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    Artikel des Monats
Mai 09 Teil II

    Verlorene Stimmen werden laut

    30 erschütternde Lebensgeschichten in

    Lost Voices from a hidden illness

     

    vorgestellt von Regina Clos

    Text hier als pdf-Datei

    Wer immer noch zweifelt, dass CFS/ME eine verheerende Erkrankung ist, der sollte das kürzlich erschienene Buch „Lost Voices“ lesen. Ungläubigen Verwandten, Freunden, Ärzten und Gutachtern sollte man dieses Buch mit seinen beeindruckenden Bildern vorlegen, die zeigen, was diese zerstörerische Krankheit mit jungen Menschen anrichten kann: Aus ehemals gesunden, lebensfrohen Kindern werden junge Erwachsene, die jahrelang in einem abgedunkelten Raum in ihren Betten liegen, unfähig zu den einfachsten Alltagstätigkeiten und vollkommen angewiesen auf die Pflege ihrer Angehörigen.

    CFS/ME trifft unterschiedslos, und die Symptomatik ist so charakteristisch, dass sie schwerlich „im Internet angelesen“ oder bei jüngeren Menschen durch das Verhalten der Eltern absichtlich hervorgerufen – also ein sogenanntes Münchhausen-Syndrom sein kann.

    Allein die Geschichte des kleinen Ben straft alle Behauptungen einschlägiger Psychiater Lügen, „falsche Krankheitsüberzeugungen“ und „dysfunktionales Krankheitsverhalten“ sei die Ursache. Wie sollte wohl ein drei- oder fünfjähriges Kind mit CFS/ME sich „falsche Krankheitsüberzeugungen“ aneignen und dann exakt unter den gleichen Symptomen leiden wie ein Jugendlicher oder ein Erwachsener?

    Ben, ein bis dahin gesunder, lebhafter Junge, erkrankte im Alter von drei Jahren an Windpocken, von denen er sich zwar schnell erholte, aber in deren Folge er eine weitere Viruserkrankung bekam und schließlich schwere Symptome entwickelte: überwältigende Schwäche und Erschöpfung, massive Schlafstörungen in Form von Einschlaf- und Durchschlafstörungen, massives Schwitzen bei der kleinsten Anstrengung, Intoleranz gegenüber Sonnenschein und Lärm, beinahe jede Nacht Nasenbluten, Schmerzen in den Muskeln und schreckliche Angst- und Panikattacken. Alle diese Symptome wurden verstärkt, wenn Ben sich überanstrengt hatte. Er konnte nicht mehr in den Kindergarten gehen oder seine Freunde besuchen. Er brauchte drei Wochen, um sich von einem zweieinhalbstündigen Aufenthalt im Kindergarten zu erholen – und das bei einem Kind, das vor seiner Erkrankung gerne mit anderen Kindern getobt hatte und dies an „guten“ Tagen noch immer liebend gerne macht.

     

    „Die Patienten und Angehörigen, die in Lost Voices zu Wort kommen, sind Helden im besten Sinne des Wortes. Durch ihre Bereitwilligkeit, sich zu äußern, konnten wir ein neues Land betreten, eines, das von etwas Übernatürlichem erfüllt ist – von der Fähigkeit, Schmerzen und Zurückweisung zu ertragen und von einem kafkaesken, Orwell’schen Gesundheitssystem stigmatisiert zu werden. Ihr Mut und ihre lebensbejahenden Geschichten fordern uns zum Handeln heraus. Genauso wie die Bürgerrechtsbewegung und die Frauenbewegung unsere Aufmerksamkeit auf die schwerwiegenden Ungleichheiten und die Notwendigkeit, aktiv zu werden, gerichtet hat, zwingt uns Lost Voices die Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen mit ME zu erkennen und uns dem Kampf für eine Heilmethode anzuschließen.“

    Leonard Jason, Vizepräsident der International Association for CFS/ME (www.iacfsme.org)

    Da ist die Geschichte von Anna, die als Elfjährige erkrankte und nun mit 29 Jahren ihr furchtbar eingeschränktes Leben beschreibt, – ebenso wie die Schilderungen ihrer beiden Brüder Josh und Oliver und ihrer Eltern Natalie und Iain. Wie verheerend sich CFS/ME auch auf die Angehörigen der Patienten auswirkt, wird in dem Buch nur allzu deutlich: Auch ihre Welt verändert sich vollständig.

