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Artikel des Monats November
Teil 1
Mittel gegen Krebs auch
wirksam bei ME/CFS
Studie norwegischer Onkologen mit Rituximab
Die Studie
Die
norwegische Krebsspezialisten Øystein Fluge und Olav Mella haben zunächst "durch
Zufall" herausgefunden, dass ein als Krebsmittel eingesetztes Medikament bei
einer Patientin mit einem B-Zell-Lymphom auch die Symptome ihres ME/CFS verschwinden lässt.
Sie
behandelten dann in einer Pilotstudie drei Patientinnen, die sowohl unter ME/CFS als auch dann später unter
einem B-Zell-Lymphom litten, mit einem monoklonalen Antikörper gegen reife
B-Lymphozyten, sogenannte CD20-Zellen.
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Øystein Fluge und Olav Mella |
Alle drei Patientinnen erlebten, allerdings mit
monatelanger Verzögerung, eine signifikante Besserung ihres Zustands. Nach
einigen Monaten jedoch kam es jedoch zu einem Rückfall. Eine Wiederholungsbehandlung wurde nötig, die erneut
zu einer Besserung führte.
Das führte die Forscher zu der Hypothese, dass die B-Zellen eine bedeutende
Rolle bei ME/CFS spielen könnten. Sie haben deshalb nach dieser Pilotstudie eine placebokontrollierte
Doppelblind-Studie an 30 Patienten durchgeführt, von denen je die Hälfte ein
Placebo und das Medikament Rituximab erhielt. 10 der 15 mit dem Wirkstoff
behandelten Patienten (67%) gaben auf einer selbstberichteten Fatigue-Skala eine
erhebliche Besserung ihrer ME/CFS-Symptomatik an, während dies nur zwei aus der
Placebo-Gruppe taten. Die Besserung hielt zwischen 8 und 44 Wochen an, bei vier
Personen sogar länger als die Studiendauer.
Nur bei einem
der Patienten, der Rituximab erhielt, zeigte sich eine rasche Reaktion auf die
Medikamentengabe. Bei den anderen neun Patienten setzte die Wirkung zwischen
drei und sieben Monaten nach der Behandlung ein, die dann im Durchschnitt 25
Wochen anhielt. Bei zwei Patienten hielt die Wirkung, d.h. die Abschwächung
aller ME/CFS-Symptome noch 30 bzw. 32 Monate nach der Behandlung an.
Nur zwei der 15 Personen, die eine Kochsalzlösung erhielten,
hatten eine leichte bis starke Besserung.
Jeder der
Studienteilnehmer wurde mit standardisierten Instrumentarien zur Erfassung der
Symptomstärke untersucht, und zwar vor Beginn der Behandlung und dann jeweils 2,
4, 6, 8, 10 und 12 Monate nach der Behandlung. Auch bestimmte Parameter des
Immunsystems wurden untersucht. Hier zeigten sich jedoch keine signifikanten
Unterschiede zwischen der Zeit vor und nach der Behandlung. Jeder der Teilnehmer
bekam zwei Infusionen mit Rituximab in zweiwöchigem Abstand.
Ermutigt durch
die lange Remissionszeit der zwei Studienteilnehmer überprüfen die Forscher nun,
ob eine wiederholte Gabe des Rituximab in regelmäßigen Abständen die
ME/CFS-Symptome auf Dauer unterdrücken könne. Mella sagte, es sei möglich, dass
die fünf Studienteilnehmer, bei denen es zu keiner Besserung kam, eine solche
vielleicht noch erreicht hätten, wenn man ihnen weitere Dosen des Medikaments
verabreicht hätte.
Auch wenn das Medikament wegen der möglichen schweren Nebenwirkungen sehr
vorsichtig verabreicht werden muss, gab es im Verlauf dieser Studie keine
solchen Nebenwirkungen.
Die Autoren schlussfolgern: "Die verzögerte Reaktion, die trotz der raschen
B-Zell-Deziminierung erst 2-7 Monate nach der Rituximab-Behandlung eintrat,
lässt darauf schließen, dass CFS eine Autoimmunerkrankung ist. Diese verzögerte
Wirkung könnte mit der allmählichen Eliminierung von Autoantikörpern
zusammenhängen, die es vor Eintritt der klinischen Reaktion gegeben hat."
Die Forscher sagen, die Ergebnisse ihrer Studie belegten, dass ME/CFS keine
primär psychiatrische Erkrankung sei.
