Vom 6.
bis zum 30. Lebensjahr: Ein Leben mit ME
Von Emily Collinridge,
Autorin des Buches
“The Essential Severe ME Handbook”
Original
hier
Ich war ein sehr glückliches
Mädchen von 6 Jahren. Ich liebte die Schule und meinen Freund. Ich
konnte stundenlang im Schwimmbad verbringen und wollte auf alles
hinaufklettern, was ich sah.
Ich konnte es nicht erwarten, ein
richtiges Fahrrad ohne Stützräder zu bekommen. Das Leben lag vor
mir, und ich wollte es eigentlich voll auszukosten. Dann brach in
meiner Klasse die Mumps aus.
Meine
Klassenkameraden rannten weiter auf dem Schulhof herum, aber ich lag
wochenlang im Bett. Mit der Zeit ging ich wieder in die Schule, aber
die Vitalität meiner Kindheit war weg. Wenn ich nach der Schule
nachhause kam, musste ich so dringend schlafen, dass ich im Haus
nicht mehr die Treppe hochkam und dann im Paterre für mehrere
Stunden nur noch still daliegen konnte. Ich hatte rätselhafte
Schmerzen, die durch meinen ganzen Körper wanderten, und eine
„Reizblase“ machte mich wahnsinnig. Ich hatte Mühe, einen Stift
festzuhalten, und meine Augen konnten nichts mehr richtig
fokussieren. Mein scharfer Verstand wurde zunehmend benebelt – meine
Lehrer waren bestürzt dass, ihre durchweg tüchtige und selbstsichere
Schülerin jetzt ständig wiederholte: „Ich kann das nicht, ich kann
das wirklich nicht.“ Ich war ein schüchternes, empfindliches Kind
geworden, und diese rätselhaften Symptome waren so merkwürdig, so
schwankend, so verwirrend, dass sie mir peinlich waren und ich mich
sogar dafür schämte. Als die Ärzte sich keine ernsthaften Sorgen um
meinen Gesundheitszustand machten, fing ich an zu verstecken, wie es
mir ging und kämpfte mich alleine durch. Meine Mutter wusste, dass
ich „anders“ war als andere Kinder, aber erst, als es kaum noch
möglich war, meine Symptome zu verbergen, wurde jedem klar, dass mit
meiner Gesundheit etwas ganz entscheidend nicht stimmte. Zu dem
Zeitpunkt war ich dann schon kurz vor dem Übergang in eine
weiterführende Schule.
Das war in den
frühen 90er Jahren, und das Unwissen über ME war noch weit
verbreitet. Da es keinen offensichtlichen Grund für meinen stetig
schlechter werdenden Gesundheitszustand gab und ich immer noch keine
Unterstützung durch die Ärzte hatte, war ich gezwungen, ein so
normales Leben wie möglich zu führen. Normal bedeutete, dass ich
morgens körperlich aus dem Bett in die Schule gezerrt wurde, nur um
dort zusammenzubrechen und wieder nachhause geschickt zu werden
oder, im schlimmeren Fall, mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus
gefahren zu werden. Normal bedeutete, am Fuße der Schultreppe zu
stehen und zu weinen bei dem Gedanken, dass ich da jetzt hochsteigen
musste. Normal bedeutete, dass meine beste Freundin meinen
Schulranzen tragen musste, weil ich selbst dafür zu schwach war. Es
bedeutete, dass ich schikaniert und dafür verachtet wurde, dass ich
eine bis dato noch nicht benannte, aber schwerst behindernde
Krankheit hatte. Es bedeutete schmerzhafte Selbstzweifel, die sich
bald in Selbsthass verwandelten – wenn ich dann nicht krank war, so
war ich wohl eindeutig ein fehlerhafter Mensch. Am meisten bedeutete
es Isolation und Leid – sollte ich für den Rest meines Lebens so
leiden müssen?
Als ich 14 Jahre alt
war, waren sowohl der Schulbesuch als auch Hausunterricht körperlich
ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Da meine Beine kaum oder
manchmal gar nicht mehr gehorchten, brauchte ich jetzt einen
Rollstuhl. Schließlich wurden meine Ärzte dann doch aufmerksam.
