Mitglied bei

 

  • Startseite

  • ME/CFS - was ist das?

  • Artikel des Monats

  • Kommentare des Monats 

  • Medienberichte

  • News

  • Broschüren zu Diagnose und Behandlung 

  • Häufig gestellte Fragen zu ME/CFS

  • Humor und Kreatives

  • Weiterführende Links

  • Impressum/Disclaimer

  • Spendenkonto

  •       

    Suche auf cfs-aktuell:

     

    Eine weitere Suchmöglichkeit besteht darin, z.B. bei www.google.de das Suchwort einzugeben und dann nach einem Leerzeichen den Zusatz site:www.cfs-aktuell.de

    Sie erhalten dann alle Seiten auf cfs-aktuell.de, auf denen der gesuchte Begriff vorkommt.

    Artikel des Monats November Teil 1

    Mittel gegen Krebs auch wirksam bei ME/CFS

    Studie norwegischer Onkologen mit Rituximab

    Die Studie

    Die norwegische Krebsspezialisten Øystein Fluge und Olav Mella haben zunächst "durch Zufall" herausgefunden, dass ein als Krebsmittel eingesetztes Medikament bei einer Patientin mit einem B-Zell-Lymphom auch die Symptome ihres ME/CFS verschwinden lässt. Sie behandelten dann in einer Pilotstudie drei Patientinnen, die sowohl unter ME/CFS als auch dann später unter einem B-Zell-Lymphom litten, mit einem monoklonalen Antikörper gegen reife B-Lymphozyten, sogenannte CD20-Zellen.

    Øystein Fluge und Olav Mella

    Alle drei Patientinnen erlebten, allerdings mit monatelanger Verzögerung, eine signifikante Besserung ihres Zustands. Nach einigen Monaten jedoch kam es jedoch zu einem Rückfall. Eine Wiederholungsbehandlung wurde nötig, die erneut zu einer Besserung führte.

    Das führte die Forscher zu der Hypothese, dass die B-Zellen eine bedeutende Rolle bei ME/CFS spielen könnten. Sie haben deshalb nach dieser Pilotstudie eine placebokontrollierte Doppelblind-Studie an 30 Patienten durchgeführt, von denen je die Hälfte ein Placebo und das Medikament Rituximab erhielt. 10 der 15 mit dem Wirkstoff behandelten Patienten (67%) gaben auf einer selbstberichteten Fatigue-Skala eine erhebliche Besserung ihrer ME/CFS-Symptomatik an, während dies nur zwei aus der Placebo-Gruppe taten. Die Besserung hielt zwischen 8 und 44 Wochen an, bei vier Personen sogar länger als die Studiendauer.

    Nur bei einem der Patienten, der Rituximab erhielt, zeigte sich eine rasche Reaktion auf die Medikamentengabe. Bei den anderen neun Patienten setzte die Wirkung zwischen drei und sieben Monaten nach der Behandlung ein, die dann im Durchschnitt 25 Wochen anhielt. Bei zwei Patienten hielt die Wirkung, d.h. die Abschwächung aller ME/CFS-Symptome noch 30 bzw. 32 Monate nach der Behandlung an.

    Nur zwei der 15 Personen, die eine Kochsalzlösung erhielten, hatten eine leichte bis starke Besserung.

    Jeder der Studienteilnehmer wurde mit standardisierten Instrumentarien zur Erfassung der Symptomstärke untersucht, und zwar vor Beginn der Behandlung und dann jeweils 2, 4, 6, 8, 10 und 12 Monate nach der Behandlung. Auch bestimmte Parameter des Immunsystems wurden untersucht. Hier zeigten sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen der Zeit vor und nach der Behandlung. Jeder der Teilnehmer bekam zwei Infusionen mit Rituximab in zweiwöchigem Abstand.

    Ermutigt durch die lange Remissionszeit der zwei Studienteilnehmer überprüfen die Forscher nun, ob eine wiederholte Gabe des Rituximab in regelmäßigen Abständen die ME/CFS-Symptome auf Dauer unterdrücken könne. Mella sagte, es sei möglich, dass die fünf Studienteilnehmer, bei denen es zu keiner Besserung kam, eine solche vielleicht noch erreicht hätten, wenn man ihnen weitere Dosen des Medikaments verabreicht hätte.

