Schwierige
Arzt-Patient-Beziehungen sind für CFS/ME-Kranke bekanntermaßen eher
die Regel denn die Ausnahme. Den Eindruck, dass der Arzt nicht
zuhört, nicht versteht, nicht glaubt, einen gar verspottet oder mit
Hohn begegnet, kennen wir alle zur Genüge. Am Ende eines Arztbesuches hat
man deshalb oft nicht den Eindruck, Hilfe und Orientierung erfahren
zu haben, sondern ist noch mehr verängstigt und hilflos, man fühlt
sich alleingelassen, gedemütigt und manchmal wütend und verzweifelt.
Das sind Belastungen und
Stressfaktoren, die man als Schwerkranke(r) schlecht verkraftet. –
Im März referierte der Theologe,
Psychologe und Ordnungstherapeut Frank Neuendorff auf Einladung der
Regionalgruppe Frankfurt zum Thema. „Umgang mit schwierigen Ärzten“.
Was kann ich tun, um in der Situation, in der ich bin, etwas zu
verändern? Und zwar mit einfachen Mitteln, die den Stress nicht
erhöhen und die am Ende erfolgversprechend sind? Ihn interessiert
dabei weniger die Frage nach der Ursache einer Krankheit als das,
was dem Patienten in seiner konkreten Situation unmittelbar helfen
kann.
Den gleichen Ansatz verfolgt er
in seinen Seminaren für Ärzte mit dem Titel „Vom Umgang mit
schwierigen Patienten“. Hiernach sei ein solcher Bedarf, dass er
allein davon leben könnte, sagte er uns. Die Probleme von Angst,
Hilflosigkeit, Verunsicherung in der Rolle seien auf beiden Seiten
vorhanden – etwas, das man sich als Patient oft auch nicht klar
macht. (zu diesem Thema siehe Artikel des
Monats August 10 Teil 1)
Eine gute Arzt-Patient-Beziehung
sei deshalb nicht nur für Patienten und Ärzte wichtig, sondern auch
für ein effektives Gesundheitssystem von Nutzen, denn der
Behandlungserfolg steige nachgewiesenermaßen mit einem guten Dialog
an. Ziel seines Vortrags sei es deshalb, Methoden zu vermitteln, die
einfach, schnell und effektiv sind, um die Verständigung zu
verbessern und einen „erfolgreichen“ Dialog zu ermöglichen.
Stressfaktoren für Arzt und
Patient
Auch für Ärzte gibt es zahlreiche
Stressfaktoren beim Umgang mit Patienten, z.B. wenn Patienten über
ihre Krankheit mehr wissen als Ärzte – etwas, das bei selteneren
Krankheiten und angesichts der heutigen Möglichkeiten, über Internet
und andere Quellen an Informationen zu gelangen, durchaus normal
ist. Auch der Umgang mit chronisch kranken Menschen ist für sie
schwierig, da der Anspruch vieler Ärzte, zu HEILEN (und nicht nur
gute Medizin zu machen) bei Chronikern von vorneherein nicht zu
verwirklichen ist.
Bei Patienten mit CFS/ME haben
Ärzte es nicht nur mit chronisch und oft schwerkranken Menschen zu
tun, sondern sie werden zusätzlich verunsichert, weil man „nichts
sieht“ und es keine objektiven Messdaten gibt. Die Diagnose kann
nicht anhand harter Fakten oder Laborwerte erhoben werden, sondern
orientiert sich weitgehend an den Symptomschilderungen der Patienten
– auf die sich der Arzt in diesem Fall verlassen muss.
Wenn der Patient dann in die
Rolle kommt, dem Arzt beweisen zu müssen, dass er krank ist, wird es
extrem schwierig – und in der Regel unproduktiv.
Auch Ärzte haben Strategien, aus
dieser misslichen Lage einen Ausweg zu finden: den Patienten zum
Kollegen überweisen, wegschicken, vergraulen oder mit einer
pseudopsychologischen „Deutung“ zu kommen und die Ursache der
Krankheit des Patienten in einem ungelösten Kindheitskonflikt oder
einem „Mutterproblem“ zu suchen. Eine Form der Entlastung für
verunsicherte und genervte Ärzte ist es auch, ihnen – natürlich nur
in eigenen Gedanken und mit einem gerüttelten Maß an Zynismus – die
sogenannte DBV-Diagnose zu verpassen, was für „dumm, böse und
verrückt“ steht. Am Ende schickt der Arzt den Patienten dann zum
Psychiater.
Strategien gegen Stress und
Ohnmachtsgefühle
Neuendorff stellt an dieser
Stelle die Fragen: Was macht schwierige Beziehung aus? Was kann man
machen, um das zu ändern? Was macht es schwer, was macht es leicht?
Die folgenden Punkte wurden aufgezählt:
-
Mein Gegenüber versteht mich
nicht – das ist für Patienten, aber auch für Ärzte das größte
Problem in der Arzt-Patient-Beziehung. Der Patient hält sich für
den „Experten“, was seinen Zustand und seinen Körper angeht, und
der Arzt hält sich für den medizinischen Experten.
