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    Artikel des Monats Juni 2012 Teil 2

    Ein bisschen Geschichte findet sich auch in dem Film "I remember ME", der hier bei Youtube angesehen werden kann. Das Filmscript kann hier in deutscher Sprache heruntergeladen werden. Eventuell hat der Fatigatio auch noch Exemplare einer deutschsprachigen Version als DVD vorrätig, die dort zu bestellen sind.

    Die von Pauline Ovenden im folgenden erzählte Geschichte des historischen Ausbruchs einer Erkrankung, die später als Myalgische Enzephalomyelitis bezeichnet wurde, macht deutlich, was vor den Ereignissen geschah, die David Tuller hier schildert.

    Zur Geschichte der Royal Free Disease - Ein persönlicher Bericht über den ME-Ausbruch am Royal Free Hospital

    Von Pauline Ovenden

    Präsidentin der Hereford CFS/ME/FMS Group

    Original hier bzw. hier über Facebook, Übersetzung von Regina Clos

    2005 war der 50. Jahrestag dieses historischen Ausbruchs.

    Im Jahr 1955 gab es einen schweren Ausbruch einer "Grippe" am Royal Free Hospital in Londen, von der 292 Krankenschwestern, Ärzte und anderes Personal betroffen waren. Dr. Melvin Ramsay war damals der Facharzt, der für die Infektionsabteilung des Krankenhauses zuständig war.

    Viele der Patienten wurden nicht wieder gesund, und Dr. Ramsay untersuchte ausführlich all die chronisch kranken Patienten, was ihn dazu führte, im Jahr 1956 eine neue Krankheit zu definieren, die er Benigne Myalgische Enzephalomyelitis nannte. Dr. Ramsay war der erste, der unsere Krankheit als ME bezeichnet hat (tatsächlich war es Donald Acheson, der später Chief Medical Officer Großbritanniens wurde - siehe seine Artikel unten), und seine Definition ist immer noch genauso stichhaltig, wie sie es damals war.

    Ich arbeitete als Krankenschwester am Royal Free Hospital und kannte Dr. Ramsay sehr gut. Ich habe mit ihm in den Infektionsabteilungen zusammengearbeitet, und er hatte sich um mich gekümmert, als ich 1952 an Windpocken erkrankt war. Er hat sich 15 Jahre nach der Royal Free Epidemie mit mir in Verbindung gesetzt, um zu sehen, wie es uns ergangen ist und wie wir in den Folgejahren von den Ärzten behandelt worden waren.

    Er und seine Familie waren reizend. Sie wohnten auf dem Gelände der angeschlossenen Hampstead-Klinik, und an Silvester machten sie Nachtdienst, um auf das neue Jahr anzustoßen. Sie haben so etwas ständig gemacht, ein kleines Geschenk zum Geburtstag usw.: er war wie mein Vater und verhielt sich gegenüber dem Personal wie ein Vater.

    1955

    Ich war in der Unfallabteilung, wo an jenem Morgen das Personal der Frühschicht anfing, wie die Fliegen umzufallen, und es kamen viele Anrufe von außerhalb der Klinik von anderen Mitarbeitern (Putzfrauen, Pförtner usw.), deren Familienmitglieder zuhause kollabierten. Es waren also nicht nur Mitarbeiter direkt betroffen.

    Tagelang dachten wir alle, es sei eine "Grippe"; ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann sie anfingen, frische Obstsäfte und Vitaminpillen für uns auf die Tische in der Kantine zu stellen - man denkt ja nicht daran, ein Tagebuch über eine "Grippe" zu führen, die in Krankenhäusern zu bestimmten Jahreszeiten ziemlich normal war.

    Ich glaube, wir haben die ersten 10 oder 14 Tage gar nicht realisiert, wie ernsthaft das war. Es könnte sogar länger gewesen sein, bis es offensichtlich wurde, dass die Zahl der Krankenschwestern in der Kantine abnahm, die leer erschien. Wir waren so beschäftigt mit unserer Arbeit, dass wir zu müde waren, um Fragen zu stellen. Erst als sie das ganze Krankenhaus unter Quarantäne stellten und wir eingeschlossen wurden, wussten wir, dass etwas anders war als sonst.

    Da zu einem bestimmten Zeitpunkt so viele Mitarbeiter im Krankenhaus kollabierten und es manchmal lange dauerte, bis jemand sie fand, entschloss man sich, das Schwesternheim zu schließen, und wir mussten in den leeren Stationen schlafen. Ich war mit ein paar Lernschwestern zusammen, die das aufregend fanden, während ich versuchte, mich auf mein Abschlussexamen vorzubereiten und deshalb nicht gerade begeistert war. Immerhin, als ich anfing, Krankheitszeichen zu zeigen, haben sie es wahrscheinlich verhindert, dass es mir noch viel schlechter ging, denn ich habe später herausgefunden, dass einige in den Stationen mit den Kranken arbeiteten und die Frühsymptome kannten.

