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    Shattered. Life with ME

            Lynn Michell

    Mai 2003

    HarperCollinsPublishers

    ISBN 0 00 715503 4

    Buchbesprechung

    von Regina Clos

    Die Medizinsoziologin Lynn Michell hat mit „Shattered“ [zu deutsch etwa „zerschmettert, zerstört, in Stücke zerbrochen“] ein bemerkenswertes Buch über das Leben mit CFS/ME verfasst. Es beruht auf ausführlichen Interviews mit ca. 30 Erkrankten und ihren Angehörigen, die sie in ausgewählten und thematisch gut geordneten Zitaten zu Wort kommen lässt. Lynn Michell selbst sowie einer ihrer Söhne sind seit einer „banalen“ Viruserkrankung im Jahr 1987 schwer an CFS/ME erkrankt. Andere damals Betroffene wie ihr zweiter Sohn und einige Erwachsene aus der Universitätsabteilung ihres Mannes haben mehrere Jahre gebraucht, um sich wieder zu erholen.

    Ihre Expertise zum Verfassen eines solchen Buches zieht sie somit nicht nur aus ihrem Beruf, sondern auch aus eigener Erfahrung als Betroffene und Mutter eines erkrankten Kindes.

    Dr. Vance A. Spence schreibt in seiner Einleitung: „Lynn Michell verknüpft die Berichte auf sachkundige Weise zu einem reichhaltigen Mosaik, in dem die zentralen Themen herausgehoben werden, die diese Krankheit beherrschen: das Fehlen einer anerkannten Diagnose, die Skepsis der Mediziner, der Mangel an Unterstützung durch die Familie und Freunde, die Ödnis der Erschöpfung und der Schmerzen, die Einsamkeit, die mit der Suche nach Hilfe und Verständnis verbunden ist. Dies sind nicht Aussagen von Profis, die ihre Karriere vorantreiben müssen, sondern die Stimmen ganz realer Menschen, die Furchtbares zu berichten haben.“ (a.a.O. S. XI ff)

    Die vier Hauptkapitel des Buches sind in sich thematisch nochmals klar untergliedert.

    Das erste Kapitel „Telling how it is“ ist eine einfühlsame Zustandsbeschreibung, wie ME das Leben der Interviewten auf einschneidende Weise verändert hat. Nicht nur die körperlichen Symptome, sondern auch die sozialen, finanziellen und psychischen Folgen werden so geschildert, dass sie auch für Gesunde nachvollziehbar sind. Sehr berührend sind ihre Interviews mit Kindern und Jugendlichen, die Erfahrungen und Belastungen ausgesetzt sind, die ein seelisch gefestigter Erwachsener kaum verkraften könnte.

    Das zweite Kapitel “Dialogues with a disbelieving society” beschreibt die häufig negativen, aber gelegentlich auch ermutigenden und hilfreichen Erfahrungen mit dem sozialen Umfeld, mit Ärzten, alternativen Heilern, Sozialarbeitern, Lehrern, Freunden und der Familie. Betroffene Leser werden sich in den klaren Schilderungen und in Lynn Michells Analysen der Ursachen und der Dynamik der Kommunikationsschwierigkeiten mit der Umwelt wiederfinden können. Erschütternd sind insbesondere die Berichte der Kinder und Jugendlichen, die häufig regelrechter Misshandlung seitens der sozialen Dienste, der Ärzte, der Schule, der Mitschüler etc. ausgesetzt waren und teilweise, statt Hilfe zu erfahren, zwangsweise in Heimen für Schwererziehbare, Abteilungen für Drogenkranke oder geriatrischen Abteilungen von Krankenhäusern und Psychiatrien untergebracht wurden. Die Konflikte und Nöte, in die die Eltern dieser Kinder dadurch gerieten, sind trotz der deutlichen Schilderungen nur zu erahnen.

    Das dritte Kaptitel „Relationships“ beschreibt den Einfluss auf die familiären Beziehungen und die Möglichkeiten, Unterstützung bei Selbsthilfeorganisationen etc. zu suchen. Aus den Schilderungen wird klar ersichtlich, welche Belastung eine so behindernde Erkrankung wie CFS/ME für Partner, Geschwister und Eltern und das Verhältnis der Familie zum weiteren sozialen Umfeld darstellt. Wie in einem Brennglas werden dadurch vorhandene Konflikte und Strukturen – auch unterstützende und liebevolle – hervorgehoben und verstärkt. Lynn Michels klare Beschreibung der Konfliktstrukturen kann betroffenen Lesern helfen, entsprechende eigene Erfahrungen zu sortieren und Distanz zu ihnen zu gewinnen.

    Im vierten Kapitel „Coping with ME“ geht es um die verschiedenen Stadien der Krankheitsverarbeitung. Die Zitate und Analysen sind ein ermutigender Beleg dafür, wie es den Erkrankten gelingt, sich nach einer anfänglichen Phase der Verleugnung, dem Versuch, trotz allem das alte Leben weiterzuführen und der bitteren Erfahrung, dass dies nicht möglich ist, schließlich ein neues, anderes Leben aufzubauen und sich mit den Einschränkungen einzurichten.

    Das Buch vermittelt gerade durch dieses letzte Kapitel Hoffnung und Mut und kann denjenigen eine Hilfe sein, die noch in den Anfangsstadien dieses Prozesses stecken. Ihnen kann es einen Weg weisen aus der Verzweiflung, durch die alle Erkrankten im Angesicht dieser Erkrankung hindurch gehen. Lynn Michell zeigt anhand der Interviews auf, dass es nicht nur ein Leben nach, sondern auch ein lebenswertes Leben mit CFS/ME gibt.

    Lynn Michells Buch ist kein medizinisches Fachbuch, sondern von Betroffenen für Betroffene und deren Angehörige und Freunde geschrieben. Dennoch ist es wissenschaftlich fundiert und beruht auf dem neuesten Stand der CFS/ME-Forschung. Es kann für diejenigen, die mit CFS/ME-Patienten zu tun haben – ob privat oder professionell – und die den Mut finden, sich in die beängstigende Erfahrungswelt der Kranken einzufühlen, eine wertvolle Hilfe zum Verständnis der Probleme der Krankheit als solcher und ihrer sozialen Auswirkungen sein.

    Leider ist das Buch in englischer Sprache verfasst und es bedarf schon einiger Englischkenntnisse, um die Feinheiten und damit den Wert des Buches erfassen zu können.

    © Regina Clos November 2005