Was ist Rituximab?
Dieses Medikament besteht aus künstlich hergestellten, sogenannten
monoklonalen Antikörpern, die sich an Oberflächenmarker auf (reifen)
B-Zellen (CD20) anheften und so zum Absterben der B-Lymphozyten
führen. Wenn B-Zellen entarten, d.h. ein B-Zell-Lymphom vorliegt,
dann kann man mit diesem Mittel gezielt gegen diese Krebszellen
vorgehen. Der Körper produziert wieder neue, gesunde B-Zellen, so
dass nach Aussage der Forscher die Immunkompetenz der behandelten
Patienten im Prinzip nicht beeinträchtigt wird.
B-Lymphozyten sind die Zellen unseres Immunsystems, die ihrerseits
spezifische Antikörper gegen körperfremde Substanzen wie Viren und
Bakterien bzw. von diesen befallene Zellen produzieren, gelegentlich
aber auch Antikörper gegen körpereigenes Gewebe. Dann spricht man
von Autoantikörpern oder Autoimmunreaktionen. Deshalb setzt man das
Medikament auch bei Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis
(RA) ein. Hier ist das Ziel, die Quelle der Autoantikörper zu
zerstören und damit die "unangebrachten" Entzündungsreaktionen und
die Zerstörung körpereigenen Gewebes zu unterbinden.
Dieser zweite Wirkmechanismus ist es, der die norwegischen Forscher
vermuten lässt, dass ME/CFS eine autoimmune Komponente habe oder
eine Autoimmunkrankheit sei. Sie machen jedoch keine Aussage
darüber, was die Ursache für eine solche Autoimmunität sein könnte.
Weitere Erklärungen von Dr. John Sweetenham zur Wirkungsweise des
Rituximab in dieser Studie finden Sie
hier.
Schon in der Vergangenheit wiesen mehrere Studien darauf hin, dass
es bei ME/CFS eine abnorme B-Zell-Aktivität gibt. Inwieweit die
medikamentöse Zerstörung der B-Zellen eine logische Folge ist,
diskutiert Gordon Broderick
hier.
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Thesen über die
Wirkungsweise und Kommentare der Forscher
Die verzögerte
Wirkungsweise des Rituximab sei, so die Forscher, schwer allein dadurch zu
erklären, dass etwa ein Virus ausgemerzt worden sei. Das Reaktionsmuster stimme
eher überein mit einer "allmählichen Ausmerzung von Autoantikörpern, vielleicht
durch eine vorrangige Ausschaltung von kurzlebigen Prä-Plasmazellen."
Mella sagt, dass
die B-Zellen etwa zwei Wochen nach der Behandlung verschwunden seien, aber dass
Autoantikörper üblicherweise noch weitere zwei oder drei Monate überleben. "Das
Ausschwemmen dieser Antikörper ist die wahrscheinlichste Erklärung für die
zeitverzögerte Wirkung," sagt er.
Es könnte auch sein, dass eine der Wirkmechanismen in der
Ausschaltung des Virusreservoirs für das Epstein-Barr-Virus (EBV)
ist. EBV ist ebenso wie andere virale Erreger dafür bekannt, dass es
den oxidativen Stress steigert, und EBV verändert u.a. durch diesen
oxidativen Stress den Zustand der B-Zellen. EBV versucht, sich in
den B-Zellen zu vermehren, und wenn diese einmal infiziert sind,
dann dienen sie auch als Virusreservoir für eine permanente, latente
EBV-Infektion.
Es gibt Studien, die zeigen, dass Rituximab auch wirksam sein kann,
ohne die Autoantikörperwerte zu senken, von denen man annimmt, dass
sie die Autoimmunkrankheiten hervorrufen. Tatsächlich tritt die
Besserung bei ME/CFS und rheumatoider Arthritis meist lange nach dem
rapiden Abfall der B-Zellen auf, und die Tatsache, dass viele
Patienten einen Rückfall haben lange bevor ihre B-Zellzahlen wieder
auf ein normales Niveau ansteigen, weist darauf hin, dass Rituximab
auch Auswirkungen auf andere Elemente des Immunsystems hat. Es gibt
Hinweise darauf, dass es die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen)
anregt, die bei ME/CFS häufig dysfunktional sind. Und es scheint die
Produktion des IL-10 anzuregen, einem zentralen antientzündlich
wirkenden Zytokin, sowie die Werte des proentzündlichen
Tumornekrosefaktors zu vermindern. Rituximab könnte also eine Art
Immunmodulator sein, der die Immunantwort wieder ausgleicht, indem
die überaktiven Teile gedämpft und die zu wenig aktiven Teile
angeregt werden.