Endlich wurde ihnen klar, dass da etwas nicht stimmte. ME. Eine
chronische neurologische Krankheit, ausgelöst durch ein Virus. In
meinem Fall durch die Mumps. Ich war unglaublich erleichtert. Jetzt
würde ich nicht mehr jeden Tag gegen meine Schmerzen ankämpfen und
meine Behinderung ignorieren müssen. Und wenn es eine Krankheit war,
dann würde sie sicher eines Tages auch wieder weggehen. Es ist kaum
vorstellbar, wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich damals gewusst
hätte, dass ich 15 Jahre später nicht nur noch immer auf diese
ausbleibende Gesundung warten würde, sondern dass ich noch viel
kränker sein würde.
Die Verschlechterung
schritt immer weiter fort, und im Alter von 16 war ich dann ans Haus
gefesselt. Aber ich war damals wild entschlossen, dass ME mein Leben
nicht ruinieren würde. Die Association of Young People with ME
(als AYME bekannt) suchte nach Freiwilligen, und ich ergriff die
Gelegenheit. Ich wollte schon lange im Bereich Öffentlichkeitsarbeit
für Selbsthilfeorganisationen tätig werden und war selbst erstaunt
darüber, dass ich das trotz meiner Bedingungen machen konnte. Und
ich wurde von meiner Wahl der Beschäftigung nicht enttäuscht. Die
nächsten fünf Jahre waren äußerst bereichernd, und ich fühlte mich
geehrt, dass meine Leistungen zweimal mit einem Preis anerkannt
wurden – dem Whitbread Volunteer Action Awards. Aber meine
Behinderung war jetzt erheblich. Ich brauchte jemanden, um mich zu
baden und manchmal auch, um mich anzuziehen, um zu essen und mir zur
Toilette zu helfen. Abends hatte ich regelmäßig die Fähigkeit zu
sprechen verloren, und die Schmerzen waren nachts so schlimm, dass
meine Mutter aufstehen und mir noch mehr helfen musste. Das hat mich
aber nicht daran gehindert, mich noch weiter in die Welt hinaus zu
begeben. Mit 21 fing ich (immer noch aus dem Bett heraus) eine drei
Jahre andauernde befriedigende Arbeit als Projektberaterin für
verschiedene Selbsthilfeorganisationen an, darunter auch Home
Start, die führende Organisation Großbritanniens zur
Unterstützung von Familien.
Aber im Jahr 2005,
als ich 24 Jahre alt war, nahm mein Leben eine sehr grausame Wende.
Eine Zeitlang wussten die Ärzte nicht, wie sie meine extremen
Schmerzen behandeln sollten, und ich habe mich ein weiteres mal zu
sehr angestrengt; ich bin in einen Abwärtsstrudel geraten und bin in
einem Ausmaß krank geworden, das in seiner Schwere schockierend und
überwältigend war. Ich hatte keine Vorstellung davon, dass die
moderne Medizin ein solches Leid zulassen würde. Ich wusste, dass
meine Familie und meine Ärzte genauso hilflos, verzweifelt und
verängstigt waren wie ich selbst. Ich verlor die Fähigkeit zu
schlucken, zu sprechen, zu sehen, mich zu bewegen. Ich war doppelt
inkontinent, oft gelähmt, musste mit einer Sonde ernährt werden und
hatte unglaubliche Schmerzen, die durch hohe Dosen Morphium nur
teilweise gedämpft wurden. Meine Übelkeit war so extrem, dass sie
mit Medikamenten behandelt werden musste, die normalerweise
Patienten vorbehalten sind, die sich einer Chemotherapie unterziehen
müssen. Ich ertrug keinerlei Reize – und obwohl ich meine Augen
nicht öffnen konnte und in einem abgedunkelten Raum lag, mussten
meine Augen ständig abgedeckt bleiben; ich trug 23 Stunden am Tag
Ohrenstopfen und die reine Anwesenheit eines Menschen in meinem
Zimmer war für mich wie ein tätlicher Angriff. Es gab Zeiten, in
denen ich nicht einmal mehr meine eigene Mutter erkannte und nicht
wusste, wo ich war. Im Jahr 2006 gab es außerordentliche
Komplikationen, an denen ich beinahe gestorben wäre. Die meiste Zeit
des Jahres 2007, über das sich das Elend hinwegzog, bedauerte ich
die lebenserhaltenden Maßnahmen und ich sehnte mich danach, der
Hölle zu entkommen, die mein Leben war. Aber ich hatte unglaubliches
Glück. Ende 2007, als ich wirklich das Gefühl hatte, nicht mehr
weiterzukönnen, hat sich mein Körper erholt.
