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    Artikel des Monats Juni 2013 Teil 1

    8. Internationale Invest in ME Konferenz

    London, 31. Mai 2013

    IMEC8 – Infection, Immunity and ME – Mainstreaming ME Research

    Konferenzbericht von Dr. Ros Vallings, Australien

    Das Original des Textes finden Sie hier. Übersetzung von Regina Clos

    Ich hatte die Ehre, an der 8. IiME-Konferenz am 31. Mai 2013 in London teilzunehmen. Dieser Konferenz ging ein eintägiges Symposium voraus, bei dem 34 Ärzte und Forscher aus zahlreichen Ländern zusammentrafen. Die Vorträge, die Sammlung von Ideen und die Diskussionen werden, da bin ich sicher, zu einer Menge gemeinsamer Forschung, dem Austausch von Ideen und der Förderung des Verständnisses dieser komplexen und äußerst ernsthaften Krankheit führen.

    Die Konferenz selbst war von Delegierten aus 11 Ländern gut besucht, und sie wurde von Dr. Ian Gibson eröffnet.

    Die Konferenz begann mit einer Einführung des Hauptredners Dr. Dan Peterson aus Nevada, USA. Zu Beginn fasste er kurz die Geschichte des ME/CFS zusammen und richtete den Blick auf die Vergangenheit. Er erklärte, dass die Kriterien für die Diagnose vor 25 Jahren aufgestellt wurden und betonte die Tatsache, dass auf internationaler Ebene eine einzige Zusammenstellung von Kriterien verwendet werden muss. Er sprach über die Geschichte der Krankheit von 1980 bis heute. In Großbritannien wurde die Prävalenz auf bis zu 1-2% der Bevölkerung geschätzt. Es gibt weltweit Ähnlichkeiten im Hinblick auf die Symptome, den Schweregrad und den Verlauf der Krankheit. Sie zieht hohe Kosten der Behandlung nach sich: In den USA belaufen sich die direkten Kosten auf 9 Milliarden US-Dollar [pro Jahr] und auf 51 Milliarden an indirekten Kosten. Das gegenwärtig akzeptierte Modell der Krankheit umfasst eine genetische Anfälligkeit, ein auslösendes Ereignis wie eine Infektion, ein Trauma, Stress usw. und vermittelnde Faktoren, die schließlich zur Diagnose der ME führen. Er beschrieb die vier üblichen Schritte im Krankheitsmanagement: 1. die spezifische Diagnose, 2. die Einschätzung von Schweregrad und Prognose, 3. Therapie und 4. Einschätzung von deren Wirksamkeit. Aber diese vier Schritte können auf ME nicht angewendet werden. Es gibt keinen biologischen Marker, kein bestimmtes Medikament und kein Behandlungsziel.

    Er beschrieb dann das vor kurzem stattgefundene Treffen von Interessenvertretern bei der FDA (Food and Drug Administration) in den USA. Zu den diskutierten Punkten gehörten das Wesen und das Ausmaß der Behinderung, der Mangel an Behandlung und die Anerkennung/Wahrnehmung der zahlreichen bereits vorhandenen Forschungsergebnisse. Die Quintessenz war die Tatsache, dass man nicht notwendigerweise einen Biomarker braucht, dass es 8-15 Jahre dauert, bis ein Medikament entwickelt wird, dass ein Medikament genehmigt oder zurückgezogen werden kann, dass ein Medikament ein anderes Anwendungsgebiet bekommen kann und dass validierte Endpunkte benötigt werden. Eine mögliche Lösung besteht in der Computer-gestützten Analyse (bezogen auf genetische und nicht nur biologische Faktoren), der Erforschung neuer Erreger (es werden Proben aus zahlreichen Geweben benötigt), immunologischen Biomarkern (mit denen Untergruppen definiert werden können), eine Auswertung von Endpunkten (so ist z.B. die Genehmigung von Ampligen abgelehnt worden, aber der VO2-max-Test ist als brauchbarer Test für ME anerkannt worden), der Entwicklung von Medikamenten (z.B. muss Rituximab in großen Studien an verschiedenen Zentren getestet werden).

    Zusammengefasst betonte er die Bedeutung der Notwendigkeit einer weltweiten Zusammenarbeit, die Definition der Krankheitsmechanismen und die Einrichtung von Exzellenzzentren.

