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    Artikel des Monats Dezember 2012 Teil 1

    XMRV – Ende eines Alptraums oder eines Traums?

    Bericht von Regina Clos und Auszüge aus einem Radiointerview mit Judy Mikovits

    Text hier als pdf-Datei

    Um es vorweg zu nehmen – es ist beides: der Alptraum von einem neuen humanen Retrovirus, das sich unkontrollierbar und der Forschung zufolge womöglich sogar durch die Luft überträgt, hat vorerst ein Ende. Damit hat auch der Traum von Hunderttausenden ME/CFS-Patienten, mit XMRV vielleicht einen entscheidenden Ursachenfaktor und damit eventuelle Behandlungsmöglichkeiten für ihre verheerende Krankheit gefunden zu haben, ein Ende. ABER: das Thema Retroviren bei ME/CFS (und anderen Erkrankungen) ist alles andere als am Ende.

    Wie sich durch die sogenannte Lipkin-Studie, herausgestellt hat, ist in der Tat zwar dieser spezifische Strang des Gammaretrovirus, das XMRV, in einer Zelllinie in Robert Silvermans Labor entstanden und, soviel man heute weiß, hat den Menschen noch nicht infiziert. Diese Chimäre hat sich offenbar in die Testreihen der Studie von 2009 und auch in spätere Testreihen eingeschlichen, so dass man statt einer Retrovirus-Infektion bei den Patienten dieses künstlich geschaffene XMRV gefunden hat. Das wurde auch von der leitenden Autorin der ersten Studie von 2009 zum Zusammenhang von XMRV und ME/CFS, Judy Mikovits, bestätigt.

    ABER sowohl Judy Mikovits als auch beispielsweise Wilfried Bieger sagen, dass sie bei einigen ME/CFS-Patienten ganz klar die Spuren retroviraler Infektion finden – NICHT XMRV, sondern offenbar andere retrovirale Sequenzen. Es ist unklar, ob es sich hierbei um ein bislang unbekanntes, exogenes Retrovirus handelt oder, was derzeit wahrscheinlicher ist, um eine Reaktivierung endogener Retroviren, die wir alle in unserem Genom tragen, die aber normalerweise replikationsdefekt sind, also nicht von der DNA abgelesen werden und sich vermehren können. Es gibt aus den Originalstudien von Lombardi/Mikovits und anderen Studien heraus Hinweise, dass diese endogenen Retroviren bei immungeschwächten Patienten partiell abgelesen werden und damit eine Immunaktivierung bewirken und weiteren Schaden anrichten können. Es könnte auch sein, dass die Testverfahren, mit denen man positive Antikörpernachweise auf Retroviren erhält, nicht-virale, normale oder anormale zelluläre Proteine (und eben kein Virus) anzeigen.

    Die Sache ist extrem kompliziert und für Laien (wie die Autorin dieses Artikels) nur schwer verständlich. Deshalb seien hier einige Aussagen der beteiligten Forscher wiedergegeben, so dass sich der Leser selbst ein Bild machen kann:

    Wilfried Bieger, der mit Judy Mikovits im Hinblick auf die Testung auch deutscher ME/CFS-Patienten zusammengearbeitet hat, endet seinen hier auf YouTube wiedergegebenen Kurzvortrag mit folgenden Worten:

    "Es gibt allerdings …Wir haben ja auch einige ganz wenige positive Fälle gefunden, wo man Virus findet. In den Fällen handelt es sich offensichtlich um MLV-Varianten, die dem XMRV sehr nahe kommen. Oder wenn es um die Serologie geht – beim Antikörpernachweis von XMRV ist man eigentlich zurückgegangen, auf Antigene, die von Retroviren stammten, so dass positive Antikörpernachweise, von denen auch wir einige eindeutig positive hatten, eben nicht XMRV sind, sondern auf andere Retroviren, die uns im Einzelnen nicht bekannt sind, zurückzuführen sind.
    Also, schlussendlich, XMRV ist weiterhin Gegenstand der Forschung, aber definitiv nicht mehr Gegenstand klinischer Überlegungen, dass er Auslöser einer Humanerkrankung sein könnte. Bisher. Andererseits wissen wir, dass der offensichtlich durch Mutation entstandene Virus humanpathogen ist, also kann man nur hoffen, dass er auch im Labor bleibt."