Die Besserung kam
langsam. Der erste große Meilenstein war, mein eigenes Gesicht
waschen zu können. Schließlich ging es mir soweit besser, dass man
die Vorhänge zurückziehen konnte. Als ich dann in der Lage war, im
Bett aufzusitzen und später sogar an der Bettkante zu sitzen,
konnten meine Familie und ich nicht aufhören, vor Begeisterung zu
strahlen, dass ich meine Füße ohne unerträgliche Schmerzen auf den
Boden aufsetzen konnte und ohne davon ohnmächtig zu werden. Mit der
Zeit fing ich an, mit einem Gehgestell ein paar wackelige Schritte
zu machen, mit Hilfe eines elektrischen Lifts ein Bad zu nehmen, mit
einem Treppenlift ins Paterre herunterzukommen und ab und zu sogar
für ein paar Minuten raus in die Sonne zu können, mit einem
Rollstuhl, den man zu einer Liege verwandeln konnte. Am Ende konnte
ich sogar mit meiner Familie zusammen sein – meine Eltern und ich
fingen an, einmal in der Woche einen Filmabend zu machen, der trotz
der körperlichen Anstrengung unglaublich viel Spaß machte. Und ich
konnte regelmäßig einmal in der Woche ein Telefonat mit einer lieben
Freundin führen. Ich habe es sogar geschafft, mein erstes Buch zu
schreiben – Severe ME/CFS: A Guide to Living. Im Nachhinein
weiß ich nicht, wie ich das geschafft habe, da ich ja immer noch so
schrecklich krank war. Das Buch wurde von meinen Leidensgenossen,
von meinen Pflegern und von den Ärzten positiv aufgenommen, und
innerhalb weniger Tage nach Erscheinen kamen massenweise
Bestellungen aus der ganzen Welt. Meine Träume schienen wahr zu
werden; ich hatte schließlich das Gefühl, die Vorstellung wagen zu
können, dass ich eines Tages ein Leben haben könnte, das nicht von
einer lähmenden Krankheit beherrscht sein würde. Ich war so voller
Hoffnung und Lebenslust. Aber dieses Glück sollte nicht lange
andauern.
Ein schwieriger und
unvermeidbarer Krankenhausaufenthalt im Jahr 2009 brachte einen
niederschmetternden Schlag mit sich: einen vernichtenden Rückfall.
Ich wurde in die unbeschreibliche Hölle zurückgeworfen, die ME in
seinen schlimmsten Ausprägungen ist, und ich wusste nicht, wie ich
das ertragen sollte. Ich war erneut in einem Körper gefangen, der
mich 24 Stunden am Tag quälte, und es gab kein Entkommen. In den
ersten sechs Monaten des Jahres 2010 war ich vier mal im
Krankenhaus, weil mein Körper darum kämpfte, die intensiven Symptome
zu überleben. Ich habe in diesem Zeitraum insgesamt neun Wochen im
Krankenhaus verbracht; ich hätte noch länger bleiben sollen, aber
bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt war man nicht in der Lage,
die für mich notwendigen Bedingungen zu gewährleisten, und so war
ich gezwungen, mich selbst zu entlassen, bevor irreparable Schäden
entstanden wären. Manche Tage im Krankenhaus gehörten zu den
beängstigendsten in meinem ganzen Leben – und das alles, weil das
Krankenhaus keine Umgebung bieten konnte, die für jemanden mit
schwerer ME geeignet gewesen wäre, und so wurde mein Zustand noch
hundert mal schlimmer (es war so schlimm, dass ich nicht weiß, wie
ich es geschafft habe, nicht zu schreien – aber ich habe es nicht
geschafft, nicht zu schluchzen). Man hat mir für die langfristige
intravenöse Ernährung und Medikation einen zentralen Zugang gelegt,
den man aber entfernen musste, als ich eine schwere Infektion bekam;
allein das war ein weiterer schwerer Schlag, da andere Verfahren zur
Verabreichung von Mitteln zur Erleichterung der Symptome, die für
mich so lebensnotwendig sind, nicht so wirksam sind und es aufgrund
von Komplikationen für mich gefährlich ist, mich mit einer Sonde zu
ernähren. Alles was ich wollte war, die Uhr um ein Jahr
zurückzudrehen. Die alte Floskel, dass die einfachen Dinge im Leben
die besten sind, ist so wahr. Ich sehnte mich danach, frische Luft
auf meiner Haut zu spüren, eine Mahlzeit zu mir zu nehmen, das
Gefühl von frisch gewaschenem Haar zu genießen … aber am meisten
sehnte ich mich danach, mich etwas weniger krank zu fühlen.