    Dr. Andreas Kogelnik, (Stanford, USA), Gründungsdirektor des Open Medicine Institute, sprach darüber, wie sich die Welt verändert durch die Revolutionen auf dem Gebiet der Informationstechniken, der sozialen Netzwerke und der Biotechnologie. All das hat die Art und Weise, wie wir die Medizin betrachten, verändert. Er beschrieb dies als eine Revolution in Bezug auf Gesundheit und Krankheit. Er zeigte einige Diagramme, die zeigen, wie sich die Dinge verändert haben – so hat sich z.B. die Speicherkapazitäten auf Computerchips seit 1981 alle 18 Monate verdoppelt, während sich die Kosten pro Megabyte von $700 pro Megabyte im Jahr 1981 auf heute 2 Cent pro Megabyte verringert haben. In den USA kommen auf jede Person zwei Handys. Es gibt heute viele tragbare Geräte, mit denen physiologische Funktionen gemessen werden können. So kann beispielsweise POTS (Postural orthostatic tachycardia syndrome - lagebedingtes orthostatisches Tachykardie-Syndrom) bei ME-Patienten kontinuierlich gemessen werden, so dass es leicht ist, die Aktivität effizient und genau zu messen. Die sozialen Netzwerke haben ebenfalls einen Einfluss auf die Medizin – es gibt beispielsweise 1 Milliarde Facebook-Nutzer weltweit, so dass die Menschen sich auf diese Weise medizinische Informationen beschaffen können. Die Biotechnologie ist in Bezug auf die Speicherung explosionsartig gewachsen. Die Kosten für die Kartierung des humanen Genoms sinken rapide, und man kann heute eine große Menge an Daten für $20.000 erhalten. Es wird möglich, Patientengruppen zu erkennen und neu einzuordnen, indem man auf molekularer Ebene arbeitet.

    Es gibt fünf Stufen der Akzeptanz einer neuen Idee: 1. sie wird als irrelevant angesehen, 2. sie wird als relevant, aber unbewiesen betrachtet, 3. sie wird als bewiesen, aber gefährlich bezeichnet, 4. sie wird als sicher, aber nicht zu verkaufen angesehen 5. sie wird sich verkaufen – eine großartige Idee! ME ist weitgehend ignoriert worden, da es nicht genügend Daten gab. Der gegenwärtige Stand der Wissenschaft ist: es gibt eine Menge von Hypothesen, einen Anfang in Bezug auf die Daten, Leute, die bereit sind, zusammenzuarbeiten, es gibt Messverfahren, die noch nicht auf ME angewandt wurden und es gibt Patienten, die willens sind zu helfen. Die Messverfahren müssen auf breit und gründlich angewandt werden, und es müssen sich eine Menge Leute daran beteiligen.

    Kogelnik beschrieb dann die MERIT-Initiative. Im Juni 2012 hatte es in New York mit den 25 anwesenden Ärzten und Forschern eine Diskussion am runden Tisch gegeben. Das Ergebnis war eine Prioritätenliste an gemeinsamen Forschungsprojekten, die zu einer offenen Zusammenarbeit und einem weltweiten Plan führen könnten. Als Ergebnis wurden 10 Forschungsprojekte aufgestellt.

    1.   Eine großangelegte Behandlungsstudie mit Rituximab und Valganciclovir.

    2.   Ein internationales Neuroregister und eine Biobank

    3.   Protein-Panel bei behandelten und unbehandelten Patienten

    4.   Phase 2-Pilotstudien mit Mono- und Kombinationstherapien

    5.   Explorationsstudien zu immunologischen Biomarkern (NK-Zellen, B- und T-Zellen)

    6.   DNA-Studien: Gesamtgenom, HLA-Sequenzierung, DNA-Methylierung

    7.   Massenspektroskopie und Umweltmessungen

    8.   Umfassende Virustestung.

    9.   Hochentwickelte immunologische Biomarker

    10.     Nicht-pharmakologische Studien, die einer Standardisierung bedürfen. Ein Forschungsarm widmet sich der Einschätzung, wie Moringa sich auf die NK-Zellen auswirkt. Hier werden auch Projekte einbezogen, die sich mit Versicherungsfragen und möglicherweise verwandten Krankheiten (Lyme-Borreliose, Autismus) beschäftigen.

