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    Artikel des Monats März 2012 Teil 2

    Leitlinie Müdigkeit –

    eine systematische Anleitung zur Fehlbehandlung des ME/CFS als Depression und Angststörung

    Wenn ein Arzt der neuen Leitlinie Müdigkeit folgt, wird er ME/CFS unvermeidlich als Depression und Angststörung begreifen und die Betroffenen mit einer entsprechend falschen "Diagnose" versehen. Zunächst wird ihm bei ME/CFS unter der Drohung, eine "iatrogene Pathogenisierung", also eine Schädigung durch ärztliche Maßnahmen zu verursachen, davon abgeraten, weitere Labor- oder sonstige körperliche Untersuchungen durchzuführen. In der Kurzfassung der Leitlinie Müdigkeit ist zu lesen:

    "Behandelbare schwere körperliche Erkrankungen sind selten und praktisch immer mit Auffälligkeiten in Anamnese und/oder körperlicher Untersuchung verbunden.

    Auf biologische Ursachen fixierte Diagnostik (»Tumorsuche«) führt zu unnötiger Belastung des Patienten und/oder Somatisierung einer Befindlichkeitsstörung.“

    Aus diesen beiden Sätzen am Anfang der Kurzfassung muss der Arzt notwendigerweise den falschen Schuss ziehen: „Wenn ich keine 'Auffälligkeiten in Anamnese und/oder körperlicher Untersuchung' finde, ist es keine 'behandelbare schwere körperliche Erkrankung', sondern nur eine Befindlichkeitsstörung. Ergo trifft der nächste Satz zu: jede weitere 'auf biologische Ursachen fixierte Diagnostik … führt zur… Somatisierung einer Befindlichkeitsstörung'.“ - also der Umwandlung ursprünglich seelischer Befindlichkeitsstörungen in körperliche Symptome.

    Damit ist bereits der Weg zur nächsten ebenso banalen wie logisch falschen Schlussfolgerung gebahnt: „Wenn ich keine Auffälligkeiten finde, ist es psychosomatisch. Und wenn ich jetzt noch weiter forsche, begehe ich einen ärztlichen Kunstfehler. (Mal ganz abgesehen von den Kosten, auf denen ich am Ende vielleicht sitzen bleibe.)“

    Dass es viele Gründe dafür geben kann, warum der Arzt trotz vorhandener schwerer Erkrankung „nichts findet“, wird bereits als reine Denkmöglichkeit ausgeschlossen, denn dieser Satz impliziert, dass der Arzt mit den durchgeführten, oft eingeschränkten Testverfahren alle Krankheiten erfassen kann und natürlich auch alles weiß. Er basiert auf der Illusion, dass die Medizin bereits alles erforscht hat und allwissend ist. Die Realität sieht anders aus: Es kann sein, dass der Arzt die falschen Tests angeordnet hat, in denen sich die vorhandenen Anomalien nicht abbilden, die die Ursache für die Symptomatik sind. Es kann sein, dass er die vorhandenen Testergebnisse nicht richtig deuten kann. Es kann sein, dass eine Krankheit vorliegt, für die es noch keine geeigneten Testverfahren gibt. Es kann sein, dass eine Krankheit vorliegt, die noch gar nicht erkannt und erforscht ist, etc. etc. Und vor allem kann es sein, dass der Arzt die Kostenschere im Kopf hat: wenn er zu umfangreiche Testverfahren anordnet, bleibt er am Ende selbst auf den Kosten sitzen bzw. bekommt Ärger mit den Krankenkassen.

    Nach dieser ideologischen Vorbereitung wird der Arzt sofort übergeleitet zu dem institutionell vorgesehenen Ausweg aus der verzwickten Lage, für die Symptome des Patienten kein organisch begründbares Korrelat zu finden: einer Kurzanleitung zur „Diagnose“ von Depression und Angststörung. Diese Anleitung sieht so aus:

     

    Sehen wir uns an, wie ein ME/CFS-Patient, der bereits eine Weile, sprich Monate oder Jahre mäßig, schwer oder sehr schwer erkrankt ist, mit großer Wahrscheinlichkeit auf die diesen Punkten entsprechenden Fragen antworten wird:

    Depression

    Zwei Screeningfragen (Bezug: in den letzten 4 Wochen)

    􀁹 Haben Sie sich oft niedergeschlagen/schwermütig/hoffnungslos gefühlt?