-
Der andere hört mir nicht zu
– auch das ist ein Eindruck, den beide Dialogpartner häufig
haben.
-
Der Patient denkt, der Arzt
glaube ihm nicht – hielte ihn für einen Simulanten, Hypochonder,
Rentenneurotiker, und tatsächlich denken Ärzte oft genau das.
-
Arzt und Patient schieben
sich gegenseitig die Schuld für die missliche Lage zu.
Es ergibt sich leicht für beide
Seiten eine Situation, in der Ohnmacht das beherrschende Gefühl wird
– und Ohnmachtsgefühle sind der größte Stressfaktor, den wir kennen,
denn der Verlust von Kontrolle wird als lebensbedrohlich erlebt.
Auch Ärzte haben Scham- und
Schuldgefühle, wenn sie nicht helfen können. Wir untergraben das
Kontrollbedürfnis der Ärzte, die heilen wollen. Das entspricht
ihrer professionellen Identität, und wenn sie es nicht können, dann
wird ihr Selbstbild erschüttert. Ohnmachtsgefühle auf Seiten des
Arztes führen leicht zur „DBV-Diagnose“. Damit werden die eigenen
Schuldgefühle dem Patienten zugewiesen und man kann ihn „zu Recht“
wegschicken oder zum Psychiater abschieben.
Eine weitere Variante im Umgang
mit Gefühlen von Ohnmacht und Hilflosigkeit bestünde, so Neuendorff,
in dem Versuch, zum „Retter“ des ansonsten verlorenen Patienten zu
werden. Was zunächst so ehrenhaft aussieht, kann am Ende genauso
unproduktiv werden, denn auch sie machen sich unangemessene
Schuldgefühle und fragen sich, was sie falsch machen.
Von daher ist das Thema Ohnmacht
das wichtigste in der Arzt-Patient-Beziehung – und die Frage, wie
man diese Gefühle vermeidet bzw. bewältigt. Den Arzt zu wechseln
oder mit ihm in einen Kampf einzutreten ist nicht unbedingt die
Lösung. Beides ist nicht das, was ein CFS/ME-Patient braucht, weil
sie ebenso wie andere Kranke in einer solchen Lage keine Kraft dazu
haben.
Was macht einen erfolgreichen
Patienten aus?
Es ist schon lange bekannt, dass
der Erfolg einer jeglichen Behandlung auch von der Qualität der
Arzt-Patient-Beziehung abhängt. Dabei hat man sich jedoch meist auf
die Seite des Arztes konzentriert, während erst in neuerer Zeit der
Frage nachgegangen wird, was einen erfolgreichen Patienten
ausmacht.
Ein problematisches Verhalten bei
verzweifelt Hilfe suchenden Patienten kann sein, den Selbstschutz
und den Fluchtinstinkt aufzugeben und sich Dinge antun zu lassen,
die man sich unter normalen Umständen nicht gefallen lassen
würde. Bei Chronikern kommt noch dazu: Man hat nicht so viel
Kraft und die Stressschwelle sinkt – ein neurologisch bedingtes
Phänomen. Man wird dünnhäutiger und verletzlicher.
Oder man sagt zu allem ja und
Amen. Aber so wird man zum unsichtbaren Patienten. Auch wenn man
versucht, dem Arzt zu helfen und alles „schluckt“ oder die Probleme
des Arztes zu seinen eigenen macht, verschlechtert man die eigene
Position. Es gäbe jedoch, so Neuendorff, eine Studie, nach der
unbequeme Patienten länger leben als „bequeme“.
Man wollte wissen, ob
Mistelpräparate das Leben von Krebspatienten verlängern. Es gab
jedoch zwischen der Mistel- und der Kontrollgruppe mit Chemotherapie
keinen signifikanten Unterschied. Erstaunlicherweise jedoch gab es
einen signifikanten Unterschied in der Lebensdauer bei den
Patienten, die sich der Studie komplett verweigert hatten – die also
„unbequem“ waren und gesagt hatten: „Ich bestimme selbst, was
mit mir passiert.“ Bei Krebserkrankungen haben, so hat sich
erwiesen, weder die gefügigen Patienten noch die Kämpfer (gegen die
Krankheit) die bessere Prognose, sondern jene Menschen, die ihren
eigenen Weg gehen – was aber wieder mehr Probleme mit den Ärzten
nach sich zieht.
Daraus folge, dass man sich mit
seiner Krankheit auskennen und sich schlau machen sollte über
bestimmte Behandlungsverfahren und klar und konkret entscheiden
sollte, was man selbst wünscht und was man vom Arzt möchte.