Natürlich konnte niemand mir das ermöglichen. Irgendwie musste ich
die Stärke aufbringen, den Alptraum zu akzeptieren, in dem ich
gefangen war, und den Glauben daran aufrechtzuerhalten, dass mein
Gesundheitszustand sich mit der Zeit wieder bessern würde.
Und wie sieht mein
Leben jetzt aus? Dank der starken Medikamente, die mir rund um die
Uhr mit einer Spritzenpumpe verabreicht werden und der Injektionen,
die zur Zeit bestimmte Symptome in einem relativ stabilen Zustand
halten, schaffe ich es, nicht ins Krankenhaus zu müssen. Es bräuchte
jedoch nur wenig, um das zu verändern, und so leben meine Familie
und ich mit der ständigen Angst, wann meine nächste gesundheitliche
Krise zuschlagen wird. Es ist unmöglich zu beschreiben, wie krank
ich mich jede Minute eines jeden Tages fühle – viele Leute würden
das nicht glauben, aber es ist schlimmer als in der Zeit, in der ich
auf der Intensivstation war, mein Körper in einem Schockzustand war
und meine Organe versagten. Es scheint wirklich unglaublich zu sein,
dass ich nicht tatsächlich am Sterben bin. Ich schlafe bis zu 20
Stunden am Tag, und die einzigen Menschen, die jemals mein
abgedunkeltes Zimmer betreten, sind meine Mutter (die mich 24
Stunden m Tag pflegt und deshalb selbst praktisch ans Haus gefesselt
ist) und die Gemeindeschwestern, die uns unterstützen; ich habe mit
niemandem sonst unmittelbaren Kontakt, nicht einmal mit meinem Vater
– obwohl wir unter einem Dach leben –, weil es mir dafür einfach
nicht gut genug geht. Wenn man mich versorgt, so geschieht das meist
in absoluter Stille, da ich selbst nur flüstern kann und ich mich
noch viel schlimmer fühle, wenn ich andere Menschen sprechen höre.
Aber wenn meine Mutter ins Zimmer kommt, dann kommen mir all die
Gedanken, Gefühle und Ideen in den Sinn, die ich so gerne mit ihr
teilen würde, und das nicht zu können, ist schlimmer als schlimm;
noch schlimmer ist es, so viel Zeit damit verbringen zu müssen,
alleine da zu liegen, weil ihre schlichte Anwesenheit meine Symptome
auf ein unerträgliches Ausmaß steigern können.
Ich vermisse es so sehr, mit
meinen Freunden zu kommunizieren – ich hoffe immer, ihnen
Nachrichten schicken zu können, aber ich habe nie die Kraft dafür.
