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    Artikel des Monats November 2012 Teil 4

    Studien belegen erneut:

    ME/CFS NICHT von Persönlichkeitsstörungen verursacht

    Eine im Oktober 2012 erschienene Studie an der Universität Leuven von Kempke et al.* belegt, dass die Rate an Persönlichkeitsstörungen bei ME/CFS-Patienten genauso hoch oder niedrig ist wie in der Normalbevölkerung. Die immer wieder erhobene Behauptung, ME/CFS sei eine psychiatrische oder psychosomatische/somatoforme Störung erweist sich ein weiteres Mal als gegenstandslos.

    Man hat 92 CFS-Patientinnen aus drei verschiedenen Zentren der Maximalversorgung in Belgien rekrutiert, die alle die Fukudakriterien von 1994 erfüllten, d.h. an einer anhaltenden Erschöpfung von über 6 Monaten Dauer und mindestens vier von acht charakteristischen Symptomen litten. Sie waren alle umfassend medizinisch und psychiatrisch untersucht worden, um andere medizinische oder psychiatrische Erkrankungen auszuschließen, die die Erschöpfung hätten erklären können.

    Man hat dann eine entsprechende Vergleichsgruppe aus Gesunden zusammengestellt und beide Gruppen auf Persönlichkeitsstörungen der Achse II des sogenannten DSM-IV untersucht und mit einer Gruppe von meist in einer Klinik behandelten psychiatrischen Patienten verglichen. (Das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) ist ein international anerkanntes und weit verbreitetes Klassifikationssystem der American Psychiatric Association. Es gilt als die "Bibel" für psychiatrische/psychische Störungen. Derzeit ist die Version IV im Gebrauch, eine Revision V ist in Arbeit.)

    Die Prävalenz (Häufigkeit) von Persönlichkeitsstörungen bei CFS-Patienten war mit 16,3%  erheblich niedriger als bei psychiatrischen Patienten, bei denen sie 58,7% betrug, und sie war genauso hoch wie in der gemeindebasierten Vergleichsgruppe, bei der sie ebenfalls 16,3% betrug. Diese Studie belegt eindeutig, dass Menschen mit ME/CFS nicht, wie immer wieder behauptet wird, eine Persönlichkeitsstörung hätten, die ihrer Erkrankung zugrunde läge.

    Dieses Ergebnis widerspricht zahlreichen anderen Veröffentlichungen von Anhängern der sogenannten Wessely-School, bestätigt aber z.B. eine frühere Studie von Courjaret et al. (Zusammenfassung siehe unten). Jedoch weisen die Autoren auf einen Unterschied zu dieser Courjaret-Studie hin: sie hätten im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe höhere Werte auf den Subskalen für Zwangsstörungen (Obsessive–Compulsive Personality Disorder) und auf der Skala für depressive Störungen (Depressive Personality Disorder) gefunden. Diese höheren Werte für Zwangsstörungen, d.h. selbstkritischen Perfektionismus und "persistence" (Ausdauer, Hartnäckigkeit, Durchhaltewillen) seien interessanterweise auch bei Patienten mit chronischen Schmerzen beschrieben worden. Sie schließen daraus, dass man bei beiden Syndromen die gleichen "maladaptiven Verhaltensmuster" finden könne und diese möglicherweise eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung der Störung spielen und den Erfolg von Behandlungsansätzen negativ beeinflussen könnten. Die abschließende Schlussfolgerung der Autoren lautet jedoch:

    "Obwohl die CFS-Gruppe von depressiven und zwanghaften Persönlichkeitsmerkmalen charakterisiert war, liefert diese Studie keine Belege für die Annahme, dass diese Patienten generell eine höhere Prävalenz für eine Achse-II-Pathologie aufweisen."

    Kommentar

    von Regina Clos

    Dass man mit dieser Studie bei der Gruppe der ME/CFS-Patienten vermehrt depressive Störungen gefunden hat, ließe sich leicht aus der Reaktion der Patienten auf die verheerenden Auswirkungen der Krankheit auf ihr Leben erklären. Man hätte hier also untersuchen müssen, ob es sich hier um reaktive depressive Störungen handelt oder um primäre, d.h. der Krankheit bereits vorausgehende, um auch nur annähernd sinnvoll einen Schluss daraus ziehen zu können, welchen Stellenwert dieses Ergebnis hat, d.h. ob es für die Persönlichkeit von Menschen mit ME/CFS generell eine Bedeutung hat, ob es gar auf eine verursachende Rolle schließen lässt oder ob es schlicht eine "gesunde", sprich angemessene Reaktion auf den Verlust des eigenen Lebens ist.

    Denn viele Patienten mit ME/CFS fallen komplett aus ihrem früheren Leben heraus und erleben dies als einen sozialen Tod, als das Absterben ihres gesamten bisherigen Daseins, auf sozialer und materieller genauso wie auf gesundheitlicher Ebene. Es wäre eher ein Anzeichen für eine psychische Störung, wenn Menschen auf solche massiven Verlusterfahrungen, die sich über Monate und Jahre ohne angemessene medizinische Versorgung hinwegziehen, häufig begleitet von Schuldzuschreibungen, Nicht-ernst-Genommenwerden und Diskriminierung, nicht mit Trauer und Depression und Verzweiflung reagieren würden.