    Auch wenn das Medikament wegen der möglichen schweren Nebenwirkungen sehr vorsichtig verabreicht werden muss, gab es im Verlauf dieser Studie keine solchen Nebenwirkungen.

    Die Autoren schlussfolgern: "Die verzögerte Reaktion, die trotz der raschen B-Zell-Deziminierung erst 2-7 Monate nach der Rituximab-Behandlung eintrat, lässt darauf schließen, dass CFS eine Autoimmunerkrankung ist. Diese verzögerte Wirkung könnte mit der allmählichen Eliminierung von Autoantikörpern zusammenhängen, die es vor Eintritt der klinischen Reaktion gegeben hat." Die Forscher sagen, die Ergebnisse ihrer Studie belegten, dass ME/CFS keine primär psychiatrische Erkrankung sei.

    Was ist Rituximab?

    Dieses Medikament besteht aus künstlich hergestellten, sogenannten monoklonalen Antikörpern, die sich an Oberflächenmarker auf (reifen) B-Zellen (CD20) anheften und so zum Absterben der B-Lymphozyten führen. Wenn B-Zellen entarten, d.h. ein B-Zell-Lymphom vorliegt, dann kann man mit diesem Mittel gezielt gegen diese Krebszellen vorgehen. Der Körper produziert wieder neue, gesunde B-Zellen, so dass nach Aussage der Forscher die Immunkompetenz der behandelten Patienten im Prinzip nicht beeinträchtigt wird.

    B-Lymphozyten sind die Zellen unseres Immunsystems, die ihrerseits spezifische Antikörper gegen körperfremde Substanzen wie Viren und Bakterien bzw. von diesen befallene Zellen produzieren, gelegentlich aber auch Antikörper gegen körpereigenes Gewebe. Dann spricht man von Autoantikörpern oder Autoimmunreaktionen. Deshalb setzt man das Medikament auch bei Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoider Arthritis (RA) ein. Hier ist das Ziel, die Quelle der Autoantikörper zu zerstören und damit die "unangebrachten" Entzündungsreaktionen und die Zerstörung körpereigenen Gewebes zu unterbinden.

    Dieser zweite Wirkmechanismus ist es, der die norwegischen Forscher vermuten lässt, dass ME/CFS eine autoimmune Komponente habe oder eine Autoimmunkrankheit sei. Sie machen jedoch keine Aussage darüber, was die Ursache für eine solche Autoimmunität sein könnte.

    Weitere Erklärungen von Dr. John Sweetenham zur Wirkungsweise des Rituximab in dieser Studie finden Sie hier.

    Schon in der Vergangenheit wiesen mehrere Studien darauf hin, dass es bei ME/CFS eine abnorme B-Zell-Aktivität gibt. Inwieweit die medikamentöse Zerstörung der B-Zellen eine logische Folge ist, diskutiert Gordon Broderick hier.

     

    Thesen über die Wirkungsweise und Kommentare der Forscher

    Die verzögerte Wirkungsweise des Rituximab sei, so die Forscher, schwer allein dadurch zu erklären, dass etwa ein Virus ausgemerzt worden sei. Das Reaktionsmuster stimme eher überein mit einer "allmählichen Ausmerzung von Autoantikörpern, vielleicht durch eine vorrangige Ausschaltung von kurzlebigen Prä-Plasmazellen."

    Mella sagt, dass die B-Zellen etwa zwei Wochen nach der Behandlung verschwunden seien, aber dass Autoantikörper üblicherweise noch weitere zwei oder drei Monate überleben. "Das Ausschwemmen dieser Antikörper ist die wahrscheinlichste Erklärung für die zeitverzögerte Wirkung," sagt er.

    Es könnte auch sein, dass eine der Wirkmechanismen in der Ausschaltung des Virusreservoirs für das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist. EBV ist ebenso wie andere virale Erreger dafür bekannt, dass es den oxidativen Stress steigert, und EBV verändert u.a. durch diesen oxidativen Stress den Zustand der B-Zellen. EBV versucht, sich in den B-Zellen zu vermehren, und wenn diese einmal infiziert sind, dann dienen sie auch als Virusreservoir für eine permanente, latente EBV-Infektion.

