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Artikel des Monats März 2013 Teil 1 DSM-5 - Psychiatrische Diagnosen jetzt für jedermann Analysen zur neuen Ausgabe des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs Psychischer Störungen DSM-5 wird eine neue allumfassende psychiatrische Kategorie einführen, nach der Millionen von Menschen - gesund oder an unterschiedlichsten Krankheiten leidend - jetzt das Etikett einer psychiatrischen Krankheit bekommen können - die "Somatic Symptom Disorder" (etwa: somatische Symptom-Störung). Sie lesen auf dieser Seite drei Artikel von Allen Frances, M.D. über die 5. Revision der "Psychiatriebibel", dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen).
Einführung DSM ist ein Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (Amerikanische Psychiatrische Vereinigung), die es erstmals 1952 in den USA herausgegeben hat. Das DSM-IV ist ein Ersatz und/oder eine Ergänzung für die jeweiligen Passagen im ICD-10. Die nächste Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) wird im Mai 2013 von der American Psychiatric Publishing Inc. veröffentlicht werden. DSM-5 ist die Bezeichnung dieser 5. Revision, die seit 1999 in Bearbeitung ist. Die The American Psychiatric Association (APA) hat für die Revision 25 Millionen US-Dollar ausgegeben. Damit hat sich die APA hoch verschuldet, und man hofft, über das 199 US-Dollar teure Werk einen Teil der Kosten wieder hereinzubekommen (http://www.psychiatry.org/dsm5) Das DSM wird im Medizinsystem zur Diagnose und Kodierung psychischer/psychiatrischer Erkrankungen verwendet. Es wird eingesetzt von Psychiatern, Psychologen, Therapeuten, Beratern, Hausärzten, Sozialarbeitern und vielen anderen Mitarbeitern im Gesundheitswesen. DSM wird auch im Rahmen der Kostenerstattung durch Krankenkassen verwendet. Die diagnostischen Kriterien, die im DSM festgelegt werden, bestimmen, was als psychische/psychiatrische Erkrankung angesehen wird und was nicht, für welche Behandlungen und Therapien Krankenversicherungen aufkommen etc. DSM wird allgemein als Richtlinie anerkannt, von Politik, Regierungen, Gesundheitswesen, Rechtswesen, Gerichten, Forensik, Gefängnissen, der pharmazeutischen Industrie und der Forschung. Vier Störungskategorien im alten DSM-IV werden jetzt gestrichen (Somatisierungsstörung [300.81], Hypochondrie [300.7], Schmerzsstörung und undifferenzierte Somatisierungsstörung [300.82] ) und durch eine einzige neue Kategorie ersetzt, und zwar die “Somatic Symptom Disorder”. Dies ist bedeutsam für Menschen mit ME/CFS, die im Widerspruch zur WHO-ICD-10-Klassifikation des ME/CFS (G93.3) in Deutschland generell unter eine der o.g. alten Störungskategorien gefasst wurden. Es ist zu erwarten, dass Menschen mit ME/CFS (und viele andere mit "medizinisch ungeklärten" Symptomen bzw. Multisystemerkrankungen) jetzt unter die neue Kategorie der "Somatic Symptom Disorder" eingeordnet werden. Diese Kategorie hat den "Vorteil", dass durchaus somatische Symptome vorliegen können und die Krankheit dennoch als psychische/psychiatrische Störung klassifiziert werden kann. Allen Frances schreibt in seinem Artikel im British Medical Journal am 19. März 13: "Im DSM-5 erscheint die 'somatic symptom disorder' (somatische Symptom-Störung) in einem neuen Abschnitt - 'Somatische Symptome und verwandte Störungen' -, der den Abschnitt 'Somatoforme Störungen' vom DSM-4 ersetzt. Diese neue Kategorie wird den Bereich der Klassifikation psychischer Störungen ausweiten, indem die Voraussetzung abgeschafft wird, dass die Symptome 'medizinisch ungeklärt' sein müssen. Im DSM-5 verschiebt sich der Fokus auf 'unverhältnismäßige' Reaktionen auf quälende, chronische, somatische Symptome mit dazugehörigen 'dysfunktionellen Gedanken, Gefühlen oder Verhaltensweisen'." Nach diesem DSM-5 kann man demnach als psychisch krank erklärt werden, wenn ein Psychologe, Psychiater oder Sozialarbeiter der Meinung ist, man sei über seinen Gesundheitszustand ‚unverhältnismäßig’ besorgt oder man beschäftige sich ‚übermäßig’ mit seiner Erkrankung. Auch wenn man eine zweite ärztliche Meinung über eine Krankheit einholt, kann das als ‚übermäßige’ Beschäftigung gewertet werden und zu einer psychiatrischen Diagnose führen. Das führt nicht nur zu einer Stigmatisierung von Menschen, die sich sorgfältig um eine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes bemühen, wenn sie erkrankt sind, sondern kann diese auch davon abbringen, weiterhin eine optimale Behandlung für eine schwierige oder schwer zu behandelnde Krankheit oder für eine bislang falsch oder gar nicht diagnostizierte Krankheit führen. Wenn der Versuch, durch weitere Arztbesuche oder die Forderung nach weitergehenden Untersuchungen der Ursache der eigenen Beschwerden auf den Grund zu gehen und eine geeignete Behandlungsmöglichkeit zu finden, mit der Drohung verbunden wird, sich eine stigmatisierende psychiatrische Diagnose einzuhandeln, wird das sicher einige Menschen von weiteren Arztbesuchen abhalten. Hat man erst einmal eine solche Diagnose „an der Backe“, wird es einige Ärzte mit Sicherheit auch davon abhalten, weitere Untersuchungen durchzuführen, denn die Beschwerden des Patienten seien ja gemäß dieser psychiatrischen Diagnose nur ‚eingebildet’ oder ‚psychisch bedingt’. Welche verheerenden Auswirkungen insbesondere diese Kategorie der "Somatic Symptom Disorder" haben wird, hat Allen Frances in den folgenden Artikeln aus seinem Blog DSM5 in Distressunmissverständlich aufgezeigt. Er beschreibt hier: "Die Auswirkungen des DSM auf die psychiatrische Praxis und Forschung" Allen Frances, M.D., ist nicht irgendwer, sondern er war der Vorsitzende der Projektgruppe zur Entwicklung des DSM-IV und Leiter der Abteilung für Psychiatrie an der Duke University School of Medicine, Durham, NC. Er ist jetzt emeritierter Professor der Duke University. (siehe http://www.psychologytoday.com/experts/allen-j-frances-md) Er hat sich vehement gegen die überarbeitete Fassung “seines” DSM-IV ausgesprochen und u.a. in den drei folgenden Blogeinträgen begründet, warum er DSM-V, das im Mai 2013 herauskommen soll, für fehlerhaft und ungeeignet hält. Hier schrieb er: „Das ist der traurigste Moment in meinem 45-jährigen Berufleben als praktizierender, forschender und lehrender Psychiater.“ „Den besten Rat, den ich Ärzten, der Presse und der allgemeinen Öffentlichkeit geben kann ist, skeptisch zu sein und DSM-5 nicht blind auf einem Weg zu folgen, der wahrscheinlich zu einer massiven Überdiagnose und schädlichen Übermedikation führen wird.“ In diesem Artikel beschreibt er die 10 schlimmsten Fehler des DSM-5-Entwurfs.
