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    Artikel des Monats Juni 2011 Teil 4

    Offener Brief an die Herausgeber von Science

    Unterschreiben auch Sie diesen Offenen Brief - hier:

    http://www.change.org/petitions/an-open-letter-to-the-editors-of-science-2

    An

    Dr. Bruce Alberts Editor-in-Chief

    Ms. Monica Bradford Executive Ediitor

    Science 1200 New York Avenue, NW Washington, DC 20005

     

    Ich bin tief betrübt über Ihren „Ausdruck der Besorgnis der Herausgeber“ (“Editorial Expression of Concern” – EEC) bezogen auf die Studie von Lombardi et al., Oktober 2009.
    Wie Judy Mikovits (1) zu recht gesagt hat, ist dieser Akt von Ihrer Seite aus „voreilig“, um es gelinde auszudrücken. Tatsächlich räumt Ihre EEC dies ganz offen ein: „Science erwartet begierig den Ausgang dieser weiteren Studien und wird die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, wenn die Ergebnisse bekannt werden.“ Ich wage zu behaupten, Sie haben bereits Maßnahmen ergriffen (wenn auch völlig unangemessener Art), und zwar in Form dieses Editorials und Ihrer Forderung nach Rücknahme der Studie. Leider werden diese Maßnahmen nichts weiter tun, als einen Schatten der Einschüchterung über die zukünftige XMRV/HGRV-Forschung zu werfen, eine Zukunft, von der Sie selbst gleichzeitig zugestehen, dass sie noch offen ist. War es Ihre Absicht, die Einschüchterung zu fördern und den wissenschaftlichen Prozess auszuschalten?

    Um Ihre Besorgnis über die Lombardi et al.-Studie teilweise zu rechtfertigen, behaupten Sie: „Seitdem haben mindestens 10 Studien, die von anderen Forschern durchgeführt und anderen Orts publiziert wurden, berichtet, dass es nicht gelungen ist, das XMRV in unabhängigen Populationen von CFS-Patienten zu entdecken.“ Diese Argumentationslinie ist in mindestens zweierlei Hinsicht grundlegend falsch:

    Erstens ignoriert sie selektiv sämtliche Belege, die die Studie von Lombardi et al. stützen. Ein großer Teil dieser Belege ist von Judy Mikovits kurz und klar in ihrer Antwort (1) dargelegt worden, weshalb ich dies hier nicht im Einzelnen wiederhole. Gleichwohl ist die spürbare Voreingenommenheit dieser Ihrer Stellungnahme bestürzend.

    Zweitens täuscht dieses Argument darüber hinweg, dass man sich hier auf beklagenswert unwissenschaftliche Weise auf das reine Abzählen von Studien verlässt, anstelle ihre Methoden zu analysieren. Keine dieser negativen Studien, einschließlich der von Knox et al., stellt einen wirklichen Versuch der Replikation der Originalstudie dar. Das hat die detaillierte Darstellung vieler (wenn auch nicht aller) methodischen Unterschiede von Annette Whittemore (2) im Rahmen ihrer Antwort auf Ihre EEC deutlich gemacht. Es sollte unnötig sein zu wiederholen, dass keine noch so große Anzahl von Nicht-Replikationsstudien jemals ein Ersatz für eine wirkliche Replikation sein kann, insbesondere wenn Techniken eingesetzt werden, die so kompliziert wie die infrage stehenden sind. Wie kann es sein, dass das führende wissenschaftliche Publikationsorgan der Welt sich von Quantität statt von Qualität überzeugen lässt, von Strichlisten statt von technischen Verfahren, von Phrasen statt von Replikation?

    Diese Angelegenheit ist auch aus anderen Gründen problematisch. Es wird ein sich selbst erfüllendes Ergebnis geschaffen, dass weitgehend, wenn nicht gar voll und ganz, von Geld und Einfluss diktiert wird. Quantität wird als „Konsens“ herausposaunt, was wiederum eine Wahrnehmungsstörung im Sinne einer Voreingenommenheit zugunsten dieses künstlichen „Konsenses“ schafft. Es ist wohlbekannt, dass seit der Veröffentlichung der Lombardi et al.-Studie den Autoren wiederholt die Finanzierung weiterer Forschungsarbeiten verweigert wurde (mehr als 6 mal durch die NIH) und dadurch daran gehindert wurden, weitere Belege zu veröffentlichen, die ihre Original-Arbeit stützen. Die Binsenweisheit, dass „negative Studien selten veröffentlicht werden“, ist im Hinblick auf die XMRV-Forschung auf den Kopf gestellt worden. Hier werden diejenigen, die bewiesen haben, dass sie fähig sind, das Virus zu finden, im Hinblick auf finanzielle Ressourcen ausgehungert, während diejenigen, die eine Abscheu gegenüber wirklicher Replikation zeigen, mit finanziellen Mitteln überhäuft werden und ihnen Platz zur Veröffentlichung in Zeitschriften gewährt wird, wobei der Peer-Review-Prozess nicht mehr als ein sanftes Abtasten ist.