Fluge in einer Antwort auf kritische
Kommentare des holländischen Psychiaters van der Meer:
"Wichtig ist, wir haben nicht gezeigt, dass CFS/ME eine
Autoimmunkrankheit mit krankheitsspezifischen Autoantikörpern ist,
aber wir haben die Hypothese aufgestellt, dass das beobachtete
klinische Muster von Besserung und Rückfällen mit einem solchen
Mechanismus übereinstimmen könnte. Alternativ könnte ein Einfluss
auf andere Aspekte der B-Zellfunktion der Schlüssel zum Verständnis
der Auswirkungen der B-Zell-Ausschaltung bei CFS/ME sein wie etwa
die Antigen-Präsentation gegenüber T-Zellen, der Einfluss auf andere
Immunzellen wie beispielsweise die dendritischen Zellen oder
Veränderungen in der Th1/Th2-Balance.
An
einem Punkt stimmen wir vollkommen mit den Kritikern überein:
Rituximab sollte derzeit nicht außerhalb von klinischen Studien zur
Behandlung des CFS/ME eingesetzt werden. Wir stimmen auch zu, dass
noch weitere Forschungsarbeiten nötig sind." (Originalzitat
hier)
Fluge an anderer Stelle:
"Da
es alle Symptome [des CFS/ME] betrifft, glauben wir, dass es den
zentralen pathologischen Mechanismus betreffen muss, der die
Krankheit verursacht." (Originalzitat
hier)
Ihre
Ergebnisse, so die Forscher, könnten der erste Schritt auf dem Weg
zur Entdeckung einer Heilmöglichkeit für CFS/ME und zur Verbesserung
des Diagnoseprozesses sein. "Wir werden eine Behandlungsmöglichkeit
finden," sagte Mella im norwegischen Fernsehen TV2. "Aber es kann
ein paar Jahre dauern, bis diese Behandlung allen Patienten mit
ME/CFS angeboten werden kann." (Originalzitat
hier)
Fluge in einem
Diskussionsbeitrag zum Artikel:
"Wichtig ist, dass dies eine Hypothese für die weitere Arbeit ist
und dass wir nicht bewiesen haben, dass CFS/ME eine
Autoimmunkrankheit sei. In der Diskussion haben wir auch alternative
Mechanismen wie etwa den Einfluss auf die B-Zell-Antigenpräsentation
gegenüber T-Zellen, Auswirkungen auf andere Elemente des
Immunsystems wie die dendritischen Zellen, Zytokinveränderungen oder
die Ausschaltung von B-lymphotropen Viren beschrieben.
Der
alternative Wirkmechanismus, der von Dr. Kalinski vorgeschlagen
wurde, bei dem die Symptome durch ein anhaltendes Ungleichgewicht
der Th1/Th2-Antwort aufrechterhalten wird und es nach der
Ausschaltung von aktivierten B-Zellen zu einer Wiederherstellung in
Richtung einer verstärkten Th1-Zell-vermittelten Immunität kommt,
ist sicher eine Möglichkeit, die untersucht werden sollte. Dieses
Postulat wurde 1997 in einem Hypothesen-Papier über die Mechanismen
beim verwandten Golfkriegssyndrom vorgeschlagen. Wir werden
versuchen, diese Vermutung in unserer zukünftigen Forschung zu
verfolgen."
Dass
es bei ME/CFS eine Dysregulation des Immunsystems gibt, ist
hinreichend bewiesen (siehe z.B. hier),
und einige der Symptome könnten hierdurch hervorgerufen worden sein.
Wodurch allerdings diese Dysfunktion des Immunsystems kommt, ist
nicht geklärt - sie könnte durchaus durch das Vorliegen von Viren
und/oder eines Retrovirus (XMRV/HGRV) hervorgerufen werden. Dass
eine primäre Autoimmunkrankheit zugrunde liegt, ist nicht bewiesen.
In der Tat könnte es aber sein, dass beides vorliegt: virale
Infektionen, die zu einer Immundysregulation führen und autoimmune
Prozesse. So findet man beispielsweise auch bei HIV/AIDS autoimmune
Komponenten.