Blog 1: Wenn körperliche Krankheiten das falsche Etikett einer psychischen Krankheit bekommen Der elfte Fehler im DSM 5 benötigt eine Korrektur kurz vor Toresschluss Von Allen J. Frances, M.D. am 8. Dezember 2012 in dem Blog „DSM 5 in Distress“ veröffentlicht Viele Leser meines vorherigen Blogs, in dem ich die zehn schlimmsten Vorschläge im DSM 5 aufgelistet habe, waren schockiert, dass ich versäumt habe, einen elften gefährlichen Fehler zu erwähnen – nämlich dass DSM 5 Menschen, die körperlich krank sind, Schaden zufügen wird, indem ihre medizinischen Probleme fälschlicherweise das Etikett einer psychischen Krankheit bekommen. Sie haben absolut Recht. Ich entschuldige mich für mein früheres Versäumnis, mich um diese Gefahr zu kümmern und hoffe, dass es noch nicht zu spät ist, den Revisionsprozess zu beeinflussen. Eines der größten durch DSM-5 verursachten Probleme könnte sein, dass es dem Leid der Menschen mit körperlichen Krankheiten noch ein weiteres Leid draufsetzt. Das wird auf zweierlei Wegen geschehen: 1.) indem es die schnelle, aber irrige Schlussfolgerung fördert, dass die körperlichen Symptome eines Menschen ‚all in the head‘ seien, also eingebildet oder psychisch bedingt; und 2.) indem Erscheinungen, die einfach nur normale emotionale Reaktionen sind, die Menschen infolge einer körperlichen Krankheit verständlicherweise haben, als psychische Krankheit fehletikettieren. Suzy Chapman, eine Britin, die sich im Bereich Gesundheit engagiert, hat jeden Schritt der Entwicklung von DSM 5 genau verfolgt. Ihre Website ist die beste Quelle für alle Informationen, die Sie über DSM 5 und ICD-11 haben müssen. Ms. Chapman hat mir eine beunruhigende Email geschickt, in der sie die Fehler des DSM 5 und die vielen schädlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben zusammengefasst hat. Weitere Einzelheiten finden Sie unter : 'Somatic Symptom Disorder could capture millions more under mental health diagnosis' (http://wp.me/pKrrB-29B ) Ms. Chapman schreibt, „…Die DSM-5 Somatic Symtom Disorders Work Group plant, mehrere wenig verwendete somatoforme Störungen des DSM-IV zu streichen und sie zu ersetzen durch eine extrem breit gefasste neue Kategorie, die wahrscheinlich wild überbeansprucht wird ('Somatic Symptom Disorder' – SSD) - zu deutsch etwa: somatische Symptome Störung. Eine Person wird die Kriterien für SSD erfüllen, wenn sie nur ein körperliches Symptom berichtet, das im Alltag quälend und/oder störend ist und wenn sie nur eine der drei folgenden Reaktion darauf hat, die seit mindestens sechs Monaten andauern: 1) ‚unverhältnismäßige‘ Gedanken über die Ernsthaftigkeit ihrer Symptome/ihres Symptoms oder 2) ein hohes Maß an Besorgnis über ihre Gesundheit oder 3) übermäßig viel Zeit und Energie im Hinblick auf die Symptome oder ihre gesundheitlichen Sorgen aufwendet. Wenn DSM-5 diese übermäßig umfassenden Kriterien nicht verändert, werden die Diagnoseraten von psychischen Störungen bei organisch Kranken enorm erhöht – ob die Menschen nun anerkannte Krankheiten haben (wie Diabetes, koronare Herzerkrankungen oder Krebs) oder ungeklärte organische Krankheiten, die sich bislang mit somatischen Symptomen unklarer Ätiologie präsentieren. Die Diagnose einer psychischen Störung wird allein auf der subjektiven und fehlbaren Beurteilung des Arztes beruhen, dass das Leben des Patienten seinen Sorgen und alles beherrschenden Gedanken um seine Gesundheit ‚subsumiert‘ sei oder dass die Reaktion auf quälende somatische Symptome ‚übermäßig‘ oder ‚unverhältnismäßig‘ sei oder dass die Coping-Strategien, um mit dem Symptom fertig zu werden, ‚maladaptiv‘ seien. Das sind grundsätzlich unzuverlässige und nicht vertrauenswürdige Beurteilungen, die Tür und Tor öffnen werden für übermäßige Diagnosen psychischer Störungen und es fördern werden, dass man versäumt, körperliche Krankheiten zu diagnostizieren. Die DSM-5-Arbeitsgruppe begibt sich hier mit einem gewagten Sprung auf unbekanntes Terrain. Es gibt keine Veröffentlichungen von Forschungsdaten über die anzunehmenden Prävalenzraten, die klinischen Merkmale oder die Behandlung der ‚Somatic Symptom Disorder‘ oder ihrer Gültigkeit oder Gefahrlosigkeit als Konstrukt. Die Entscheidung darüber, ob es kodiert wird oder nicht, hängt von der Willkür und der subjektiven Wahrnehmung der DSM-Endverbraucher ab, die oft nur sehr wenig Zeit auf den Patienten verwenden und keine Ausbildung in Psychiatrie haben. Die DSM-5-Feldversuche haben zu Ergebnissen geführt, die die Arbeitsgruppe hätten abschrecken sollen. Einer von sechs Krebspatienten und Patienten mit koronarer Herzerkrankung erfüllte die Kriterien für die ‚Somatic Symptom Disorder‘ des DSM-5. Wollen wir wirklich schwer kranke Menschen mit einer zusätzlichen Diagnose einer psychiatrischen Krankheit belasten und stigmatisieren, nur weil