Eine „Stellenausschreibung“
für den Arzt, den man sich wünscht
Eine Art „Stellenausschreibung“
für den gewünschten Arzt sei, so Neuendorff, eine Strategie, mit der
man sich klarer werden könne, was man selbst eigentlich möchte und
mit der man von vorneherein als Patient sichtbarer wird.
Was sind die Ärzte, die gut zu
mir passen? Dabei realistisch zu bleiben und sich auf das zu
konzentrieren, was in der eigenen und in der Macht des Arztes liegt,
ist unbedingt notwendig. Schwierig wird es, wenn man ankommt und
sagt: ich will geheilt werden. Das ist etwas, das der Arzt nicht
„verkaufen“ kann – er kann nur gute Medizin machen.
In der sich einflechtenden
Diskussion wurde deutlich, wie stark die Ohnmachtsgefühle sind, die
man als CFS/ME-Patient hat: durch die Krankheit als solche, durch
die soziale Lage, in die man gerät, die finanzielle Bedrohung und
durch das Unverständnis der Ärzte.
Weniger kämpfen und verlieren,
mehr spielen und gewinnen
Neuendorff stellte uns eine
Technik vor, mit der man seine Interessen ohne Kampf und Gewalt
durchsetzen kann. Sie wird nach dem etwas zerstreut wirkenden
Inspektor Columbo einer amerikanischen Fernsehserie die
„Columbo-Technik“ genannt. Sie sei nicht der erste Schritt, sondern
dann sinnvoll, wenn eine normale Äußerung der eigenen Bedürfnisse
keinen Erfolg hat.
Das Prinzip besteht darin, seine
Wünsche klar zu formulieren und zum sichtbaren Patienten zu werden.
Auf die Argumente des Gegenübers solle man freundlich und
verständnisvoll eingehen („Ich kann gut verstehen, dass….“), Kritik
und Vorwürfe aufnehmen ohne zu kontern („Es ist gut möglich dass,…“)
und sofort wieder seine eigenen Wünsche beharrlich wiederholen,
unbeirrbar und klar verständlich. Dabei sollte man die eigenen
Wünsche positiv und konkret formulieren.
Auch sollte man sich nicht
rechtfertigen. Wer argumentiert verliert – denn es geht nicht um
Argumente, es geht um Bedürfnisse. Wenn es um Argumente ginge,
hätten wir keine Probleme mehr. Argumentieren schwächt unsere
Position. Wenn man dem Arzt versucht, zu erklären, dass und warum
man krank ist, dann hat man schon verloren. Sich rechtfertigen und
klein machen bringt nichts.
Selbstverständlich gibt es auch
Situationen, in denen überhaupt keine Kommunikation mehr möglich
ist. Wenn die Arzt-Patient-Beziehung grundlegend kaputt ist, dann
sollte man keine weitere Energie verschwenden, sondern gehen und
sich einen anderen Arzt suchen – nach dem Motto „Wenn dein Pferd tot
ist, steig ab“.
Neuendorff betont, dass die
Columbo-Technik kein Allheilmittel sei, aber ein Methode, mit der
man sich sichtbar machen kann, ohne konfrontativ kämpfen zu müssen.
Es würde ohne Zweifel für uns weiterhin schwierig sein. (Über die
Columbo-Technik, deren Prinzipien hier nur angerissen werden, kann
man sich bei zahlreichen Quellen im Internet weiter informieren – es
lohnt sich, weil sie elegant und amüsant ist und auf die Vermeidung
von Konfrontation bei gleichzeitig effektivem Durchsetzen der
eigenen Interessen abzielt.)
Eine einfache
Stressbewältigungsmethode
Zum Schluss seines Vortrags
brachte uns Frank Neuendorff noch eine einfach zu erlernende und
auch in schwierigen Situationen leicht einzusetzende
Stressbewältigungsmethode bei. Sie ist kein übliches
Entspannungsverfahren, sondern man muss lernen, sich zu
konzentrieren und ganz „da“ zu sein.
In einer
Psoriasis-Lichtbehandlungsstudie hat man herausgefunden, dass die
innere Haltung für den Behandlungserfolg sehr wichtig ist. Man
verglich eine Gruppe von Psoriasis-Patienten, die während der
Lichtbehandlung lasen oder sich anderweitig beschäftigten, mit einer
Gruppe, die man anwies, sich auf die Behandlung zu konzentrieren und
innerlich abzuschalten. Diese Gruppe hatte ein viermal besseres
Behandlungsergebnis.
Bei dieser Technik konzentriert
man sich auf den Atem und denkt beim Ausatmen ein Lieblingswort
(z.B. Sonne, Wald, Ruhe, Meer, – irgendein Begriff, der einem etwas
Gutes vermittelt). Wenn man diese Übung 10 bis 30 Minuten am Tag
durchführt, verkoppelt sich das Ausatmen mit diesem Begriff und der
Entspannung. Diese Technik kann man dann in Stresssituationen
einsetzen. Sie nimmt die Spannung weg, macht einen freundlicheren
Blick und eine bessere Atmosphäre. |