An
Dr. Bruce Alberts Editor-in-Chief
Ms.
Monica Bradford Executive Ediitor
Science 1200 New York Avenue, NW Washington, DC
20005
Ich bin tief
betrübt über Ihren „Ausdruck der Besorgnis der Herausgeber“
(“Editorial Expression of Concern” – EEC) bezogen auf die Studie von
Lombardi et al., Oktober 2009.
Wie Judy Mikovits (1) zu recht gesagt hat, ist dieser Akt von Ihrer
Seite aus „voreilig“, um es gelinde auszudrücken. Tatsächlich räumt
Ihre EEC dies ganz offen ein: „Science erwartet begierig den
Ausgang dieser weiteren Studien und wird die entsprechenden
Maßnahmen ergreifen, wenn die Ergebnisse bekannt werden.“ Ich wage
zu behaupten, Sie haben bereits Maßnahmen ergriffen (wenn auch
völlig unangemessener Art), und zwar in Form dieses Editorials und
Ihrer Forderung nach Rücknahme der Studie. Leider werden diese
Maßnahmen nichts weiter tun, als einen Schatten der Einschüchterung
über die zukünftige XMRV/HGRV-Forschung zu werfen, eine Zukunft, von
der Sie selbst gleichzeitig zugestehen, dass sie noch offen ist. War
es Ihre Absicht, die Einschüchterung zu fördern und den
wissenschaftlichen Prozess auszuschalten?
Um Ihre
Besorgnis über die Lombardi et al.-Studie teilweise zu
rechtfertigen, behaupten Sie: „Seitdem haben mindestens 10 Studien,
die von anderen Forschern durchgeführt und anderen Orts publiziert
wurden, berichtet, dass es nicht gelungen ist, das XMRV in
unabhängigen Populationen von CFS-Patienten zu entdecken.“ Diese
Argumentationslinie ist in mindestens zweierlei Hinsicht grundlegend
falsch:
Erstens
ignoriert sie selektiv sämtliche Belege, die die Studie von
Lombardi et al. stützen. Ein großer Teil dieser Belege ist von
Judy Mikovits kurz und klar in ihrer Antwort (1) dargelegt worden,
weshalb ich dies hier nicht im Einzelnen wiederhole. Gleichwohl ist
die spürbare Voreingenommenheit dieser Ihrer Stellungnahme
bestürzend.
Zweitens
täuscht dieses Argument darüber hinweg, dass man sich hier auf
beklagenswert unwissenschaftliche Weise auf das reine Abzählen von
Studien verlässt, anstelle ihre Methoden zu analysieren. Keine
dieser negativen Studien, einschließlich der von Knox et al.,
stellt einen wirklichen Versuch der Replikation der Originalstudie
dar. Das hat die detaillierte Darstellung vieler (wenn auch nicht
aller) methodischen Unterschiede von Annette Whittemore (2) im
Rahmen ihrer Antwort auf Ihre EEC deutlich gemacht. Es sollte
unnötig sein zu wiederholen, dass keine noch so große Anzahl von
Nicht-Replikationsstudien jemals ein Ersatz für eine wirkliche
Replikation sein kann, insbesondere wenn Techniken eingesetzt
werden, die so kompliziert wie die infrage stehenden sind. Wie kann
es sein, dass das führende wissenschaftliche Publikationsorgan der
Welt sich von Quantität statt von Qualität überzeugen lässt, von
Strichlisten statt von technischen Verfahren, von Phrasen statt von
Replikation?
Diese
Angelegenheit ist auch aus anderen Gründen problematisch. Es wird
ein sich selbst erfüllendes Ergebnis geschaffen, dass weitgehend,
wenn nicht gar voll und ganz, von Geld und Einfluss diktiert wird.
Quantität wird als „Konsens“ herausposaunt, was wiederum eine
Wahrnehmungsstörung im Sinne einer Voreingenommenheit zugunsten
dieses künstlichen „Konsenses“ schafft. Es ist wohlbekannt, dass
seit der Veröffentlichung der Lombardi et al.-Studie den
Autoren wiederholt die Finanzierung weiterer Forschungsarbeiten
verweigert wurde (mehr als 6 mal durch die NIH) und dadurch daran
gehindert wurden, weitere Belege zu veröffentlichen, die ihre
Original-Arbeit stützen. Die Binsenweisheit, dass „negative Studien
selten veröffentlicht werden“, ist im Hinblick auf die
XMRV-Forschung auf den Kopf gestellt worden. Hier werden diejenigen,
die bewiesen haben, dass sie fähig sind, das Virus zu finden, im
Hinblick auf finanzielle Ressourcen ausgehungert, während
diejenigen, die eine Abscheu gegenüber wirklicher Replikation
zeigen, mit finanziellen Mitteln überhäuft werden und ihnen Platz
zur Veröffentlichung in Zeitschriften gewährt wird, wobei der
Peer-Review-Prozess nicht mehr als ein sanftes Abtasten ist.