Ich bin seit Monaten nicht mehr richtig gewaschen worden, es ist
einfach nicht machbar. Wir mussten die schwere Entscheidung treffen,
meine Haare ganz abzuschneiden, weil sie sich dadurch, dass ich das
Kämmen nicht ertrug, in einen dicken, festen Klumpen verfilzt
hatten, der schrecklich unbequem war. Ich muss Nachthemden tragen,
die vorne geknöpft werden, so dass meine Mutter mich hineinrollen
kann, aber trotzdem muss ich sie mehrere Wochen lang tragen, weil es
so anstrengend ist, sie zu wechseln (trotz der Tatsache, dass sie
oft triefnass sind aufgrund der furchtbaren Schwitzanfälle, die ich
fast täglich habe). Das Betttuch muss oft wochenlang drauf bleiben,
weil die Reaktion meines Körpers auf ein Wechseln extrem ist:
Anfälle, Atemprobleme, Zuckungen, Krämpfe, furchtbare Schmerzen und
Übelkeit. Ich kämpfe darum, es zu verkraften, wenn meine Mutter
meine Inkontinenzeinlagen wechselt, und ich fürchte mich regelrecht
davor. Ich muss immer flach liegen und Kissen rundum meinen Körper
haben, weil ich mich selbst nicht halten kann; allein meinen Kopf
für ein paar Sekunden zu heben, kann mich – wenn ich es überhaupt
schaffe – an den Rand einer Ohnmacht bringen. Jeden Tag ist mein
Körper so überempfindlich, dass die Berührung mit der Bettdecke mich
wahnsinnig vor Schmerzen machen kann. Ich brauche ein Medikament,
dass hundert mal so stark ist wie Morphium, nur um in der Lage zu
sein, ein wenig Eiskrem zu essen, und selbst das Schlucken
verschlimmert meine Schmerzen und viele meiner anderen hundert oder
mehr Symptome.
Während ich früher einmal
gefährlich untergewichtig war, kann ich jetzt nichts mehr tun, um
meine ständige Gewichtszunahme aufzuhalten, die durch eine
eingeschränkte Diät, durch Nebenwirkungen von Medikamenten und die
Krankheit selbst verursacht wird. Ich habe andauernd Angst um meine
Zähne, da es unmöglich ist, sie zu putzen – das würde mich auf
dramatische Weise krank machen und ich würde wieder im Krankenhaus
landen (und ich fürchte mich davor, daran zu denken, was passieren
würde, wenn mein Körper eine weitere Einweisung durchmachen müsste).
Die grundlegenden Notwendigkeiten des Alltagslebens sind so weit
entfernt von meinen körperlichen Fähigkeiten, dass mein
Gesamtzustand ständig schlechter wird durch den kumulativen Effekt
chronischer Überanstrengung. Es scheint immer kaum vorstellbar zu
sein, wie es mir noch schlechter gehen könnte, und dennoch ist das
der Fall; es ist unmöglich, davor keine Angst zu haben. Der
Höhepunkt meines Tages – und meine einzige wirkliche Ablenkung ist
es, die Post durchzugehen, mit der mich liebe und fürsorgliche
Freunde versorgen; an manchen Tagen schaffe ich das jedoch nicht,
und oft bekomme ich von der Anstrengung Fieber.
Mein Leben ist
hart, voll ständiger körperlicher Schmerzen und beinahe
unerträglichem Leiden, aber ich versuche, mich nicht länger damit zu
befassen. Erstaunlicherweise bin ich zur Zeit nicht deprimiert,
obwohl ich natürlich unvermeidlich schlechte Tage habe, und ich
werde wütend, wenn ich an die massiven negativen Auswirkungen denke,
die das Unwissen von Ärzten und falsche Behandlungen auf meinen
Körper hatten. Ich habe immer noch diese intensive Lust zu leben,
die ich hatte, als ich vor all den vielen Jahren noch ein gesundes,
kleines Mädchen war, und ich kann den Tag nicht erwarten, an dem ich
aus dem Bett herauskomme, aus meinem Zimmer gehe und jede
Gelegenheit ergreife, die sich mir bietet. Leider sehe ich nicht,
wie das noch vor meinem 30. Geburtstag im Frühjahr 2011 etwas werden
soll. Es ist schwer zu glauben, dass ich auf ein solches
entscheidendes Datum zugehe. Jeder fragt sich, wo die Jahre zwischen
20 und 30 geblieben sind, weil das Leben so schnell vorbeifliegt,
aber ich habe wirklich das Gefühl, dass mir diese Jahre gestohlen
wurden. Und nicht nur die Jahre zwischen 20 und 30, sondern auch der
größte Teil meiner Kindheit und der Teenager-Zeit.