    Hier wäre also durchaus eine psychologische Studie nötig, und zwar eine, die die verheerenden seelischen Auswirkungen einer solchen schweren Erkrankung  untersucht, anstatt immer wieder zu versuchen, irgendwelche Persönlichkeitsmerkmale bei den Patienten zu entdecken, die angeblich für die Krankheit verantwortlich sind oder zumindest für deren Aufrechterhaltung und das Scheitern (natürlich psychologischer) Therapieansätze. Das wäre eine somato-psychische Vorgehensweise, die der Sache angemessen wäre und die die immer noch vorherrschenden und ständig erneut verbreiteten Falschinformationen über eine angebliche psychosomatische Verursachung des ME/CFS Lügen strafen würde.

    Statt in diesem Sinne Forschungen anzustellen, wird z.B. gerade eine neue Patientenleitlinie zu nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden  erstellt, in der "CFS" erneut als psychosomatische, somatoforme, medizinisch ungeklärte, unspezifische Störung dargestellt wird - alles Behauptungen, die keinerlei Grundlage haben und die vorhandene, umfangreiche biomedizinische Forschung - wie z.B. die Erkenntnisse über die Behandlungserfolge mit Rituximab - komplett ignorieren. (Eine Stellungnahme zu dieser Leitlinie finden Sie hier bei der Lost Voices Stiftung.)

    Auch dass man in dieser Studie erhöhte Werte auf der Subskala für "Zwangsstörungen" gefunden hat, d.h. vermehrten Perfektionismus und eine erhöhte "persistence", ließe sich leicht erklären, wenn man berücksichtigen könnte und würde, welche Persönlichkeitstypen unter den ME/CFS-Patienten es denn unter den gegebenen miserablen medizinischen und sozialen Bedingungen speziell für diese Patientengruppe überhaupt schaffen, zu einer Diagnose und dann gar noch zu einer Behandlung in einem medizinischen Zentrum der Maximalversorgung zu kommen. Denn hier hat man die untersuchte CFS-Gruppe rekrutiert. Man kann annehmen, dass auch in Belgien nur ein ganz geringer Prozentsatz der ME/CFS-Patienten tatsächliche eine entsprechende Diagnose erhält. Es gibt Zahlen aus anderen Ländern, nach denen die Rate der diagnostizierten Fälle weniger als 10% der tatsächlich Betroffenen beträgt.

    Ist es angesichts dieser niedrigen Diagnoserate ein Wunder, dass es nur Patienten mit "persistence", also Ausdauer, Hartnäckigkeit und Durchhaltewillen tatsächlich schaffen, eine Diagnose zu bekommen? D.h., hat man denn überhaupt berücksichtigt, dass diese Patienten, die das geschafft haben, innerhalb der Gesamtpopulation der ME/CFS-Patienten vielleicht diejenigen sind, die in der Tat ausdauernder und hartnäckiger sind als die übrigen 90% der Betroffenen, die keine oder eine falsche Diagnose bekommen? Ist das Ergebnis also nicht eher eine "Diagnose" über das Medizinsystem? In dem man Ausdauer, Hartnäckigkeit und Durchhaltewillen braucht, um sich zu einer der eigenen Krankheit entsprechenden Diagnose durchzukämpfen?

    Es erscheint mir längst an der Zeit, dass psychologische Studien sich einmal auf das Medizinsystem statt auf die Patienten konzentrieren, auf dessen "Persönlichkeitsmerkmale", auf die Strukturen und gesellschaftlichen Strömungen, die für dieses Medizinsystem heute charakteristisch sind und in dem nicht nur Menschen mit ME/CFS oft miserabel behandelt werden und wo Kranke allzuoft statt auf Hilfe, angemessene diagnostische und therapeutische Maßnahmen auf Fehldiagnosen, Schuldzuschreibungen, Diskriminierung und Alleingelassenwerden stoßen.

    Indem man seitens der Anhänger der Wessely-School (die auch in Deutschland maßgebend ist - siehe Leitlinien Müdigkeit und Leitlinien zu nicht-spezifischen, funktionellen Störungen) mit äußerst fragwürdigen Statistiken der angeblichen Persönlichkeit der Kranken die Ursache für ihre Krankheit zuschiebt, kann man perfekt von den Unzulänglichkeiten und strukturellen Fehlern des Gesundheitswesens ablenken, in dem "unspezifische" Beschwerden, die sich nicht innerhalb einer 3-Minuten-Medizin ohne weitere diagnostische Abklärung einem bestimmten Diagnoseschlüssel (und damit einer Abrechnungsziffer) zuordnen lassen, in den großen Abfalleimer der "medizinisch ungeklärten = psychisch bedingten" Störungen kommen, einem Abfalleimer, der dieses kranke Medizinsystem ideologisch und praktisch hervorragend abstützt. Dieses kranke System wäre in der Tat ein lohnenswertes Objekt für eine psychologische Studie.