    So schreibt Iain, der Vater von Anna, dass die verständnislosen Reaktionen von Bekannten, Freunden und sogar Verwandten ihn tief verletzt und verwirrt haben: „Nach 15 Jahren jedoch habe ich es schließlich mehr oder weniger akzeptiert, dass die meisten Leute – insbesondere viel beschäftigte, ‚erfolgreiche’, gebildete Menschen – der Realität von Menschen wie Anna einfach nicht ins Gesicht sehen können. Sie können nicht damit umgehen, daran erinnert zu werden, dass sie letztlich ihr Leben doch nicht unter Kontrolle haben, dass weder noch so harte Arbeit, noch Geld oder Erfolg ihnen garantieren können, dass sich ihr Leben bessert, dass sie das Glück erreichen werden, von dem sie denken, es verdient zu haben.

    Sie wollen nicht daran erinnert werden, dass ihr Glaube an die Macht der Wissenschaft, durch neue Technologien und neue Medikamente eine bessere Zukunft zu schaffen, am Ende so unvollkommen und fragwürdig ist wie jeder religiöse Glaube. Ich habe gelernt, dass wir als Familie das Schreckgespenst sind, das die Feier stört, eine unwillkommene Erinnerung an den hohlen Schein so vieler Überzeugungen, von denen unsere Gesellschaft lebt.“

    Annas Mutter Natalie schreibt: „Viele Nächte habe ich wachgelegen, gequält von Trauer und Sorge um unsere reizende, hübsche und lebendige 12-jährige Tochter, die da lag und unerträgliche Schmerzen hatte, Schmerzen, die ich durch nichts lindern konnte, Schmerzen, die so stark waren, dass sie ihr die Tränen nahmen, dass sie nicht mehr atmen konnte, nicht mehr sprechen konnte, um uns zu sagen, was mit ihr los war.“

    Ihr Bruder Josh schreibt: Sechzehn Jahre ist es her, dass ich eine große Schwester hatte, eine schlaue, lustige, fürsorgliche und liebevolle Schwester - die ihr Bestes tat, um ihre zwei jüngeren Brüder, rauflustige und wahrscheinlich ziemlich unerträgliche kleine Brüder, in Schach zu halten. Sie war die älteste und klügste, jeweils die erste, die etwas Neues erlebte, die erste, die in die Schule ging, die erste, die nach Frankreich fuhr. Sie war da, um in jenen furchterregenden ersten Schultagen der Grundschule auf mich aufzupassen, sie war da, um mit ihr zu spielen, fernzusehen oder um sich an sie zu wenden, wenn man Hilfe und Unterstützung brauchte.

    Jetzt ist sie erschöpft, unfähig zu kommunizieren, mit diesem glasigen Blick der totalen Erschöpfung. Sie hat schlicht nicht die Energie um zu laufen, geschweige denn, die Treppe zu steigen. Jetzt kommt es vor, dass ich meine gebrechliche 28-jährige Schwester in meinen Armen die Treppe hinauf in ihr Zimmer trage. Es dauert oft Wochen oder Monate, bevor sie sich von der Anstrengung erholt hat, die es für sie bedeutet, wenn sie sich zwingen muss, einen Arzt aufzusuchen, um die Leute daran zu erinnern, dass es sie immer noch gibt, immer noch krank nach all den Jahren.