sie sich Sorgen machen über die Tatsache, dass sie krank sind und weil sie auf ihre Symptome achten? Könnte es sein, dass Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten in Zukunft zögern, neu auftretende Symptome zu berichten, die frühe Indikatoren für ein Wiederauftreten, für Metastasen oder eine sekundäre Erkrankung sein könnten – weil sie Angst haben, eine Diagnose ‚SSD‘ auf sich zu ziehen? Die Arbeitsgruppe schlägt zwar nicht vor, Chronic Fatigue Syndrome, Reizdarmsyndrom und Fibromyalgie in den DSM-5-Abschnitt ‘Somatic Syndrome Disorder’ einzuklassifizieren, aber diese Patienten und andere mit Erkrankungen wie chronischer Lyme-Borreliose, interstitielle Zystitis (chronische, abakterielle Blasenentzündung), Golfkriegssyndrom und Chemikalienschädigung werden jetzt besonders gefährdet sein, nach DSM-5 eine Fehldiagnose mit einer psychiatrischen Erkrankung zu erhalten. In den Feldversuchen wurden mehr als einer von vier Patienten mit Reizdarm oder chronischen generalisierten Schmerzen, aus denen die Studienkohorte ‚funktionelle somatische Syndrome‘ bestand, als zur Kategorie ‚Somatic Symptom Disorder‘ gehörig klassifiziert. Um die Bedingungen für eine Somatisierungsstörung (300.81) im DSM-IV zu erfüllen, musste eine Reihe erheblich strengerer Kriterien erfüllt sein. Es musste eine Geschichte von vielen medizinisch ungeklärten Symptomen vor dem Alter von 30 Jahren vorhanden gewesen sein, die zu Behandlungsversuchen oder psychosozialer Beeinträchtigung geführt haben. Die diagnostische Schwelle war hoch angesetzt – insgesamt acht oder mehr medizinisch ungeklärte Symptome aus vier detaillierten Symptomgruppen mit mindestens vier Schmerz- und zwei gastrointestinalen Symptomen. Beim DSM-5 wurden die erforderlichen acht Symptome auf nur eines reduziert. Und die Bedingung des Vorliegens von ‚medizinisch ungeklärten‘ Symptomen wird ersetzt durch die viel vageren und viel subjektiveren ‚übermäßigen Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühle‘ und die Wahrnehmung des Arztes von ‚dysfunktionalen Krankheitsüberzeugungen‘ oder ‚übermäßiger Beschäftigung‘ mit dem körperlichen Symptom. Das und eine Dauer von mindestens sechs Monaten ist alles, was nötig ist, um das Kreuzchen für die zusätzliche Diagnose einer psychischen Erkrankung zu machen – Enddarmkrebs + SSD, Angina + SSD, Typ-2-Diabetes + SSD, Reizdarm + SSD. Ich würde Dr. Dimsdale [den Vorsitzenden der Arbeitsgruppe für die Diagnose Somatic Symptom Disorder, d.Ü.] gerne fragen: welcher prozentuale Anstieg an Diagnosen psychischer Erkrankungen über durch das gesamte Spektrum an Krankheiten hinweg wird sich infolge der Einführung der ad-hoc Vorschläge seiner Arbeitsgruppe schätzungsweise ergeben und ob er auch die steigenden Kosten im Gesundheitswesen in Betracht gezogen hat? Eine unvorsichtige, sinnlose Anwendung dieser hochgradig subjektiven und allumfassenden Kriterien wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu häufigen, unzutreffenden psychiatrischen Diagnosen mit weitreichenden Folgen sowohl für das Gesundheitswesen als auch für die unterschiedlichsten Patientengruppen führen. Zu den Schäden gehören: · Stigmata · Versäumte Diagnosen durch Unterlassung der Untersuchung von neuen oder sich verschlimmernden somatischen Symptomen. · Den Patienten werden unangebrachte Psychopharmaka mit daraus folgenden Nebenwirkungen, Komplikationen und Kosten verordnet. · Es kann sein, dass Patienten, die als psychisch krank fehldiagnostiziert wurden, nur noch begrenzte medizinische Untersuchungen angeboten bekommen. · Fehldiagnostizierte Patienten können auf dem Arbeitsmarkt und im Hinblick auf Zahlungen für Krankenkosten und Behindertenrenten benachteiligt werden. · Eine zusätzliche Diagnose eines ‚SSD‘ in der Krankenakte des Patienten kann die Entscheidungen von Behörden im sozialen und medizinischen Bereich sowie Entscheidungen über Anpassungsmaßnahmen für Behinderte und besondere Vorkehrungen in Ausbildung und Beruf negativ beeinflussen. · Eine falsche SSD-Diagnose wird die Ansicht der betroffenen Person über sich selbst und ihre Krankheit sowie die Wahrnehmung von Familie und Freunden verzerren. · Bei Multisystemerkrankungen wie Multiple Sklerose, Behçet-Syndrom, systemischem Lupus kann es mehrere Jahre dauern, bevor es zu einer Diagnose kommt. In der Zwischenzeit wären Patienten mit chronischen, multiplen somatischen Symptomen, die noch auf eine Diagnose warten, gefährdet, als psychiatrisch krank fehldiagnostiziert zu werden. · DSM-5 ermöglicht die Diagnose der ‘Somatic Symptom Disorder’, wenn Eltern als ‚übermäßig besorgt‘ über die Symptome ihres Kindes angesehen werden. Familien, die für Kinder mir einer chronischen Krankheit sorgen, könnten Gefahr laufen, fälschlicherweise eines ‚übermäßigen Engagements‘ beschuldigt zu werden oder auch zu