Sie stützen
Ihre Besorgnis weiterhin, indem Sie die Schlussfolgerungen von
Knox et al. und Paprotka et al. ansprechen.
Im Hinblick
auf die Studie von Knox et al. wird in den Antworten der
Autoren der Lombardi et al.-Studie (1, 2, 3)deutlich gemacht,
dass kein Versuch gemacht wurde, um ihre Methoden ehrlich und getreu
zu replizieren. PCR ist ein komplizierter Prozess, der von vielen
Variablen abhängt, und viele dieser Faktoren wurden von den Autoren
der Knox et al.-Studie modifiziert. Ihre Testassays waren
nicht in der Lage, XMRV in klinisch positiven Proben zu entdecken.
Als solche ist die Knox et al.-Studie nichts weiter als eine
weitere Studie mit „erfolgloser Suche“, bei der neue, klinisch nicht
validierte Methoden eingesetzt wurden. Ich hätte angenommen, dass
solche banalen Versuche normalerweise unter dem Niveau von
Science sind. Mit Sicherheit kann kein noch so hohes Maß an
Bekanntheit eines Publikationsorgans das Nichtvorhandensein von
Belegen in einen Beleg des Nichtvorhandenseins verwandeln, so wie es
Ihre EEC impliziert.
Die Frage der
Validierung von klinischen Assays ist ein ganz entscheidender Punkt,
der weiterer Erläuterung wert ist. Keiner der Autoren der bis jetzt
veröffentlichten negativen Studien hat die Fähigkeit ihrer Assays
bewiesen, das Virus in klinischen Proben vom Menschen zu entdecken.
Im Falle von Knox et al. und Shin et al. haben die
Autoren eindeutig die Unzulänglichkeit ihrer Assays gegenüber
klinisch positiven Proben demonstriert. In allen diesen
Negativstudien wurde nur die analytische Sensitivität und Spezifität
ihrer Assays gezeigt, und man nahm an, dass dies ausreichend sei. Es
ist überflüssig zu sagen, dass das für kein klinisches Labor
ausreichend wäre, um tatsächlich humane Proben zu testen; die
CLIA-Vorschriften (Clinical
Laboratory Improvement amendments) erfordern, dass solche Assays
zuerst klinisch validiert werden. Da es hier darum geht, einen
Zusammenhang zwischen einer Krankheit und einem äußerst
komplizierten Virus zu bestimmen, ist es entscheidend zu beweisen,
dass das verwendete Assay virale Nukleinsäure-Sequenzen in ihrer
natürlichen Matrix und den natürlich vorkommenden Strukturen
(zirkuläre DNA, Prä-Integrationskomplexe) entdecken kann, die sich
chemisch und physikalisch von mit Wasser versetztem Plasmid,
plazentarer DNA oder sogar Blut unterscheiden.
Im Hinblick
auf die Paprotka et al.-Studie behaupten Sie, dass eine
„Laborkontamination mit XMRV, die durch eine aus diesen frühen
Xenotransplantations-Experimenten produzierten Zelllinie (22Rv1)
abgeleitet ist, die wahrscheinlichste Erklärung für die Entdeckung
des Virus in den Patientenproben ist“. Diese Behauptung basiert auf
einem großen, nicht auf Fakten gestützten Sprung von einem
möglichen Herkunftsereignis zu einer allgegenwärtigen Präsenz in
Labors, die niemals auch nur eines der bekannten kontaminierten
Materialien benutzt haben. Es ist auch merkwürdig, dass diese
angenommene (nicht bewiesene) Kontamination eine starke und
durchgängige Affinität für die Proben von Patienten verglichen mit
den Proben von Kontrollpersonen zu haben scheint.
Weiterhin ist
die Schlussfolgerung von Paprotka et al., dass diese
vermutete Rekombination das „wahrscheinlichste“ Entstehungsereignis
sei, weitgehend spekulativ und hauptsächlich vom Ausschluss von sehr
plausiblen alternativen Erklärungen gesteuert. So schließt
beispielsweise ihr Versagen im Auffinden des XMRV in
Progenitorzellen von Prostatakrebs-Xenotransplantaten nicht
beweiskräftig die Möglichkeit aus, dass eines (oder mehrere) dieser
Xenotransplantate bereits infiziert war (insbesondere bei den Daten,
die einen Zusammenhang mit Prostatakrebs zeigen). Angesichts der
Schwierigkeiten vieler Forscher, das XMRV mit Hilfe von PCR zu
finden sowie der Tatsache, dass eine Vermehrung dieser Zelllinien
den Einsatz von Materialien erfordert (z.B. Testosteron), die eine
Replikation induzieren, ist es recht einleuchtend, dass Paprotka
et al. nur in der Lage waren, das XMRV in der resultierenden
Zelllinie zu finden, trotz seiner früheren Einschleppung über eines
der Xenotransplantate. Diese Erklärung könnte als spekulativ
erachtet werden, aber leider ist sie ebenso wenig durch ihre Belege
gestützt wie ihre eigenen Schlussfolgerungen.
