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Artikel des
Monats April 2014 Teil 1
Rede von Nigel Speight in Bristol
Am
5. Februar 2014 hatten die Filmemacher von Voices from the Shadows eine
Tagung mit
dem Titel "Exercise and ME/CFS" organisiert, bei der der Film gezeigt wurde
und anschließend Nigel Speight, Mark VanNess und Erina Bowman eine Rede hielten.
Die Übersetzung des Skripts der Rede von Nigel Speight finden Sie
unten.
Video von Nigel
Speights Rede:
https://www.youtube.com/watch?v=208JacsB5kM
Dr. Nigel
Speight sprach über ME/CFS bei Kindern und verschiedene Fälle, die von Ärzten,
Therapeuten, Jugendämtern und Sozialarbeitern aufgrund falscher Informationen
über ME/CFS fehlbehandelt wurden. Er ist medizinischer Berater für fünf
Patientenorganisationen, darunter die ME Association, der TYMES Trust und die
25% Group, der es nicht gelang, jemanden anderes zu finden, der sich mit
schwerem ME/CFS auskennt. Nigel Speight wird landesweit und inzwischen
europaweit zu den schlimmsten Fällen gerufen, zu Fällen, bei denen die Kinder
fehlbehandelt oder gezwungen werden, an schädlichen Behandlungsprogrammen
teilzunehmen und in denen die Familien mit dem Entzug des Sorgerechts bedroht
werden. Er beschrieb in seiner Rede, wie das Krankheitsmanagement bei Kindern
und Jugendlichen mit ME/CFS gestaltet werden sollte und dass die Versorgung und
jegliche Intervention von der Tatsache ausgehen muss, dass es sich um eine
schwere organische, aber nicht um eine psychische Krankheit handelt.
Video-Interviews bzw. die Übersetzung der Skripte dieser Interviews finden Sie
auch in den Artikeln des Monats Februar 2014 -1
und Januar 2014 - 1 und 2.
Video von Mark
VanNess' Rede:
https://www.youtube.com/watch?v=q_cnva7zyKM
Prof. Mark VanNess von der
Workwell Foundation erklärte, wie
schädlich aerobes Training für Patienten mit ME/CFS
sein kann. Er und sein Team haben einen 2-Tage-Test
zur Untersuchung der Auswirkungen von körperlichem
Training auf ME/CFS-Patienten entwickelt, der auch
als diagnostischer Test geeignet zu sein scheint
(zumindest für leichte bis moderate Fälle von
ME/CFS, bettlägerige Patienten sind nicht in der
Lage, einen solchen Test zu absolvieren). Dieser
Test zeigt eine signifikante Verstärkung der
ME-Symptome, die nach der körperlichen Belastung bei
ME-Patienten, nicht aber bei gesunden Kontrollen
auftritt und die über längere Zeit anhält. Diese
Arbeiten von Mark VanNess und seinem Team belegen,
dass Trainingsprogramme, wie sie etwa von der
Wessely-School bei ME/CFS verordnet werden -
kognitive Verhaltenstherapie und ansteigendes
körperliches Training - sehr schädlich sein können
und bei ME/CFS kontraindiziert sind. In seinem
Vortrag erklärte VanNess, dass die Darstellungen in
dem Film Voices from the Shadows, der an diesem
Abend gezeigt wurde, mit seinen Ergebnissen über die
kardiopulmonalen Tests übereinstimmen. Er erklärte
auch, wie Patienten geeignete Möglichkeiten finden
können, ihr Aktivitätsniveau zu managen, und zwar
indem sie versuchen, jegliche
Symptomverschlechterung durch Überlastung zu
vermeiden und damit ihrem Körper eine bessere Chance
zur spontanen Erholung zu geben.
Erina Bowmans Rede:
https://www.youtube.com/watch?v=iIQpBDgFZNw
Erinna Bowman
gehört dem Cure ME Team an der London School of Hygiene and Tropical Medicine
an. Sie sprach über das zentrale Problem, das zur Verwirrung im Hinblick auf die
Diagnose und Behandlung von Patienten beiträgt, nämlich das Problem der
verschiedenen, ganz unterschiedlichen Krankheitsdefinitionen. Offenbar arbeitet
ihr Team mit recht eng gefassten Forschungskriterien, wenn man sie mit den
Kriterien vergleicht, die im System der britischen Gesundheitsversorgung, dem
National Health Service (NHS) und der NICE Guideline verwendet werden. Sie
beschrieb die Arbeit zur Erstellung einer
Biobank
und die neuen Forschungsprojekte, die durch eine Finanzierung durch die
US-Gesundheitsbehörden, den National Institutes of Health (NIH) möglich wurde.
Die neuen Forschungsprojekte umfassen immunologische, virologische und
Genexpressions-Analysen. |
Skript der Rede von Nigel Speight
Skript hier als pdf-Datei
(Übersetzung von Regina Clos, Wiedergabe mit freundlicher
Genehmigung)
Vielen Dank.