einem ‚Krankenrollenverhalten‘ zu ermutigen. Mit welchen Mitteln wird ein Arzt in der Praxis die Reaktion einer Person auf Krankheit im Kontext der persönlichen, familiären und ökonomischen Umstände des Patienten beurteilen, um verlässlich zu entscheiden, was als ‚übermäßige Fürsorglichkeit‘ im Unterschied zu einer positiven Coping-Strategie dieser Familie für diesen Patienten betrachtet werden könnte? · Die Last der DSM-5-Veränderungen wird Frauen besonders hart treffen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit beiläufig abgetan werden, wenn sie über körperliche Symptome klagen und die viel eher Gefahr laufen, dagegen unangebrachte Antidepressiva oder angstlösende Medikamente verordnet zu bekommen. Die Arbeitsgruppe ist sich wohl bewusst, dass Patienten, Familien, Betreuungspersonen und Patientenorganisationen die DSM-5-Veränderungen strikt ablehnen. Während der zweiten öffentlichen Prüfung des DSM-5 haben die Vorschläge zur ‚Somatic Symptom Disorders‘mehr Reaktionen auf sich gezogen als beinahe jede andere Kategorie. Beim Jahrestreffen der APA in 2012, hat der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Joel Dimsdale, MD, zugegeben, dass seine Kommission von Anfang an mit dem Kriterienkatalog der ‘SSDs’ gekämpft hat. Aber statt diese Kategorie zugunsten von weniger umfassenden Erfordernissen zu revidieren oder den gesamten Abschnitt einer unabhängigen, externen wissenschaftlichen Überprüfung zu unterziehen, bestand die rätselhafte Reaktion der Arbeitsgruppe darin, die Schwelle noch weiter zu senken von ‚mindestens zwei der Kriterien vom Typ B‘ auf ‚mindestens ein Kriterium‘ – was noch mehr organisch kranke Patienten dem ernsten Risiko aussetzt, eine unangemessene psychiatrische Diagnose auf sich zu ziehen. Obwohl die Treuhänder der American Psychiatric Association DSM-5 unterzeichnet haben, ist die Arbeit im Hinblick auf spezifische Formulierungen noch nicht beendet. Psychiatrische und nicht-psychiatrische Kliniker, Ärzte in der Primärversorgung und Fachärzte, andere Fachleute im Gesundheitswesen, Psychologen, Berater, Sozialarbeiter, Medizinanwälte und Patientenorganisationen müssen sich diese Vorschläge sehr genau und sehr schnell ansehen, ihre Gefahrlosigkeit und die Implikationen einer zusätzlichen Diagnose einer ‚SSD‘ in Betracht ziehen und sich beim Vorsitzenden dieser Arbeitsgruppe heftig einschalten mit der Forderung nach einer dringenden Revision dieses Abschnitts … solange dafür noch Zeit ist.“ Ms Chapman hat eine vernichtende und überzeugende Kritik geliefert. Es ist entscheidend, dass DSM-5 diese übermäßig umfassende Formulierung einengt, um das zu verhindern, was ansonsten ein pauschales Abtun realer medizinischer Symptome als psychiatrische Erkrankung sein könnte – was zu verpassten Diagnosen, falscher Behandlung, Stigmata und dem verständlichen Gefühl der Patienten, grob missverstanden zu werden, führt. Ich selbst wurde mir des Risikos einer Falschdiagnose von somatischen Symptomen schmerzhaft bewusst, als ich als junger Assistenzarzt in der Psychiatrie einen Mann zwei Monate lang auf eine Depression hin behandelte, bevor ich entdeckte, dass seine Probleme tatsächlich von einem Gehirntumor herrührten, den ich zuvor nicht entdeckt hatte. Die goldene Regel: eine zugrundeliegende organische Erkrankung oder Nebenwirkungen von Medikamenten müssen immer ausgeschlossen werden, bevor man entscheidet, dass die Symptome eines Menschen von einer psychiatrischen Erkrankung herrühren. Und die zugrundeliegende Erkrankung kann lange Zeit in Anspruch nehmen, bevor sie sich offenbart. Es ist schwer, mit Unsicherheit zu leben, aber sie ist viel besser, als vorschnell falsche und riskante Schlussfolgerungen zu ziehen. Es ist grundsätzlich schwierig, die Grenze zwischen organischer und psychiatrischer Krankheit zu ziehen, insbesondere weil viele psychiatrische Störungen sich mit hervorstechenden somatischen Symptomen zeigen, die oft mit einer organischen Krankheit verwechselt werden. Das beste Beispiel sind Menschen mit Panikattacken. Sie werden viel zu häufig mit medizinischen Tests für ihre Benommenheit, ihre Atembeklemmungen und ihr Herzklopfen untersucht, die tatsächlich einfach nur Teil der Hyperventilation sind, die von der Panikattacke ausgelöst wird. Und die emotionale Not, die manche Leute als Reaktion auf reale oder befürchtete Krankheiten haben, wird manchmal so unverhältnismäßig, dass sie einer psychiatrischen Behandlung bedarf. Aber es sind ernsthafte Risiken verbunden mit der Überpsychologisierung somatischer Symptome und der Fehletikettierung normaler Reaktionen auf Krankheit, insbesondere, wenn die Beurteilungen auf vagen Formulierungen beruhen, die in keiner Weise zu einer verlässlichen Diagnose führen können. So wie DSM-5 jetzt erstellt ist, wird dem Leid derjenigen, die