    Dr. Bieger hat eine Zusammenfassung und Kommentar zum Thema "XMRV und CFS" mit dem Stand vom Dezember 2012 verfasst, die Sie unter dem angegebenen Link als pdf-Datei anfordern können. (Empfehlenswert!)

     

    Judy Mikovits schrieb in einer E-Mail an mich:

    Das XMRV von Silverman ist eine Rekombinations-Chimäre, die irgendwie in der Cleveland Clinic geschaffen wurde. Alle Daten müssen überprüft werden. Es ist ganz eindeutig, dass das Silverman-XMRV nicht als humane Infektion existiert. Das heißt nicht, dass es in unseren Originalstudien über Gammaretroviren keine Nachweise für Gammaretroviren gab und gibt. Ich stehe zu allen Daten, die ich letzten September [2011] in Irland und Ottawa vorgestellt habe. Aufgrund der nachfolgenden Ereignisse war ich nicht in der Lage, meine Daten zu verteidigen, weil diese sowie die Proben nicht verfügbar sind. Das ist es, was ich auch in der Pressekonferenz zur Lipkin-Studie gesagt habe. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, die retrovirale Hypothese weiterzuverfolgen, und ich bin überzeugt von den Daten – insbesondere den von Dr. Bieger erhobenen Daten. Wir schreiten voran, und ich freue mich darauf, das am Sonntag zu erklären.“

    Und in einer weiteren Email:

    “Ich arbeite immer noch daran, meine Daten zurückzubekommen, aber ehrlich gesagt brauche ich nicht viel davon, weil ich nicht mehr an die Originalproben herankomme, und selbst wenn ich das könnte, wären sie wahrscheinlich beschädigt. Ich habe ein Gehirn und ein sehr gutes Gedächtnis, und viele meiner Mitarbeiter haben Kopien von unseren gemeinsamen Daten und stellen sie mir zur Verfügung und sind daran interessiert, vorwärts zu kommen.

    Ich denke, dass die Lipkin-Studie Euch gezeigt hat, dass die Wissenschaft über die Politik siegen wird. Und er hat meinen guten Ruf wiederhergestellt und gesagt, wie wichtig es ist, die Integrität der wissenschaftlichen Methode zu akzeptieren, koste es, was es wolle. Ich habe absolut nichts Falsches getan und bin meinen Vereinbarungen und meinen Kollaborationen nachgekommen und habe dafür damit bezahlt, dass ich alles verloren habe. ABER ich habe das Wichtigste nicht verloren, und das ist das Vertrauen der Patienten. Wir können also meine Arbeit noch einmal wiederholen und neue Proben sammeln und vorankommen. Ich hoffe, dass sich die Gemeinde der Patienten über die neue Ära der Erforschung dieser lähmenden Erkrankungen freut. Weil ich darüber hinaus aus alle dem herausgekommen bin, werden gute und engagierte Wissenschaftler erkennen, dass die Wissenschaft über die Politik triumphieren wird!“

     

    Judy Mikovits hat am Sonntag, den 4. November 2012 ein Radiointerview gegeben, das online hier anzuhören ist: http://www.blogtalkradio.com/in-short-order/2012/11/04/in-short-order--dr-judy-mikovits [Man muss sich durch drei Minuten Werbung durchhören, dann geht es los – fast zwei Stunden hochinteressante Fragen von Zuhörern und Antworten von Judy Mikovits!]

    Hier sind einige Textpassagen aus ihren Antworten:

    (Verschriftlichung und Übersetzung von Regina Clos, Anmerkungen in Eckklammern.)

    „Wir haben zu der Zeit nicht gewusst, dass XMRV, wie es von Silverman in 2005 identifiziert wurde, kein den Menschen oder Tiere infizierendes Agens ist. Das war es auch niemals. Es war von Anfang an eine Kontamination. Es hat sich herausgestellt, dass XMRV in einer Zelllinie mit dem Namen 22RV1 entstanden ist, die man in immundefizienten Mäusen gezüchtet hat. Das sind immungeschwächte Mäuse, und was wir über immungeschwächte Mäuse wissen ist, dass sie eine Menge an endogenen Retroviren exprimieren, die sich dort in der Maus und in den Zellen rekombinieren können, um ein infektionsfähiges Retrovirus zu bilden.