ME hat mir so viel genommen und
mir so viel Schmerzen bereitet. Nach 23 Jahren ist immer noch kein
Ende in Sicht. Das ist wirklich eine grauenhafte Krankheit.
Anmerkung:
Ein großer Teil des Textes hier wurde vor meinem Rückfall
geschrieben. Zu berichten, was seit meinem Rückfall passiert ist,
war ein riesiges Unterfangen, das 15 Wochen gedauert hat, in denen
ich jedes Mal nur einen Satz verfassen konnte, und das hat jedes Mal
schlimme Auswirkungen auf meine Symptome gehabt. Jedoch habe ich den
Eindruck, dass dies eine sehr wichtige Aufgabe war. ME wird extrem
unterschätzt. Wenn die Chance besteht, dass die Beschreibung meines
gegenwärtigen Lebens sowie meiner früheren Erfahrungen den Menschen
helfen wird, das enorme Ausmaß dieser weitgehend versteckten
Krankheit zu verstehen, wenn sie Ärzte und Gesundheitswesen dazu
veranlassen wird, die Versorgung zu verbessern, die man den
Betroffenen anbietet oder den kleinen Trost bietet zu wissen, dass
man mit dieser Krankheit nicht alleine ist und dass es auch noch
andere gibt, die mit schwerer ME kämpfen, dann mache ich das gerne,
ganz egal, wie schwierig es auch ist.
Meine Symptome
Schmerzen:
Muskeln/Gelenke/Knochen/neuropathische Schmerzen/Adern (überall im
Körper), Kopfschmerzen/Migräne, Bauch- und Unterbauchschmerzen,
Zahnschmerzen, Ohrenschmerzen (und Jucken in den Ohren)
Muskeln: Schmerzen,
Schwäche (obwohl manchmal die natürliche Kraft offensichtlich
bestehen bleibt), Erschöpfung, Anspannung, Steifigkeit, Krämpfe
(einschließlich Dystonien), Zuckungen, Zittern, Steifheit,
Krallenbildung von Händen und Füßen, vorübergehende Lähmungen,
Unfähigkeit, die Augen zu öffnen, Koliken, extreme Schwierigkeiten,
Muskeln ausdauernd einzusetzen
Gelenke: Schmerzen,
Steifigkeit
Grippeähnlich:
Krankheitsgefühl, Erschöpfung, Schmerzen, geringgradiges Fieber
zwischen 37,5 und 38.0°C (nach Belastung), Halsschmerzen,
druckempfindliche/geschwollene Lymphknoten
Sensorisch:
Überempfindlichkeit gegenüber Licht/Geräuschen/Berührung/Gerüchen/
Chemikalien/Geschmack/Erschütterung/Bewegung/Medikamenten (z.B.
Antibiotika)/ Wetterwechsel, extreme Reaktion auf plötzliche
Geräusche/Bewegungen (z.B. Türklingel oder Öffnen der Tür), extreme
Schmerzreaktion auf nur leicht schmerzhafte Reize, extreme
Schmerzreaktion auf schmerzlose Reize, plötzliche sensorische
Überlastung, Unfähigkeit, unnötige sensorische Informationen
herauszufiltern (was zu extremer Einschränkung der kognitiven
Fähigkeiten und einer Steigerung des Krankheitsgefühls führt),
merkwürdige Empfindungen (z.B. Kribbeln), Gefühlsverlust,
Unfähigkeit, die Lage der Extremitäten einzuschätzen.