bereits mit all den Sorgen über ihre körperliche Krankheit belastet sind, weiteres Leid hinzugefügt. DSM-5 muss betonen, dass körperliche Symptome den Respekt einer gründlichen Untersuchung verdienen, bevor man annehmen kann, dass ihre Ursache psychiatrischer Natur sein könnte. Und Menschen mit definierten körperlichen Krankheiten sollten nicht leichtfertig als außerdem psychisch krank fehletikettiert werden, nur weil sie bestürzt sind über ihre Krankheit. Es gibt eine mögliche Lösung für die Probleme, die wir ermittelt haben. Somatic Symptom Disorder sollte aus dem Hauptteil des DSM-5 entfernt werden, mit dem die verschiedenen psychischen Krankheiten beschrieben werden sollen. Stattdessen sollten ungeklärte körperliche Symptome oder problematische Reaktionen auf Krankheit im Abschnitt V des Manuals abgedeckt werden, zu dem die Kategorie „Other Conditions That May Be A Focus Of Clinical Attention“ („Andere Beschwerden, die Gegenstand der klinischen Aufmerksamkeit sein können“) gehört. Das würde das Stigma und das Risiko, somatische Belange als psychische Störungen fehlzuetikettieren, beseitigen, während es den Klinikern immer noch einen Code liefert, mit dem sie das beschreiben können, was der Patient präsentiert. Die zweitbeste Lösung wäre, die Formulierung des Kriterienkatalogs zu verschärfen, um ihn weniger allumfassend zu machen. Wie Ms. Chapman betont – die Zeit wird knapp, weil DSM-5 in halb-garem Zustand übereilt in den Druck gebracht wird. Zusätzliche Informationen finden Sie in Toni Bernhards wundervollem Blog unter: https://my.psychologytoday.com/blog/turning-straw-gold/201212/physical-illnesses-may-soon-be-labeled-mental-disorders
Blog 2 Schlechte Nachrichten: DSM 5 lehnt Korrektur der „Somatic Symptom Disorder“ ab Körperliche Krankheiten werden jetzt als psychische Störungen fehletikettiert Am 16. Januar 2013 veröffentlicht von Allen J. Frances, M.D. in DSM5 in Distress Viele von Ihnen werden den früheren Blogeintrag von Suzy Chapman und mir gelesen haben, der alarmierende Informationen über die neue DSM-5-Diagnose der ‚Somatic Symptom Disorder’ (SSD) enthält. SSD ist durch DSM 5 so allumfassend definiert worden, dass einer von sechs Menschen mit Krebs und Herzerkrankungen fehletikettiert wird, einer von vier mit Reizdarm und Fibromyalgie und einer von 14, der überhaupt keine körperliche Krankheit hat. Ich hatte gehofft, in der Lage zu sein, die DSM-5 Arbeitsgruppe beeinflussen zu können, um diese SSD-Kategorie auf zweierlei Weise zu korrigieren: 1. indem ich Verbesserungen hinsichtlich der Formulierung der SSD-Kriterien vorschlug, die die Fehletikettierungen vermindern würde und 2. indem ich sie darauf hinwies, mit welchem Ausmaß an Widerstand sie seitens besorgter Fachleute und einer empörten Öffentlichkeit konfrontiert würden, wenn DSM-5 nicht scharf auf die Bremse treten würde, solange dafür noch Zeit ist. Und viele von Ihnen haben versucht zu helfen, indem sie klar gemacht haben, wie entscheidend diese Problematik für das Leben der Menschen ist. Der Blogeintrag wurde viele Zehntausend mal angeklickt, wurde auf 70 weiteren Websites wiedergegeben, wurde bei Twitter und Facebook weit verbreitet und hat mehr als 300 außerordentlich sachkundige und oft leidenschaftliche Kommentare hervorgerufen – die sich einhellig und stark gegen diesen Vorschlag aussprachen. Wir sind gescheitert, und DSM-5 hat uns im Stich gelassen. Aus Gründen, die ich auch nicht ansatzweise begreifen kann, hat DSM 5 entschieden, seinen sinnlosen und unverantwortlichen Kurs fortzusetzen. Das traurige Ergebnis davon wird sein, dass potentiell Millionen von Menschen mit einer künstlich ausgedachten psychischen Störung fehletikettiert werden, die von der Wissenschaft nicht gestützt wird und die dem gesunden Menschenverstand vollkommen widerspricht. Ich habe schlichte Änderungen in der Formulierung der DSM-5 Definition der SSD vorgeschlagen, die sie beträchtlich eingeengt hätte und die Verwirrung an der schwierigen Grenze zwischen körperlicher und psychischer Krankheit vermindert hätte. Ich habe naiverweise geglaubt, dass meine Vorschläge so offensichtlich notwendig sind, dass es für DSM 5 leicht wäre, sie zu akzeptieren und unmöglich, sie abzulehnen. Der neue Kriterienkatalog hätte es sehr viel klarer gemacht, dass die Besorgnis eines Menschen über körperliche Symptome ‚übermäßig’, ‚maladaptiv’, ‚beherrschend’, ‚hartnäckig’, ‚durchdringend’, ‚extrem angstbesetzt’, ‚unverhältnismäßig‘ sein müsste und ‚so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass sie eine beträchtliche Störungen und Behinderung im Alltagsleben verursachen’ müsste. Und ich habe außerdem vorgeschlagen, diese neuen Punkte in den Kriterienkatalog aufzunehmen, um die häufigsten Quellen unangemessener Überdiagnostik einer Somatic Symptom Disorder zu vermindern.