Nancy Klimas kommentiert die
Studie so:
"Viele Ärzte realisieren nicht,
wie schwer die als ME/CFS
bezeichnete Krankheit ist. Die
Betroffenen sind schwerwiegend
erkrankt, die Schwere der
Krankheit ist ähnlich wie bei
kongestivem Herzversagen und
schweren rheumatischen
Krankheiten wie rheumatoider
Arthritis. Wenn ein Medikament
wie Rituximab sich in
Bestätigungsstudien als wirksam
erweist, dann würde das
Verhältnis von Nutzen und Risiko
den Einsatz bei sehr kranken
ME/CFS-Patienten rechtfertigen.
Ich hoffe, dass die Phase II und
III Studien so schnell wie
möglich begonnen werden können."
"Die neue Studie von Øystein Fluge
und Olav Mella, die eine
signifikante Besserung bei
ME/CFS-Patienten zeigt, die mit
dem B-Zell-eliminierenden Mittel
Rituximab behandelt worden
waren, ist eine entscheidende
Studie für unser Gebiet. Indem
sie zeigt, dass die Ausschaltung
von B-Zellen eine dramatische
Zustandsverbesserung verursacht,
weisen die Forscher unser
Arbeitsgebiet in die Richtung
von Autoimmunität und durch
Antikörper verursachte
Autoimmunität.
Es gibt jedoch noch eine andere
plausible Erklärung: dass die
B-Zellen als ein Reservoir für
Infektionen dienten und durch
die Ausschaltung der B-Zelllinie
die Viruslast auf ein solches
Niveau heruntergedrückt wird,
dass sie vom Immunsystem
kontrolliert werden kann. Weil
eine EBV-Infektion genauso wie
etliche andere vermutete latente
Viren, die zur Persistenz der
Krankheit beitragen könnten, in
den B-Zellen sitzen kann, glaube
ich, dass beide Theorien eine
energische wissenschaftliche
Überprüfung verdienen."
(Originalzitate
hier)
Ein weiterer Wirkmechanismus
könnte die Verminderung von
Anticardiolipin-Antikörpern
durch Rituximab sein, deren
Erhöhung
laut einer Studie von 2009
bei 95% der ME/CFS-Patienten
gefunden wird. Diese
Anticardiolipin-Antikörper
findet man bei vielen
verschiedenen Krankheiten, z.B.
bei HIV-, EBV-, Staphylokokken-
und Malaria-Infektionen, bei
diversen Blutkrebsarten, bei
Exposition gegenüber
Umweltgiften oder Pilzen, bei
Multipler Sklerose, Lupus
erythematosus, etc.
Interessant ist nun die Frage,
wo diese Antikörper gegen
Cardiolipine herkommen. Zunächst
eine Erklärung aus
Wikipedia, was Cardiolipine
sind und wo sie herkommen:
"Cardiolipine (...) kommen
ausschließlich in den Membranen
von Bakterien und Mitochondrien
(dort vor allem in der inneren
Membran) vor und stabilisieren
hier u. a. die Proteine für die
oxidative Phosphorylierung.
[Diese ist Teil des
Energiestoffwechsels und dient
der Energiegewinnung in Form von
ATP.] (...) Sie sind die
einzigen Phospholipide, die in
den Mitochondrien synthetisiert
werden. Antikörper, die gegen
Syphilis-Erreger (Treponema
pallidum) gebildet werden,
binden auch an Cardiolipine.
Deshalb können diese
Phospholipide als unspezifische
Antigene in Diagnose-Tests für
Syphilis angewendet werden."
Der letzte Satz ist nun
entscheidend: Nicht nur die
gegen Syphilis produzierten
Antikörper binden sich an die
Cardiolipine, sondern z.B. auch
die gegen HIV (zwei
env-Glycoproteine des HIV) und
bei HTLV-1 gebildet werden.
Daraus ergibt sich die Frage, ob
Anticardiolipinantikörper
generell auf eine
Retrovirusinfektion hinweisen?
Also möglicherweise auch auf
eine XMRV/HGRV-Infektion?
Eine solche würde auch die
Störung der Mitochondrien bzw.
der ATP-Produktion erklären, die
man so häufig bei
ME/CFS-Patienten findet -
gesetzt den Fall, sie wäre die
Folge einer Retrovirusinfektion
(mit HGRVs, z.B.).