     

    Annas Geschichte

    Es fing im Jahr 1990, als sie zehn Jahre alt war, mit einer schweren lungenzündungsartigen Infektion an, von der sie sich nie wieder richtig erholte. Zwei Jahre danach wurde sie nach einigen Margen-Dar-Infektionen furchtbar krank, mit unerträglichen Schmerzen in der Brust. Sie war mit ihren 12 Jahren zu krank, um jemals wieder in die Schule zu gehen oder irgendein soziales Leben zu haben. Ein Arzt, der Mitglied der Forschungsgruppe Newcastle war, stellte die Diagnose ME, das von einem Enterovirus Coxsackie B4 verursacht worden sei. Dies hatte außerdem zur Bornholmer Krankheit und zum Hashimoto-Syndrom geführt. Der Hausarzt, den wir damals hatten, war nicht in der Lage, den entsprechenden Behandlungsanweisungen zu folgen, und seitdem waren die Behandlungen und die Ratschläge, die Anna erhielt, irgendetwas zwischen unwirksam und katastrophal obwohl sie in dieser Zeit bei vielen Ärzten des National Health Service (NHS) war, die der Diagnose zugestimmt hatten.

    Annas Krankheitsverlauf war schwankend. Langsam machte sie Fortschritte, und nachdem sie das Lesen wieder gelernt hatte, konnte sie über einige Jahre hinweg wieder etwas lernen. Aber dann kamen schwere Rückfälle, wenn sie mal wieder eine Infektion eingefangen oder zuviel gemacht oder es mit Graded-Exercise-Therapie versucht hatte oder durch einen Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI einem Mittel gegen Depressionen, d.Ü.) schwere Nebenwirkungen bekam, die ihre Fähigkeit zu lernen völlig zunichte gemacht haben.

    Der letzte und unerwartete schwere Rückfall im Jahr 2005 führte dazu, dass sie bettlägerig wurde, in einem abgedunkelten Raum lag und zu schwach war, um sich im Bett ohne Hilfe aufzusetzen und ohne Hilfe zu essen und zu trinken oder zu verdauen. Die Veränderungen, die das Virus in ihrem Immunsystem hervorgerufen hatten, führten zu Überempfindlichkeiten auf die meisten Nahrungsmittel und gegenüber verbreiteten Chemikalien wie Parfümstoffe, Deodorants, Waschmittel, Autoabgase etc. Ihre Lärmempfindlichkeit wurde noch stärker, und sie musste sich sogar von den Mitglieder der eigenen Familie fernhalten. Sie hatte ständige und oft unerträgliche Schmerzen, die durchs Essen verstärkt wurden und so nahm sie innerhalb weniger Monate fast 20 kg ab.

    Mit einer besseren Behandlung geht es Anna jetzt allmählich besser, aber sie hat immer wieder Rückfälle. Sie kann das Bett verlassen und sich für kurze Zeit ein wenig im Haus bewegen, und sie hat auch wieder gelernt, ein bisschen zu lesen. Das Laufen fällt ihr schwer, weil ihr Gleichgewicht und die Koordination sehr schlecht sind und ihr oft schwindlig ist. Ihre Bewegungen sind jetzt so steif wie die einer alten Frau, während sie früher elegant und beweglich und sehr aktiv war. In ganz kurzer Zeit hat sie alle Energie, die sie hat, verbraucht. Wenn sie mehr als ein paar Schritte zu laufen versucht, dann führt das zu einer Verstärkung all ihrer Symptome, insbesondere zu starken Schmerzen, zu Erschöpfung, zu Sehstörungen, zu Ohrgeräuschen und Schlafstörungen, und das dauert dann Tage oder gar Wochen an. Sie ist jetzt auf einen Treppenlift und auf einen Rollstuhl angewiesen. Die stechenden Schmerzen in ihrer Brust, die schlimmer werden, wurden diagnostiziert als Folge davon, dass ihr Herz gegen eine entzündete Stelle an ihrem Herzbeutel reibt, die durch die Ausbreitung des Virus' verursacht wurde.