Viele von Ihnen würden argumentieren, dass ich nicht annähernd weit genug gegangen bin, dass es im DSM-5 überhaupt keine ‚Somatic Symptom Disorder’ geben sollte, weil es keine substantiellen Belege gibt, die ihre Verlässlichkeit oder Gültigkeit stützen würden. Menschen, die über körperliche Probleme besorgt sind, würden entweder gar keine Diagnose einer psychischen Störung erhalten oder würden, wenn nötig, eine wesentlich harmlosere und unspezifischere Diagnose einer ‚Anpassungsstörung’ erhalten. Ich sympathisiere mit dieser Sichtweise, habe aber begriffen, dass sie in der Arbeitsgruppe nicht ankommen würde und habe mich deshalb entschieden, mich für das einzusetzen, was eindeutig erforderlich ist und einzusetzen für vergleichsweise einfache Veränderungen, die den größten Teil, wenn auch nicht alle der Probleme lösen würden. Mein Ziel war, es DSM-5 beinahe unmöglich zu machen, Nein zu dem zu sagen, was offensichtlich nötige Verbesserungen waren. Meine Vorschläge waren nicht mehr als Standardvorschläge – einfach nur die typischen Ausschlussformulierungen, die immer bei den Kriterienkatalogen des DSM benutzt wurden, um eine sorgfältige Differentialdiagnose zu fördern und um eine falsche Überdiagnostik zu vermindern. Es war meine Absicht, sie damit zu ködern, dass die Veränderungen so einfach zu bewerkstelligen gewesen wären. Und ich habe auch ein wenig gedroht. Mein Brief warnte DSM 5, dass sie sich auf gefährliches Gebiet begeben würden. Das war meine Warnung an die DSM-5 Arbeitsgruppe:
Ich habe auch das Argument aufgebracht, dass dies zu einem Boykott der DSM-5 führen könnte. Eine ziemlich heftige Geschichte, dachte ich. Aber sie hat überhaupt nichts bewirkt. DSM-5 blieb blind gegenüber den Gefahren, taub gegenüber flehentlichen Einwänden. Sein erschreckendes Versagen, diesen offensichtlichen und gefährlichen Fehler zu korrigieren ist atemberaubend, nicht durchdacht und übersteigt sogar meine pessimistischsten Erwartungen gegenüber dem Mangel an Kompetenz und Glaubwürdigkeit von DSM 5. Suzy Chapman ist nicht überrascht. Seit drei Jahren engagiert sie sich mit entschlossenem Bemühen, die Fachleute und die Öffentlichkeit über die Probleme mit DSM-5 zu informieren, und sie hat alles getan, um zu einer Korrektur beizutragen. Ihre Website bietet die umfassendste und vollständigste Dokumentation aller Vorgänge im Zusammenhang mit DSM 5 und ICD 11. (http://dxrevisionwatch.com/ ) Ms Chapman schreibt: „Leider war die Aufforderung der DSM-5 an Menschen aus dem entsprechenden Fachgebiet, Kommentare abzugeben, nichts weiter als eine hohle Werbekampagne. Bei der zweiten Überprüfung der Kriterien des DSM-5 Entwurfs durch Interessenvertreter hat der Abschnitt über die SSD mehr Eingaben auf sich gezogen als beinahe jeder andere Abschnitt. Und trotzdem hat die Arbeitsgruppe einfach blind weitergemacht mit Vorschlägen, die rundweg als schädlich für die körperlich Kranken abgelehnt wurden – die Kritik von Fachleuten wurde mit einem Schulterzucken abgetan und man blieb vollkommen unempfänglich gegenüber Patientenorganisationen und den Bedenken von Patienten. Die Reaktion der Arbeitsgruppe war, im dritten Entwurf statt weniger umfassende Kriterien aufzunehmen, die Schwelle noch weiter herabzusetzen – sie haben die Bedingung ‚mindestens zwei der Kriterien vom Typ B’ auf nur eine vermindert – und setzen damit noch mehr körperlich kranke Patienten dem Risiko aus, eine unzutreffende psychiatrische Diagnose auf sich zu ziehen. Vor vielen Jahren sagte der verstorbene Thomas Szasz: ‚Zu Zeiten von Malleus war es so, wenn ein Arzt keine Beweise für eine natürliche Krankheit finden konnte, dann erwartete man von ihm, Beweise für Hexerei zu finden: heute erwartet man von ihm, dass er eine psychische Krankheit diagnostiziert, wenn er keine organische Krankheit diagnostizieren kann.’ Mit der vage definierten Somatic Symptom Disorder ist Szaszs schlimmste Befürchtung wahr geworden.“ Danke, Ms. Chapman. Ich glaube, dass Szasz’ pauschale Kritik der Psychiatrie viel zu weit ging, aber er hat sicherlich den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn es um DSM-5 und seine lässige Behandlung der körperlich Kranken geht. Das DSM 5 Debakel ist ein trauriger Augenblick in der Geschichte der Psychiatrie. Die Patienten haben etwas Besseres verdient, genauso wie die Profession der Psychiatrie. Die American Psychiatric Association hat sich als unfähig erwiesen, ein zuverlässiges und wissenschaftlich fundiertes diagnostisches System zu erstellen. Psychiatrische Diagnosen sind im Leben der Menschen zu wichtig geworden, um sie einer kleinen und isolierten professionellen Organisation zu überlassen. Es ist Zeit für eine Veränderung. Toni Bernhard hat hierzu interessante Gedanken geäußert: http://www.psychologytoday.com/blog/turning-straw-gold/201301/your-physical-illness-may-now-be-labeled-mental-disorder Mir tun all jene Menschen leid, die mit dieser schlecht konzipierten fehletikettiert werden. Und ich bedaure es und entschuldige mich dafür, dass ich hier nicht mehr bewirken konnte.