Norwegisches Gesundheitsministerium entschuldigt
sich bei ME/CFS-Patienten
Die Veröffentlichung dieser Rituximab-Studie veranlasste
das norwegische Gesundheitsministerium zu einer
öffentlichen Entschuldigung gegenüber den
ME/CFS-Patienten für die bisherige schlechte Behandlung
im Gesundheitswesen. Bjørn Guldvog, stellvertretender
Leiter des norwegischen Gesundheitsministeriums sagte:
"Ich glaube, dass wir bislang nicht in genügendem Maße
für die Menschen mit ME/CFS gesorgt haben. Ich denke, es
ist angebracht zu sagen, dass wir keine angemessene
Gesundheitsversorgung für diese Menschen geboten haben,
und ich bedaure das."
"I think that we
have not cared
for people with
ME to a great
enough extent. I
think it is
correct to say
that we have not
established
proper health
care services
for these people,
and I regret
that."
"Jeg tror at vi, i for liten grad, har klart å møte menneskene som har
kronisk utmattelsessyndrom på en god nok måte. Jeg tror at det er riktig
å si at vi ikke har utviklet en god nok helsetjeneste for disse, og det
beklager jeg." |
Ein Kommentar
von Regina Clos
Beachten Sie bitte, dass dies die Gedanken eines
medizinischen Laien sind. Auch wenn ich versuche, mich über viele
durchaus solide Quellen zu informieren, fehlt mir selbstverständlich
die Qualifikation, diese Studie und ihre Bedeutung letztlich zu
beurteilen.
Das uneingeschränkt Positive an dieser Rituximab-Studie ist mit
Sicherheit der Beweis, dass ME/CFS keine psychosomatische oder
psychiatrische Erkrankung ist. Wenn ein Mittel gegen Krebs und rheumatoide Arthritis bei zwei Dritteln der behandelten Patienten
eine derart deutliche Besserung erbringt, dann belegt dies ganz
unabhängig vom genauen Wirkmechanismus eindeutig, dass ME/CFS eine
schwere organische Erkrankung ist, bei der immunologische Störungen
eine zentrale Rolle zu spielen scheinen, wie immer diese auch
verursacht sein mögen.
Es wäre m.E zum jetzigen Zeitpunkt jedoch absolut verfrüht zu
glauben, dass Rituximab nun das Mittel der Wahl zur Behandlung von
ME/CFS sei. Abgesehen von den hohen Kosten für das Medikament sind
die möglichen Nebenwirkungen nicht unerheblich, auch wenn es in der
Studie zu keinen gravierenden Zwischenfällen gekommen ist. (siehe Informationen zur
Arzneimittelsicherheit von Rituximab
hier,
hier und
hier.)
Hinzu kommt, dass die langfristigen möglicherweise
schädlichen Wirkungen nicht erforscht sind, auch wenn die Forscher
bereits seit drei Jahren mit dieser Studie bzw. der Gabe von
Rituximab bei ME/CFS beschäftigt sind und das Mittel bei anderen
Erkrankungen schon viele Jahre eingesetzt wird. Besteht vielleicht die
Gefahr, dass durch die Abtötung der antikörperproduzierenen B-Zellen
anderen Infektionen und/oder Krebszellen ein besserer Nährboden zu
ihrer Vermehrung geboten würde? Studien zufolge findet man bei
ME/CFS-Patienten im Durchschnitt bis zu zehn mal so viele
verschiedene Virusinfektionen wie bei Gesunden.
Als ich den Vortrag der beiden Forscher im Mai in London
hörte, war mein erster Gedanke: Könnte es nicht sein, dass die
Wirkung auf einer Zerstörung eines der Virusreservoire für humane
Gamma-Retroviren (XMRV/HGRVs) und/oder des Epstein-Barr-Virus (EBV) beruht, nämlich der B-Zellen?
Es ist bekannt, dass HGRVs u.a. B-Zellen
befallen, aber nicht nur. Wenn durch die Eliminierung von B-Zellen
auch ein Teil der HGRVs vernichtet wird, so könnte auch das die
Besserung erklären.
Was aber passiert, wenn die B-Zellzahl wieder
auf ein normales Niveau steigt? Denn die HGRVs finden sich, so die
Ergebnisse der Rhesus-Makakken-Studie, in zahlreichen inneren
Organen, selbst wenn sie im Blut kaum noch nachweisbar sind oder
dort zum großen Teil zerstört worden wären. Könnte es sein, dass
sich das Retrovirus dann erneut ausbreitet und auch wieder die
B-Zellen befällt, vielleicht sogar noch stärker als zuvor? Denn die
B-Zellen durchwandern bei ihrem Reifeprozess die Milz,
die in o.g. Studie als eines der Virusreservoire erkannt
wurde.