Zum Schluss
möchte ich die unwissenschaftliche Natur einer Rücknahme als solcher
herausstellen. Abgesehen von Fällen von eindeutig aufgezeigtem
Betrug oder von Manipulation (Anschuldigungen, die niemand glaubhaft
an Lombardi et al. richten kann), sind alle Daten für den
wissenschaftlichen Prozess wichtig, sowohl richtige als auch
falsche. Wissenschaft ist ein Prozess der Ansammlung von Daten; sie
ist eine Aufzeichnung von Fehlern und Erfolgen. Es handelt sich
nicht um eine nachträgliche Schönfärberei von allem, mit Ausnahme
dessen, was gegenwärtig als richtig angesehen wird. Zum einen
bewahrheiten sich manche „Fehler“ im Laufe der Zeit. Zum anderen
sind wirkliche Fehler für andere Forscher immer noch lehrreich.
Falls die Ergebnisse von Lombardi et al., so wie viele zu
glauben scheinen, das Ergebnis einer tiefgreifenden und
hinterhältigen (so hinterhältig, dass auf vielfältige Weise eine
wirkliche humane Infektion nachgeahmt wird) Kontamination sind –
liegt wirklich kein Wert drin, die eine Studie beizubehalten, die am
gründlichsten das Ausmaß und das Wesen dieser Streitfrage und die
möglichen experimentellen Irrtümer offenbart hat, die sie
verstärken?
Als Torwächter
des herausragendsten wissenschaftlichen Publikationsorgans der Welt
haben Sie meiner Meinung nach die moralische Verpflichtung, das
ehrliche Streben nach Wahrheit zu betreuen, ganz gleichgültig, wie
zerbrechlich und bedrängt sie durch die überschäumenden Neigungen
der menschlichen Schwäche ist. Hier haben Sie bei dieser Aufgabe
nicht nur versagt – Sie haben eine redliche Prüfung auf dem Altar
der Opportunität geopfert. Ich frage und wundere mich: was ist mit
der Wissenschaft passiert, Science?
Im Lichte
dieser Besorgnis glaube ich, ziemt es sich für die Herausgeber von
Science, öffentlich Rechenschaft abzulegen über die folgenden
Fragen:
-
Ist
Science vor der Veröffentlichung des Artikels von Knox et
al. auf die schwerwiegenden Interessenkonflikte zwischen
Konstance Knox und dem WPI aufmerksam gemacht worden? Wenn ja,
wie konnte Science diese Interessenkonflikte als
annehmbar erachten und warum wurden sie nicht als Teil der
Publikation öffentlich gemacht? Wenn Science nicht darauf
aufmerksam gemacht wurde, wird die Publikation des Artikels von
Knox et al. im Hinblick auf diese Informationen überdacht
werden? Ich hoffe sehr, dass Science nicht zu einem
willfährigen Instrument eines Rachefeldzugs geworden ist.
-
Wer waren
die Begutachter (Peer Reviewer) der beiden Artikel von
Paprotka et al. und Knox et al.? Hat irgendeiner der
am Peer-Review-Prozess Beteiligten zuvor öffentlich eine
Befangenheit gegen die ursprünglichen Ergebnisse der Lombardi
et al.-Studie gezeigt?
-
Werden Sie
den Autoren der Lombardi et al.-Studie Zeit und Platz
einräumen, die Ergebnisse ihres ursprünglichen Artikels mit
neuen Daten zu ergänzen?
-
Werden Sie
es in Betracht ziehen, Ihre „Editorial Expression of Concern“ im
Angesicht der zahlreich geäußerten und unterschiedlichen Kritik
zurückzuziehen, die von mir und anderen vorgebracht wurde?
Ich hoffe
aufrichtig, dass Sie Antworten auf diese sehr zur Sache gehörenden
Fragen liefern, um nach der ziemlich schamlosen und
ungerechtfertigten Herausgabe dieses Editorials den Glauben an Ihr
Publikationsorgan wiederherzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
(Unterschrift)
(1)
http://www.wpinstitute.org/news/docs/FinalreplytoScienceWPI.pdf
(2)
http://files.me.com/jdj88/tnmi0f (deutsche Version
hier)
(3)
http://files.me.com/jdj88/hok3p2 (deutsche Version
hier)
Übersetzung: Regina Clos |