    Patienten können sich jetzt online registrieren, um in die Datenbanken für mögliche weitere Forschungen einbezogen zu werden. www.openmednet.org/registration/MECFS

    Rakib Rayhan  (Georgetown, USA) gab einen Überblick zum Golfkriegssyndrom (GWI), das mit ME/CFS eng verwandt ist. Der erste Golfkrieg fand 1990-1991 statt. In dessen Folge gab es eine stark gesteigerte Verbreitungsrate an Veteranen mit generalisierten Symptomen und auch anerkannten körperlichen Krankheiten. Bis 1991 gab es dann viele Veteranen mit chronischen Krankheiten, für die es keine schlüssigen Erklärung gab, und diese Menschen wurden anfänglich als psychosomatisch krank oder als Simulanten bezeichnet. Es wurde jedoch schließlich festgestellt, dass brennende Ölquellen, Rauch, unvollständige Verbrennungsprozesse und Feinstaubemissionen aus den Feuern verantwortlich sein könnten. 1997 wurde eine Arbeitsgruppe gegründet, die das Golfkriegssyndrom erforschen sollte. Der Einsatz von Sarin (einem Anti-Cholinesterasehemmer) und Pyridostigmin wurde untersucht. Viele andere mögliche Ursachen komplexer Art wurden untersucht wie etwa die Beteiligung von Pestiziden und anderen Chemikalien.

    Zu den objektiven Messungen an Patienten gehörte auch die Messung der Auswirkung von körperlicher Belastung auf die kognitiven Funktionen mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI). Die vorgestellten Daten stellen den ersten direkten Beweis dafür dar, dass es 1. eine Schädigung der weißen Gehirnsubstanz gibt, die mit der Klage über Schmerzen und Erschöpfung zusammenhängt, dass es 2. eine Erklärung von zwei Phänotypen bei der Reaktion auf Belastungsstressoren gibt, dass es 3. neurologische Belege für kompensatorische kognitive Funktionen gibt, dass es 4. kortikale, zerebelläre und Gehirnstamm-Schädigungen gibt, die mit den belastungsinduzierten Phänotypen zusammenhängen und dass es 5. kognitive Veränderungen gibt, die mit anormaler Energieproduktion im Laktatstoffwechsel des präfrontalen Kortex zusammenhängen und möglicherweise in Verbindung stehen mit einer mitochondrialen Dysfunktion der Neuronen. Die orthostatische Herzschlagfrequenz war bei einigen Patienten erhöht, und bei diesen war die Druckempfindlichkeit der Druckpunkte bei Fibromyalgie nach körperlicher Belastung erhöht. Es gab Veränderungen im Blutfluss des Gehirns, insbesondere nach körperlicher Belastung. Die Schlussfolgerung war, dass die Chemikalienexposition möglicherweise das zentrale Nervensystem geschädigt hat, und die Studie betonte, wie wichtig es ist, Messverfahren wie das funktionelle MRT vor und nach körperlicher Belastung anzuwenden.

    Professor Greg Towers (London, UK) hat den Lebenszyklus von Retroviren erforscht und sprach über den Zusammenhang von Retroviren und ME. Er ging die Gründe durch, wie und warum XMRV kein Humanpathogen ist, sondern ein Mäuse-Gammaretrovirus. Er fasste die ursprüngliche Prostatakrebs-Studie zusammen, in der beschrieben wurde, dass XMRV bei Prostatakrebs vorhanden sei. Er stellte kurz die grundlegenden Schritte der Replikation von Retroviren dar und erklärte, wie endogene Retroviren in das Genom hineinkommen. Er zeigt, wie Zellen wachsen, wenn sie in Mäuse injiziert werden, jedoch in einer Petrischale nicht wachsen. Zunächst war große Begeisterung aufgekommen, denn wenn XMRV mit ME zusammenhängen würde, könnte dies zu einer möglichen Diagnose und Behandlung führen. Nach der ursprünglichen XMRV-Entdeckung durch das Labor von Judy Mikovits gab es eine Reihe negativer Studien, und es wurde daraus geschlossen, dass XMRV eine Laborkontamination war. Towers hatte untersucht, woher die ursprünglichen Virusstämme kamen. Die Zelllinie stammte von Mäusen und war dann mit der humanen Zelllinie vermischt worden. Es gab keine unabhängigen Quellen hierfür.