    Aber um als Virus infektiös zu sein, bedarf es der formalen Definition eines Virus. Es hat keinen natürlichen Infektionsverlauf in irgendeinem Organismus. Das heißt, außer wenn der Mensch eine Virusvariante mit pathogenem Potential schafft, vielleicht eine Variante des XMRV, und das durch eine kontinuierliche Infektion von großen Virusmengen in einem Tier, dann könnte man potentiell eine Variante des XMRV erzeugen, die humanpathogen und infektiös ist, aber zur Zeit – und das ist es, was die Lipkin-Studie, die Multicenter-Studie, bei mehr als 325 Personen eindeutig gezeigt hat, dass es einfach bei keiner einzigen Person als vollständig replikationsfähiges, infektiöses Retrovirus vorhanden war.

    Abgesehen davon – die unglückliche Entwicklung der Ereignisse im Hinblick auf die gesamte Arbeit, die wir und Robert Silverman und tatsächlich die ganze Welt sowohl bei Prostatakrebs als auch bei CFS gemacht haben, schließt es nicht aus, dass ein RNA-Virus bei CFS eine Rolle spielen kann. Und wie wir am 18. September [bei der Pressekonferenz] gesagt haben, sind wir fest entschlossen, wieder von vorne anzufangen, genauso wie zu Beginn unserer Forschungsarbeiten, am allerersten Tag, als ich im Jahr 2006 anfing, diese Patientenpopulation zu untersuchen. Wir haben einen vollkommen unvoreingenommenen Ansatz verfolgt.

    Und jetzt sind wir mit der Hilfe von Dr. Lipkin und anderen in der Lage, die neuesten Sequenzierungstechnologien der nächsten Generation [NGS—Next Generation Sequencing] einzusetzen, um potentielle Erreger bei ME/CFS zu entdecken, und das schließt keine RNA-Virusfamilie aus, einschließlich Retroviren. Wir greifen lediglich auf die anderen Methoden zurück. Aber angesichts… wenn Sie an die anderen Methoden, die unvoreingenommenen Methoden, denken, wir haben eine Menge gelernt von XMRV, und weil wir einen ähnlichen Ansatz dazu verwenden und anfangs die Microarray-RNA-Technologie eingesetzt haben, ist das ein wirklich warnendes Beispiel. Die Aufbereitung der Proben, die in diesen ultrasensitiven Assays verwendet werden, muss ganz streng auf Kontamination überprüft werden.

    Wäre das am Anfang geschehen, wenn Bob Silverman und seine Kollegen das XMRV aus den Geweben heraus geklont haben, dann hätten wir gleich am Anfang gewusst, dass es kein den Menschen infizierender Erreger ist. Wir müssen also hergehen und jeden potentiellen Infektionserreger herausbekommen und sein Potential für eine Bedrohung der Laborarbeit einschätzen. Wir haben also eine Menge gelernt. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn es tatsächlich in die Humanpopulation hineingekommen wäre, aber das ist es nicht.

    Und ich will Ihnen einfach ein Beispiel geben, falls irgendjemand denkt, das sei nicht wahr. Abgesehen davon, dass ich damit gearbeitet habe, mit diesen Gewebekulturen, habe ich mit all den geblindeten Proben gearbeitet, mit jeder Blutprobe, die durch mein Labor gegangen ist, und ich habe bei zahlreichen Gelegenheiten versucht, das Virus zu isolieren, und Dr. Ruscetti hat das sogar mit meinem eigenen Blut versucht - es ist schlicht nicht vorhanden. Ich glaube, dass XMRV wirklich - wie wir es bei der Pressekonferenz gesagt haben - das Kapitel des Silverman-XMRV ist abgeschlossen. Dieses Gamma-Retrovirus ist keine Humaninfektion. Aber im Hinblick auf jede andere mögliche Infektion bei ME/CFS ist das Kapitel nicht abgeschlossen. XMRV gibt es in der Humanpopulation nicht … auch nicht bei Mäusen oder bei Hunden, es gibt es in keinem Organismus, den wir kennen. Wir haben sogar Zecken untersucht. Es ist nicht vorhanden.“