Gastrointestinal:
Übelkeit/Erbrechen, Sodbrennen, Steigerung oder Verlust des
Appetits, schwer beeinträchtigte Motilität des Darmes, die zu
Verstopfung führt, paradoxe Diarrhö, Darmkrämpfe/-schmerzen,
Blähungen, Verdauungsschwierigkeiten, Stuhlinkontinenz
Urologisch:
Schwierigkeiten mit der Blasenentleerung (was zu häufigem und
unkontrolliertem Wasserlassen führt), schmerzhafte Krämpfe,
Schmerzen beim Wasserlassen, Blasenschmerzen, Inkontinenz
Kognitiv:
Beeinträchtigung des Gedächtnisses (einschließlich zeitweiligem
Verlust wichtiger Informationen aus der Vergangenheit, Vergessen von
Dingen, die kürzlich gesagt wurden und mitten im Satz aufhören zu
reden, weil ich nicht mehr in der Lage bin, mich daran zu erinnern,
wovon ich gerade gesprochen habe), (gelegentliche) Unfähigkeit,
vertraute Personen zu erkennen, schlechte Konzentration, geistige
Erschöpfung, beeinträchtigter Intellekt, Verwirrung/Desorientierung,
Gefühl, von der Umwelt losgelöst zu sein, „Einfrieren“ des Gehirns,
kognitive Verlangsamung, Schwierigkeiten, die normalerweise mit
Lese-Rechtschreibschwäche/Rechenschwäche/Schreibschwäche/Dyspraxie
(Störung, Bewegung und Handlung in Einklang zu bringen, d.Ü.),
Schwierigkeiten, ganz neue Informationen zu erlernen,
Schwierigkeiten oder Unfähigkeit, Sprache zu verstehen (oft
plötzlicher Beginn), Leseschwierigkeiten (einschließlich
Wortblindheit), beim Schreiben das falsche Wort benutzen,
Schwierigkeiten/Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen (der Versuch,
Entscheidungen zu treffen, kann ein überwältigendes Krankheitsgefühl
und eine geistige Lähmung auslösen, was manchmal zu Panikgefühlen
führt), Schwierigkeiten, mehrere Dinge auf einmal zu tun (trotz
natürlich vorhandener Fähigkeit zum Multitasking!), Verlust der
Bedeutung von Zeit, Schwierigkeiten mit Telefongesprächen
Augen:
verschwommenes Sehen, „fliegende Mücken“, andere Sehstörungen,
Schmerzen, Zuckungen, Unfähigkeit, die Augen zu öffnen, Wässern der
Augen
Schlaf:
übermäßiges Schlafbedürfnis (bis zu 20 Stunden am Tag),
Schlaflosigkeit (bis zu 60 Stunden ohne Schlaf), häufiges Erwachen,
Störung des Tag-Nacht-Rhythmus, Einschlafschwierigkeiten,
leichter/nicht erholsamer Schlaf, Veränderungen beim Träumen
Körpertemperatur:
extreme Schwankungen der Körpertemperatur (weitgehend unabhängig von
der Umgebungstemperatur), kalte Hände und Füße/schlechte
Durchblutung, geringgradiges Fieber zwischen 37,5 und 38,0°C (nach
Belastung), Schweißausbrüche
Andere Symptome:
übermäßiger Durst, starkes Verlangen nach Salz, Benommenheit,
Schwindel, orthostatische Intoleranz/Schwierigkeiten, ruhig zu
stehen, Ohnmacht, myoklonische Zuckungen, klonische Krampfanfälle,
Absencen, Halluzinationen, Herzklopfen, Erhöhung der Pulsrate im
Ruhezustand/Tachykardien, geschwollene Füße/Knöchel, extreme Blässe,
Blaufärbung der Haut, Tinnitus, Panikgefühle (hängen mit dem Ausmaß
der Krankheit zusammen und nicht mit Gedanken/Umständen),
Schwierigkeiten zu sprechen, Schwierigkeiten zu kauen/zu schlucken,
Allergien, schlechte feinmotorische Fähigkeiten, Schwierigkeiten mit
körperlichen Aufgaben, die eine Abfolge von Bewegungen/Aktionen
erfordern, Ungeschicktheit/schlechte Koordination, Probleme mit dem
Gleichgewicht, Episoden von Hochgefühlen/hyperaktiven
Gedanken/hyperaktivem Verhalten, Gewichtszunahme unabhängig von der
Menge der aufgenommenen Kalorien, Unterzucker-artige Symptome,
Atemprobleme, Geschwüre im Mund, bakterielle oder Pilzinfektionen
auf der Haut, Veränderungen der Menstruation, schmerzhafte
Menstruation.
<©>Emily
Collingridge, 2010 |