    Die Lipkin-Studie lieferte den endgültigen Abschluss mit einer Studie an Proben von 150 Patienten und 150 Kontrollpersonen, die geblindet (verschlüsselt) in unterschiedlichen Zentren untersucht wurden. Es gab keine Unterschiede zwischen den Patientenproben und den Kontrollen, und man schloss daraus letztendlich, dass XMRV kein humanes Pathogen ist. Es ist ein Mäusevirus, das um das Jahr 1994 geschaffen wurde und nicht verursachend für ME ist. Genetische Beweise können verwendet werden, um die Herkunft zu bestimmen. Es wurde auch geschlussfolgert, dass PCR sehr empfindlich ist und man mit unvermeidlicher Kontamination umgehen muss.

    Towers betonte, dass „dies niemals mehr geschehen sollte“, und bei der Untersuchung neuer Erreger sei ein gründlicheres Vorgehen notwendig.

    Der nächste Vortrag wurde von Professor Mady Hornig (New York, USA) gehalten. Ihr Schwerpunkt lag auf der Entdeckung von Erregern bei ME, insbesondere im Hinblick auf Pathogene, die Erkrankungen des Gehirns zur Folge haben. Sie sprach über die Rolle von mikrobiellen, immunologischen und toxischen Stimulantien bei der Entwicklung von neuropsychiatrischen Krankheiten, einschließlich Autismus, PANDAS (paediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections), psychischen Störungen und ME. Sie beschrieb eine Hypothese, nach der es dreier Faktoren bedarf, der Genetik, der Umwelt und der Auswirkungen auf den Fötus. Als Beispiel nannte sie das Risiko, nach Cannabisgebrauch an Schizophrenie zu erkranken. Die Exposition gegenüber Cannabis allein führt nicht zu Krankheit, es bedarf darüber hinaus einer genetischen Anfälligkeit. Bei ME ist es unwahrscheinlich, dass es nur ein einziges Agens gibt. Viele andere Krankheiten haben eine durch das Immunsystem erzeugte Pathogenese. Im Jahr 1957 hat Witebsky das Autoimmunkonzept bei Krankheiten vorgeschlagen.

    Bei ME kann es sein, dass es zunächst keine Beweise [für eine Infektion, d.Ü.] im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Erkrankung gibt. Es können direkte Beweise über die Auswirkungen am Ort der Infektion vorhanden sein. Eine Replikation [des Erregers, d.Ü.] kann zu Zellschäden führen, Giftstoffe können die Physiologie verändern, und es kann Auswirkungen entfernt vom Ort der Infektion geben. Die Reaktion des Wirts [auf den Erreger, d.Ü.] kann die Auswirkungen beeinflussen. Eine Beeinträchtigung der differenzierten Zellfunktion und eine molekulare Mimikry können auftreten, und es kann zu langfristigen Auswirkungen der Infektion kommen. Die Infektion kann im Sinne eines „hit and run“ geschehen [d.h. der Erreger schlägt zu, ist dann aber nicht mehr auffindbar, d.Ü.]. Bei MS gibt es beispielsweise auch geographische Effekte. Mikroben können das Immunsystem über den Magen-Darm-Trakt konditionieren. Die Darmflora kann das Gehirn und das Verhalten modulieren, was sich zum Beispiel auf den Schlaf und die Aufmerksamkeit auswirken kann. Die Funktionsfähigkeit des Gehirns hängt vom Gleichgewicht zwischen dem Immunsystem und der Stressantwort ab. Es gibt eine Dysfunktion des Gedächtnisses, wenn die entsprechenden Pfade nicht funktionstüchtig sind.

    Weitere Studien von Hornig haben keinen Zusammenhang zwischen Masern und Autismus oder dem Bornavirus und Schizophrenie ergeben. Sie hat jedoch eine Verminderung der ilealen Enzyme gefunden, die zu einer mangelhaften Aufnahme der Vorläufersubstanzen von Antioxidantien [aus dem Darm, d.Ü.] führen können. Das kann dann zu oxidativem Stress führen. Hornig arbeitet derzeit an einigen Studien zu dieser Problematik, wobei sie auch das zeitliche Auftreten von grippalen und enteroviralen Infektionen untersucht.