    Zu der Frage, wie der Unterschied zwischen den Patienten und den Kontrollen zustande kommt, sagt Judy, dass die Proben zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten bearbeitet wurden und der Unterschied wahrscheinlich dadurch zu erklären ist. Aber in ihrer Studie hätten sie die Proben etwa zur gleichen Zeit und am gleichen Ort bearbeitet. Wahrscheinlich sei dieser Unterschied jedoch wie folgt zu erklären:

    „Aber eine mehr wissenschaftliche und überprüfbare Hypothese zur Erklärung dieses Unterschieds wurde von Marian le Drew (??) in Canada, einer Expertin für endogene Retroviren, vorgeschlagen: sie sagt, endogene Retroviren können bei immungeschwächten Personen expremiert werden, und humane endogene Retroviren (HERVs) können auch Gamma-Retroviren sein. Sie sind replikationsfähig, sie sind replikationsdefekt, sie verbreiten sich also nicht. Aber denken Sie daran, eine Menge der Daten aus unsere Originalstudie waren nur gag-Sequenzen. Es war Tabelle 1 in diesem Artikel von Bob Silverman, der eine Amplifikation [Vermehrung] von Virushüllproteinen [envelope] zeigt, aber in dem Virion-Artikel, den wir veröffentlicht haben, zeigten wir, dass wir nur selten - und jetzt wissen wir: nie – eine Virushülle gesehen haben. Das heißt, wann immer wir Virushüllproteine sahen, handelte es sich um eine Kontamination im Labor.

    Die Daten in dem Lombardi-Artikel über unsere Serologietests [Antikörpertests], über die wir noch einiges erzählen werden, sowie die Daten im Hinblick auf die Belege über gag-Sequenzen, die stehen weiterhin fest.

    Und wenn Sie sich den Artikel ansehen, der vergangene Woche publiziert wurde, dass man sprichwörtlich… Der Titel des Artikels lautet: "Resurrection of endogenous retroviruses in antibody deficient mice" [“Wiedererwachen von endogenen Retroviren in Mäusen mit unzureichenden Antikörpern“ - Übersetzung des Abstracts siehe unten] … Jonathan Stoye ist Co-Author dieses Artikels aus diesem Labor, und der hat offensichtlich auf diesem Gebiet – einschließlich XMRV – eine Menge Erfahrung. Ich werde Ihnen einen Satz aus diesem Artikel zitieren, weil ich es auf einem für Sie verständlichen Niveau halten will. Da heißt es: RNA und Protein-Expression von replikationsdefekten Retroviren – das heißt, sie bilden kein vollständiges Virus, das man isolieren könnte – tritt bei Infektionen, Autoimmunität und Krebs häufig verstärkt auf.

    Und genau das trifft auf unsere gesamte Patientenpopulation bei ME/CFS zu: das sind Patienten mit chronisch aktiven Infektionen und Autoimmunität, und erinnern Sie sich: im Fall der ursprünglichen Arbeit mit Dr. Peterson bin ich zu ihm gegangen, um mir das vermehrte Auftreten von seltenen Lymphomen bei seinen Patienten anzusehen. Wir glauben deshalb jetzt – und das könnte in der Tat eine Antwort sein, dass ME/CFS-Patienten tatsächlich als immungeschwächt betrachtet werden können. Sie haben, wenn Sie so wollen, einen erworbenen Immundefekt. Erworben durch was? Nun, aufgrund unbekannter Herkunft [Ätiologie] – Non-AIDS unbekannter Herkunft.

    Wir können also jetzt vermuten: Vielleicht ist das ein humanes endogenes Retrovirus, das wiederum Elemente von Gamma-Retroviren enthält, und das könnte tatsächlich in dieser immungeschwächten Patientenpopulation sein und sich verbreiten, und es könnte sehr wohl ein guter Biomarker für eine Infektion sein.“

    An anderer Stelle sagt Judy Mikovits:

    Die gag-Sequenzen [die in der Originalstudie gefunden wurden, d.Ü.] könnten von einem endogenen Retrovirus stammen. Es wurden keine vollständigen, replikationsfähigen Retroviren gefunden.“

    Bob Silverman habe auch env-Sequenzen entdeckt, aber sie selbst habe niemals env-Sequenzen gefunden. Diese env-Sequenzen, also das retrovirale Gen, aus dem die Hüllproteine abgelesen werden, die für die Bildung eines vollständigen Virus nötig sind, hat man nicht gefunden.

    Judy Mikovits und Kollegen haben erst im Juli 2011 durch einen Anruf von Robert Silverman, der ihnen zu diesem Zeitpunkt über die in seinem Labor entstandene XMRV-Chimäre berichtet hat, erfahren, wie leicht XMRV, also die Laborkontamination, sich in Gewebekulturen verbreiten kann. Dieses XMRV kann sich über die Luft verbreiten und auf Oberflächen trotz Desinfektion drei Tage lang stabil bleiben. Sie haben kontaminierte und nicht kontaminierte Behältnisse in einem Raum aufbewahrt, und bereits nach drei Tagen waren 30% der nicht geöffneten Behältnisse kontaminiert, einfach nur, weil sie im gleichen Raum waren. Das hat man wohl vorher noch nie feststellen können, dass sich Retroviren über die Luft verbreiten, sie verbreiten sich normalerweise über Flüssigkeiten. Judy Mikovits sagte, dass das zuvor keiner wissen konnte und sich deshalb niemand vor solcher Art Kontamination schützen konnte.

    Auf eine Frage zur Bedeutung der positiven Antikörperproben sagte sie:

    Ein Antikörper-positives Ergebnis beweist nicht unbedingt das Vorhandensein eines Retrovirus. Eine andere Möglichkeit [der Erklärung hierfür] ist eine Kreuzreaktivität mit einem anderen Virus, nicht mit XMRV. Wir hatten die Hypothese aufgestellt, dass dies ein anderer Strang eines Gamma-Retrovirus’ ist, aber nochmals: weil wir das von keiner einzigen Person isolieren konnten, ist das unwahrscheinlich.

    Es könnte auch ein normales oder ein anormales zelluläres Protein sein, das man dann als Autoantigen bezeichnen würde. Ein zelluläres Protein könnte das bewirken durch etwas, was wir im Labor als molekulare Mimikry bezeichnen, d.h. für das Immunsystem sieht es so aus wie ein Retrovirus, und das ist der Grund, warum das Immunsystem einen Antikörper produziert, um es zu beseitigen, denn das ist die Aufgabe des Immunsystems, körpereigene von körperfremden Zellen zu unterscheiden.

    Angesichts dessen – wenn es ein Autoantigen wäre, dann würde das die Patientenpopulation eindeutig unterscheiden, weil sie in dem Fall eine definierbare Autoimmunität haben und man anfangen kann, sie wie andere Autoimmunkrankheiten unbekannter Herkunft wie Multiple Sklerose, Lupus erythematodes oder Rheumatoide Arthritis oder andere Autoimmunkrankheiten zu behandeln, für die es Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems gibt. Das beweist also nicht notwendigerweise das Vorliegen eines Retrovirus.

    Wir sind selbstverständlich dabei zu untersuchen, worum es sich bei diesem Epitop handelt, das [von diesem Antikörpertest, d.Ü.] erkannt wird.“

    Dieses Antikörper-Assay, das sie für die Originalstudie entwickelt haben, sei sehr komplex, und es sei darauf abgestellt, Hüllproteine eines anderen Gamma-Retrovirus' zu entdecken, dem Spleen Focus Forming Virus (SFFV). Die Hypothese war damals, dass es sich bei den positiven Tests um die Entdeckung eines neuen Gamma-Retrovirus handeln könnte, und Frank Ruscetti und sie forschen weiterhin auf diesem Gebiet - sie untersuchen dieses Hüllprotein weiterhin, auch mit Sequenzierung.

    Die Frage, warum manche Patienten auf antiretrovirale Medikamente ansprechen, beantwortet sie so:

    “Um diese Frage zu beantworten, werde ich drei Beispiele des Einsatzes von antiretroviralen Mitteln bei anderen mit Retroviren zusammenhängenden Krankheiten und Autoimmunkrankheiten nennen.