Wenn der Effekt des Rituximab auf dieser Wirkung – der
Abtötung eines der Virusreservoire der HGRVs – beruhen würde, dann
bestünde natürlich die Möglichkeit, dass der alte (schlechte)
klinische Zustand auch zurückkehrt – was ja tatsächlich auch der
Fall ist. Deshalb mussten die Forscher die Rituximab-Gabe ja auch
nach einiger Zeit wiederholen und machen jetzt eine Studie, ob mit
der wiederholten Gabe bereits vor dem Eintreten eines Rückfalls die
Zustandsverbesserung langfristiger aufrechterhalten werden kann.
Möglicherweise hat man durch diese Studie sogar bewiesen,
dass die B-Zellen mit einem Virus bzw. sogar mit einem Retrovirus
befallen sind. Zwar haben die Forscher die Patienten auf XMRV
untersucht, aber die PCR, die sie verwendet haben, wurde daraufhin
optimiert, das künstliche Klon VP62 zu entdecken, und damit ist die
PCR nicht in der Lage, die HGRVs bei den Patienten zu bestimmen.
Es könnte auch sein, dass die Wirkung auf der Abtötung
eines der Hauptreservoire für das Epstein-Barr-Virus (EBV) beruht,
die sich ständig in den B-Zellen zu vermehren versuchen. Das ist
zumindest die Vermutung von Prof. Scheibenbogen, die festgestellt
hat, dass bei einem Großteil der ME/CFS-Patienten eine latente
Reaktivierung des EBV vorliegt.
In beiden Fällen würde es zwar zu einer vorübergehenden
Besserung kommen, aber die zugrunde liegende Virus- bzw.
Retrovirusinfektion bliebe bestehen und könnte sich durch die
Schwächung des Immunsystems (infolge der Abtötung der reifen
B-Zellen) anschließend evtl. sogar noch stärker ausbreiten.
Aus der verzögerten Wirkung des Medikaments
schließen die Forscher, dass ME/CFS eine Autoimmunkrankheit sein
könnte, denn die B-Zellen sind relativ schnell (zwei Wochen) nach
der Medikamentengabe ausgeschaltet, während die von ihnen zuvor
produzierten Antikörper sich noch sehr viel länger im Blut befinden.
Gag- und env-Proteine von MLVs sind wohlbekannt dafür, autoimmune
Symptome hervorzurufen, da sie TH17 und die NF-kappaB-Signalpfade
steigern. Auch die Hemmung des NF-kappaB-Signalpfades, die durch Rituximab
erfolgt, könnte die Besserung erklären.
Zwar haben die Forscher die behandelten Patienten auf
eine XMRV-Infektion hin untersucht, aber Kritiker sagen, sie hätten
als Kontrolle für die Sensitivität des Untersuchungsverfahrens, der
Polymerasekettenreaktion (PCR), das künstliche Plasmid VP62
verwendet, eine XMRV-Variante, die in der Natur bzw. im Menschen
überhaupt nicht vorkommt. Damit wären die Verfahren ungeeignet,
humane Gamma-Retroviren zu entdecken, die in menschlicher DNA
integriert sind und zudem erst mit bestimmten Verfahren von
Methylgruppen befreit werden müssten, um sie überhaupt entdecken zu
können.
Und es muss geklärt werden, warum ein Drittel
der Patienten keinen Nutzen aus der Behandlung ziehen.
Auch wenn die Ergebnisse der Studie sicher nicht den Durchbruch für
eine erfolgreiche Behandlung des ME/CFS darstellen, so hat sie doch
etwas Wichtiges erreicht: nämlich den Nachweis, dass es sich um eine
ernsthafte Krankheit handelt, bei der das Immunsystem eine wichtige
Rolle spielt und dass sie unmöglich eine somatoforme oder eine
psychosomatische Störung sein kann.
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Deutschsprachige Links:
Englischsprachige Links:
http://forums.phoenixrising.me/content.php?496-Treatment-Breakthrough-Paradigm-Shift-CFS-ME-Rituximab-Trial-Works-ME-CFS
Weitere Links finden Sie hier:
http://www.research1st.com/2011/10/19/rituximab-trial/
Und noch eine Studie zu Rituximab:
http://www.jneuroinflammation.com/content/pdf/1742-2094-8-146.pdf
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