Es ist schön, hier zu sein. Vielen Dank an Natalie und Charles für die Einladung
und vielen Dank für all die harte Arbeit, die Ihr in diese gut besuchte
Veranstaltung gesteckt habt. Da ich hauptsächlich vor Familien und Patienten mit
ME spreche – auch wenn ich weiß, dass Ärzte unter den Zuhörern sind -, fühle ich
mich immer gezwungen, mich im Namen der Ärzteschaft zu entschuldigen. Also, ich
entschuldige mich hiermit, und ich bin sicher, Sie wissen, was ich damit meine.
Ich habe eine besonders ungewöhnliche Sichtweise auf diese Krankheit, weil ich
sie durch ein Ende des Fernglases sehe. Ich bin gerne bereit zu akzeptieren,
dass es in vielen Teilen des Landes gut läuft und dass einige Kinderärzte sehr
gut mit ME-Fällen umgehen und einige ME-Ambulanzen gute Arbeit leisten und all
das.
Aber ich habe eine besonders verzerrte Sichtweise, weil all die schlimmen Fälle
bei mir zu landen scheinen. Ich habe relativ viel Erfahrung im Hinblick auf die
tatsächlichen Zahlen. Im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit habe ich mehr als
600 Fälle von ME bei Kindern gesehen.
Die Fälle, die sogar in ein Kinderschutzverfahren hineingezogen wurden, belaufen
sich jetzt auf 35, und ich habe allein in dieser Woche fünf mögliche Fälle in
meinem Terminkalender.
Wenn also jemand behauptet, es sei seit der Veröffentlichung des Films (Voices
from the Shadows) alles besser geworden, so stimmt das nicht, denn es kommen
jeden Tag neue Fälle herein. Und es ist immer die gleiche alte Geschichte von
Zweifel an der Krankheit, Druck durch Schulbehörden, Versagen des Kinderarztes,
die Diagnose klar genug zu stellen und manchmal eines scheußlichen Gegenangriffs
eines Sozialdienstes gegen jemanden, der um Hilfe bittet.
Eine weitere ME-Patientenorganisation, eine ungewöhnliche, hat mich tatsächlich
gefragt, ob ich ihr medizinischer Berater werden könne. Das war die
25% Group von Simon Lawrence, und ich denke, die Tatsache, dass sie einen
klapprigen Kinderarzt im Ruhestand bitten müssen, ihr medizinischer Berater zu
werden, ist sehr traurig, denn sie haben wohl nicht den Eindruck, dass es
jemanden anderes geben könnte, der genug von schwerer ME verstünde, um für sie
vertrauenswürdig zu sein.
Ich bin gerne bereit, dieses Amt abzugeben, wenn es jemand übernehmen möchte.
Durch diese Organisation, die nicht unbedingt pädiatrisch orientiert ist, habe
ich das schwere Ende der Realität dieser Krankheit gesehen, und hier empfinde
ich Kritik gegen über der Ärzteschaft, wo man Menschen sieht, die fünf Jahre
lang keinen Arzt gesehen haben, ans Bett gefesselt sind und zuhause von ihren
Eltern gepflegt werden.
Der Hausarzt macht keinen Hausbesuch, weil es ihnen zu schlecht geht, um in die
Praxis zu kommen, und es gibt am örtlichen Krankenhaus keinen Facharzt, der
bereit oder genügend interessiert wäre, hier irgendeine Verantwortung zu
übernehmen. Ich hatte einen Fall in Nordirland, der durch eine Nasensonde
ernährt wurde, auf einer Anti-Dekubitus-Matratze lag, fünf Jahre lang von einem
Hausarzt versorgt wurde, und wir haben dann versucht, den Facharzt vom örtlichen
Krankenhaus einzuschalten, aber keiner hätte den Fall auch nur mit der
Kneifzange anfassen wollen. Das ist wirkliche medizinische Vernachlässigung.
Hier ein paar kurze Informationen über eine Studie, die ich in North Durham
durchgeführt habe, bevor ich in Ruhestand ging. Wir haben 49 Fälle untersucht,
und der Wert der Studie liegt darin, dass wir uns alle Schweregrade angesehen
haben, einschließlich der wirklich recht leichten Fälle, und das gab und ein
sehr gutes Gefühl für das gesamte Spektrum der Krankheit. Das war in den Tagen
vor Graded Exercise Therapie (GET), multidisziplinärem Ansatz und all diesen
Sachen.
Ich habe diesen Patienten einfach mein Verständnis, mein Mitgefühl,
Unterstützung und ein paar Ratschläge im Sinne des gesunden Menschenverstands
gegeben. Bei den sehr schweren Fällen habe ich, weil ich dachte, ich müsste
ihnen etwas anbieten und es einige Belege für die Wirksamkeit von
Immunglobulinen gibt, sogar auch noch Immunglobuline gegeben.
Das waren die einfachen Abstufungen im Schweregrad, die wir benutzten, um sie
anfänglich und dann bei der Folgeuntersuchung einzuschätzen. Mein Ansatz zum
Krankheitsmanagement war zunächst eine Bestätigung, ihnen zu zeigen, dass man
ihnen glaubt und dass man ihre Krankheit als organische akzeptiert.
Ich habe immer NHS-Rezepte ausgestellt und das Wort Mitgefühl draufgeschrieben.