    Sie nahm kurz Bezug auf die Medizingeschichte – so hat man Magengeschwüre ursprünglich als Folge von Stress betrachtet, aber später konnte gezeigt werden, das sie durch eine Infektion mit Helicobacter pylori verursacht sind. Und sie zeigte uns mit einem Zitat von Einstein zu Examensfragen, dass die Wissenschaft der Medizin in einem ständigen Prozess der Veränderung ist: als ein Student fragte, warum denn die Fragen des diesjährigen Examens die gleichen seien wie im vergangenen Jahr, bekam er zur Antwort: „Aber die Antworten sehen dieses Jahr anders aus.“

    Dr. Clare Gerada ist die derzeitige Vorsitzende des Royal College of Physicians (RCGP) [des Ärzteverbandes von Allgemein- und Hausärzten in Großbritannien, d.Ü.]. Sie referierte über die Veränderungen, die die Regierung im National Health Service (NHS – dem staatlichen Gesundheitsdienst) vorgenommen hat und wie sich diese auf chronische Krankheiten wie ME auswirken. Das RCGP ist die Vertretung von 48.000 Ärzten in der Primärversorgung in Großbritannien, die gerade ihren 50. Geburtstag gefeiert hat. Das Ziel der Reformen ist Brücken zu bauen und das Leben der Patienten zu verbessern, insbesondere derjenigen, die an chronischen Krankheiten leiden. Sie beschrieb die Allgemeinpraxis als den ältesten Zweig der Medizin, und da sie selbst Allgemeinärztin ist, hat sie in den letzten drei Jahren viele Veränderungen in den Allgemeinarztpraxen und im NHS gesehen. Das Ziel des Allgemeinarztes (so ein Zitat ihres Vaters, der ebenfalls Allgemeinmediziner war) sollte sein, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, zuzuhören und für die Patienten da zu sein. In Großbritannien werden jeden Tag eine Million Patienten in den Allgemeinarztpraxen behandelt. Diese Praxen stehen unter großer Belastung. Es gibt einen Mangel an Personal und Geld, und es ist schwer, den Standard an Versorgung zu liefern, der von der Wiege bis zur Bahre erforderlich ist. Der gesamte Gesundheitsdienst ist auch deshalb unter Druck, weil die Bevölkerung altert und es von daher größere Anforderungen an die Versorgung gibt. Im Alter haben die Menschen komplexere Krankheiten, und dies kann zeitaufwendig sein. Was am wichtigsten ist, ist die Kontinuität der Versorgung. Die Patienten müssen auch lernen, bei ihrem Krankheitsmanagement zu helfen. Es besteht die Notwendigkeit der Entwicklung integrierter Versorgungsangebote. Im Idealfall braucht der Allgemeinarzt Zugang zu einem multidisziplinären Team.

    Im National Health Service hat es eine umfassende Neuorganisation gegeben, und alle bislang existierenden Strukturen wurden abgebaut. Es hat einen Neuaufbau mit ganz erheblichen Kürzungen gegeben, was zu Erschöpfung und Demoralisierung geführt hat. Die Allgemeinärzte sind jetzt zu lokalen Gruppen zugewiesen worden, und die Gesundheitsversorgung wird dann für die entsprechende Bevölkerung eingekauft. Es gibt eine Menge an sozialen Veränderungen, und das öffentliche Gesundheitswesen wird von den lokalen Regierungen organisiert.

    In Bezug auf ME verstehen nur sehr wenige Allgemeinärzte die Krankheit, da es so viele verschiedene Krankheiten gibt und ständig so viele Einzelheiten gelernt werden müssen. Es ist eine Krankheit, die durch Spezialisten behandelt werden muss, da sie für den durchschnittlichen Allgemeinarzt viel zu komplex und zeitaufwendig ist. Jedoch versucht das RCGP die Lage zu verbessern, indem es über das Internet ein Weiterbildungsangebot [für ME/CFS, d.Ü.] bereitgestellt hat. Das letzte Trainingsmodul, das ein tieferes Verständnis liefern soll, ist bereits von 500 Allgemeinärzten heruntergeladen worden. Das neue NHS-Gesetz wird hoffentlich die Lage in Großbritannien allmählich verbessern. Es ist nötig, Brücken zu bauen zwischen dem Allgemeinarzt und dem Patienten, und die Anerkennung der Krankheit bessert sich langsam.

