|
Dr. Bieger
sprach über die Frage, ob CFS eine Virusinfektion sein
könne.
Er teilt die
Fälle des Chronischen Erschöpfungssyndroms ein in
postinfektiöses CFS (40% bis 80%) und idiopathisches CFS
(20% bis 60%). Die Symptomatik beim postinfektiösen CFS
bestehe vorwiegend in einer immunologisch-infektionsbezogene
Symptomatik mit Sickness/Fatigue, subfebrilen Temperaturen,
rezidivierenden Herpesinfektionen, erhöhten Werten
proentzündlicher Cytokine, NK-Zellhemmung und oxidativem
Stress. Beim idiopathischen CFS bestehe die Symptomatik
vorwiegend aus inflammatorisch- neuroregulatorischen
Störungen wie Sickness/Fatigue, Schmerzen (bei der
Fibromyalgie), Depressionen, Schlafstörungen, kognitiven
Störungen und Reizdarmsyndrom. |
Eine Postinfektiöse
Fatigue ist nachgewiesen bei folgenden Infektionen: EBV, HHV6, CMV,
ParvoB19, HBV, HCV, Enteroviren, Q-Fieber, Lyme-Borreliose.
Reaktivierte Infektionen seien wahrscheinlich Sekundärphänomene des
ursprünglichen Krankheitsgeschehens. Das gelte für EBV, HHV6, HHV7,
CMV. Möglicherweise sei das CFS auch durch das Retrovirus XMRV bzw.
HMRV verursacht. Man finde dabei immer eine Immundysfunktion im
Sinne einer Immunaktivierung und Immundefizienz wie etwa einen
NK-Zelldefekt und eine erhöhte CD8/T-Zellaktivität sowie zahlreiche
proinflammatorische Zytokine, die auf eine Immunaktivierung bzw. ein
infektiöses Geschehen hinweisen. Auch die Genexpression unterscheide
sich von Gesunden auf charakteristische Weise.
Er stellte zwei Fälle
vor, in denen das Epstein-Barr-Virus und das Cytomegalie-Virus
deutlich aktiv waren, und bis zu einem gewissen Grade würden die
Patienten in solchen Fällen auch auf eine Behandlung ansprechen –
man würde bei der Behandlung einzelner Phänomene durchaus einen
Teilerfolg erzielen, aber den durchgreifenden Erfolg gäbe es
erfahrungsgemäß dadurch nicht.
Dr. Bieger diskutierte
die Entdeckung des Retrovirus XMRV als möglichen diagnostischer
Marker für CFS. Er hat in Zusammenarbeit mit einem der besten
Retrovirologen und Molekularbiologen an der Uni Heidelberg gleich
nach der Veröffentlichung der Science-Studie im Oktober 2009
versucht, das XMRV mit nPCR zu bestimmen, sie hatten aber zunächst
keinen Erfolg. Möglicherweise hätte das daran gelegen, dass sie
möglichst schnell nach der Probenentnahme die DNA aus dem Blut
isoliert hätten, etwas, was nach Aussage von Dr. Mikovits dazu
führe, dass man das Virus dann nicht mehr finde. Sie werden die
Bestimmung des Retrovirus jetzt in enger Zusammenarbeit mit Mikovits
erneut versuchen. (Anmerkung d. Red.: ein Ergebnis ist im
Januar/Februar 2011 zu erwarten.)
Die im August
erschienene Arbeit von Lo/Alter, die das Retrovirus bei 86,6% der
Patienten und bei 6,8% der Kontrollen gefunden haben, weise darauf
hin, dass man mit dieser Entdeckung zumindest diagnostisch einen
fundamentalen Schritt weiterkommen würde.
Wenn es um die
Diagnose des CFS geht und was man dabei messen kann, so finden wir
oft reaktivierte Infektionen. Die Frage der Retroviren (XMRV/HMRV)
ist noch nicht geklärt. Immundysfunktionen findet man oft, und was
man immer findet, sind inflammatorische Prozesse, die sich über
abweichende Zytokinwerte manifestieren (z.B. IL-1, IL-6, TNFa,
IL-17,TH1, IL-2, IFNg,
IL-12, TGFß, IL-10, IL-13,TH2, IL-4, IL-5, IL-8, IFN-g,
NF-kB). Die Aktivierungsmuster dieser Zytokine sind bei MCS, CFS und
Fibromyalgie jeweils unterschiedlich.
Dr. Bieger
kritisierte, dass CFS in Deutschland trotz all dieser messbaren und
abweichenden Parameter vorwiegend als psychiatrische oder
psychosomatische Erkrankung betrachtet wird weshalb auch keine
Forschung stattfindet und alles aus USA kommt.Auch
bei MCS finde man eine starke Zytokinaktivierung. Diese bilden ein
Netzwerk, und wenn man die Beziehung zwischen den verschiedenen
Zytokinen untersucht, wird deutlich, dass es bei CFS ein ganz
anderes Muster gibt als bei Gesunden. Und auch dieses Muster rankt
sich um das Thema Infektion. Was wir also wissen ist: das
Immunsystem ist aktiviert, es besteht eine Dysfunktion und
möglicherweise liegt eine reaktivierte, chronische Infektion vor.
NF-kappa-b ist der empfindlichste Marker für eine Immunaktivierung,
denn Nfkappa-b ist zentraler Schalter in allen Zellen. Daran kann
man immer sehen, ob eine Immunaktivierung vorliegt, auch wenn man
bei den anderen Werten nichts findet.