    Es gibt Studien, die zeigen, dass Rituximab auch wirksam sein kann, ohne die Autoantikörperwerte zu senken, von denen man annimmt, dass sie die Autoimmunkrankheiten hervorrufen. Tatsächlich tritt die Besserung bei ME/CFS und rheumatoider Arthritis meist lange nach dem rapiden Abfall der B-Zellen auf, und die Tatsache, dass viele Patienten einen Rückfall haben lange bevor ihre B-Zellzahlen wieder auf ein normales Niveau ansteigen, weist darauf hin, dass Rituximab auch Auswirkungen auf andere Elemente des Immunsystems hat. Es gibt Hinweise darauf, dass es die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) anregt, die bei ME/CFS häufig dysfunktional sind. Und es scheint die Produktion des IL-10 anzuregen, einem zentralen antientzündlich wirkenden Zytokin, sowie die Werte des proentzündlichen Tumornekrosefaktors zu vermindern. Rituximab könnte also eine Art Immunmodulator sein, der die Immunantwort wieder ausgleicht, indem die überaktiven Teile gedämpft und die zu wenig aktiven Teile angeregt werden.
     

    Fluge in einer Antwort auf kritische Kommentare des holländischen Psychiaters van der Meer:

    "Wichtig ist, wir haben nicht gezeigt, dass CFS/ME eine Autoimmunkrankheit mit krankheitsspezifischen Autoantikörpern ist, aber wir haben die Hypothese aufgestellt, dass das beobachtete klinische Muster von Besserung und Rückfällen mit einem solchen Mechanismus übereinstimmen könnte. Alternativ könnte ein Einfluss auf andere Aspekte der B-Zellfunktion der Schlüssel zum Verständnis der Auswirkungen der B-Zell-Ausschaltung bei CFS/ME sein wie etwa die Antigen-Präsentation gegenüber T-Zellen, der Einfluss auf andere Immunzellen wie beispielsweise die dendritischen Zellen oder Veränderungen in der Th1/Th2-Balance.

    An einem Punkt stimmen wir vollkommen mit den Kritikern überein: Rituximab sollte derzeit nicht außerhalb von klinischen Studien zur Behandlung des CFS/ME eingesetzt werden. Wir stimmen auch zu, dass noch weitere Forschungsarbeiten nötig sind." (Originalzitat hier)

    Fluge an anderer Stelle:

    "Da es alle Symptome [des CFS/ME] betrifft, glauben wir, dass es den zentralen pathologischen Mechanismus betreffen muss, der die Krankheit verursacht." (Originalzitat hier)

    Ihre Ergebnisse, so die Forscher, könnten der erste Schritt auf dem Weg zur Entdeckung einer Heilmöglichkeit für CFS/ME und zur Verbesserung des Diagnoseprozesses sein. "Wir werden eine Behandlungsmöglichkeit finden," sagte Mella im norwegischen Fernsehen TV2. "Aber es kann ein paar Jahre dauern, bis diese Behandlung allen Patienten mit ME/CFS angeboten werden kann." (Originalzitat hier)

    Fluge in einem Diskussionsbeitrag zum Artikel:

    "Wichtig ist, dass dies eine Hypothese für die weitere Arbeit ist und dass wir nicht bewiesen haben, dass CFS/ME eine Autoimmunkrankheit sei. In der Diskussion haben wir auch alternative Mechanismen wie etwa den Einfluss auf die B-Zell-Antigenpräsentation gegenüber T-Zellen, Auswirkungen auf andere Elemente des Immunsystems wie die dendritischen Zellen, Zytokinveränderungen oder die Ausschaltung von B-lymphotropen Viren beschrieben.

    Der alternative Wirkmechanismus, der von Dr. Kalinski vorgeschlagen wurde, bei dem die Symptome durch ein anhaltendes Ungleichgewicht der Th1/Th2-Antwort aufrechterhalten wird und es nach der Ausschaltung von aktivierten B-Zellen zu einer Wiederherstellung in Richtung einer verstärkten Th1-Zell-vermittelten Immunität kommt, ist sicher eine Möglichkeit, die untersucht werden sollte. Dieses Postulat wurde 1997 in einem Hypothesen-Papier über die Mechanismen beim verwandten Golfkriegssyndrom vorgeschlagen. Wir werden versuchen, diese Vermutung in unserer zukünftigen Forschung zu verfolgen."