    Jeder ME/CFS-Patient, der über Jahre erkrankt ist, fühlt sich oft niedergeschlagen und hoffnungslos – aber das ist die Widerspiegelung seines schlechten körperlichen Zustands, der ihn daran hindert, ein normales Leben zu führen, erwerbstätig zu sein etc. sowie der existentiellen Bedrohungen, denen er ständig ausgesetzt ist und der mangelnden medizinischen Versorgung und fehlenden Aussicht auf eine Besserung. Die Ursache für ein Ja zu dieser Frage ist nicht eine primäre Depression, sondern seine Krankheit mit allen ihren Folgen. Wenn er also diese Frage wahrheitsgemäß beantwortet, geht es schon weiter mit dem nächsten Frageblock.

    􀁹 Haben Sie wenig Interesse/Freude an Tätigkeiten gehabt?

    Jeder langfristig an ME/CFS erkrankte Mensch wird sagen, dass ihm die Freude an Tätigkeiten vergeht, weil er nach kürzester Zeit diese Tätigkeit aufgrund körperlicher und geistiger Erschöpfung nicht fortsetzen oder auch gar nicht erst anfangen kann. Diese Differenzierung, warum ein Patient wenig Interesse oder Freude an Tätigkeiten hat, ist in der Fragestellung nicht vorgesehen, und es wird automatisch unterstellt, dass ein Ja seine Ursache nur in seelischen Konflikten haben kann. Dem Arzt bleibt gar nichts anderes übrig, als das wahrheitsgemäße Ja des ME/CFS-Patienten in dieser undifferenzierten Weise zu werten - und schon hat der Patient eine ausgeprägte Depression:

    - Werden beide Fragen verneint, kann eine ausgeprägte Depression mit hoher Sicherheit als ausgeschlossen gelten.

    - Wird mindestens eine Frage bejaht, sollten weitere Symptome (zusätzlich zu Müdigkeit/Mangel an Energie) erfragt werden:

    Der Arzt wird dann weisungsgemäß die folgenden Symptome abfragen:

    􀁹 Schlafstörungen (zuwenig oder zuviel)

    Schlafstörungen sind eines der zentralen Krankheitsmerkmale des ME/CFS, also wird der Patient mit "Ja“ antworten.

    􀁹 Versagensängste

    Aufgrund der beträchtlichen körperlichen und geistigen Einschränkungen hat jeder ME/CFS-Patient Versagensängste - erst recht, wenn ihm z.B. vom Arbeitsamt Maßnahmen aufgedrückt werden, von denen er weiß, dass er sich kräftemäßig nicht schaffen - also nur versagen - kann. Und wenn dieses Versagen dann noch mit der Drohung der Kürzung von Hartz IV oder sonstigen finanziellen Sanktionen verbunden ist, wird die Versagensangst umso größer. Aber auch hier ist keine Differenzierung vorgesehen, die es dem Arzt erlauben würde, die Versagensängste als Folge der ausgeprägten Schwäche des Patienten zu betrachten. Er wird nicht darauf hingewiesen (etwa durch die Zusatzfrage, WARUM), dass die Versagensängste des ME/CFS-Patienten die natürliche (seelisch gesunde) Folge der Krankheit und der sozialen/finanziellen Lage sind, in die der Patient durch seine Krankheit unweigerlich hineingerät. Der Arzt wird wahrscheinlich nur registrieren, dass der Patient diese Frage mit „Ja“ beantwortet.