Bei den folgenden Zytokinen finden
sie bei allen Multisystemerkrankungen am häufigsten Abweichungen: (Folie
22 aus Dr.
Biegers PPP-Vortrag)
Es sei allerdings nicht
zuverlässig, diese Werte im Blutplasma zu messen. Dort findet man
sie nur bei einer relativ starken Aktivierung. In einer neueren
Arbeit hat man die spezifischen Zytokinmuster von CFS-Patienten mit
denen von Gesunden verglichen und charakteristische und deutliche
Abweichungen gefunden, die am ehesten für eine infektiöse Genese
sprechen. Was wir also bei allen offenen Fragen noch wissen ist,
dass das Immunsystem aktiviert ist und eine Dysfunktion besteht, die
möglicherweise die Ursache für die verstärkte Reaktivierung von
latenten Infektionen ist. Und wir wissen, dass die Fatigue eine
zentrale Folge dieser proentzündlichen Zytokine, speziell des
IL1beta, im zentralen Nervensystem ist.
Fatigue bzw. die sogenannten
Sickness-Reaktionen sind eine zentrale Folge primär von Wirkungen
proentzündlicher Zytokine. Bestimmte Personen reagieren auf
Stressoren, also Infektionen, psychischen Stress, Medikamente etc.,
anders, nämlich mit einer inflammatorischen Reaktion, bei der
Interleukine ausgeschüttet werden (TNFa,
IL1ß, IL6, INFg, PgE2), und
die wirken dann auf das zentrale Nervensystem, während die normale
Stressreaktion von neuronellen Anpassungsreaktionen dominiert wird (CRH,
AVP, Cortisol, Noradrenalin).
Diese Sickness-Reaktion ist bei CFS chronifiziert. Sie kann durch
verschiedene Stressoren zustande kommen, aber das zentrale Problem
bei CFS sind nach seiner Überzeugung Infektionen. Alle Stressoren
wirken in unterschiedlich starkem Ausmaß auf vier Systeme: das
Immunsystem, das zentrale und das autonome Nervensystem und die
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse. Zwischen all diesen
Systemen gibt es komplexe Wechselwirkungen, d.h. jeder zentrale
Stressor wirkt auch auf die Peripherie, und jeder periphere Stressor
wirkt auch zentral. Eine Infektion wirkt also immer auch auf das
zentrale Nervensystem.
Das NF-kappa B ist der
zentrale Schalter, der zu einem sich selbst verstärkendem Kreislauf
führt. Es gibt vielfältige und komplexe Wechselwirkung zwischen
immunologischen, neurologischen Steuerungsmechanismen, die sowohl
durch Infektionen als auch durch andere Stressoren beeinflusst
werden. Auch genetische Faktoren spielen eine Rolle.
Dr. Bieger diskutierte an einem
Fallbeispiel mit völliger Dysregulation der HPA-Achse die mögliche
Rolle des Cortisols. Sie finden oft Fälle, bei denen das Cortisol
niedrig ist, bzw. nicht mehr genügend ausgeschüttet wird, d.h. die
Stressadaption findet nicht mehr adäquat statt. Es gibt eine
Blockade der Hypophysen-Hypothalamus-Nebennieren-Achse, aber die
kommt nicht von der Nebenniere, sondern liegt auf der Ebene des
Hypothalamus durch eine Rezeptor-Downregulation.
An einem weiteren Fallbeispiel mit
einem Serotonindefizit diskutierte er die Frage, worauf das oft
feststellbare extreme Defizit an Neurotransmittern (Adrenalin,
Noradrenalin Dopamin, Serotonin) liegen könne. Sie reagieren sehr
empfindlich auf Stressoren. Es gibt eine komplexe Wechselwirkung
zwischen inflammatorischer Situation und Neurotransmittern. Eine
chronische Aktivierung auf entzündlicher Ebene führt zu einem
Serotoninmangel. Antidepressiva, die zu einer Erhöhung des
Serotoninspiegels führen, wirken wahrscheinlich genau aus diesem
Grund – nicht, weil bei den Patienten eine Depression im Vordergrund
steht, sondern weil sie antiinflammatorisch wirken.
Auch
Genexpressionsstudien und Genpolymorphismusstudien stützen das – man
findet Genvariationen in den Bereichen der Gene, die an der
Hypophyse-Hypothalamus-Nebennieren-Achse beteiligt sind. Die meisten
CFS-Patienten haben ein oder mehrere dieser genetischen Varianten,
die die Funktion von Noradrenalin, Serotonin, Cortisol +
GC-Rezeptor, CRH + CRH-Rezeptor und Inflammation betreffen. Es ist
also auf der einen Seite die Stressbewältigung und auf der anderen
die Inflammation betroffen.
Was ist also der
aktuelle Stand bei CFS? Wir haben Inflammation, wir haben Stress,
wir haben die Cytokine, und alle wirken in Richtung Fatigue. Mit
diesem zentralen Gebiet hätten wir uns zu beschäftigen. Er würde
sich jedoch sehr freuen, wenn das Retrovirus XMRV/HMRV uns den
Schlüssel zu der Frage liefern würden, was CFS ist.
(Folie
39 aus Dr.
Biegers PPP-Vortrag)
|