    Dass es bei ME/CFS eine Dysregulation des Immunsystems gibt, ist hinreichend bewiesen (siehe z.B. hier), und einige der Symptome könnten hierdurch hervorgerufen worden sein. Wodurch allerdings diese Dysfunktion des Immunsystems kommt, ist nicht geklärt - sie könnte durchaus durch das Vorliegen von Viren und/oder eines Retrovirus (XMRV/HGRV) hervorgerufen werden. Dass eine primäre Autoimmunkrankheit zugrunde liegt, ist nicht bewiesen. In der Tat könnte es aber sein, dass beides vorliegt: virale Infektionen, die zu einer Immundysregulation führen und autoimmune Prozesse. So findet man beispielsweise auch bei HIV/AIDS autoimmune Komponenten.

    Nancy Klimas kommentiert die Studie so:

    "Viele Ärzte realisieren nicht, wie schwer die als ME/CFS bezeichnete Krankheit ist. Die Betroffenen sind schwerwiegend erkrankt, die Schwere der Krankheit ist ähnlich wie bei kongestivem Herzversagen und schweren rheumatischen Krankheiten wie rheumatoider Arthritis. Wenn ein Medikament wie Rituximab sich in Bestätigungsstudien als wirksam erweist, dann würde das Verhältnis von Nutzen und Risiko den Einsatz bei sehr kranken ME/CFS-Patienten rechtfertigen. Ich hoffe, dass die Phase II und III Studien so schnell wie möglich begonnen werden können."

    "Die neue Studie von Øystein Fluge und Olav Mella, die eine signifikante Besserung bei ME/CFS-Patienten zeigt, die mit dem B-Zell-eliminierenden Mittel Rituximab behandelt worden waren, ist eine entscheidende Studie für unser Gebiet. Indem sie zeigt, dass die Ausschaltung von B-Zellen eine dramatische Zustandsverbesserung verursacht, weisen die Forscher unser Arbeitsgebiet in die Richtung von Autoimmunität und durch Antikörper verursachte Autoimmunität.

    Es gibt jedoch noch eine andere plausible Erklärung: dass die B-Zellen als ein Reservoir für Infektionen dienten und durch die Ausschaltung der B-Zelllinie die Viruslast auf ein solches Niveau heruntergedrückt wird, dass sie vom Immunsystem kontrolliert werden kann. Weil eine EBV-Infektion genauso wie etliche andere vermutete latente Viren, die zur Persistenz der Krankheit beitragen könnten, in den B-Zellen sitzen kann, glaube ich, dass beide Theorien eine energische wissenschaftliche Überprüfung verdienen." (Originalzitate hier)

    Ein weiterer Wirkmechanismus könnte die Verminderung von Anticardiolipin-Antikörpern durch Rituximab sein, deren Erhöhung laut einer Studie von 2009 bei 95% der ME/CFS-Patienten gefunden wird. Diese Anticardiolipin-Antikörper findet man bei vielen verschiedenen Krankheiten, z.B. bei HIV-, EBV-, Staphylokokken- und Malaria-Infektionen, bei diversen Blutkrebsarten, bei Exposition gegenüber Umweltgiften oder Pilzen, bei Multipler Sklerose, Lupus erythematosus, etc.

    Interessant ist nun die Frage, wo diese Antikörper gegen Cardiolipine herkommen. Zunächst eine Erklärung aus Wikipedia, was Cardiolipine sind und wo sie herkommen:

    "Cardiolipine (...) kommen ausschließlich in den Membranen von Bakterien und Mitochondrien (dort vor allem in der inneren Membran) vor und stabilisieren hier u. a. die Proteine für die oxidative Phosphorylierung. [Diese ist Teil des Energiestoffwechsels und dient der Energiegewinnung in Form von ATP.] (...) Sie sind die einzigen Phospholipide, die in den Mitochondrien synthetisiert werden. Antikörper, die gegen Syphilis-Erreger (Treponema pallidum) gebildet werden, binden auch an Cardiolipine. Deshalb können diese Phospholipide als unspezifische Antigene in Diagnose-Tests für Syphilis angewendet werden."

    Der letzte Satz ist nun entscheidend: Nicht nur die gegen Syphilis produzierten Antikörper binden sich an die Cardiolipine, sondern z.B. auch die gegen HIV (zwei env-Glycoproteine des HIV) und bei HTLV-1 gebildet werden.

    Daraus ergibt sich die Frage, ob Anticardiolipinantikörper generell auf eine Retrovirusinfektion hinweisen? Also möglicherweise auch auf eine XMRV/HGRV-Infektion?