    􀁹 Veränderter Appetit oder Gewichtszunahme/-abnahme

    Viele Patienten verlieren zu Beginn der Erkrankung an Gewicht, viele bekommen gerade zu Beginn der Erkrankung massive Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten, was zu Gewichtsverlust führen kann. Und viele Patienten nehmen dann im Laufe der Krankheit zu, weil sie sich nicht bewegen können. Gewichtsveränderungen sind ebenfalls ein Symptom der Diagnosekriterien für ME/CFS. Also wird der Patient auch diese Frage wahrscheinlich mit „Ja“ beantworten.

    􀁹 Konzentrationsschwierigkeiten

    Konzentrationsschwierigkeiten sind bei einer neuro-immunologischen Krankheit die unvermeidliche Folge der Krankheitsprozesse – und auch bei ME/CFS eines der zentralen Krankheitsmerkmale. Angesichts der nachgewiesenen neuro-immunologischen Anomalien wie zerebrale Minderdurchblutung, Auffälligkeiten in der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit, im MRT deutlich sichtbare Herde im Gehirn, aktivierte Gliazellen und eine Störung der Mitochondrien mit Verminderung des ATP etc. sind Konzentrationsschwierigkeiten die Folge der Krankheitsprozesse. Also wird ein ME/CFS-Patient auch diese Frage mit „Ja“ beantworten. Und ein Hausarzt, dem von vorneherein "verboten" wurde, Untersuchungen vorzunehmen, die die genannten Anomalien aufzeigen würden, muss notwendigerweise schließen, dass die Konzentrationsschwierigkeiten psychischer Natur sind.

    􀁹 Negatives Selbstwertgefühl

    Jeder Patient mit einer so schwerwiegenden und chronischen Erkrankung wird in seinem Selbstwertgefühl angekratzt, denn er stirbt ja sozusagen einen sozialen Tod: der Beruf/die Ausbildung können nicht fortgesetzt werden, die berufliche Identität geht verloren bzw. kann gar nicht aufgebaut werden. Soziale Kontakte brechen weg, weil man nicht mehr mithalten kann. Freunde und Bekannte ziehen sich zurück, weil sie mit einem chronisch Kranken nicht zurecht kommen und es ihnen Angst macht. Hinzu kommen die bei jedem Arzt, den der ME/CFS-Patient aufsucht, geäußerten Unterstellungen, es stimme mit der "Psyche" des Patienten etwas nicht, seine Krankheit sei in irgendeinem ominösen Fehler in seiner Seele begründet und er sei selbst schuld an seiner Krankheit (Stichworte: falsche Krankheitsüberzeugungen, übermäßige Schonhaltung). Selbst der seelisch stabilste Mensch wird unter diesem Dauerbeschuss und in der verzweifelten und abhängigen Lage, in der er "dank" der Krankheit steckt, Selbstzweifel und ein negatives Selbstwertgefühl bekommen. Also wird der Patient auch die Frage nach einem negativen Selbstwertgefühl mit „ja“ beantworten.

    􀁹 Vermehrter/verringerter Bewegungsdrang

    Da das zentrale und entscheidende Merkmal des ME/CFS die Zustandsverschlechterung nach (körperlicher und auch geistiger) Belastung ist, wird der Patient mit Sicherheit sagen, dass er sich weniger bewegt als früher, und zwar weil er es einfach nicht kann, weil er nach kürzester Zeit vollkommen erschöpft ist und vor allem deshalb, weil er jede Überschreitung der engen Grenzen seiner Leistungsfähigkeit mit einer teils massiven und lang andauernden Zustandsverschlechterung und dem Aufflammen aller sonstigen Symptome bezahlen muss. Diese Erfahrung, dass der Körper wie ein Gefängnis ist und jegliche Überschreitung der engen Grenzen der körperlichen wie geistigen Belastbarkeit sozusagen mit Tagen oder gar Wochen verschärfter Einzelhaft bestraft werden, lässt seinen vorhandenen Bewegungsdrang sehr schnell ersterben, bzw. der Patient wird sich angesichts der unausweichlichen Strafandrohung zurückhalten. Infolgedessen hat er das, was der Arzt als „verminderten Bewegungsdrang“ werten wird, auch wenn der Bewegungsdrang, das Bedürfnis sich zu bewegen, gar nicht vermindert ist, sondern nur die Fähigkeit, diesem Drang nachzugehen. Also kommt ein weiteres „Ja“ zu dieser Aufzählung von Fragen hinzu.