Das kostet nichts. Es gibt eine Menge, was man tun kann, um Kinder mit ME zu
unterstützen: Briefe an die Schulbehörden, in denen man um eine häusliche
Beschulung bittet; den Rat, die Schule für einen Monat zu besuchen.
Wie Sie an den Horrorgeschichten erkennen können, über die wir gesprochen haben,
sind die gegenwärtige Diagnose und die Verlaufsuntersuchung wichtig und dass man
sie kontinuierlich betreut und beschützt. In den Jahren, in denen ich als
Facharzt in der nördlichen Region tätig war, gab es keinen einzigen Fall von
Kinderschutzverfahren. Sich mit der Selbsthilfegruppe vor Ort in Verbindung zu
setzen ist sehr wertvoll. Über Immunglobuline werde ich später mehr sagen. Bei
den schweren Fällen ist eine Ernährung durch eine Sonde angebracht. Ratschläge
im Sinne des gesunden Menschenverstands über das Aktivitätsmanagement sind
wichtig, das wahrscheinlich in etwa mit dem Pacing-Ansatz übereinstimmt.
Ich habe folgendes nicht getan: ich habe niemanden gleich zu Anfang an die
Psychiatrie überwiesen. Zwei habe ich auf Bitten der Eltern dahin überwiesen,
und beide Konsultationen führten zu einer formalen Beschwerde der Eltern, weil
sie verhöhnt und mit Verachtung behandelt wurden.
Ich habe also die Psychiatrie nicht oft eingeschaltet, und ich brauchte das
tatsächlich auch nicht, weil die meisten meiner Kinder nicht depressiv waren und
eine organische Krankheit hatten. Ich habe auch keinen Physiotherapeuten
eingeschaltet. Die leichten Fälle brauchten einen solchen nicht. Die schweren
Fälle brauchten Schutz, und die Eltern haben sanfte passive Bewegungen nach
Anleitung durchgeführt.
Ich habe auch keine Krankenhauseinweisungen veranlasst außer als absolut letztes
Mittel, um eine künstliche Ernährung mit Nasensonde oder PEG-Sonde einzuleiten.
Ich habe auch keinen multidisziplinären Ansatz verfolgt. Als ich das am Anfang
versuchte, hat jede neue Disziplin, die ich eingeschaltet habe, etwas anderes
gesagt und die Familie verunsichert und wir mussten sie dann beschützen.
Bei meinem letzten sehr schweren Fall, den ich zusammen mit dem Hausarzt und dem
Ernährungsfachmann für die Sondenernährung behandelt habe, habe ich
Immunglobuline und Antibiotika eingesetzt für den Fall, dass es sich um eine
Lyme-Borreliose gehandelt hätte. Sie war der schwerste Fall, den ich je gesehen
hatte, und sie erholte sich innerhalb von zwei Jahren vollständig. Ich rechne
mir das nicht als Verdienst an. Vielleicht hat sie nur einfach Glück gehabt.
Ich habe weder kognitive Verhaltenstherapie noch Graded Exercise Therapie
eingesetzt. Darüber werde ich gleich noch etwas sagen.
Hier die Ergebnisse von den Patienten, denen es besser ging. Es sind 15 von 49,
fast ein Drittel, und man kann sehen, dass einige zur Gruppe der moderat
Erkrankten und eine Patientin hier in der Gruppe der schwer Erkrankten war, und
sie hatten immer noch eine sehr lange Krankheitsdauer. Deshalb, wenn jemand
sagt, Du wirst im nächsten September wieder den ganzen Tag die Schule besuchen
können – es gibt nur sehr wenige Patienten, zu denen man das sagen kann.
Tatsächlich mache ich überhaupt keine Vorhersagen über die Zukunft, bei keinem
dieser Fälle.
Aber ich fand das durchaus als Anlass für Optimismus, dass mit minimaler
Intervention diese Patienten eine spontane Besserung erlebten, ohne dass man
ihren Zustand verschlechtert hat. Weil wir kein Heilmittel habe, betone ich
immer wieder, dass es manchen mit der Zeit schlechter geht, und es waren am Ende
sieben, die in die Gruppe der Schwererkrankten gehörten. Ich bin froh darüber,
dass bei den meisten soweit ich weiß seitdem eine Besserung begonnen hat.
Das hier ist ein sehr interessanter Fall von einem Jungen. In den ersten drei
Jahren wusste niemand, dass er ME hat. Aber jedes Mal, wenn er sich mit einem
Virus angesteckt hatte, fehlte er einen ganzen Monat in der Schule, und er hatte
die ganzen drei Jahre über alle diese Einbrüche und fehlte in der Schule
aufgrund der typischen ME-Symptome. Und weil er nicht wusste, dass er ME hatte,
ist er mit seinem Vater in Schottland auf Rucksacktour gegangen, hat ein Zelt
getragen und im Zelt übernachtet, und von da an ging es ihm schlecht.
Ich möchte noch ein Mädchen erwähnen, die nicht in dieser Studie erfasst wurde,
die die Schule zu 90% besuchen kann, auf Anraten des Kinderarztes am Sport nicht
teilnimmt und die die Lehrer dazu einem Querfeldeinlauf überredet haben, weil
sie sich daran erinnerten, wie gut sie darin früher war. Und dieses Rennen
endete in einem schweren Rückfall, und danach fehlte sie 18 Monate in der
Schule.