    Es ist jetzt 16 Jahre her, seitdem sie zu krank geworden war, um zur Schule zu gehen. Den größten Teil ihrer Teenagerjahre und ihrer Zwanziger Jahre war sie weitgehend ans Haus gefesselt. Die meisten ihrer Freunde hat sie niemals oder nur einmal persönlich getroffen während einer kurzen Phase der Besserung, die von einem schweren Rückfall gefolgt wurde. Sie ist völlig abhängig von ihrer Familie, und zwar in allen Aspekten ihres Lebens. Trotzdem ist sie weiterhin außerordentlich optimistisch und entschlossen, und sie ist äußerst interessiert an allem, was in der Welt so vor sich geht.                                                                          September 2007

    Ein Jahr später setzt sich Annas Besserung fort, mit Hilfe und Behandlung durch ihren Arzt, die auf der Grundlage von Ratschlägen von Ärzten beruhen, die sich mit ihrer Krankheit gut auskennen. Man hofft, dass sie sich im Verlauf der nächsten zehn Jahre mit Hilfe ständiger Behandlung und Versorgung soweit erholt, dass sie auf etwa 60 - 80% der Funktionsfähigkeit eines Gesunden kommt. Leider ist das eine Prognose, die sich ziemlich von der unterscheidet, die ihr von Ärzten und Fachärzten mit voller Überzeugung und immer wieder versprochen wurde, nämlich, dass sie in ein paar Wochen oder Monaten, in einem, zwei, vier oder sieben Jahren etc. wieder vollständig gesund sein würde. (a.a.O., S. 101)

    Die Geschichte von über 30 jungen Patienten mit schwerem ME/CFS werden, von ihnen selbst und von ihren Eltern, Geschwistern, Großeltern, Tanten, Freunden und Betreuern geschildert. Drei der Patientinnen leben nicht mehr – sie sind an den Folgen ihrer Erkrankung gestorben, darunter auch Sophia Mirza, deren Schicksal auf einer von ihrer Mutter unterhaltenen Website ausführlich beschrieben wird (www.sophiaandme.org.uk – siehe auch www.cfs-aktuell.de/juni06_2.htm)

    Eingerahmt werden die „verlorenen Stimmen“, von einem Vorwort von Leonard Jason, einer Einführung mit Hintergrundinformationen und vier weiteren Beiträgen von selbst betroffenen Forschern und Aktivisten, u.a. von Anette Whittemore, Mitbegründerin und Direktorin des im Bau befindlichen Whittemore-Peterson-Institutes zur Erforschung neuro-immunologischer Erkrankungen in Reno, Nevada.

    Das Buch erschüttert und macht zugleich Mut, den eigenen Kampf aufzunehmen oder fortzusetzen – als Betroffene, Angehörige oder Aktivistin, denn die Kraft, die die Betroffenen mit ihren Familien ausstrahlen, ist ansteckend. Lost Voices vermittelt das tröstliche Gefühl, dass man nicht allein ist mit Schmerz, unendlicher Kraftlosigkeit und unbeschreiblichem Krankheitsgefühl, mit Isolation und Stigmatisierung – und dass wir unermüdliche Fürsprecher haben.

    Das 120-seitige Buch ist im DIN-A-4-Querformat in aufwendigem Hochglanzfarbdruck erschienen und wird mit 9 britischen Pfund unter dem Selbstkostenpreis verkauft. Die Texte sind mit einfachen Englischkenntnissen leicht zu verstehen. Der Band ist reich mit Fotografien und Zeichnungen illustriert.

    Lost Voices
    from a hidden illness

    For Invest in ME by Natalie Boulton,
    Wild Conversations Press for Invest in ME, 2008, ISBN: 978-0-9560266-0-6

    Für ca. 11 Euro zu beziehen über die Website von Invest in ME: www.investinme.org