    Die späten 1960er Jahre

    Dr. Ramsay wurde von zwei klinischen Psychologen angesprochen - Dr. McEvedy und Dr. Beard (sie waren eigentlich Psychiater).

    Dr. Ramsay schrieb in seinem Buch "ME and Post Viral States": "Das Personal des Oberarztes am Royal Free Hospital erhielt eine Anfrage von den Drs. McEvedy und Beard von der Abteilung für psychologische Medizin des Middlesex Hospital, die um Erlaubnis baten, die Krankenakten der Krankenschwestern einzusehen, die von dem Ausbruch im Jahr 1955 betroffen gewesen waren. Ich war einer unter vielen Mitarbeitern, die keinen Grund sahen, warum dieser Anfrage nicht stattgegeben werden sollte, weil wir nichts zu verbergen hatten. Ich glaube mich richtig zu erinnern, dass die einzige ablehnende Stimme die der verstorbenen Ärztin Dr. Helden Dimsdale, einer Fachärztin für Neurologie, war. Ich war, offen gesagt, über ihre Haltung verwundert, aber als ich nach einer Erklärung fragte, sagte sie nur: 'Ich glaube, es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie irgendwann den Tag bereuen werden, an dem Sie dieser Entscheidung zugestimmt haben.' Sie hätte nichts Wahreres sagen können."

    Die 1970er Jahre und danach

    (McEvedy und Beard haben dann ihre Ergebnisse in dem Artikel 'Royal Free Epidemic of 1955: A Reconsideration' veröffentlicht. Ohne jemals mit einem einzigen Patienten gesprochen zu haben und ohne Dr. Ramsays Forschungsarbeit zu berücksichtigen oder mit ihm zu sprechen, schlussfolgerten sie, dass der Ausbruch nichts weiter als eine Massenhysterie gewesen sei. Dieser Artikel hatte großen Einfluss auf die Ärzteschaft, und die Glaubwürdigkeit des ME hat sich davon nie wieder erholt.) (siehe McEvedys und Beards Veröffentlichungen am Ende des Aufsatzes)

    Dr. Ramsay schrieb in seinem Buch mit dem Titel "An outbreak of encephalomyelitis in the Royal Free Hospital" die folgenden Abschnitte. Dr. Ramsay antwortete sofort auf diese Behauptung von der Massenhysterie mit einem Brief, den er zusammen mit den Dres. Dimsdale, Compston und Richardson schrieb - mit dem Titel 'Epidemic Malaise']. Sie schrieben: "Obwohl die Diagnose einer Hysterie zum Zeitpunkt des Ausbruchs ernsthaft in Betracht gezogen worden war, machte sie das Auftreten von Fieber bei 89% der Fälle, von Lymphknotenschwellungen bei 79%, von Augenmuskellähmung bei 43% und Gesichtsnervenlähmung bei 19% ziemlich unhaltbar."

    In späteren Jahren sagte Dr. Ramsay weiter: "McEvedy und Beard haben die Meinung der Ärzteschaft so radikal beeinflusst, dass ich, als ich gegenüber jüngeren, modernen Fachärzten im Sinne einer organischen Erklärung argumentierte, nur auf eine Haltung mitleidigen Unglaubens stieß und auf die Bemerkung, 'ach, aber man hat doch schon vor langer Zeit nachgewiesen, dass dieser Ausbruch das Ergebnis einer Massenhysterie war'."

    "Ich kann nur sagen, dass eine ganze Generation unglückseliger Opfer dieser Krankheit vom Versagen ihrer Ärzte, die Echtheit ihrer Symptome anzuerkennen, in die Verzweiflung getrieben wurden."

    Er fuhr fort: "Am 13. Juli 1955 wurden ein ortsansässiger Arzt und eine Stationsschwester des Personals des Royal Free Hospital mit einer unbekannten Krankheit eingeliefert. Bis zum 25. Juli waren bereits 70 Mitglieder des Personals in ähnlicher Weise betroffen, und es war ganz offensichtlich, dass es in dem Krankenhaus eine hochgradig ansteckende Epidemie gab, die unter anderem Symptome im zentralen Nervensystem hervorrief. Aufgrund der Bedrohung der Gesundheit der Patienten und aufgrund der großen Anzahl betroffener Krankenschwestern wurde das Krankenhaus an diesem Tag geschlossen und blieb geschlossen bis zum 5. Oktober 1955."