Mark VanNess hat betont, dass wir alle wissen, welcher Schaden durch
körperliche Überanstrengung entstehen kann. Und das hier war nur ein Vorfall,
der zu einem 18 Monate dauernden Rückfall geführt hat.
Denken Sie daran, die große Mehrheit lag irgendwo dazwischen. Aber hier ist noch
ein schwerer Fall, der drei Jahre per Sonde ernährt wurde und der jetzt in einem
Postamt arbeitet. Das heißt, selbst die schweren Fälle können sich gut erholen,
und die meisten sind irgendwo in der Kategorie der moderat Erkrankten.
Zunächst einmal ist das also eine sehr unvorhersehbare Krankheit. Sie konnten
sehen, wie die Kurve für Rückfälle und Phasen der Erholung herauf- und
heruntergingen. Die starken Schwankungen sind Grund für vorsichtigen Optimismus.
Insgesamt gesehen denke ich, wir wissen, dass die Prognose bei Kindern etwas
besser oder optimistischer ist als bei Erwachsenen, aber man darf die Krankheit
trotzdem nicht unterschätzen. Selbst leichte bis moderate Fälle müssen mit
großem Respekt behandelt werden.
Wir können lang und breit über ein evidenzbasiertes Krankheitsmanagement reden.
Es gibt jede Menge Artikel, die ich größtenteils nicht sehr hilfreich finde.
Niemand hat jemals die schweren Fälle untersucht, und, wie ich schon sagte, die
meisten Leute ignorieren sie ohnehin. Was wir uns in Bezug auf diese schweren
Fälle immer wieder vor Augen führen müssen: wir haben keine Behandlung, die zu
einer Heilung führt. Mir sind Leute zuwider, die behaupten, sie hätten eine
wirksame Behandlung und die sagen: „Sie müssen in unsere Abteilung für eine
Behandlung kommen.“ Sie können durchaus von einem Krankheitsmanagement
sprechen, lassen Sie mich über Management reden, aber Behandlung impliziert eine
Heilung. Und keine Behandlung und kein Management ist so wirksam als dass es
die Ausübung von Zwang rechtfertigen würde. Punkt.
Als ich an der Arbeitsgruppe zum CMO-Bericht teilnahm, haben sie eine
Literaturdurchsicht gemacht, am York Centre, und sie haben sich alle
randomisierten kontrollierten Studien angesehen und nur drei Formen des
Managements gefunden, für die man insgesamt eine Wirksamkeit in mehr als einer
Studie gefunden hat.
Die erste war Immunglobulin, die zweite war kognitive Verhaltenstherapie und die
dritte war Graded Exercise. Würde es jemanden von Ihnen überraschen zu hören,
dass der CMO-Report die ersten nicht berücksichtigte und nur die beiden nächsten
erwähnte? Ich denke, das ist ein klarer Beweis für eine Voreingenommenheit
gegenüber einer organischen Grundlage der Krankheit und dafür, die Beweise für
die Wirksamkeit von Immunglobulinen zu unterdrücken.
Wie ich schon in dem
Film sagte, wenn wir in den letzten 40 Jahren davon ausgegangen wären, dass
dies eine organische Krankheit ist, dann hätten wir mehr ordentliche Studien zu
Immunglobulin durchgeführt, hätten herausgefunden, ob es, wenn man es
rechtzeitig gibt, wirksam ist oder nicht. Ich habe den Einsatz von
Immunglobulinen sozusagen wiederentdeckt und ich vertraue darauf. Wir sollten
das wieder in Betracht ziehen. Aber es wurde in dem schriftlichen Bericht
tatsächlich weggelassen.
Das Problem mit Graded Exercise und auch mit kognitiver Verhaltenstherapie ist,
dass mit beidem viel Unheil angerichtet werden kann. Man kann das sehr
germanisch rigide einsetzen und sagen, Du musst jeden Monat 10% mehr leisten,
und wenn es Dir schlechter geht, dann musst Du Dich durch die Schmerzen
durchbeißen. Wie Mark VanNess sagt, wir wissen alle, dass das Blödsinn ist. Aber
manche Befürworter von Graded Exercise glauben, das würde stimmen.
Ich höre immer wieder, dass ein Kinderarzt gesagt hat, geh zurück in die Schule
und beiße Dich durch, und es wird Dir gut gehen. Das passiert immer noch. Ich
bin zwar kein Experte dafür, aber ich wäre überrascht, wenn die Forschung über
Graded Exercise tatsächlich offenlegen würde, was sie mit „graded“ (abgestuft)
meinen oder welche Art von Graded Exercise sie eingesetzt haben.
Ich glaube, dass ein sanftes schrittweises Vorgehen, bei dem ein Zurückfahren
der Aktivität vorgesehen ist, wenn man es übertrieben hat, tatsächlich hilfreich
sein kann. Das ist ein vorsichtiges und vernünftiges Vorgehen, und genau das
habe ich immer verfolgt. Viele der Patientengruppen bevorzugen hierfür den Namen
Pacing.
Kognitive Verhaltenstherapie kann genauso in zwei Variationen angeboten werden.