Blog 3 Warum hat DSM-5 Somatic Symptom Disorder vermasselt von Allen Frances Das ist der dritte Eintrag einer Reihe von Blogs über die Probleme, die von dem falschen Umgang des DSM 5 mit der Grenze zwischen körperlichen und psychischen Krankheiten verursacht werden. Der erste Eintrag untersuchte, wie eine neue und nicht getestete DSM-5 Diagnose – Somatic Symptom Disorder (SSD) – Millionen von Menschen als psychisch krank fehletikettieren würde, obwohl sie in Wirklichkeit einfach nur körperlich krank sind. http://www.psychologytoday.com/blog/dsm5-in-distress/201212/misla... Der zweite Blog beschrieb meinen Versuch, Druck auf die DSM-5 Arbeitsgruppe auszuüben, ihre viel zu weitgefasste SSD-Definition einzuengen. Einfache Änderungen in der Formulierung hätten das Risiko vermindern können, dass Menschen mit körperlichen Krankheiten eine falsche und schädliche SSD-Diagnose erhalten. http://www.psychologytoday.com/blog/dsm5-in-distress/201301/bad-n... Ich bin gescheitert. Die DSM 5 Arbeitsgruppe hat meine Vorschläge diskutiert, hat sie aber abgelehnt und macht mit ihrer ungenauen Definition weiter. Wenn sie einmal eine offizielle psychische Störung nach DSM-5 ist, wird SSD wahrscheinlich auf breiter Ebene falsch angewendet werden – auf 1 von 6 Menschen mit Krebs und Herzkrankheiten und 1 von 4 mit Reizdarm und Fibromyalgie. Es wird sogar noch lächerlicher. Die Definition des SSD ist so ungenau, dass sie sogar 7% der gesunden Menschen erfasst (das sind allein in den USA 14 Millionen Menschen) und macht damit diese Pseudodiagnose zu einer der häufigsten aller ‚psychischen Störungen’ in der Allgemeinbevölkerung. Suzy Chapman hat diese Mail mit einer interessanten Frage geschickt: „Warum hat DSM-5 es hartnäckig abgelehnt, die Aufnahme der SSD-Kategorie neu zu bewerten oder zumindest die Kriterien dafür beträchtlich einzuengen – angesichts des drei Jahre andauernden Widerstands der Interessenvertreter und Ihrer eigenen [Allen Frances‘] entschlossenen Bemühungen, eine Überprüfung in letzter Minute zu erzwingen? Deren Entscheidung, eine solche massive Fehletikettierung zu riskieren, ist rätselhaft, wenn man diese Beobachtungen von Joel Dimsdale, MD, dem Vorsitzenden der SSD-Arbeitsgruppe, in Betracht zieht. Er ist sich eindeutig der Gefahren einer Überdiagnostik von psychischen Krankheiten bei körperlich kranken Menschen bewusst.“ Dr Dimsdale notes: Dr. Dimsdale stellt fest:
Ms Chapman fährt fort: „Wie erklären Sie nun die Trennung zwischen den angemessenen Warnungen in Dr. Dimsdales Artikel und der unverantwortlichen Einschließlichkeit des DSM-5-Kriterienkatalogs für die Somatic Symptom Disorder? Dr. Dimsdale beschreibt die Revision durch sein Team als ‚einen Schritt in die richtige Richtung’. Aber DSM-5 scheint wild entschlossen zu sein, blind in den Treibsand von ungenauen, nicht validierten Diagnosen psychischer Erkrankungen zu stolpern. Diese hochgradig subjektiven, schwer zu untersuchenden Kriterien haben das Potential für eine weitverbreitete Fehlanwendung, insbesondere in der Hektik von Praxen der Primärversorgung – was die körperlich Kranken stigmatisiert und potentiell zu mangelhafter medizinischer Untersuchung, zu unangemessenen Behandlungsempfehlungen und Anzeigen von Ärzten aufgrund verpasster Diagnosen führt. Angesichts dessen, dass seine eigenen Worte zur Vorsicht mahnen, wie kann es sein, dass Dr. Dimsdales Arbeitsgruppe einen Kriterienkatalog produziert hat, der von vielen Patientenorganisationen als so gefährlich betrachtet und der von Fachleuten so vehement abgelehnt wird? Warum war die Arbeitsgruppe und das Kuratorium der APA bereit, eine Definition und einen Kriterienkatalog zu unterzeichnen, für die es keine Evidenzlage hinsichtlich ihrer Validität, Ungefährlichkeit und Prävalenz gibt und die somit potentiell die Öffentlichkeit gefährdet? Und warum ist die APA bereit, ihre Fürsorgepflicht als professionelle Körperschaft aufzukündigen und ihre Mitglieder, Ärzte und die Fachleute im Gesundheitswesen und die Endverbraucher des Manuals dem Risiko möglicher juristischer Auseinandersetzungen auszusetzen? Danke, Ms. Chapman. Ich war genauso verblüfft über das Versäumnis von DSM-5, dieses eklatante Problem zu korrigieren und kann mir nur drei mögliche Erklärungen vorstellen: · Ein nach außen abgeschotteter Entwicklungsprozess: Wann immer DSM-5 zu öffentlichen Kommentaren aufrief, hat SSD mehr Kritik auf sich gezogen als jede andere Diagnose. Jede Demonstration von Offenheit der DSM-5-Gruppe hat sich lediglich als PR-Gag herausgestellt. Die Arbeitsgruppe war sich außerdem dessen bewusst, dass meine vorherigen Blogeinträge viele Zehntausende von Lesern angezogen und viele hundert Antworten ausgelöst haben – die alle ablehnend sind. Sie haben niemals irgendeine der Meinungen von außen ernst genommen und sich für die ungenaueste Definition entschieden, die überhaupt möglich war. · Tunnelblick: Die DSMs müssen eine Balance zwischen der Empfehlung zu zu vielen und zu wenigen Diagnosen zu finden. Die DSM-5-Arbeitsgruppe hat sich so sehr um die Patienten Sorgen gemacht, die keine Diagnose erhielten, dass sie die Schäden ignorierten, die sie bei