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Prof. Carmen
Scheibenbogen ist Hämato-Onkologin und leitet seit
einigen Jahren die Ambulanz für Patienten mit
Immundefekten in der Charité Berlin Mitte. 2009 haben
sich dort rund 300 Patienten neu vorgestellt, und
aufgrund der großen Nachfrage ist für 2011 eine
Kapazitätserweiterung auf 700 Neuvorstellungen geplant.
Zur Zeit besteht eine Wartezeit von einem halben Jahr
und es gibt nur eine eingeschränkte Kassenzulassung.
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Etwa ein Drittel der Patienten,
die sich hier mit dem Verdacht auf einen Immundefekt vorstellen,
haben eine CFS-Symptomatik. Zunächst wird eine Infektionsdiagnostik
durchgeführt, da sich ein Immundefekt durch eine verstärkte
Infektionsneigung manifestiert. Auch bei CFS werden Infekte als
Ursache vermutet, weshalb man in der Charité vorwiegend nach dem
Epstein-Barr-Virus (EBV) und XMRV sucht.
Selten lässt sich eine akute
Infektion nachweisen, etwa mit EBV oder dem Cytomegalie-Virus (CMV),
aber man findet auffällig hohe Antikörpertiter (IgM, IgA) und eine
T-Zell-Aktivierung wie bei einem akuten Infekt. Man sieht, dass das
Immunsystem angeschaltet ist. Man findet oft eine herabgesetzte
Funktionsfähigkeit der Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und
einen IgG3-Mangel. Infektionserreger, die mit CFS in Verbindung
gebracht werden, sind Herpesviren (EBV, HHV1, HHV6, CMV, HSV1, VZV),
XMRV, Enteroviren, Chlamydien/Mycoplasmen, Yersinien, und Borrelien.
Gemeinsam ist allen diesen Erregern, dass sie in den Zellen sitzen.
Herpesviren bleiben ein Leben lang im Körper, aber obwohl sehr viele
Menschen damit infiziert sind, werden die meisten davon nicht krank.
Prof. Scheibenbogen und ihr Team
haben eine Studie durchgeführt zur Frage, ob EBV die Ursache des CFS
sein könne. Dazu haben sie CFS-Patienten, Fatigue-Patienten und
gesunde Kontrollen auf die verschiedenen Arten von Antikörpern gegen
das Epstein-Barr-Virus untersucht. Man findet im Blut fast nie
Antikörper gegen das EBV, d.h., die Patienten haben keine lytische
Infektion. Das EBV ist mit normalen Methoden nicht nachweisbar, weil
es in nur sehr wenigen Zellen schlummert. Man kann das Virus nur
nachweisen, wenn es sich vermehrt. Das tut es in den B-Zellen.
Normalerweise geschieht das jedoch nicht, weil die anderen B-Zellen
die infizierten sofort abtöten. Bei CFS kann das EBV aber nicht
ordentlich kontrolliert werden, es versucht sich zu vermehren, und
das führt zum ständigen Anschalten des Immunsystems, was über die
Aktivierung von Zytokinen zu dem chronischen Krankheitsgefühl führt.
Man hat in dieser Studie nach
drei verschiedenen Antikörpern auf das EBV gesucht – nach
EBNA-1-IgG, VCA-IgG und VCA-IgM. Je nach Verhältnis dieser drei
Arten von Antikörpern kann man sagen, es gibt keine Infektion, eine
Primär-Infektion, eine chronisch aktive Infektion oder einen
Verdacht auf eine Reaktivierung. Bei ME/CFS-Patienten findet man
vermehrt ein bestimmtes Muster (chronisch aktiv oder reaktiviert).
Dieses auffällige Muster lässt auf eine dysregulierte
B-Zell-Immunität, also auf eine gestörte Abwehr gegen EBV schließen.
Die Hälfte der von ihr untersuchten ME/CFS-Patienten hat eine
gestörte Antwort der Memory-B-Zellen. Außerdem gibt es eine
verminderte EBV-spezifische T-Zell-Antwort. Zusammengefasst: Es gibt
also einen Hinweis auf eine chronisch-aktivierte EBV-Infektion und
auf eine gestörte Immunantwort auf dieses Virus.
Prof. Scheibenbogen berichtete
dann über die übliche Ausschlussdiagnose und Diagnostik des CFS und
die Möglichkeiten, andere Krankheiten oder Erreger, die dabei
entdeckt werden, zu behandeln. Sie berichtete über die in der
Literatur erwähnten Behandlungsversuche mit Immunmodulatoren wie
Ampligen, Interferon Alpha, Immunglobulinen und Corticosteroiden,
mit Antiinfektiva wie Valcyte, Acyclovir und Tetracyclinen sowie
symptomatische Behandlungsformen mit den Schmerzmitteln und
Entzündungshemmern Ibuprofen oder Benuron, sowie Antidepressiva, die
man in ganz niedriger Dosis nur zur Verbesserung des Schlafes gibt,
oder Ritalin – nur zur kurzfristigen Steigerung der Konzentration,
nicht als langfristige Behandlung.
Man müsse das ausprobieren. Die Behandlung mit Valcyte, einem
spezifischen Antibiotikum gegen EBV, bringe nur bei etwa der Hälfte
der Fälle eine Besserung, aber keine Heilung. Sie sehe nicht die
eindeutig positivien Ergebnisse, wie man sie in der Studie von
Montoya gesehen hat.
Diese Untersuchungen wurden zum
Teil mit Forschungsgeldern des Fatigatio e.V. durchgeführt, und man
plant eine weitere Studie zur Entwicklung eines diagnostischen
Markers. Man hat bereits mit sogenannten Genarrays 10.000 Gene von
ME/CFS-Patienten daraufhin untersucht, ob sie angeschaltet sind und
wie sich dieses Genexpressionsmuster von dem Gesunder unterscheidet.
Dabei hat man auffällige Muster und eine Vielzahl von angeschalteten
Immunwegen gefunden, die auf einen Immundefekt oder spezifische
Erreger schließen lassen. Das Projekt ist jedoch momentan aufgrund
von Geldmangel gestoppt. Weitere Gelder sind beantragt.
Weiterhin hat Prof. Scheibenbogen
in Zusammenarbeit mit Norbert Bannert vom Robert-Koch-Institut eine
XMRV-Studie an 39 CFS-Patienten, 40 gesunden Kontrollen und 112
Patienten mit Multipler Sklerose durchgeführt. Man habe die Methoden
verwendet, die auch von der Gruppe um Judy Mikovits verwendet
wurden, konnte aber bei keiner der untersuchten Personen XMRV
finden. Die Forscher haben aber durch andere Verfahren bewiesen,
dass sie das Virus im Prinzip nachweisen können. Sie schließen
daraus, dass XMRV wahrscheinlich bei CFS-Patienten in Deutschland
keine Rolle spiele. Möglicherweise gebe es hier eine andere
Variation des Retrovirus. Insgesamt müsse ein Fragezeichen bleiben,
warum die XMRV-Untersuchungen des RKI negativ waren.
Zusammenfassend sagte Prof.
Scheibenbogen: CFS ist wahrscheinlich eine chronische
Infektionserkrankung durch unterschiedliche Erreger auf dem Boden
einer noch nicht bekannten Immundysfunktion. |