Es kann eine dem gesunden Menschenverstand folgende, pragmatische Form der
Beratung geben, bei der man sagt, also, im Nachhinein betrachtet würde ich
sagen, vielleicht war der Besuch des Popkonzerts der Grund dafür, warum Du in
dieser Woche ans Bett gefesselt bist. Das ist sozusagen eine Art
ex-und-hopp-Therapie nach dem Motto: mach langsam. Und es gibt da den mehr
psychologischen Ansatz, der sehr verbreitet ist, nach dem sich angeblich die
Chance für eine Gesundung automatisch verbessert, wenn man in die
Vorstellungswelt des Patienten eindringt und den Glauben ausmerzt, dass die
Krankheit die Folge eines Virus sei.
Also, bevor man nicht gehört hat, was der Psychologe, der die kognitive
Verhaltenstherapie durchführt, tatsächlich in der Privatheit dieser Beratungen
sagt, weiß man auch nicht, welche Form der kognitiven Verhaltenstherapie die
Patienten erhalten. Und ich weiß, welche Form ich vorziehe.
Das Paradox ist, dass die ME-Gemeinde verzweifelt nach irgendeiner Form der
Behandlung oder Heilung sucht, und sie zweifeln extrem an der Wirksamkeit von
GET und CBT und bevorzugen Pacing. Und sie mögen es überhaupt nicht, wenn man
ihnen diese Therapien aufzwingt. Bei Erwachsenen geht es ja noch, denn sie
können sie ablehnen und sagen, vielen Dank, ich komme vielleicht darauf zurück.
Wie ich im Film gesagt habe, ist die Lage bei Kindern anders. Eltern sind nicht
im Besitz ihrer Kinder, die Kinder gehören dem Staat, und wenn der Staat will,
dass die Kinder diese Therapien machen, dann sollten die Eltern dem nicht im Weg
stehen.
Und natürlich gäbe es überhaupt keine Kontroverse, wenn es eine Heilmöglichkeit
für ME gäbe.
Wir wären dann nicht hier. Wir wären alle geheilt. Also, wir haben kein
Heilmittel.
Eines der größten Probleme ist, dass Ärzte, manche Ärzte, es nicht ertragen,
wenn ihre Patienten sich nicht bessern. Ich würde sagen, wenn der Patient es
ertragen muss, dass es ihm nicht besser geht, dann ist das das wenigste, was der
Arzt tun könnte.
Das ist es, was ich de Gefahren durch den therapeutischen Trugschluss nenne. Ich
bin nicht nur einfach gegen CBT und GET in den Formen, über die wir gerade
gesprochen haben, ich bin aber gegen eine stationäre Rehabilitation. Ich habe
letzte Woche in Lancaster drei Brüder mit ganz klassischer ME gesehen, die durch
eine gerichtliche Anordnung bedroht werden, für sechs Wochen in eine
psychiatrische Station in Liverpool zu gehen, wo man ihnen Physiotherapie und
Wassertherapie angedeihen lässt und die Mutter nicht vor vier Uhr nachmittags zu
Besuch kommen darf. Was ist der Grund dafür? Der Physiotherapeut soll den ganzen
Tag über freie Hand haben. Und das geschieht in der Tat ganz aktuell in dieser
Woche.
Deshalb bin ich gegen “Rehabilitation” sehr allergisch. Das Wort klingt so
harmlos, nicht wahr? Und wenn die Therapeuten an ihre Behandlung glauben und es
dem Kind nicht besser geht, dann muss es doch an den Eltern liegen. Wie die
Generäle im Ersten Weltkrieg [die die Soldaten der Feigheit vor dem Feind
beschuldigten, wenn ihre Schlachtpläne scheiterten, d.Ü.]. Oder sie behaupten,
die Diagnose sei falsch und sie habe sich jetzt von der ursprünglichen Diagnose
eines ME verwandelt, denn wenn es ihnen schlechter geht, muss es doch etwas
anderes als ME sein. Entweder sind es dann die Mütter, die die Kinder weiterhin
in der Krankheit festhalten, also ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. (Ich
mag diesen Begriff immer noch, obwohl manche versuchen, ihn abzuschaffen.) So
etwas gibt es. Ich habe in 30 Jahren zwei solcher Fälle gesehen. Es ist so
selten wie ein weißer Rabe, während ME sehr verbreitet ist.
Und das Schlimmste ist dieses Pervasive Refusal Syndrome (Durchgängiges
Verweigerungssyndrom). Das ist ein reales Syndrom, sehr selten, sehr
schwerwiegend. Das Kind will dann beinahe Selbstmord begehen, indem es
Infusionsnadeln und Ernährungsschläuche herauszieht und absolut jede Kooperation
verweigert. Ein Kind mit einem durchgängigen Verweigerungssyndrom kann einem
Kind mit ME sehr ähnlich sehen.
Aber das Kind mit schwerer ME hatte zuvor leichte ME und moderate ME und dann
ist sein Zustand schlechter geworden, aber es wird nicht plötzlich zum
durchgängigen Verweigerungssyndrom. Es ist natürlich möglich, dass beides
gleichzeitig vorliegt.