    􀁹 Enttäuschung über sich selbst

    Angesichts der massiven körperlichen, sozialen und finanziellen Folgen des ME/CFS sind wahrscheinlich viele Betroffene auch "enttäuscht" – über sich selbst, über das, was sie von sich erwarten können, über das, was ihnen das Leben bietet bzw. nicht bietet. Und wenn der ME/CFS-Patient den ständigen Unterstellungen, er selbst sei an seiner Krankheit schuld und er habe selbst seine Gesundung in der Hand, Glauben schenkt, dann wird er auch über sich selbst enttäuscht sein. Denn aufgrund der zugrundeliegenden, organisch begründeten Krankheitsprozesse kann es ihm gar nicht gelingen, durch eigene Anstrengung der Krankheit zu entkommen. Also wird der Patient wahrscheinlich auch hier mit einem „Ja“ antworten.

    􀁹 Gedanke an Tod oder Selbstmord

    Es ist bekannt, dass eine der Haupttodesursachen bei ME/CFS der Selbstmord ist. Viele Patienten halten das umfassende und aussichtslose Leid nicht aus, das ihnen die Krankheit auferlegt, und setzen ihrem Leben ein Ende. Es gibt wahrscheinlich keinen ME/CFS-Patienten, der nicht schon mal an Tod oder Selbstmord gedacht hat, um dem Gefängnis zu entkommen, das sein kranker Körper für ihn darstellt. Außerdem sind die Symptome des ME/CFS oft so bedrohlich und so massiv, dass sich die Patienten in der Tat sterbenskrank fühlen und auch die Angst entwickeln können, an der Krankheit zu sterben. Also wird auch hier der Patient mit "Ja" antworten.

    Und hier die Schlussfolgerung aus allen "Ja"-Antworten des Patienten:

    - Eine ausgeprägte Depression liegt vor, wenn insgesamt fünf oder mehr Kriterien bejaht werden (darunter mindestens eine der beiden Screening-Fragen).

    Ein Arzt, der nicht mit der Krankheit und ihren Symptomen und schwerwiegenden Auswirkungen vertraut ist, wird die Gründe, aus denen der Patient hier überall mit "Ja" antwortet, nicht erkennen und nur sehen, dass die Anzahl der für die Diagnose einer "ausgeprägten Depression" erforderlichen Ja-Antworten erreicht wurde.

    Arzt und Patient KÖNNEN also nach dieser Anleitung einer Fehldiagnose gar nicht entgehen, zumal empfohlen wird, ZUERST eine psychologische Diagnostik durchzuführen und die organische hintenan zu stellen - das ergibt sich aus diesen Anweisungen der Kitteltaschenversion:

    Zuerst werden körperliche Ursachen ausgeschlossen und erst danach der psychosoziale Bereich bearbeitet -bis dahin kann eine somatische Fixierung erfolgt sein.

    􀁹 Bei bekannten chronischen Erkrankungen wird Müdigkeit vorschnell auf den Krankheitsprozess selbst bezogen.

    Nachdem dem ME/CFS-Patienten so eine primäre (und nicht sekundäre, also infolge der organischen Krankheit auftretenden) Depression bescheinigt wurde, kann er auch einer weiteren psychiatrischen Diagnose nicht entgehen, nämlich der einer Angststörung:

    Angststörung

    Screeningfragen (Bezug: letzte 4 Wochen)

    􀁹 nervliche Anspannung/Ängstlichkeit/Gefühl, aus dem seelischen Gleichgewicht zu sein

    􀁹 Sorgen über vielerlei Dinge

    􀁹 Angstattacke(n)

    Alle drei Fragen wird der ME/CFS-Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Ja beantworten, und zwar aus den oben bereits genannten Gründen. D.h., es wird ihm wahrscheinlich auch noch eine Angststörung „bescheinigt“, statt zu sehen, dass seine Ängste eine ganz reale Ursache haben und eine „gesunde“ Reaktion auf seine Lage sind, in die er durch die Krankheit gerät.