    Eine solche würde auch die Störung der Mitochondrien bzw. der ATP-Produktion erklären, die man so häufig bei ME/CFS-Patienten findet - gesetzt den Fall, sie wäre die Folge einer Retrovirusinfektion (mit HGRVs, z.B.).

     

    Norwegisches Gesundheitsministerium entschuldigt sich bei ME/CFS-Patienten

    Die Veröffentlichung dieser Rituximab-Studie veranlasste das norwegische Gesundheitsministerium zu einer öffentlichen Entschuldigung gegenüber den ME/CFS-Patienten für die bisherige schlechte Behandlung im Gesundheitswesen. Bjørn Guldvog, stellvertretender Leiter des norwegischen Gesundheitsministeriums sagte:

    "Ich glaube, dass wir bislang nicht in genügendem Maße für die Menschen mit ME/CFS gesorgt haben. Ich denke, es ist angebracht zu sagen, dass wir keine angemessene Gesundheitsversorgung für diese Menschen geboten haben, und ich bedaure das."

    "I think that we have not cared for people with ME to a great enough extent. I think it is correct to say that we have not established proper health care services for these people, and I regret that."

    "Jeg tror at vi, i for liten grad, har klart å møte menneskene som har kronisk utmattelsessyndrom på en god nok måte. Jeg tror at det er riktig å si at vi ikke har utviklet en god nok helsetjeneste for disse, og det beklager jeg."

     

     

    Ein Kommentar

    von Regina Clos

    Beachten Sie bitte, dass dies die Gedanken eines medizinischen Laien sind. Auch wenn ich versuche, mich über viele durchaus solide Quellen zu informieren, fehlt mir selbstverständlich die Qualifikation, diese Studie und ihre Bedeutung letztlich zu beurteilen.

    Das uneingeschränkt Positive an dieser Rituximab-Studie ist mit Sicherheit der Beweis, dass ME/CFS keine psychosomatische oder psychiatrische Erkrankung ist. Wenn ein Mittel gegen Krebs und rheumatoide Arthritis bei zwei Dritteln der behandelten Patienten eine derart deutliche Besserung erbringt, dann belegt dies ganz unabhängig vom genauen Wirkmechanismus eindeutig, dass ME/CFS eine schwere organische Erkrankung ist, bei der immunologische Störungen eine zentrale Rolle zu spielen scheinen, wie immer diese auch verursacht sein mögen.

    Es wäre m.E zum jetzigen Zeitpunkt jedoch absolut verfrüht zu glauben, dass Rituximab nun das Mittel der Wahl zur Behandlung von ME/CFS sei. Abgesehen von den hohen Kosten für das Medikament sind die möglichen Nebenwirkungen nicht unerheblich, auch wenn es in der Studie zu keinen gravierenden Zwischenfällen gekommen ist. (siehe Informationen zur Arzneimittelsicherheit von Rituximab hier, hier und hier.)

    Hinzu kommt, dass die langfristigen möglicherweise schädlichen Wirkungen nicht erforscht sind, auch wenn die Forscher bereits seit drei Jahren mit dieser Studie bzw. der Gabe von Rituximab bei ME/CFS beschäftigt sind und das Mittel bei anderen Erkrankungen schon viele Jahre eingesetzt wird. Besteht vielleicht die Gefahr, dass durch die Abtötung der antikörperproduzierenen B-Zellen anderen Infektionen und/oder Krebszellen ein besserer Nährboden zu ihrer Vermehrung geboten würde? Studien zufolge findet man bei ME/CFS-Patienten im Durchschnitt bis zu zehn mal so viele verschiedene Virusinfektionen wie bei Gesunden.

    Als ich den Vortrag der beiden Forscher im Mai in London hörte, war mein erster Gedanke: Könnte es nicht sein, dass die Wirkung auf einer Zerstörung eines der Virusreservoire für humane Gamma-Retroviren (XMRV/HGRVs) und/oder des Epstein-Barr-Virus (EBV) beruht, nämlich der B-Zellen?

    Es ist bekannt, dass HGRVs u.a. B-Zellen befallen, aber nicht nur. Wenn durch die Eliminierung von B-Zellen auch ein Teil der HGRVs vernichtet wird, so könnte auch das die Besserung erklären.