Wenn Kind und Eltern sich aus der Behandlung zurückziehen, dann wird das mit
Kindesmisshandlung gleichgesetzt. Ich habe einen 12-jährigen Jungen in
Schottland gesehen, der dieses Behandlungsprogramm ausprobiert hat, von dem ihm
die Kinderärztin vor Ort garantiert hat, es würde ihn mit 100%iger
Wahrscheinlichkeit innerhalb von neun Monaten wieder gesund machen. Zu dem
Behandlungsprogramm gehörte ein Aktivitätsmanagement und morgens um 8.00
aufwachen und eine zeitliche Festlegung von allem. Es ging ihm unter diesem
Behandlungsprogramm tatsächlich immer schlechter, und die Eltern sagten, vielen
Dank, können wir das bitte beenden. Die Kinderärztin hat dann ein
Kinderschutzverfahren eingeleitet, weil die Zurückweisung von medizinischen
Ratschlägen doch Kindesmisshandlung sei. Die Tatsache, dass der medizinische
Ratschlag vielleicht nichts taugt, schien ihr nicht in den Sinn zu kommen.
Tatsächlich sind die NICE-Guidelines, die ziemlich kritisiert werden, relativ
harmlos. Man muss sehen, wie man sie interpretiert, und in diesen
NICE-Guidelines ist nichts enthalten, was den Anspruch erheben würde, diese
Behandlung sei gut genug, um eine zwangsweise Teilnahme zu rechtfertigen. Es ist
darin sehr viel die Rede davon, dass eine Einwilligung des Patienten nach
erfolgter Aufklärung vorhanden sein muss und es wird ziemlich klar
hervorgehoben, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass CBT und GET bei schweren
Fällen wirksam seien. Und trotzdem sehe ich immer wieder Kinderärzte, die
wahnsinnig werden, wenn sie mit einem schweren ME-Fall konfrontiert werden und
sagen, also gut, wenn das bei leichten Fällen wirkt, dann müssen wir das auch
bei den schweren Fällen einsetzen.
Meine Lieblingsgeschichte ist die von einem australischen 14-jährigen Jungen,
Sohn eines Arztes, der ME bekam und ein ganzes Jahr lang durch ganz Australien
reiste und all die Experten aufsuchte, und als ihn jemand fragte: „Du musst ja
eine Menge herausgefunden haben in diesem Jahr, wo Du all diese schlauen Ärzte
aufgesucht hast.“ Antwortete er: „Nicht viel, sie verstehen überhaupt nichts
davon. Es gibt aber eins, was ich beobachtet habe: es ist eine Krankheit, die
bei den Ärzten, die mit ihr konfrontiert werden, eine akute psychische Störung
hervorruft!“
Ich möchte noch ein paar Dinge über das Krankheitsmanagement bei schweren Fällen
sagen.
Bei meinem ersten schweren Fall geriet ich in Panik. Ich schickte das Mädchen
nach Newcastle.
Ich habe zahlreiche Zweitmeinungen eingeholt. Ich habe zuviele Untersuchungen
veranlasst. Sie hat mir das nie verziehen. Sie hat ihren Eltern nie verziehen,
weil ich versprochen hatte, sie würde nur für einen Nachmittag nach Newcastle
gehen. Sie haben sie für drei Tage dabehalten und im Polizeigriff durch die
Abteilung geschleppt und eine Lumbalpunktion gemacht. Mir ist klar geworden,
dass ich, wenn ich den Menschen, die ich um eine Zweitmeinung bitte, nicht
wirklich vertrauen kann, dann kann ich das Vertrauen eines Patienten in mich
zerstören.
Das ist ein sehr schwieriges Gebiet. Es gibt keine nennenswerten Belege. Es ist
gefährlich, von Studien an Patienten am leichteren Ende des Spektrums auf die
schweren Fälle zu schließen. Alle diese Studien über GET und CBT sind an
Patienten durchgeführt worden, die ambulant behandelt werden können, d.h., die
in die Klinik laufen können, und diese schwerkranken Patienten sind bettlägerig.
Die natürliche Reaktion ist, dass man in Panik gerät und Angst hat, dass man
etwas versäumt oder dass der Patient einem unter der Hand wegsterben könnte und
man dann von jemandem angezeigt würde.
Und so sehen sie aus: Schmerzen am ganzen Körper, Berührungsüberempfindlichkeit,
und wenn die Mutter versucht, sie herumzudrehen, jammern sie, aua, das tut weh,
Mama, und sie hassen Licht, Gerüche und alles andere, und sie können zu schwach
sein, um zu essen und zu trinken, so dass sie mit einer Sonde ernährt werden
müssen. Sie haben diese Muskelkrämpfe und können dann ein übermäßiges
Schlafbedürfnis entwickeln, das dann zu einer Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus
führen kann.
Ich hatte ein Mädchen, die neun Monate lang 23 Stunden am Tag schlief. Das
verändert sich gerade. Es ist eins von den netteren Dingen, die man sagen kann,
also, wahrscheinlich bist Du jetzt eher in einem Stadium der Genesung, weil Du
diese Tag-Nacht-Umkehr hast, aber auch wenn Du bis vier Uhr in der Früh nicht
einschlafen kannst, es ist trotzdem ein Fortschritt.