    Fazit:

    Es ist nach dieser Kurzfassung der Leitlinie Müdigkeit nicht nur legitim und angemessen, dass ein Hausarzt, der in der Regel keine psychiatrische Ausbildung hat, eine psychiatrische Diagnose stellen kann, ohne einen entsprechenden Facharzt/Fachmann hinzuzuziehen. Allein das ist äußerst fragwürdig. Man würde auch keinem Psychiater oder Psychologen gestatten, eine schwere organische Krankheit zu diagnostizieren. Dafür gibt es Fachleute. Und ein Hausarzt - an den sich die Leitlinie ja wendet - ist mit Sicherheit kein Fachmann für die Diagnose psychiatrischer Erkrankungen.

    Zudem ist dem Hausarzt der Weg verbaut, nach körperlichen Ursachen für die Symptome zu suchen, die er fälschlicherweise als Symptome einer primären (und nicht „nur“ reaktiven) Depression oder Angststörung werten muss.

    Diese „Kitteltaschenversion“ der Leitlinie Müdigkeit ist demnach eine systematische Anleitung zur Fehldiagnose des ME/CFS als Depression und Angststörung.

    Die Leitlinie Müdigkeit hat also genau jenes "iatrogene Pathogenisierungspotential"  (S. 32 f, Langfassung), das sie den Ärzten, die einen ME/CFS-Patienten ausführlich körperlich untersuchen und behandeln, unterstellt. Die Leitlinie hat nicht nur das Potential, Menschen mit ME/CFS durch ärztliche Maßnahmen zu schädigen – sie tut es unausweichlich. Sie tut es allein dadurch, dass sie von weiteren Maßnahmen zu Diagnose und Behandlung abrät. Und sie tut es mit Sicherheit dadurch, dass sie den Menschen mit ME/CFS die falsche Diagnose einer primären Depression aufdrückt, d.h. unterstellt, dass die vorhandenen Symptome Ausdruck einer primären Depression und nicht Ausdruck pathologischer Prozesse sind, das auf eine schwere organische, neuro-immunologische Krankheit zurückgehen.

    Hat ein ME/CFS-Patient erst einmal diese Fehldiagnose einer Depression „an der Backe“, d.h. in seiner Krankenakte stehen, ist die Weiche für eine weitere und fortgesetzte Nicht- oder Falschbehandlung nahezu unausweichlich und kaum korrigierbar gestellt. Immer wieder berichten ME/CFS-Patienten, dass selbst massive Anzeichen für organisch-pathologische Prozesse von Ärzten ignoriert, nicht untersucht und nicht behandelt werden, weil sie von vorneherein als psychogen, psychosomatisch bzw. depressiven Ursprungs betrachtet werden.

    Das geht so weit, dass Patienten ihre Krankheit gegenüber Ärzten verschweigen, damit diese überhaupt noch hinsehen. Sagt ein Patient, ich habe ME/CFS, wird er in der Regel sofort als Spinner, eingebildeter Kranker, Somatisierer oder anderweitig psychisch Kranker abgetan und nicht weiter behandelt.

    Das gilt leider nicht nur für Patienten mit ME/CFS, sondern auch für viele andere Krankheiten, die ein Hausarzt infolge dieser Leitlinie vorschnell als "Depression" und/oder "Angststörung" fehldiagnostiziert, wenn er mit seinen oft durch ein beschränktes Krankenkassenbudget bescheidenen diagnostischen Mitteln nicht weiterkommt.

    Einmal mehr erweist sich, dass die ursprünglich fortschrittliche und humane Idee der Psychosomatik zum institutionellen Abwehrmechanismus verkommt, der ein an vielen Stellen miserables Gesundheitssystem abstützen soll - zum Schaden von Patienten und Ärzten gleichermaßen.