    Sie stützen Ihre Besorgnis weiterhin, indem Sie die Schlussfolgerungen von Knox et al. und Paprotka et al. ansprechen.

    Im Hinblick auf die Studie von Knox et al. wird in den Antworten der Autoren der Lombardi et al.-Studie (1, 2, 3)deutlich gemacht, dass kein Versuch gemacht wurde, um ihre Methoden ehrlich und getreu zu replizieren. PCR ist ein komplizierter Prozess, der von vielen Variablen abhängt, und viele dieser Faktoren wurden von den Autoren der Knox et al.-Studie modifiziert. Ihre Testassays waren nicht in der Lage, XMRV in klinisch positiven Proben zu entdecken. Als solche ist die Knox et al.-Studie nichts weiter als eine weitere Studie mit „erfolgloser Suche“, bei der neue, klinisch nicht validierte Methoden eingesetzt wurden. Ich hätte angenommen, dass solche banalen Versuche normalerweise unter dem Niveau von Science sind. Mit Sicherheit kann kein noch so hohes Maß an Bekanntheit eines Publikationsorgans das Nichtvorhandensein von Belegen in einen Beleg des Nichtvorhandenseins verwandeln, so wie es Ihre EEC impliziert.

    Die Frage der Validierung von klinischen Assays ist ein ganz entscheidender Punkt, der weiterer Erläuterung wert ist. Keiner der Autoren der bis jetzt veröffentlichten negativen Studien hat die Fähigkeit ihrer Assays bewiesen, das Virus in klinischen Proben vom Menschen zu entdecken. Im Falle von Knox et al. und Shin et al. haben die Autoren eindeutig die Unzulänglichkeit ihrer Assays gegenüber klinisch positiven Proben demonstriert. In allen diesen Negativstudien wurde nur die analytische Sensitivität und Spezifität ihrer Assays gezeigt, und man nahm an, dass dies ausreichend sei. Es ist überflüssig zu sagen, dass das für kein klinisches Labor ausreichend wäre, um tatsächlich humane Proben zu testen; die CLIA-Vorschriften (Clinical Laboratory Improvement amendments) erfordern, dass solche Assays zuerst klinisch validiert werden. Da es hier darum geht, einen Zusammenhang zwischen einer Krankheit und einem äußerst komplizierten Virus zu bestimmen, ist es entscheidend zu beweisen, dass das verwendete Assay virale Nukleinsäure-Sequenzen in ihrer natürlichen Matrix und den natürlich vorkommenden Strukturen (zirkuläre DNA, Prä-Integrationskomplexe) entdecken kann, die sich chemisch und physikalisch von mit Wasser versetztem Plasmid, plazentarer DNA oder sogar Blut unterscheiden.

    Im Hinblick auf die Paprotka et al.-Studie behaupten Sie, dass eine „Laborkontamination mit XMRV, die durch eine aus diesen frühen Xenotransplantations-Experimenten produzierten Zelllinie (22Rv1) abgeleitet ist, die wahrscheinlichste Erklärung für die Entdeckung des Virus in den Patientenproben ist“. Diese Behauptung basiert auf einem großen, nicht auf Fakten gestützten Sprung von einem möglichen Herkunftsereignis zu einer allgegenwärtigen Präsenz in Labors, die niemals auch nur eines der bekannten kontaminierten Materialien benutzt haben. Es ist auch merkwürdig, dass diese angenommene (nicht bewiesene) Kontamination eine starke und durchgängige Affinität für die Proben von Patienten verglichen mit den Proben von Kontrollpersonen zu haben scheint.

    Weiterhin ist die Schlussfolgerung von Paprotka et al., dass diese vermutete Rekombination das „wahrscheinlichste“ Entstehungsereignis sei, weitgehend spekulativ und hauptsächlich vom Ausschluss von sehr plausiblen alternativen Erklärungen gesteuert. So schließt beispielsweise ihr Versagen im Auffinden des XMRV in Progenitorzellen von Prostatakrebs-Xenotransplantaten nicht beweiskräftig die Möglichkeit aus, dass eines (oder mehrere) dieser Xenotransplantate bereits infiziert war (insbesondere bei den Daten, die einen Zusammenhang mit Prostatakrebs zeigen). Angesichts der Schwierigkeiten vieler Forscher, das XMRV mit Hilfe von PCR zu finden sowie der Tatsache, dass eine Vermehrung dieser Zelllinien den Einsatz von Materialien erfordert (z.B. Testosteron), die eine Replikation induzieren, ist es recht einleuchtend, dass Paprotka et al. nur in der Lage waren, das XMRV in der resultierenden Zelllinie zu finden, trotz seiner früheren Einschleppung über eines der Xenotransplantate. Diese Erklärung könnte als spekulativ erachtet werden, aber leider ist sie ebenso wenig durch ihre Belege gestützt wie ihre eigenen Schlussfolgerungen.

