn bei Multisystemerkrankungen sind die Systemstörungen das Problem, das wir haben. Wir haben verschiedene Systemstörer. Die Kollegin aus der Charité hat den wichtigsten Satz des Tages gesagt: Die Krankheit macht nicht der Viruserreger, sondern die Reaktion des Körpers darauf. Die einzelnen Einwirkungen sind aus meiner Sicht sehr verschieden und wir müssen suchen, bei wem ist welche Einwirkung maßgeblich.

    Aus meiner Sicht ist der Weg in chronische Krankheiten lange. Er fängt an mit unserem genetischen Rüstzeug, das ist schon vor der Geburt angelegt. Wir haben epigenetische Effekte, die in der vorgeburtlichen und frühen nachgeburtlichen Phase einwirken. Da werden unsere Systeme feinjustiert auf die Lebensfunktionen. Wenn sie dort gestört werden, behalten wir die Störung der Feinjustierung lebenslang. Damit ist noch nichts passiert. Wir sind damit immer noch gesund. Und dann kommen viele Dinge im Laufe des Lebens auf uns zu, die hier störend einwirken.

    Ich denke, es ist wichtiger, die Faktoren zu untersuchen, die verhindern, dass die Regulationssysteme wieder in die Nullstellung zurückspringen. Ich habe Ihnen heute mit den Stresshormonen und dem COMT zwei Faktoren dargestellt, die dieses Rückspringen unwahrscheinlicher machten, die bestimmte Trends erzeugen. Dennoch wird es auch Patienten mit dieser COMT-Konstellation geben, die ganz gesund sind und denen gar nichts passiert.

    Das sind also Faktoren, die nicht zwangsläufig krank machen, sondern die in ihrem zufälligen Zusammenkommen nach langer Laufzeit zur chronischen Krankheit führen. Chronische Krankheit entwickelt sich langsam. Auch wenn es für den Einzelnen manchmal schnell beginnt, weil der Moment, in dem es umschaltet, kurz sein kann. Man selbst bezieht sich ja auf den Moment, in dem es umgeschaltet hat – das andere bekommt man nicht mit. Aber die Vorlaufzeit beträgt manchmal 15, 20 Jahre oder mehr.“