    Was aber passiert, wenn die B-Zellzahl wieder auf ein normales Niveau steigt? Denn die HGRVs finden sich, so die Ergebnisse der Rhesus-Makakken-Studie, in zahlreichen inneren Organen, selbst wenn sie im Blut kaum noch nachweisbar sind oder dort zum großen Teil zerstört worden wären. Könnte es sein, dass sich das Retrovirus dann erneut ausbreitet und auch wieder die B-Zellen befällt, vielleicht sogar noch stärker als zuvor? Denn die B-Zellen durchwandern bei ihrem Reifeprozess die Milz, die in o.g. Studie als eines der Virusreservoire erkannt wurde.

    Wenn der Effekt des Rituximab auf dieser Wirkung – der Abtötung eines der Virusreservoire der HGRVs – beruhen würde, dann bestünde natürlich die Möglichkeit, dass der alte (schlechte) klinische Zustand auch zurückkehrt – was ja tatsächlich auch der Fall ist. Deshalb mussten die Forscher die Rituximab-Gabe ja auch nach einiger Zeit wiederholen und machen jetzt eine Studie, ob mit der wiederholten Gabe bereits vor dem Eintreten eines Rückfalls die Zustandsverbesserung langfristiger aufrechterhalten werden kann.

    Möglicherweise hat man durch diese Studie sogar bewiesen, dass die B-Zellen mit einem Virus bzw. sogar mit einem Retrovirus befallen sind. Zwar haben die Forscher die Patienten auf XMRV untersucht, aber die PCR, die sie verwendet haben, wurde daraufhin optimiert, das künstliche Klon VP62 zu entdecken, und damit ist die PCR nicht in der Lage, die HGRVs bei den Patienten zu bestimmen.

    Es könnte auch sein, dass die Wirkung auf der Abtötung eines der Hauptreservoire für das Epstein-Barr-Virus (EBV) beruht, die sich ständig in den B-Zellen zu vermehren versuchen. Das ist zumindest die Vermutung von Prof. Scheibenbogen, die festgestellt hat, dass bei einem Großteil der ME/CFS-Patienten eine latente Reaktivierung des EBV vorliegt.

    In beiden Fällen würde es zwar zu einer vorübergehenden Besserung kommen, aber die zugrunde liegende Virus- bzw. Retrovirusinfektion bliebe bestehen und könnte sich durch die Schwächung des Immunsystems (infolge der Abtötung der reifen B-Zellen) anschließend evtl. sogar noch stärker ausbreiten.

    Aus der verzögerten Wirkung des Medikaments schließen die Forscher, dass ME/CFS eine Autoimmunkrankheit sein könnte, denn die B-Zellen sind relativ schnell (zwei Wochen) nach der Medikamentengabe ausgeschaltet, während die von ihnen zuvor produzierten Antikörper sich noch sehr viel länger im Blut befinden. Gag- und env-Proteine von MLVs sind wohlbekannt dafür, autoimmune Symptome hervorzurufen, da sie TH17 und die NF-kappaB-Signalpfade steigern. Auch die Hemmung des NF-kappaB-Signalpfades, die durch Rituximab erfolgt, könnte die Besserung erklären.

    Zwar haben die Forscher die behandelten Patienten auf eine XMRV-Infektion hin untersucht, aber Kritiker sagen, sie hätten als Kontrolle für die Sensitivität des Untersuchungsverfahrens, der Polymerasekettenreaktion (PCR), das künstliche Plasmid VP62 verwendet, eine XMRV-Variante, die in der Natur bzw. im Menschen überhaupt nicht vorkommt. Damit wären die Verfahren ungeeignet, humane Gamma-Retroviren zu entdecken, die in menschlicher DNA integriert sind und zudem erst mit bestimmten Verfahren von Methylgruppen befreit werden müssten, um sie überhaupt entdecken zu können.

    Und es muss geklärt werden, warum ein Drittel der Patienten keinen Nutzen aus der Behandlung ziehen.

    Auch wenn die Ergebnisse der Studie sicher nicht den Durchbruch für eine erfolgreiche Behandlung des ME/CFS darstellen, so hat sie doch etwas Wichtiges erreicht: nämlich den Nachweis, dass es sich um eine ernsthafte Krankheit handelt, bei der das Immunsystem eine wichtige Rolle spielt und dass sie unmöglich eine somatoforme oder eine psychosomatische Störung sein kann.

    Deutschsprachige Links:

    Englischsprachige Links: