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Artikel des Monats Juli 09 Teil II
Chronische Erschöpfung und naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle (Teil I) von Dr. med. Anna Dorothea Höck
Zusammenfassung Naturwissenschaftlich plausible Erklärungsmodelle für das chronische Erschöpfungssyndrom finden sich erstmals in der Forschung über zwei Signaltransduktionswege, die beide durch Ribonukleinsäure aktiviert werden und durch Interferone induziert werden. Dieses ist der Aktivierungsweg der Proteinkinase R (PKR)- und der 2’,5’-Oligoadenylat-Synthase (2’,5’-OAS). Ein auf dem PKR-Signalweg sich aufbauender dekompensierter NO/ONOO¯-Zyklus erklärt noch umfassender, wie es zu den vielfältigen Symptomen bei chronischem Müdigkeitssyndrom (CFS) und verwandten Erkrankungen kommen kann. In beiden Modellen ist die Aktivierung des Nukleären Faktors kappa B (NF-κB) ein zentraler Faktor, der Interferon-gamma (IFN-γ), proinflammatorische Zytokine und induzierbare Stickstoff-Monoxyd-Synthase (iNOS) induziert. Der dabei unvermeidlich entstehende überhöhte Anfall an freien Sauerstoffradikalen (ROS) führt u. a. zu überhöhtem intrazellulärem Calcium (Ca2+ic), einem zweiten zentralen Faktor des Krankheitsgeschehens. Energiemangel, chronische Schmerzen, multiple biologische Funktionsstörungen und langfristig Organschäden sind die klinischen Folgen. Abkürzungen:
Einleitung Seit Beginn des neuen Jahrtausends häufen sich wissenschaftliche Arbeiten, die einen Zusammenhang zwischen nicht nur oxydativem, sondern auch nitrosativem Stress und Erkrankungen aus dem Formenkreis der chronischen Erschöpfung sehen (1-14). Im Vorfeld haben ab 1994 Arbeiten über Dysregulation eines Enzyms, das Ribonukleinsäure spaltet (RNase L), zunehmend den Weg geebnet, um die zentrale Stellung der Hyperaktivierung des Immunsystems bei CFS zu verstehen (15-19). Ab 2005 interessieren sich auch Vitamin D-Forscher für Erkrankungen aus dem Formenkreis der chronischen Erschöpfung und entdecken zunehmend plausible Zusammenhänge (20-22). Somit ist ein Vitamin D-Mangel-Modell hinzugekommen, das aber erst im Teil II besprochen wird. Ziel dieser Arbeit ist es, die drei Modelle in Beziehung zueinander zu setzen. Es wird dargelegt, wie sich die drei Sichtweisen gegenseitig ergänzen. Verbessertes Verständnis der Ätiologie und Pathogenese, und in Stufen aufgebaute Therapieschemata werden dadurch möglich. Das Modell der antiviralen Signalwege Interferone induzieren die Genexpression von zwei verschiedenen biologischen, u. a. antiviral wirkenden Signalwegen (23,24). Doppelsträngige Ribonukleinsäuren (dsRNA), welche u. a. von Viren gebildet werden, aktivieren die zentralen Enzyme dieser Signalwege. Sie sind der Proteinkinase R (PKR)- und 2’,5’-Oligoadenylatsynthase (2’,5’-OAS)-Signalweg (25,26) (Abb. 1). Beide Signalwege sind Teil eines weitläufigen Stress- und Abwehrsystems im Rahmen der angeborenen Immunität (27). Es werden verschiedenste prä- und post-transkriptionelle, sowie auch transkriptionelle Mechanismen der Genexpression benutzt, mit dem generellen Ziel, bei Zellstress jeglicher Form Abwehrmaßnahmen sowie Energie- und Nutrientenverbrauch gezielt und ökonomisch auszurichten (28-29). Im typischen Fall werden die PKR- und 2’,5’-OAS-Signalwege insbesondere von den Typ I-Interferonen Interferon-alpha (IFN-α) und Interferon-beta (IFN-β) induziert, während Interferon-gamma (IFN-γ) vornehmlich Antigen-präsentierende MHC-Proteine der Klasse I und II sowie die Modulation der Antigen-Prozessierung durch das Proteasom induziert (30). Der PKR-Signalweg: Die durch langstreckige dsRNA aktivierte PKR ist ein Enzym aus der Gruppe der so genannten Kinasen. Diese übertragen eine energiereiche Phosphatgruppe auf verschiedene Proteine, was Phosphorylierung genannt wird. Durch diese Phosphorylierung werden verschiedene Proteine in ihrer Funktion verändert – sie können sowohl aktiviert, als auch deaktiviert werden. Neben anderen Proteinen wird durch PKR der eukaryotische Elongationsinitiationsfaktor (eIF2α) phosphoryliert, was ihn deaktiviert und die Proteinsynthese auf der Ebene des Ribosoms hemmt. Auch der Inhibitor des Nukleären Faktors kappa B (IκB) wird durch die PKR phosphoryliert und ebenfalls deaktiviert. Das bedeutet, IκB kann seine Hemmwirkung auf den an ihn gebundenen Transkriptionsfaktor, genannt Nukleärer Faktor-kappa B (NF-κB ), nicht mehr ausüben. IκB gibt den NF-κB frei. NF-κB tritt daraufhin in den Zellkern ein, und induziert dort die Expression von Stress- und Entzündungsgenen (26,30). Die Folge ist vermehrte Bildung von Interferon-gamma (IFN-γ) und pro-inflammatorischen Zellbotenstoffen (Zytokine), u. a. Interleukin 1-beta (IL-1β), Interleukin-2 (IL-2), Interleukin-6 (IL-6), Interleukin-8 (IL-8), Interleukin-12 (IL-12) und Tumor Nekrose Faktor-alpha (TNF-α) (26, 31-33). Diese induzieren dann wiederum die genetische Expression des Enzyms induzierbare Stickstoffmonoxyd-Synthase (iNOS) (11,30,34).
Abkürzungen:
Der 2’5’OAS-Signalweg: Das ebenfalls durch Bindung von dsRNA aktivierte Enzym 2’5’-Oligoadenylatsynthase (2’,5’-OAS) bildet aus ATP, welches die universale Währung der Energie darstellt, ungewöhnliche Ketten von 2’,5’-Oligoadenylaten (2-5A) (26,28). Die Kettenlänge der 2-5A kann von 2 bis 30 betragen (Di-mere bis 30-mere). Diese 2-5A-Oligomere binden sich an ein Ribonukleinsäure (RNA) zerschneidendes Enzym (Endonuklease L, RNase L) und aktivieren dieses Enzym (35,36). Aktivierte RNase L zerschneidet vorzugsweise virale Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) direkt nach ihrer Bildung, und verhindert dadurch gezielt Genexpression, u. a. also auch die Proteinbildung (16-18,35-37). Weitere Funktionen beider Signalwege: Beide Signalwege übernehmen über die Virusabwehr hinaus noch generelle zelluläre Aufgaben. Sie induzieren Gene, welche normale Kontrolle von Wachstum, Differenzierung und programmiertem Zelltod (Apoptose) der Zellen übernehmen (28,38). Hemmung der Proteinsynthese durch Aktivierung der PKR- und der 2’,5’-OAS-Signalpfade wird im Kampf gegen Infektionen als biologisches Abwehrmittel benutzt und ist Teil der unspezifischen Immunantwort (26,35). Bei einer Infektion resultiert daraus der Untergang von Krankheitskeimen. In ihrer Eigenschaft als Stress-Response-Ribonuklease bildet die RNase L (84kDa) kleinere RNA-Sequenzen, die eine positive Wirkung auf die Abwehrkraft des angeborenen Immunsystems haben (37,39). Zusätzlich zum post-transkriptionellen Abbau der RNA erledigt sie auch Splicing-Funktionen an der RNA und induziert einen weitläufigen, durch Zellstress aktivierten Kinaseweg (Phosphorylierungsweg) (29). Die Wirkung beider Signalwege auf die Apoptose: Der PKR-Weg hat über Aktivierung des NFκB hinaus nicht nur die Funktion, Entzündung zu erzeugen und die iNOS zu induzieren, sondern vermittelt auch zellprotektive Wirkungen, u. a. durch seine in der Regel eher hemmende Wirkung auf die Apoptose (26,40) (Abb. 2). Dagegen wird über Typ I-Interferone und den 2’,5’-OAS/RNase L-Signalweg, sowie die Phosphorylierung von eIF im PKR-Signalweg die Apoptose gefördert (25,35) (Abb. 2).
Abkürzungen:
Bedeutung der beiden Signalwege für Erkrankungen mit chronischer Erschöpfung: Wenn auch in einer Untergruppe der Patienten mit chronischem Fatigue-Syndrom (CFS) ein dysregulierter 2’,5’-OAS/RNase L-Weg gefunden wurde, so ließ sich dennoch die generelle Virusgenese als Ursache bei chronischem Müdigkeitssyndrom (CFS) bisher nicht erhärten (41,42). Hochregulierung der RNase L findet sich auch nicht regelmäßig bei CFS-Fällen und ist im Längsschnitt der Erkrankung nicht stabil nachweisbar (43). Bei CFS werden in atypischer Weise, abweichend von dem üblichen antiviralen Signalweg, vorwiegend nur dimere Oligoadenylate gebildet, die mit dazu beitragen, dass die RNase L bei CFS abnorm niedermolekular ist, wenngleich sie enzymatisch (katalytisch) extrem aktiv mRNA zerschneidet (41). Bei CFS-Fällen mit abnorm regulierter RNase L ist bisher nicht erklärt, warum trotz Aktivierung der antiviralen Signalpfade keine Apoptose der Immunzellen die Entzündung beendet, wie vom Modell erwartet wird (42). Daher ist inzwischen die NF-κB-Aktivierung durch Toll-like-Rezeptoren (TLRs) (Asehnoune 2004, Frémont 2006), und die überhöhte Bildung von NO durch iNOS als mögliche Erklärung für ungenügende Apoptose in das Zentrum der weiteren Forschung geraten (42). Diese Sicht leitet zum zweiten Erklärungsmodell für CFS über. Das Modell des dekompensierten Stickstoffmonoxyd/Peroxynitrit-ZyklusInsbesondere der Autor Martin L. Pall hat sich seit dem Jahr 2000 dem Thema des Stickstoffmonoxyd/Peroxynitrit(NO/ONOO¯)-Zyklus intensiv gewidmet. Er sieht in der Dekompensation dieses Zyklus die somatische Ursache für Erkrankungen aus dem Formenkreis der chronischen Erschöpfung (11). Sein Modell erklärt zwanglos die auffälligen Überlappungen zwischen der Symptomatik von CFS, Fibromyalgie (FMS), multipler chemischer Überempfindlichkeit (MCS), und erklärt ebenfalls die diversen Funktionsstörungen und seelischen Veränderungen, die mit den Erkrankungen einhergehen (6,45,46) (Tab.1). Auch Komorbiditäten, wie Asthma, Tinnitus, Autoimmunerkrankungen, Lupus erythematodes und rheumatoide Arthritis lassen sich durch dieses Modell leicht ableiten (11). Auch andere Autoren führen z. B. Magensaftrefluxerkrankung (47) und die überaktive Blase (48) auf überhöhte NO-Produktion zurück. NO als erwünschtes Signalmolekül: Physiologische NO-Bildung mit segensreichen Folgen für vielfältige Körperfunktionen müssen von extrem überhöhter NO-Bildung bei nitrosativem Stress streng voneinander unterschieden werden. Die beiden gut reguliert (konstitutiv) arbeitenden NO-Synthasen, endotheliale (eNOS) und neuronale NO-Synthase (nNOS), bilden NO, das vor allem an cyklisches G-Protein (cGMP) bindet. Dadurch wird eine sogenannte G-Kinase aktiviert, die durch Phosphorylierung viele Proteine in ihrer Aktivität moduliert (30,49). NO vermittelt z. B. Gefäß- und Bronchialerweiterung, Peniserektion, Darm- und Uterusbewegungen, Keimabtötung, antithrombotische Funktion und auch interzelluläre Kommunikation im Gehirn (u. a. Lernfunktionen) (30,49,50). Die genannten Funktionen sind erwünscht und bilden eine physiologische nitrosative Belastung.
NO im Dienst von Stress- und Abwehrvorgängen: Bei Zellstress wird die NO-Bildung massiv heraufgesetzt. Es entsteht dadurch nitrosativer Stress, zwangsläufig gefolgt von oxydativem Stress. Das dient der Keimabtötung und Aktivierung des Immunsystems in Richtung Entzündung, ist von daher biologisch sehr sinnvoll, allerdings um den Preis eines einsetzenden NO/ONOO¯-Zyklus. Dieser beginnt zunächst als lokaler Prozess, breitet sich erst allmählich im ganzen Körper aus. Mit zunehmender Dekompensation entsteht eine generalisierte Erkrankung („Multisystemerkrankung“) (11). Lange Zeit stehen schwelende Entzündungen und neuro-endokrin-immunologische Dysfunktionen im Vordergrund. Erst langfristig zeigen sich sichtbare Organschädigungen, die mit etablierten medizinischen Diagnosen erfasst werden können. Der Eintritt in den Kreislauf kann an verschiedenen Stellen und durch verschiedenste Auslöser erfolgen, z.B. Infektionen, Toxine, hohe Arbeitsbelastung, exzessive sportliche Leistungen, und vieles andere mehr (11). Durch sich selbst verstärkende Mechanismen (positiver Feedback) mündet die Erkrankung in einen Teufelskreis (Circulus vitiosus) (Abb. 3).
Abkürzungen:
Zellstress führt zur exzessiven NO-Bildung: Stickstoffmonoxyd (NO) stellt keine chemische Einheit dar, sondern kann im Rahmen von Redox-Vorgängen schnell in NO-Radikale (NO˙), sowie in Nitrosonium- (N+), und Nitroxyl-(NO¯)-Ionen umgewandelt werden (30,51). NO ist sehr kurzlebig, bedarf also der ständigen Neubildung durch NO-Synthasen (NOS). NO wird aus L-Arginin gebildet, es entsteht dabei Citrullin. NO bindet an Superoxyd (OO˙¯), worauf das wesentlich toxischere Peroxynitrit (ONOO¯) entsteht. ONOO˙¯ seinerseits bindet weitaus intensiver als NO und vor allem irreversibel an Proteine, DNA und Lipide, mit der Folge von bleibenden Schäden der Enzym-, Gen- und Zellstruktur (11,30,50,52,53)). Noch nicht gebundenes ONOO˙¯ zerfällt weiter in ein Hydroxylradikal (OH˙) und NO2˙-Radikal (NO2˙). Beide sind noch toxischer als ONOO˙¯ (49). Die Kaskade des Stickstoffmonoxyd/ Peroxynitrit-Zyklus (NO/ONOO¯-Zyklus) ist eingeleitet (6-12) (Abb. 3). Die konstitutiv arbeitenden NO-Synthasen eNOS und nNOS werden durch Ca2+-Calmodulin und Phosphorylierung aktiviert (49,50). Zellstress führt zu erhöhtem intrazellulärem freiem Calcium (Ca2+ic), was die genetische Expression von eNOS und nNOS steigert. Erhöhter Anfall von NO ist die Folge (11) (Abb. 3). Eine dritte nicht konstitutiv arbeitende NO-Synthase, die nicht durch erhöhtes Ca2+ic induziert wird, sondern durch NF-κB-Aktivierung, wird induzierbare NO-Synthase (iNOS) genannt (11,30,34,50,52). Zellstress, Infektion, erhöhtes Ca2+ic, vermehrte freie Radikale (NO˙, OO˙¯, ONOO˙¯ und andere Radikale), zusammengefasst unter dem Begriff „reactive oxygen species“ (ROS), induzieren die Aktivierung dieses im Entzündungsgeschehen zentralen Transkriptionsfaktors NF-κB (40,54). Er induziert die genetische Expression von IFN-γ, inflammatorischen Zytokinen und iNOS. Intensiver Anfall von NO, ROS, weiterer Anstieg von Ca2+ic, anhaltende Entzündung und zunehmende Dekompensation des NO/ONOO¯-Zyklus sind die Folgen (11,30,32,49,54. Faktoren, die zur Dekompensation des NO/ONOO¯-Zyklus beitragen: Zur Verschärfung des nitrosativ-oxydativen Stresses kommt es durch mehrfache Faktoren (Abb. 4). Hitze, niedrige pH-Werte (Azidose), Chemikalien, OO˙¯↑, und viele weitere Stressoren stimulieren die Vanilloidrezeptoren, diese wiederum aktivieren dann die NMDA-Rezeptoren (11). Durch deren Aktivierung steigt das Calcium in der Zelle an (Ca2+ic). Durch ONOO˙¯ werden die NMDA-Rezeptoren überaktiviert, was zur weiteren Erhöhung des intrazellulären freien Calciums (Ca2+ic) beiträgt (11). Erhöhtes Ca2+ic wiederum induziert die vermehrte genetische Expression von eNOS und nNOS, so dass vermehrt NO gebildet wird. ONOO˙¯ hemmt die Superoxiddismutase (SOD) im Mitochondrion, so dass das bei der Energiebildung anfallende OO˙¯ nicht ausreichend entgiftet wird. Die dadurch erhöht anfallenden freien Radikale OO˙¯ und ONOO˙¯ lagern sich an Membran-Ionenpumpen an, die dadurch das innere Zellmilieu nicht mehr ausreichend gegen das äußere abschirmen können. Ionenpumpen, u.a. auch Calciumpumpen, werden durchlässiger, es strömt vermehrt Calcium in die Zelle, was auch auf diesem Weg zur Erhöhung des intrazellulären freien Calciums (Ca2+ic) beiträgt (55,56). OO˙¯ und ONOO˙¯ hemmen die Eisen und Schwefel enthaltenden Enzyme der Elektronentransportkette, wodurch Energiemangel (ATP-Mangel) entsteht. Durch Energiemangel reagieren die NMDA-Rezeptoren hypersensitiv, was wiederum zur Erhöhung des intrazellulären freien Calciums (Ca2+ic) beiträgt (11). Überstimulierte NMDA-Rezeptoren und die im Rahmen des nitrosativ-oxydativen Stresses entstehende Verarmung an reduziertem Glutathion führen zur Hyperaktivität der Xanthinoxidase, was wiederum vermehrte OO˙¯-Bildung zur Folge hat (11). In hypoxisch geschädigten Körperarealen und bei ausgeprägtem Anfall von ROS kommt es darüber hinaus zur Umkehrung der Aktivität der Xanthindehydrogenase in Xanthinoxidase (11).
Abkürzungen:
Durch die erhebliche Induktion der drei Stickstoffmonoxydsynthasen (NOS) und Anfall von freien Radikalen entsteht ein Mangel an Cofaktor Tetrahydrobiopterin und Ausgangssubstrat Arginin (11,50). Tetrahydrobiopterin wird durch ONOO˙¯ oxidiert und dadurch inaktiviert, Arginin wird bei der NO-Bildung verbraucht. Durch den Mangel an Cofaktor und Substrat bilden die NOS nicht mehr NO˙, sondern das sehr toxische Superoxyd (OO˙¯), was Entkopplungsreaktion der NOS genannt wird (11). Weiterhin führt Bindung von ONOO˙¯ an DNA zu DNA-Brüchen. Diese aktivieren das Enzym Poly-ADP-Ribose-Polymerase, welche zum Komplex der DNA-reparierenden Enzyme gehört. Poly-ADP-Ribose-Polymerase verbraucht bei diesen Reparaturvorgängen sehr viel NAD, somit sinkt auch der NADH-Pool, was zusätzlich zur Beeinträchtigung der ATP-Bildung beiträgt (11,57). Der dekompensierte NO/ONOO¯-Zyklus führt zu Energiemangel, Schmerzen und Funktionsstörungen: NO, ONOO˙¯ und OO˙¯ verändern die Funktion insbesondere von Enzymen mit Metallen in ihren aktiven Zentren (30,58,59). Aktivierungen, aber auch Deaktivierungen sind möglich. ONOO˙¯ inaktiviert die Eisen-Schwefelzentren der Komplexe I und II und die Hämgruppe der Cytochromoxidase C (Komplex IV), wodurch die Energiebildung (ATP-Bildung) in der mitochondrialen Elektronentransportkette beeinträchtigt wird (11,30). NO hemmt andererseits die Aconitase und Succinatdehydrogenase im Zitronensäurezyklus (11,30,49,60,61). Dadurch wird weniger NADH und ATP gebildet (11). Alle Teilnehmer des NO/ONOO¯-Zyklus, so NO˙, OO˙¯, ONOO¯, proinflammatorische Zytokine, freie Radikale, überaktivierte NMDA- und Vanilloid-Rezeptoren und erhöhtes Ca2+ic verursachen Schmerz und stehen untereinander in Zwiesprache, d. h. sie können sich in ihren Effekten untereinander verstärken (62-71). Zusätzlich spielen hormonelle Faktoren eine Verstärkerrolle, exzessive körperliche Belastung und Sonnenexposition (11). Durch die vielfältigen Anlagerungen von NO und freien Radikalen an die verschiedensten Enzyme entstehen veränderte Funktionen im Körper. Als Beispiele solcher Funktionsstörungen seien angeführt die der Entgiftung (11), der überhöhten Magensaftproduktion mit Reflux (47) und der Blasenfunktion (48). Bei anhaltendem nitrosativ-oxydativem Stress folgen aber auch Strukturschäden, die im Laufe der Zeit zu diagnostizierbaren Organschäden führen. Der Zusammenhang zwischen den Funktionsstörungen und späteren Organschäden wird wegen der über viele Jahre gehenden Latenz in der heutigen medizinischen Lehre noch nicht wahrgenommen (Abb. 5).