    Das erste Beispiel ist HTLV-1. Sie wissen, dass Frank Ruscetti das HTLV-1 isoliert hat. Es ist der verursachende Faktor einer schweren Form von Krebs, der unter dem Namen Adulte T-Zell-Leukämie bekannt ist. Interessanterweise ist es immer noch so, dass mit antiretroviralen Medikamenten wie AZT behandelte HTLV-1-Patienten in manchen Fällen darauf ansprechen, es sprechen jedoch nicht alle Fälle von HTLV an. Aber in mehr als 40 Jahren konnte bei keinem der Patienten, die darauf ansprechen, eine Verminderung der Viruslast gezeigt werden. Das heißt, wenn man sich die Viruslast des HTLV-1 bei diesen Menschen vor und nach der Behandlung ansieht, ist das Ausmaß das gleiche. Aber den Patienten geht es besser.

    Also, da die meisten antiretroviralen Medikamente einen Kettenabbruch bewirken – AZT war ursprünglich als ein Antikrebsmittel entwickelt worden – Kettenabbruch bedeutet, dass die Transkription der RNA gestoppt wird. Denken Sie daran, das sind RNA-Viren. Es ist das Enzym RNase-L, das die RNA-Viren in Ihren Zellen abbaut. Das war die ursprüngliche Hypothese von Silverman und Lombardi. Das war ihr Fachwissen in Bezug auf RNA-Zellen. Die antiretroviralen Mittel, die derzeit am häufigsten eingesetzt werden, bewirken wie AZT einen Kettenabbruch, sie beenden einfach die Transkription von RNA. Und zwar von jeglicher RNA in der Zelle, aber in den meisten Fällen ist es Virus-RNA, wenn sie als antiretrovirale Mittel eingesetzt werden.

    Oder die Protease-Inhibitoren. Wir haben eine Menge an zellulären Proteasen, und deshalb können antiretrovirale Mittel normale Proteasen beeinträchtigen. Die positive Wirkung von antiretroviralen Mitteln kann also auf anderen zellulären Wirkmechanismen beruhen, und wir wissen jetzt etwas, was wir damals noch nicht wussten, nämlich, dass es Moleküle gibt, die man als Micro-RNA bezeichnet. Hier handelt es sich um nicht-kodierende RNA. Es ist RNA, die exprimiert ist und die verschiedene Gene reguliert. Und man untersucht sie als mögliche verursachende Faktoren, die bei Krebs eine Veränderung der Zell-Signalisierung bewirken.

    Man hat also einen Nutzen [der antiretroviralen Mittel] zeigen können, und das ist genau auch der Fall bei einer anderen Autoimmunerkrankung bei Kindern [Es folgt ein schwer verständlicher Textabschnitt, d.Ü.]. Es gibt eine Publikation, die belegt, dass AZT in einer Studie beim Sjögren Syndrom (??) tatsächlich wirksam war.

    Und das Sjögren Syndrom ist ein weiteres Syndrom, was wir zur Kategorie dieser Subpopulation von CFS-Patienten zuordnen können, bei denen es kreuzreaktive Antikörper auf etwas gibt, was so aussieht wie HTLV-1. Aber um es zu wiederholen, man hat bei diesen Patienten niemals HTLV-1 oder ein anderes Retrovirus gefunden. Sie haben gag-Sequenzen, sie haben ein Antigen-Protein, das direkt aus dem Plasma ausgefällt werden kann. Das ist eine weitere Testung, die wir bei unseren Patienten durchgeführt haben und die gegen eine Kontamination spricht. Aber diese anormale Transkription zu beenden ist etwas anderes, so wie ich es gerade in Bezug auf den Artikel über die reaktivierten endogenen Retroviren gesagt habe, die sich kombinieren und diese replikationsfähigen Retroviren ausbilden. Retrovirale Proteine und retrovirale Sequenzen können sogar ohne ein replikationsfähiges Virus Schaden anrichten, und zwar durch Immunaktivierung.

    Darüber habe ich auch gearbeitet. Ich habe gezeigt, dass defekte HTLV-1 Viren bei einer Erkrankung des Gehirns, die man HTLV-1-assoziierte Myopathie nennt, eine Rolle spielen könnte. Man muss also kein vollständiges Virus haben, um Krankheiten zu verursachen. Wenn wir also eine Abweichung der Transkription und Signalisierung stoppen können – selbst bei einer Zellsignalisierung, von der wir gar nicht wissen, was da bei diesen Patienten falsch läuft – dann könnte das einen positiven Effekt haben. Also, Multiple Sklerose, Veröffentlichungen über Multiple Sklerose, die eine weitere auf Interferon ansprechende Krankheit ist, zeigen eine Menge Belege für Infektion, aber diese verschiedenen Belege für Infektion bedeuten nicht, dass man bei diesen Menschen einen Erreger direkt isolieren und zeigen kann, dass er übertragbar ist, so wie wir das in unserem Originalartikel getan haben. Das war die erste Isolation.

    Es ist also wirklich ein positiver Effekt unseres Fehlers, wenn Sie so wollen, dass wir jetzt einen weiteren Weg an Hypothesen haben, die wir angehen können, genauso wie therapeutische Möglichkeiten, die wir untersuchen können. Und das ist genau das, was geschieht. Weder Jamie Deckoff-Jones noch Michael Snyderman, auf die in der Frage Bezug genommen wurde [und die beide durch die Einnahme antiretroviraler Medikamente eine erhebliche Besserung erlebt haben, d.Ü.], haben jemals die Diagnose CFS gehabt. Bei Dr. Snyderman wurde Chronisch Lymphatische Leukämie diagnostiziert, und bei Dr. Deckoff-Jones chronische Lyme-Borreliose. Sie brauchen also nicht die erforderliche Diagnose.

    Um es zu wiederholen: Wir untersuchen diese Überkreuzung mit einer Reihe von neuro-immunologischen Krankheiten unbekannter Herkunft und auf einen sich entwickelnden Biomarker, die Kreuzreaktivität, und wir untersuchen potentielle therapeutische Ziele und den möglichen Einsatz einer ganz anderen Klasse von Medikamenten für eine verzweifelte Patientenpopulation.

    Was bedeutet also die [in der Lipkin-Studie festgestellte] Kreuzreaktivität von 6% [bei den Serologietests]? Ist es ein anormales zelluläres Protein, ist es ein normales zelluläres Protein oder ist es ein anderes Virus? Wir versuchen alle, das herauszufinden, zum Wohle der Menschheit. …. Sie kann ein wertvoller Biomarker für einen beträchtlichen Teil der Humanpopulation sowie der Patientenpopulation sein.“

    “Unsere derzeitige Forschung schließt RNA-Viren einschließlich Retroviren nicht aus. Aber wir haben über die Spuren hinaus keine Daten – d.h. die anormalen Zytokin-/Chemokinmuster bei diesen Patienten, die auf  Fingerabdrücke eines Virus hinweisen könnten, sowie diesen Antikörper, der auch ein Fingerabdruck ist. Aber nochmals, wir wissen nicht, auf was das reagiert, und trotz der enormen Bemühungen von Frank Ruscetti und seinem Labor mit diesen 350 Proben war das einzige Virus, was wir isoliert haben, das aus der 22Rv1-Zelllinie. Also zur Zeit können wir keinen Zusammenhang herstellen – und es ist ganz klar, das Ziel der [Lipkin-]Studie war, einen Zusammenhang zu zeigen –, solange wir nicht etwas bei der Population der Kranken finden, was es in der gesunden Population nicht gibt.  Und das konnten wir nicht zeigen. Selbst mit den 6% stehen die Chancen nur bei 50%...“

    Judy Mikovits zählt dann eine Reihe von Forschern auf, die an diesen Fragen weiterabeiten und fährt fort:

    „Wir setzen die vollkommen neutralen Sequenzierungstechnologien der nächsten Generation ein, um potentielle Erreger aufzuspüren, und wir werden daran weiterarbeiten, bei diesen Fußspuren Fortschritte zu machen sowie an den therapeutischen Zielen, bevor wir überhaupt irgendetwas entdecken."

    Die Frage ob die Ergebnisse der Untersuchung von britischen ME/CFS-Patienten jetzt alle ungültig seien, beantwortete sie so:

    Leider ja. Und der Grund dafür ist, dass wir, wie ich schon sagte, die Herkunft des XMRV als eine Laborkontamination erkannt haben, als wir mit dieser Studie anfingen."