     

    * Prevalence of DSM-IV Personality Disorders in Patients with Chronic Fatigue Syndrome: A Controlled Study, Stefan Kempke & Filip Van Den Eede & Chris Schotte & Stephan Claes & Peter Van Wambeke & Boudewijn Van Houdenhove & Patrick Luyten

    Int.J. Behav. Med. DOI 10.1007/s12529-012-9273-y, 2012 Oct 13. [Epub ahead of print]

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23065435

     

    "Chronic Fatigue Syndrome und DSM-IV Persönlichkeitsstörungen"

    Zusammenfassung einer Studie von Courjaret et al. **

    Schon das Ergebnis der Studie von Courjaret et al. von 2008/2009 belegte, dass es keinen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-IV und CFS gibt. Auch hier hatte man drei gleich große Gruppen von CFS-Patienten, gesunden Kontrollpersonen aus der flämischen Bevölkerung und psychiatrischen Patienten mit Hilfe der Instrumentarien des DSM-IV untersucht und herausgefunden: "Die Prävalenz von Achse-II-Störungen betrug jeweils 12% in der CFS-Gruppe und in der flämischen Kontrollgruppe, während in der Gruppe der psychiatrischen Patienten die Prävalenz 54% betrug." Es gab also absolut keinen Unterschied zwischen den Gesunden und den Menschen mit CFS, was die Häufigkeit von Persönlichkeitsstörungen betrifft.

    In den Schlussfolgerungen der Studie lesen wir: 

    "Die Ergebnisse der derzeitigen Studie sind unmissverständlich und eindeutig: die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen in der CFS-Gruppe ist genau gleich wie die in der flämischen Vergleichsgruppe. Obwohl die Raten von der jeweiligen Population und der verwendeten Untersuchungsmethode abhängen, schätzen Epidemiologen das Vorkommen von Persönlichkeitsstörungen in der Allgemeinbevölkerung auf eine Rate von 10-15%. Das wird auch durch die aktuelle Studie bestätigt (…) die Ergebnisse lassen auf eine Prävalenz von Achse-II-Persönlichkeitsstörungen von 12% in der flämischen Vergleichsgruppe schließen. Überraschenderweise – und im Gegensatz zu früheren Studien – erreicht die CFS-Gruppe die gleiche Prävalenzrate von 12%, was beträchtlich weniger ist als die 37% Prävalenzrate in der Studie von Johnson und der Prävalenz von 39% in den Studien von Henderson und Tannock und Ciccone et al."

    "Auch wenn die vorliegende Studie ihre Beschränkungen hat, bleibt die Tatsache, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Chronic Fatigue Syndrome und Persönlichkeitsstörungen gibt, ein wichtiges Ergebnis. Das bedeutet, dass ein Individuum mit der Diagnose CFS mit der gleichen (Un-)Wahrscheinlichkeit eine Persönlichkeitstörung hat wie ein Individuum ohne CFS. Das würde bedeuten, dass das „Stigma“, das mit dem Etikett Psychopathologie verbunden ist sowie und diese Teil der heiklen Körper-Seele-Diskussion in Bezug auf CFS null und nichtig ist.Manche Autoren konzeptualisieren CFS innerhalb eines erweiterten multifaktoriellen Rahmens, in dem Persönlichkeitsstörungen eine entscheidende Rolle spielen. Das mag für nur einen kleinen Teil der CFS-Patienten der Fall sein, aber es kann ganz sicher nicht pauschal auf die gesamte CFS-Population übertragen werden. Auch wenn die frühere Forschung eine leicht erhöhte Prävalenz für Persönlichkeitsstörungen zeigt, sollte beachtet werden, dass in allen Studien bei der großen Mehrheit der CFS-Patienten keine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wird. Die Ätiologie des CFS ist zweifelsohne multifaktoriell, aber die vorliegende Studie lässt darauf schließen, dass die Prävalenz von schweren Persönlichkeitsstörungen – die ohne Zweifel den Verlauf des CFS beeinflussen würde – nicht überschätzt werden sollte."

    ** 2009 Jan;66(1):13-20. Epub 2008 Nov 22.

    Chronic fatigue syndrome and DSM-IV personality disorders.

    Department of Psychiatry, University Hospital Antwerp, Edegem, Belgium.

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19073288

    Volltext unter: http://cfids-cab.org/cfs-inform/Cfsdepression/courjaret.etal08.pdf

     

    Weitere Artikel zu diesem Thema:

    A population-based study of chronic fatigue syndrome (CFS) experienced in differing patient groups: An effort to replicate Vercoulen et al.'s model of CFS

    Journal: Journal of Mental Health, Volume 14, Number 3, June 2005, pp. 277-289

    Authors: Sharon Song and Leonard A Jason

    http://www.cfids-cab.org/cfs-inform/Subgroups/song.jason05.pdf