    Zum Schluss möchte ich die unwissenschaftliche Natur einer Rücknahme als solcher herausstellen. Abgesehen von Fällen von eindeutig aufgezeigtem Betrug oder von Manipulation (Anschuldigungen, die niemand glaubhaft an Lombardi et al. richten kann), sind alle Daten für den wissenschaftlichen Prozess wichtig, sowohl richtige als auch falsche. Wissenschaft ist ein Prozess der Ansammlung von Daten; sie ist eine Aufzeichnung von Fehlern und Erfolgen. Es handelt sich nicht um eine nachträgliche Schönfärberei von allem, mit Ausnahme dessen, was gegenwärtig als richtig angesehen wird. Zum einen bewahrheiten sich manche „Fehler“ im Laufe der Zeit. Zum anderen sind wirkliche Fehler für andere Forscher immer noch lehrreich. Falls die Ergebnisse von Lombardi et al., so wie viele zu glauben scheinen, das Ergebnis einer tiefgreifenden und hinterhältigen (so hinterhältig, dass auf vielfältige Weise eine wirkliche humane Infektion nachgeahmt wird) Kontamination sind – liegt wirklich kein Wert drin, die eine Studie beizubehalten, die am gründlichsten das Ausmaß und das Wesen dieser Streitfrage und die möglichen experimentellen Irrtümer offenbart hat, die sie verstärken?

    Als Torwächter des herausragendsten wissenschaftlichen Publikationsorgans der Welt haben Sie meiner Meinung nach die moralische Verpflichtung, das ehrliche Streben nach Wahrheit zu betreuen, ganz gleichgültig, wie zerbrechlich und bedrängt sie durch die überschäumenden Neigungen der menschlichen Schwäche ist. Hier haben Sie bei dieser Aufgabe nicht nur versagt – Sie haben eine redliche Prüfung auf dem Altar der Opportunität geopfert. Ich frage und wundere mich: was ist mit der Wissenschaft passiert, Science?

    Im Lichte dieser Besorgnis glaube ich, ziemt es sich für die Herausgeber von Science, öffentlich Rechenschaft abzulegen über die folgenden Fragen:

    1. Ist Science vor der Veröffentlichung des Artikels von Knox et al. auf die schwerwiegenden Interessenkonflikte zwischen Konstance Knox und dem WPI aufmerksam gemacht worden? Wenn ja, wie konnte Science diese Interessenkonflikte als annehmbar erachten und warum wurden sie nicht als Teil der Publikation öffentlich gemacht? Wenn Science nicht darauf aufmerksam gemacht wurde, wird die Publikation des Artikels von Knox et al. im Hinblick auf diese Informationen überdacht werden? Ich hoffe sehr, dass Science nicht zu einem willfährigen Instrument eines Rachefeldzugs geworden ist.

    2. Wer waren die Begutachter (Peer Reviewer) der beiden Artikel von Paprotka et al. und Knox et al.? Hat irgendeiner der am Peer-Review-Prozess Beteiligten zuvor öffentlich eine Befangenheit gegen die ursprünglichen Ergebnisse der Lombardi et al.-Studie gezeigt?

    3. Werden Sie den Autoren der Lombardi et al.-Studie Zeit und Platz einräumen, die Ergebnisse ihres ursprünglichen Artikels mit neuen Daten zu ergänzen?

    4. Werden Sie es in Betracht ziehen, Ihre „Editorial Expression of Concern“ im Angesicht der zahlreich geäußerten und unterschiedlichen Kritik zurückzuziehen, die von mir und anderen vorgebracht wurde?

    Ich hoffe aufrichtig, dass Sie Antworten auf diese sehr zur Sache gehörenden Fragen liefern, um nach der ziemlich schamlosen und ungerechtfertigten Herausgabe dieses Editorials den Glauben an Ihr Publikationsorgan wiederherzustellen.

    Mit freundlichen Grüßen

    (Unterschrift)


    (1)
    http://www.wpinstitute.org/news/docs/FinalreplytoScienceWPI.pdf
    (2)
    http://files.me.com/jdj88/tnmi0f (deutsche Version hier)
    (3)
    http://files.me.com/jdj88/hok3p2 (deutsche Version hier)
     

    Übersetzung: Regina Clos