    Dr. Don Staines (Gold coast, Australia) präsentierte danach die neuesten Ergebnisse der Arbeit von Sonya Marshall-Gradisnik, die nicht zur Konferenz kommen konnte. Er umriss die neue Forschung, die an der Griffith University stattfindet. Dort gibt es eine engagierte Forschungsabteilung zu ME, zu der eine Einheit mit 3 Betten gehört, in der die Patienten übernachten können. Er betonte, wie wichtig es ist, immunologische und molekulare Marker für diese Multisystemerkrankung zu finden. Er umriss die Funktion der Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und zeigte die Ausschüttung von lytischen Proteinen: Perforine und Granzyme (A und B). Studien haben gezeigt, dass bei ME die NK-Zellfunktion im Laufe der Zeit abnimmt. CD107a ist ein NK-Marker für die Lyse, und der Wert für das Granzym B ist bei ME herabgesetzt. Verschiedene Dimensionen zeigen bei dieser Krankheit eine Beeinträchtigung der Funktionen des Immunsystems wie beispielsweise: CD56 (bright) vermindert, CD8 Lyse vermindert++, herabgesetzter oxidativer Burst bei den Neutrophilen und hohe Werte an HNA2. Es gibt außerdem eine Reihe von signifikanten Unterschieden bei der microRNA bei ME. Die mRNA CD8-Zellen zeigen durchweg Anomalien. Er stellte die Frage, ob ME eine Autoimmunerkrankung sei?

    Weitere Ergebnisse ihres Labors über Anomalien umfassten die Heraufregulierung der regulatorischen T-Zellen im erworbenen Immunsystem. Das könnte ein potentieller Biomarker sein und helfen, die inflammatorischen Mechanismen zu unterdrücken. Es wurden keine Unterschiede bei den Gamma-Delta-T-Zellen gefunden, aber diese Arbeit muss noch wiederholt werden. Die Phänotypen der B-Zellen zeigten eine Verminderung bei den unreifen Zellen, trotz erhöhter Werte bei den Gedächtniszellen und erhöhten Plasmawerten. Die plasmazytoiden denditrischen Zellen waren erhöht.

    Es wurden konzeptionelle Paradigmen in Bezug auf das angeborene und das erworbene Immunsystem umrissen, deren Komponenten als Reaktion auf einen adaptiven Erreger ausgelöst werden. Die Ergebnisse weisen auf mögliche Kennzeichen von Autoimmunität hin. Es gibt eindeutige Störungen im Immunsystem, und er wies wiederholt auf die Tatsache hin, dass solche großen Veränderungen nie und nimmer durch „körperliches Training“ beseitigt werden können! Es ist wichtig zu beachten, dass schwer erkrankte Patienten in diese Studien aufgenommen worden waren, indem man zu ihnen nachhause gegangen und ihnen dort Blut abgenommen hatte.

    Dr. Amolak Bansal  (Surrey, UK) diskutierte die klinische Immunologie und die Forschung zu Anomalien bei ME. Er sprach über Immundysfunktion und Autoimmunität. Er betrachtete eine lange Liste an möglichen Ursachen der ME, zusammen mit Wechselwirkungen der verschiedenen Systeme und einer Liste an prädisponierenden Faktoren. Er zeigte, dass 10-15% der Patienten eine Überbeweglichkeit der Gelenke haben. Es gibt eine leichte familiäre Häufung und Zusammenhänge mit Persönlichkeit und ethnischer Zugehörigkeit. Fibromyalgie, Reizdarm und Multiple Chemikaliensensitivität können allesamt gleichzeitig vorhanden sein. Es gibt häufig vorangegangene psychische Störungen. Zu den Auslösern können gehören: Infektionen, Stress, Impfungen, Verletzungen, belastende Lebensereignisse. Zu den Faktoren, die die Krankheit verstärken, gehören Schlafstörungen, Überaktivität, Infektionen, Ängste und Depressionen, Inaktivität, iatrogene Erkrankungen, Krankheitsüberzeugungen, Pessimismus und der Verlust von Zuversicht. Er sagte, dass andauernder Stress negative Auswirkungen auf das Immunsystem haben und die HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Achse) und erhöhte Cortisolwerte ankurbeln kann. Stress erhöht die Prädisposition für Autoimmunität, reguliert den Th-2-Mechanismus herauf und die Th-1-Zellen und die regulatorischen T-Zellen herab.

