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    Artikel des Monats September 2012 Teil 2

    Den Unsichtbaren Gesicht und Stimme verleihen

    Benefizkonzert für eine schwer an ME/CFS erkrankte junge Frau

    Unsichtbar ist sie für ihre Umwelt geworden – Nadine, 26 Jahre alte Studentin mit Erwartungen ans Leben, mit Freude auf das, was sie im Leben erwartet, mit dem Wunsch nach einem erfüllenden Beruf, nach Gründung einer Familie, früher eingebunden in viele soziale Zusammenhänge und mit Spaß am Leben. Nein, sie ist nicht gestorben, sie ist einfach nur „von der Bildfläche verschwunden“. Denn sie leidet an schwerem ME/CFS, das sie ans Haus und weitgehend auch ans Bett fesselt. Damit ist sie beinahe unsichtbarer geworden, als wenn sie gestorben wäre, denn das hätte ihr weiteres Umfeld – wahrscheinlich mit Entsetzen und Trauer – wahrgenommen. Aber ME/CFS lässt die Menschen einfach nur aus dem Blickfeld ihrer weiteren Umwelt verschwinden und häufig verstummen.

    Wären da nicht ihr Partner, ihre Familie, Freundinnen und Freunde, ihre Studienkollegen und viele andere, die ihr mit einem grandios organisierten Benefizkonzert eine Stimme verliehen haben. Hier ging es nicht nur darum, Geld für die teure Behandlung der Erkrankten zu sammeln, sondern vor allem auch, Informationen über diese, wie der Sprecher sie zu recht nannte, heimtückische Krankheit zu verbreiten.

    Ihre Freundin Janina Schulte, Cello-Solistin, gab am 24.8.2012 in der Kirche St. Ignaz in Mainz ein Cello-Konzert mit Stücken von Johann Sebastian Bach, Lucio Franco Amanti, einem zeitgenössischen, jungen Musiker, und Mikis Theodorakis. Die Cellistin wurde von einem Einführungsvortrag des Psychologen Daniel Kouvaris und weiteren kurzen Statements zwischen den Stücken umrahmt. Die Organisation war perfekt, und die Redebeiträge berührend und beeindruckend, mit denen das Leiden der jungen Frau und zentrale Informationen über ihre Krankheit ME/CFS dargestellt wurden. „Der Körper ist in den vier Wänden des Schlafzimmers eingesperrt, und die Seele ist im Körper eingesperrt.“ – treffender hätte Danie Kouvaris die Lage der erkrankten Nadine kaum beschreiben können.

    Viele junge Menschen haben hier zusammengewirkt, und selbst die Friseurin, die Janinas Haar kunstvoll frisiert hatte, spendete ihre Arbeit für den guten Zweck.

     Das Ereignis hat gezeigt, dass auch Einzelne etwas verändern können, dass es vieler kleiner Schritte und Bausteine bedarf, um die Lage der Menschen mit ME/CFS zu verbessern. Denn mit dem, was die Zuhörer an diesem Abend erfahren haben, werden sie mit Sicherheit in Zukunft aufmerksamer und achtsamer sein, wenn sie von anderen Kranken hören, die vielleicht an der gleichen Krankheit leiden. Und die noch nicht wissen, dass ihr Leiden einen Namen hat: ME/CFS.

    So werden vielleicht auch andere Patienten erreicht, die noch vereinzelt sind, die sich vielleicht verstecken, die sich schämen über ihr Nicht-mehr-Können, die von Ärzten missverstanden, falsch diagnostiziert und falsch behandelt werden, die mit Behörden, Rentenversicherern, Krankenkassen und Arbeitsämtern kämpfen und so oft durch alle sozialen Netze fallen, die mit letzter Kraft verzweifelt an ihrem alten Leben festhalten und versuchen, die Leistungen zu erbringen, die sie früher mit Leichtigkeit geschafft haben, die damit oft die letzten Reserven aus ihrem kranken Körper herausholen, bis sie vollkommen zusammenbrechen und sich letztlich mit diesem verzweifelten Auflehnen gegen die Krankheit mehr schaden als nutzen.

    (Bild rechts: Die Cellistin Janina Schulte im Gespräch mit der Mutter einer ebenfalls schwer an ME/CFS erkrankten jungen Musikstudentin. (Bild unten: Spendensammetopf.)

    Das Benefizkonzert hat so vielleicht nicht nur Nadine geholfen, gehört zu werden, besser verstanden zu werden und etwas von ihrer teuren Behandlung finanzieren zu können, sondern auch anderen Erkrankten, denen noch keiner Stimme und Gesicht verliehen hat, die noch unverstanden, gedemütigt, allein gelassen und verzweifelt, oft verarmt und voller Angst vor Behörden, Gutachtern, Arbeitsamt, MDK und Sozialbehörden sind. Vielleicht macht es ihnen Mut, für ihre Rechte einzustehen, wieder aufrecht zu gehen und, soweit sie noch Kraft dafür haben, ihre Stimme zu erheben. Vielleicht macht es deren Familien und Freunden Mut, nach außen zu gehen, ähnliche Aktionen durchzuführen und für die Interessen der Kranken einzutreten.

    Denn das ist es, was sie, was wir brauchen: Gesunde Menschen, die für sie, für uns „laut“ werden. Ein großes DANKE deshalb an alle, die dieses beeindruckende Benefizkonzert auf die Beine gestellt haben.

    Im Wiesbadener Tagblatt und in der Allgemeinen Zeitung Mainz ist am 28.8.12 je ein Bericht von Rotraut Hock unter dem Titel "Bach für Schwerkranke" erschienen.

    Bericht: Regina Clos