Das ist ein Mädchen aus Sussex. Sie stand im Alter von 18 Jahren unter der
Vormundschaft des High Courts unter einem sehr hohen und bekannten Richter. Das
ist etwa zehn Jahre her. Die für diesen Fall verantwortliche Kinderärztin
versicherte dem Richter, dass sie das Mädchen, wenn es unter Vormundschaft
stände, in ein Krankenhaus einweisen könnte, wo sie ihm eine solche Behandlung
zukommen ließe, dass sie innerhalb von 6 Monaten wieder laufen könnte. Und der
Richter glaubte ihr und erließ die entsprechende Anordnung und das Mädchen wurde
eingewiesen. Ich versuchte, dagegen anzugehen, wurde aber meine Vorschläge
wurden abgelehnt. Sie wurde eingewiesen und drei Monate lang täglich mit
Physiotherapie behandelt. Das arme Mädchen hat dann schließlich einen kleinen
moralischen Sieg errungen, indem sie der Physiotherapeutin sagte, dass sie nach
ihrer Meinung ihre professionellen Richtlinien verletzen würde, indem sie ihr
diese Behandlung gegen ihren Willen aufzwingen würde. Und die Physiotherapeutin
zog sich zurück.
Sie haben sie für drei Monate dabehalten, weil sie nicht wussten, was sie tun
sollten. Sie konnten sie nicht nachhause schicken, weil sie dann ihr Gesicht
verloren hätten. Also sagten sie ihr, sie müsse in eine andere Klinik gehen. Sie
ließen sie wählen und sie sagte, sie wolle nach Durham. Sie kam dann den weiten
Weg in meine Abteilung in Durham. Ziemlich unnötig, nur um dem Gericht das
Gesicht zu wahren.
Sie war dann sechs Monate bei uns, und in dieser Zeit war sie vollkommen
traumatisiert durch das, was mit ihr gemacht worden war. Wir haben sie dann mit
liebevoller Pflege (Tender Loving Care TLC) behandelt, und obwohl ich meinen
Krankenschwestern Vorträge über sie gehalten und alles mögliche getan hatte,
fingen sie mit all den Sachen an, die Naomy in dem Film (Voices
from the Shadows) berichtet, also „Warum willst Du denn nicht, dass es Dir
besser geht?“ und dann zeigten sie mich bei der zuständigen Person für den
Schutz von Kindern an, weil ich dieses Mädchen so lange Zeit im Bett liegen
ließ. Es ist verrückt, dass man alles tun kann, um die Leute zu informieren,
aber… Schließlich sagte eine Schwester zu mir: „Sie wollen uns also wirklich
erzählen, dass alles, was wir über Pflege gelernt haben, bei dieser Krankheit
genau anders herum sein muss?“ Ich sagte: „Ja, richtig, alles, was sie
beigebracht bekommen haben, ist hier der Intuition zuwiderlaufend. Tun Sie das
Gegenteil.“
Sie wurde lange Zeit mit einer Sonde ernährt. Schließlich ist sie dann nachhause
gekommen. Heute habe ich von einem Kinderarzt gehört, der tatsächlich gesagt
hat, sie könne nicht ME haben, weil sie mit einer Sonde ernährt worden war, was
mir, wie soll ich sagen, ein wenig borniert vorkam.
Das ist es also, was ich einem Kinderarzt raten würde, der für einen Fall
schwerer ME verantwortlich ist: geraten Sie nicht in Panik, richten Sie keinen
Schaden an, teilen Sie Ihre Unsicherheit mit der Familie, sprechen Sie über
mögliche Ansätze wie Immunglobulin und ähnliches, machen Sie, was Sie für
richtig halten, kontrollieren Sie immer wieder, holen Sie eine freundliche,
sanfte zweite Meinung von jemandem ein, dem Sie vertrauen, widerstehen Sie der
Versuchung, zuviel zu untersuchen, lassen Sie den Patienten zuhause, denn die
häusliche Umgebung ist viel angemessener für die schweren Fälle, und widerstehen
Sie dem Drang, eine Rehabilitation durchzuführen.
Sie haben in dem
Film alle Emily Collingridge gesehen, die vor zwei Jahren im März 2012
gestorben ist. Sie funktionierte zuhause wie alle diese schweren Fälle in dem
Film auf etwa einem Prozent ihrer funktionellen Leistungsfähigkeit, und ich
sagte, wenn irgendetwas auftritt, was ihren Zustand auch nur geringfügig
verschlechtert, dann wird sie sterben. Sie bekam einen Nierenstein, kam ins
King’s College Hospital und starb sechs Wochen später, in einem Lehrkrankenhaus.
Sie können also daran sterben.
Und vor allem: widerstehen Sie dem Drang, sie zu rehabilitieren, halten Sie die
Krankheit aus, behandeln Sie die Symptome, sorgen Sie für eine Sondenernährung
und sanfte Physiotherapie. Ich habe den Patienten niemals Heparin gegeben.
Offensichtlich bewegen sie sich genügend. Ich habe niemals eine Lungenembolie
bei ihnen beobachtet. Versuchen Sie, ihnen eine Gemeindekrankenschwester an die
Seite zu stellen und lassen Sie ihnen eine maximal liebevolle Pflege zukommen.