    Viele Symptome treten in Verbindung mit Viren und ME auf, aber es gibt keine Belege für offenkundige Antikörper, Komplementfaktoren oder Veränderungen der Neutrophilen. Es gibt eine NK-Zellen-Immundefizienz. Nur wenige brauchbare Studien über die Immunanomalien bei ME liegen vor. Bei Routinetests findet man keine Anomalien. Manchmal findet man erhöhte atypische Lymphozyten. Das C-reaktive Protein (CRP) ist gewöhnlich normal. Eine Veränderung der NK-Zellfunktion findet man nicht immer. Es gibt eine Menge an Uneinheitlichkeit. Das kann am Einsatz unterschiedlicher Kriterien liegen, unterschiedlichen Schweregraden der Krankheit, der Rolle von körperlicher Belastung, Schlaf und Stress, unterschiedlichen Methoden und Technologien und dem Tageszeitpunkt der Untersuchungen.

    Bansal stellte mehrere Fragen: Welche Rolle spielen eine übermäßige Solubilisierung [Erhöhung der Löslichkeit, d.Ü.] von Rezeptoren und eine Zytokin-/Zytokinrezeptor-Autoimmunität bei dieser Krankheit? Bilden die Patienten Antikörper? Er hat nach vielen Immunparametern für Antikörper gesucht, aber alle waren negativ. Es waren jedoch bei einigen Patienten die transitionalen B-Zellen erhöht, die Plasmablasten erniedrigt und die naiven B-Zellen erhöht. Einige der Zytokine waren anormal, und es gab Anomalien bei einigen T-Zelluntergruppen.

    Seine Schlussfolgerungen waren: 1. Die B-Zellen werden nicht richtig reguliert. 2. Es gibt keine Belege über Autoimmunität gegen derzeit bekannte, organspezifische und neuronale Antigene. 3. Es gibt eine Verminderung der antiviralen Zytokine. 4. Es liegt eine Beeinträchtigung der T-Lymphozyten und 5. eine erhöhte Zahl an antiviralen T-Effektor-Zellzahlen vor. Es gibt möglicherweise eine Dysregulation der B-Zellen, ausgelöst durch ein Virus; die B-Zellen könnten Autoantikörper produzieren, die zu Aktivierungsmechanismen (Arousal) beitragen. Sie greifen u.U. die mitochondrialen Proteine an, was dann zur post-exertional malaise (Zustandsverschlechterung nach Belastung) führt. Wenn man die Autoantikörper eliminiert, schwächt das die Symptome ab, aber es besteht die Notwendigkeit, die Aktivität der Viren zu unterdrücken, die das Überleben der autoreaktiven B-Zellen begünstigen. Antivirale Mittel wie Acyclovir und Valcyte könnten nutzbringend sein. Zusammenfassend sagte er nochmals, dass es sich um eine sehr komplexe Krankheit handele.

    Professor Carmen Scheibenbogen (Berlin, Deutschland) thematisierte die immunologischen Grundlagen der ME. Sie erklärte, auf welche Weise wir nach den fehlenden Teilen des Puzzles suchen. Es gibt Belege für immunologisch vermittelte Krankheitsprozesse im klinischen Bild, in den Laborergebnissen und über die Wirksamkeit von immunologischen Behandlungsformen mit Medikamenten wie Rituximab, Ampligen, Immunglobulinen und Interferon alpha. Es gibt bei ME auf der immunologischen Ebene umstrittene Phänotypen. Reproduzierbar findet man erhöhte regulatorische T-Zellen und eine erniedrigte Toxizität der NK-Zellen. Es gibt sowohl eine Immunaktivierung als auch Immundefizienzen. Sie erörterte die Zytokinanalyse durch Luminex-Testung. Weitere Studien ergaben, dass 50% der Patienten eine erhöhte T-Zell-Funktion mit einer Th-1 – Th-2-Verschiebung aufweisen. Die Phänotypisierung  mit Hilfe von Durchflusszytometrie ergab eine T-Zell-Aktivierung bei 2/3 der Patienten. Bei einer Untergruppe von Patienten fand man einen Mangel an Lymphozyten im Blut (Lymphopenie). Polyclonale Immunglobuline waren bei 25% der Patienten erhöht, und es gab bei weiteren 25% Belege für Immundefekte.  Bei 15% der Patienten (und 7% der Kontrollpersonen) gab es einen MBL-Defekt – was diese Patienten anfälliger für Infektionen macht. Es gab Belege für fortgesetzte Infektionen mit Herpesviren. Eine Untergruppe von Patienten (diejenigen, bei denen EBV ein auslösender Faktor war und diejenigen, die wiederkehrende Herpesbläschen haben) besserte sich mit Valaciclovir. Sie empfiehlt bei diesen Patienten einen Behandlungsversuch. Einige Patienten haben eine permanente EBV-Aktivierung. Die Daten sind umstritten, da es sowohl erhöhte als auch verminderte Reaktionen auf EBV gibt. Ihr Team hat mit Hilfe eines EBV-Seroassays die Antikörperantwort auf mehr als 2000 Peptide des EBV gemessen. Es ergab sich ein signifikanter Unterschied zwischen Patienten und Kontrollen.

    Ihre Schlussfolgerung war, dass es einige unterschiedliche Gruppen gibt, die den unterschiedlichen Typen der Krankheit entsprechen. Es gibt Belege für eine Aktivierung, für Defekte und für ME nicht immunologischer Art.

    Dr. Øystein Fluge und Professor Olav Mella (Bergen, Norwegen) hatten bereits früher über die B-Zell-Depletion (Abbau von B-Zellen) berichtet, und es liegt noch ein Embargo auf der Verbreitung ihrer weiteren Forschungsergebnisse, da auf deren Veröffentlichung gewartet wird. Ein weitergehender Bericht über ihre Ergebnisse wird folgen, sobald sie in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sind.

    Sie beschrieben erneut die Studien, die bis 2011 durchgeführt worden waren, bei denen anfänglich drei Patienten mit Lymphomen und ME auf Rituximab reagierten, das einen Teil der B-Zellen eliminiert. Man hatte ihnen zwei Infusionen im Abstand von zwei Wochen gegeben (500mg/m2). Eine weitere Studie wurde dann mit 30 Patienten durchgeführt (15 erhielten Rituximab, 15 erhielten ein Placebo). 67% der behandelten Patienten und nur 13% der Kontrollen zeigten positive Ergebnisse. Es wurden keine schwere Toxizität oder Nebenwirkungen beschrieben. Die Zeitdauer der positiven Reaktion betrug 8 bis 44 Wochen, wobei zwei Patienten bis dato keinen Rückfall erlitten haben. Die Mehrheit der Patienten erleidet im Verlauf der Zeit einen Rückfall.

    Weitere Studien, über die sehr bald in der medizinischen Literatur berichtet werden wird, umfassten 26 Patienten, die über 28 Monate hinweg begleitet wurden und denen das Rituximab in einer anderen Abfolge verabreicht wurde. Weiterhin wurden 8 sehr schwer erkrankte Patienten behandelt.

    Gegen Ende der Veranstaltung überreichte Ellen Piro (Oslo, Norwegen) Invest in ME eine besondere Auszeichnung, mit der all die Bemühungen zur Organisation dieser Konferenzen gewürdigt wurden – Konferenzen, bei denen so viele ausgezeichnete Forscher und Kliniker aus der ganzen Welt zusammenkommen, durch die gemeinsame Forschungsanstrengungen gefördert werden und die Patienten teilhaben können. Für seine jahrelange großartige Arbeit ebenfalls mit einer Auszeichnung geehrt wurde Professor Malcom Hooper. [Bild links]

    Ich möchte mich bei ebenfalls bei allen diesen Menschen bedanken, insbesondere bei Invest in ME und der Alison Hunter Memorial Foundation. Ich möchte auch ANZMES danken, dass sie mir die Teilnahme an einer so wunderbaren Veranstaltung ermöglicht haben.

     

    Rosamund Vallings MNZM, MB BS

    Auckland, Neuseeland

     

       

    Eine Aufzeichnung der Konferenz auf DVD einschließlich des Pre-Conference Dinners mit Linda Tannenbaum von der Open Medicine Foundation (siehe Fotos oben) und den Folien der Vorträge kann hier bestellt werden. Linda Tannenbaums Ansprache können Sie hier lesen, einen Bericht von Christopher Cairns finden Sie hier.