    "Zu diesem Zeitpunkt war die Epidemie fast abgeklungen, obwohl es bis zum 24. November immer noch sporadische Fälle gab. Zwischen dem 13. Juli und dem 24. November waren insgesamt 292 Mitglieder der Ärzteschaft, der Krankenschwestern, des medizinischen Aushilfspersonals, der Verwaltungs- und sonstigen Mitarbeiter von der Krankheit betroffen, und von diesen wurden 255 in die Klinik eingewiesen; 37 Krankenschwestern wurden zuhause gepflegt oder von dort in andere Krankenhäuser eingewiesen. Es ist auffallend, dass, obwohl das Krankenhaus zum Zeitpunkt der Epidemie voll belegt war, nur 12 der Patienten, die sich bereits im Krankenhaus befanden, die Krankheit entwickelten."

    Das sind die beiden ersten Abschnitte des Berichts über den Ausbruch, der am 19. Oktober 1957 vom British Medical Journal vom medizinischen Personal, die mit der Versorgung dieser Patienten betraut waren, veröffentlicht wurde: An Outbreak of Encephalomyelitis in the Royal Free Hospital Group, London, in 1955', weitere Artikel siehe Literaturliste am Ende. Angefangen von der zweiten Ausgabe von Ramsays Buch, bei dem er dieses Kapitel weiter schrieb, hat er immer wieder detailliert die neurologischen Symptome beschrieben: "Der klinische Eindruck war der einer Krankheit, die eine diffuse Störung des Nervensystems in Kombination mit Irritations- und Lähmungserscheinungen hervorruft, die häufig vorrübergehend waren. Der wichtigste Beleg für den generalisierten Infektionsprozess konnte in der Beteiligung anderer Körpersysteme gefunden werden."

    Dann beschreibt er jedes einzelne Symptom und die Test, die damals durchgeführt wurden und die seine Argumente belegen. Das ist der Grund, warum ich so wütend werde, wenn sie immer wieder sagen, es sei eine "Massenhysterie" gewesen. Diese Krankheit hat mich mit Schwächen in ziemlich vielen Bereichen hinterlassen, mit denen ich leben musste.

    Dr. Ramsay sprach vom Royal Free Hospital als Ganzes, aber wir hatten drei Zweigstellen. Das Haupthospital war in der Gray's Inn Road, die Infektions- und anderen Stationen waren in Hampstead, und Kinder, Frauen und Privatpatienten waren in Islington. Das Personal wechselte täglich zwischen den Zweigstellen hin und her, weshalb das Gerücht herumging, es handele sich um eine Grippeepidemie. Es war auch leicht, uns gegenseitig anzustecken, insbesondere, da wir in der Ausbildung in Abschnitten unterrichtet wurden, und obwohl wir abwechselnd in den drei Zweigstellen arbeiteten, haben wir uns an unseren freien Tagen mit unseren Freunden getroffen.

    Dr. Ramsay hat bis zu seinem Tod mit 86 Jahren (tatsächlich war er 90 Jahre alt) unermüdlich gearbeitet, um zu versuchen, das wieder gut zu machen, was er als seinen Fehler betrachtete. Leider starb er acht Tage, bevor er seinen ersten Artikel beim Cambridge University International Symposium über ME vortragen sollte und wo er den krönenden Abschluss von 35 Jahren gewissenhafter Arbeit vorgestellt hätte. (Sein Vortrag wurde bei dem Symposium vorgetragen, hatte aber wahrscheinlich nicht die Wirkung, die ein Vortrag durch ihn selbst gehabt hätte.)

    Er sagte mir im Jahr davor, dass er mit der Schuld hat leben müssen, aber ich sagte ihm, dass die Mitarbeiter ihn immer geliebt hätten.

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    Mit Dank an den Newsletter der Hereford CFS/ME/FMS Group vom November 2004

    Nachtrag von Jennifer Griffin (Solihull & South Birmingham Group):

    Im Jahr 1987 hat ein Psychiater Namens Simon Wessely einen Artikel über ME in der Februarausgabe der Zeitschrift 'Psychological Medicine' veröffentlicht.

    Dr. D.G. Smith [David Smith] versuchte, Simon Wessely an der ME Association zu beteiligen [die noch von Melvin Ramsay mitgegründet worden war, d.Ü.]. Dr Melvin Ramsay erhob Einspruch gegen diesen Vorschlag, und wenig später wurde Dr. D.G. Smith von Dr. Charles Shepherd als medizinischem Berater ersetzt.

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    Literatur und Links

    Donald Acheson

      

    Royal Free Epidemie des Jahres 1955 

        

    Verschiedene Zeitungsartikel aus der ganzen Welt aus dem Jahr 1955 über die Royal Free Epidemie

     

    ME Epidemie am Great Ormond Street Children's Hospital, im Jahr 1970 in London

     

    Psychiater Colin McEvedy

     

     Der frühere medizinische Berater der ME Association David Smith

     

    David Smith hat später bei einer Reihe von Forschungsartikeln zusammengearbeitet (einer davon findet sich hier) und hat seine ME-Patienten mit Antidepressiva, kognitiver Verhaltenstherapie und Graded Exercise Therapie behandelt. Seine persönlichen Websites können im Internetarchiv hier und hier eingesehen werden.