    Judy Mikovits betonte mehrfach, dass es keine Vertuschung seitens der NIH oder der Regierung gegeben habe, im Gegenteil, sie hätten diese Studie gefördert und finanziert. Sie betont mehrfach, dass die Lipkin-Studie eine wahre Replikationsstudie ihrer Originalarbeit von 2009 war. Und Lipkin hat großen Wert darauf gelegt, dass Judy Mikovits an dieser Studie teilnimmt und einige Schwierigkeiten überwinden müssen, weil gegen Judy Mikovits diese Anzeige wegen Diebstahls von Notebooks durch ihren früheren Arbeitgeber, das Whittemore Peterson Institute, anhängig war. (Diese Anzeigen sind von den Justizbehörden inzwischen eingestellt worden.)

    “In dem Originalartikel [von 2009] haben wir ein neues humanes Retrovirus isoliert. Das hat sich als falsch herausgestellt. Das war offiziell, das war inoffiziell, das war alles mögliche. Nichtsdestotrotz gab es in dieser Studie einige Perlen wie die Serologie-Ergebnisse, die gag-Sequenzen, die man nicht als Kontamination bezeichnen konnte, wie die Immunpräzipitation von Proteinen aus unbearbeitetem Gewebe. Um es nochmals zu sagen: es gibt kein XMRV, wir haben in der Tat eine Kontamination isoliert, die sich leichter ausbreiten konnte als jedes andere Retrovirus zuvor."

     

    Weitere Auszüge aus Judy Mikovits' Interview hier: http://www.mecfsforums.com/index.php/topic,14019.30.html

     

    Nature. 2012 Nov 29;491(7426):774-8. doi: 10.1038/nature11599. Epub 2012 Oct 24.

    Resurrection of endogenous retroviruses in antibody-deficient mice.

    Young GR, Eksmond U, Salcedo R, Alexopoulou L, Stoye JP, Kassiotis G.

    Source: Division of Immunoregulation, MRC National Institute for Medical Research, The Ridgeway, London NW7 1AA, UK.

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23103862

    Zusammenfassung

    Der Wirtsorganismus von Säugetieren hat eine seit langem bestehende symbiotische Beziehung mit einer beträchtlichen Anzahl mikrobieller Spezies entwickelt. Dazu gehören Mikrobiota auf Oberflächen, die mit der Umwelt im Kontakt sind, wie etwa der Atemwegs- und der Verdauungstrakt, sowie endogene Retroviren (ERVs), die einen beachtlichen Teil des Säugetiergenoms ausmachen. Die langfristigen Konsequenzen für den Wirtsorganismus aus den Wechselwirkungen zwischen Wirt und diesen mikrobiellen Spezies kann von Mutualismus [wechselseitigem Nutzen] bis Parasitismus [Schmarotzertum] reichen. Die mögliche Auswirkung von einem mikrobiellen Symbionten auf einen anderen ist noch ungeklärter. In diesem Artikel untersuchen wir die Kontrolle von ERVs in einem häufig verwendeten Mäusestamm (C57BL/6 (B6) ), der keine endogenen murinen Leukämieviren (MLVs) hat, die sich in Mäusezellen vermehren können. Wir zeigen das spontane Auftauchen von vollständig infektiösem ecotropem MLV in B6-Mäusen mit einer Reihe von ausgeprägten Immundefekten auf, die die Antikörperproduktion beeinträchtigen. Diese rekombinanten Retroviren begründen eine Infektion von immungeschwächten Mäusekolonien und führen schließlich zu Lymphomen, die durch Retroviren ausgelöst werden. Bemerkenswerterweise wird die Aktivierung von ERVs bei immungeschwächten Mäusen verhindert, wenn die Mäuse unter Bedingungen gehalten werden, bei denen die Mikrobiota im Darm [die Darmflora] vermindert ist oder fehlt. Unsere Ergebnisse beleuchten die bislang unbeachtete Rolle der Immunität bei der Kontrolle von ERVs und liefern einen potentiellen mechanischen Zusammenhang zwischen einer Immunaktivierung durch mikrobielle Auslöser und einer Reihe von Pathologien, die mit ERVs zusammenhängen, einschließlich Krebs.

    Ein interessanter Artikel zur Wiederbelebung von endogenen Retroviren findet sich hier:

    http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-gene/immunologie-und-genetik-erreger-wieder-auferstanden-11959377.html