Abkürzungen:
Aus dem NO/ONOO¯-Modell ergeben sich einerseits biochemische Marker, die zur Diagnostik und zum Beweis der Erkrankung eingesetzt werden könnten (11) (Tab. 2), andererseits wichtige therapeutische Konsequenzen (11) (Tab. 3).
Diskussion: Das erste dargestellte Modell der antiviralen und Stress-induzierten Signalwege hat wichtige Grundlagen zur naturwissenschaftlichen Begründung für Erkrankungen aus dem Formenkreis der chronischen Erschöpfung erarbeitet, wenngleich sich Virusinfektionen nicht als Ursache haben bestätigen lassen. Nur bei einer Untergruppe der CFS-Kranken wird in bestimmten Erkrankungsphasen eine nachweisbare Hochregulation im 2’,5’-OAS-Signalpfad gefunden, welche gezielt therapeutisch behandelt werden kann (123). Der PKR-Signalpfad durch Aktivierung von TLR (Toll-like Rezeptoren) dagegen lässt sich auch ohne Virusbeteiligung erklären (34,108). Chronische NF-κB-Aktivierung lässt sich sogar ohne Aktivierung von TLR erklären, nämlich alleine durch erhöhtes Ca2+ic und erhöhten nitrosativ-oxydativen Stress direkt, oder über Aktivierung der Tumor-Nekrose-alpha-Rezeptoren (TNF-Rezeptoren) (40,44,54). Die chronische NF-κB-Aktivierung mündet dann zwangsläufig in einen dekompensierten NO/ONOO¯-Zyklus. Das gut begründete Modell des dekompensierten NO/ONOO¯-Zyklus, der durch einen initialen Stressor ausgelöst worden ist, erklärt befriedigend die vielen komorbid auftretenden Beschwerden bei Erkrankungen aus dem Formenkreis der chronischen Erschöpfung. Auch seit jeher unterstellte psychosoziale und/oder innerpsychisch bedingte Auslöser für chronische Erschöpfung stehen im Einklang mit diesem Modell. Die zentralen Faktoren des NO/ONOO¯-Zyklus sind überhöhte NO-Bildung, exzessive Superoxydbildung (OO˙), erhöhtes Ca2+ic, Überaktivierung von Neurotransmitter-Rezeptoren, vor allem von NMDA-Rezeptoren, NF-κB-Aktivierung, sowie ATP-Mangel. Durch positive Rückkopplungen entsteht eine zunehmende Verstärkung des ursprünglich auslösenden nitrosativ-oxydativen Stresses, was die chronische und progressive Natur des Krankheitsprozesses erklärt. Martin Pall führt aber eine Gruppe von Erkrankten auf, für die kein plausibler primärer Stressauslöser zu finden ist. In diese Lücke könnte das dritte Modell des Vitamin D-Mangels sich plausibel einfügen. Die genaue Darlegung und Diskussion wird in einer weiteren Arbeit zur Sprache kommen. (Siehe Artikel des Monats Juli 09 Teil I) Literatur: 1. Bieger WP, Bartram F, Knabenschuh F, et al. Die Rolle von oxydativem Stress in der Pathogenese von MCS. Z Umweltmedizin 2002; 47:198-205. 2. Brand K. Dysregulation des NF-kB Systems bei entzündlichen und malignen Prozessen - Bedeutung der IKK-Komplex assoziierten Signalübertragung. J Lab Med 2001; 25:130-32. 3. Kuklinski B, Beyer H: Neurogene Entzündung und Xenobiotika-Suszeptibilität-eine Literaturübersicht und erste eigene Ergebnisse. Z Umweltmedizin 2002; 10:29-35. 4. Kuklinski B, Schiefer R, Bleyer H. Hirnschrankenprotein S-100 und Xenobiotika-Suszeptibilität. Erste eigene Ergebnisse. Z Umweltmedizin 2003; 16:112-20. 5. Pall ML. Elevated, sustained peroxynitrite levels as the cause of chronic fatigue syndrome. Med Hypotheses 2000; 1:115-125. 6. 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Köln, den 07.04.2008 Ärztin für Innere Medizin, Psychotherapie Mariawaldstr. 7, 50935 Köln, Tel: 0221-466650 |