den fehletikettierten Patienten verursachen. Sie versteht nicht, wie gefährlich eine falsche Diagnose einer psychischen Erkrankung für jemanden sein kann, der mit einer körperlichen Krankheit kämpft. · Die Eile der DSM-5-Arbeitsgruppe in den Druck zu gehen: Ich glaube, die Arbeitsgruppe hätte womöglich das Richtige getan, wenn sie nur genügend Zeit gehabt hätte, meine Vorschläge voll in Betracht zu ziehen. Aber es gab keine Zeit, und das aus lauter abwegigen Gründen. Die immer wieder auftretende Desorganisation des Entwicklungsprozesses von DSM-5 hat dazu geführt, dass alle Fertigstellungstermine nicht eingehalten wurden – außer dem letzten: dem Veröffentlichungsdatum im Mai 2013. Der Veröffentlichungstermin im Mai wurde nur aus einem Grund als unantastbar beibehalten – die Gewinne, die durch DSM-5 generiert werden, sind absolut entscheidend, um ein gähnendes Loch im APA-Haushalt zu füllen. So unter Zeitdruck war DSM-5 gezwungen, den geplanten Schritt der Qualitätskontrolle zu streichen und hat das Handbuch in hektischer Eile in letzter Minute zusammengestellt. Kein Zweifel, die Arbeitsgruppe wurde unter Druck gesetzt, mit dem Strom zu schwimmen, so dass DSM-5 in den Druck gehen kann. Das war die Geschichte des DSM-5 von Anfang bis Ende: übermäßiger Ehrgeiz, desorganisiertes Vorgehen, abgeschotteter Entwicklungsprozess, Tunnelblick und die Gewinne durch die Veröffentlichung über das öffentliche Vertrauen zu stellen. Das Ergebnis – eine Ausdehnung psychiatrischer Diagnosen, die gefährlich und wissenschaftlich unsolide ist. 1) Dimsdale JE. Medically Unexplained Symptoms: A Treacherous Foundation for Somatoform Disorders? Psychiatry Clin North Am. 2011 Sep; 34(3):511-3.
4. Ein neuer Blog-Titel und eine neue Mission: ‚Saving Normal’ - ‘Die Rettung des Normalen’DSM 5 ist immer noch in Bedrängnis, aber jetzt schon im Druck 7. Februar 2013 von Allen J. Frances, M.D. in DSM5 in Distress DSM 5 ist so gut wie unter Dach und Fach – die letzten Korrekturen sind zum Druck gegeben worden, und Mitte Mai soll es veröffentlicht werden. Ich habe vor drei Jahren angefangen, diesen Blog zu schreiben in der Hoffnung, die Leute, die an DSM 5 arbeiten, von ihren schlimmsten Entscheidungen abraten zu können. Ich bin im Großen und Ganzen gescheitert. Etwa ein Drittel meiner Ziele wurden fallengelassen, aber DSM 5 bleibt ein unverantwortliches und mangelhaft verfasstes Dokument, dass die Inflation an Diagnosen verschlimmern, unangemessene Behandlungen steigern, Stigmata hervorrufen und bei Klinikern und Öffentlichkeit Verwirrung stiften wird. Die APA [American Psychiatric Association – Herausgeber von DSM 5. d. Red.] wettet zynisch darauf, dass, wenn sich der Staub der Kontroversen und des Widerstands sich einmal gelegt hat, DSM 5 immer noch ein unfreiwilliges Publikum haben wird, das gezwungen ist, es zu kaufen und zu verwenden. Einige meiner sachkundigsten Freunde glauben, dass sie recht haben und dass ich meine Zeit größtenteils auf vergebliche Mühen verschwendet habe. Dem stimme ich nicht zu. Ich sehe es so, dass DSM 5 auf internationaler Ebene einen tödlichen Treffer erhalten hat und dass es in den USA weitgehend in Verruf geraten ist. Aber es kann sein, dass ich mich täusche. Meine Mission verändert sich jetzt. Die Leute, die an DSM 5 arbeiten, sind nicht mehr meine Hauptansprechpartner, und die Veränderungen in DSM 5 sind nicht mehr mein Hauptthema. Meine vorrangige Aufgabe ist jetzt, die Öffentlichkeit und die Kliniker aufmerksam zu machen auf Möglichkeiten, den diagnostischen Überschwang in Grenzen zuhalten und gegen eine übermäßige und fehlgeleitete Behandlung von Menschen zu kämpfen, die im Grunde genommen normal sind. Genauso wichtig ist es mir jetzt, mich dafür einzusetzen, dass die Ressourcen wieder denjenigen zukommen, die wirklich krank sind und die jetzt schmählich vernachlässigt werden. Der Blog wird sich auch umfassenderen Themen in der Psychologie und Psychiatrie widmen. Der neue Blog hat den gleichen Titel wie das Buch, das ich für die allgemeine Öffentlichkeit geschrieben habe – Saving Normal – und ist hier zu finden: The blog will also pick up on larger themes in psychology. http://www.psychologytoday.com/blog/saving-normal Alle Blogs der Reihe “DSM 5 in Bedrängnis“ werden weiterhin online sein, und die Leser können weiterhin Kommentare dazu abgeben. Ich habe außerdem noch ein anderes Buch für Kliniker geschrieben – Essentials of Psychiatric Diagnosis –, das eine praktische Zusammenfassung dafür liefert, wie man am besten eine genaue Diagnose stellt und wie man die Fallstricke des DSM 5 umgehen kann. Teil Drei der Blog-Reihe über die 'Somatic Symptom Disorder' in DSM 5 findet sich unter 'Saving Normal': http://www.psychologytoday.com/blog/saving-normal/201302/why-did-... Ich bin ein Technik-Idiot, aber meine Enkel und meine Verleger haben mich dazu gedrängt, die Welt von Twitter zu betreten, und ich werde unter @AllenFrancesMD twittern. Allen Frances, MD Autor von ‘Saving Normal’ und ‘Essentials of Psychiatric Diagnosis’
Links zu deutschsprachigen Berichten über DSM-5
Englischsprachige Links:
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