Ich habe über Immunglobulin gesprochen. Ich habe bei einer Konferenz in
Australien von Garth Nicholson und seiner Arbeit gegen eine atypische Art von
Mycoplasmen gehört. Dann war ich bei einer Konferenz über Lyme-Borreliose, und
ich habe großes Interesse an diesen atypischen Infektionen. Ich würde sagen, der
letzte Fall, den ich anscheinend heilen konnte, wurde besser von dem Zeitpunkt
an, als ich ihm Doxycyclin gab [ein Antibiotikum, d.Ü.]. Ob das nun eine
Mycoplasmeninfektion bekämpfte oder nicht, weiß ich nicht. Es gibt jetzt wieder
Versuche mit Rituximab.
Ich habe mir meine sehr schweren Fälle angesehen, und fünf von sieben brauchten
eine Sondenernährung. Bei der Nachuntersuchung hatten sich vier von den sieben
vollständig erholt. Meinem ersten Fall war durch Dr. Spurr Immunglobulin
verabreicht worden (ohne mein Wissen und ohne meine Erlaubnis!), und er wurde
geheilt. Zwei Jahre später war er Schulsprecher, spielte Rugby und kletterte in
24 Stunden auf die drei höchsten Berge in Wales, England und Schottland (Snowden,
Scafell Pike and Ben Nevis). Er hatte an der Universität aufgrund einer Grippe
einen leichten Rückfall, erholte sich aber wieder voll und ganz. Und ich
behaupte, die Erholung begann zu dem Zeitpunkt, an dem er Immunglobulin bekam.
Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass die schweren Fälle das beste Argument
gegen die psychologische Sichtweise dieser Krankheit sind. Wenn man tatsächlich
eine so schwere Krankheit hat und dann jemandem einem Psychologen aussetzt und
mit ihm redet, dann sollte man in der Lage sein, irgendetwas zu finden, entweder
sexuellen Missbrauch oder ein Trauma oder sonst etwas, aber man hat nie etwas
gefunden, und sie haben sich erholt. Deshalb überzeugen mich selbst die leichten
Fälle von ME in der Kindheit davon, dass es sich um eine echte körperliche
Krankheit handelt.
Das hier ist einer meiner Fälle, der sich erholt hat. Sie war drei Jahre ans
Bett gefesselt und mit einer Sonde ernährt worden. Das sind die drei Studien
[über Immunglobulin, d.Ü.], und bei zwei von ihnen wurde ein positiver Effekt
festgestellt. Eine dieser Studien wurde tatsächlich auch an Kindern
durchgeführt, ich glaube, die von Kathy Rowe. Aber warum hat man nicht mehr
Studien zu Immunglobulinen durchgeführt, weiß ich nicht.
Ich habe mich kritisch über meine Berufskollegen geäußert, aber das sind alles
Aussagen, die ich von Hausärzten oder Kinderärzten gehört habe: „In dieser
Praxis glauben wir nicht an ME.“ Das haben sie sogar nach der Veröffentlichung
der NICE Guidelines gesagt. Wenn es Leitlinien zu ME gibt, dann muss die
Krankheit wohl existieren, oder nicht? „Kinder bekommen kein ME, er ist zu jung,
um ME zu bekommen.“ Er ist sieben Jahre alt. Ich habe Kinder mit ME gesehen, die
unter fünf Jahren waren. „Ich mag es nicht, Fällen ein Etikett zu verpassen.“
„Ich mag es nicht, etwas zu diagnostizieren, für das wir keine Behandlung
haben.“ Ich dachte immer, unsere medizinische Ausbildung hätte uns beigebracht,
mit soetwas umzugehen. Und das hier ist das Beste, es ist von einem Professor
für Pädiatrie, der zu einer 6-Jährigen sagte: „Es kann gar nicht sein, dass
etwas mit Dir nicht stimmt, denn alle Deine Tests sind normal ausgefallen.“ Und
das kleine Mädchen sagte zu ihm: „Vielleicht habe ich eine Krankheit, für die
Sie noch nicht die richtigen Tests erfunden haben?“
Vielleicht hat Mark VanNess jetzt den richtigen Test erfunden.
Ich werde Ihnen noch einen archetypischen Fall vorstellen, Tiffany, ein
14-jähriges Mädchen. Viele meiner Kinderschutzverfahren richteten sich gegen
alleinerziehende Mütter, was, so nehme ich an, verständlich ist, wenn man ein
Sozialarbeiter ist, der auf der Suche nach einem leichten Opfer ist. Und sie
nahmen diese Arme Mutter ins Visier, die sich ganz gutgläubig verhielt. Tiffany
hat schweres ME bekommen und wurde ins Krankenhaus eingewiesen. Sie musste zur
Pflege ins Krankenhaus, und sobald sie dort drin war, wurde sie von einem
freundlichen Kinderarzt betreut, der an ME glaubte und der viele moderate Fälle
ambulant behandelte. Ich dachte, sie wäre in guten Händen.
Unglücklicherweise gab es dort ein multidisziplinäres Team, und dieses
multidisziplinäre Team traf sich jede Woche. Sie verordneten ein
Behandlungsregime und der Kinderarzt wurde aus dem Weg geschafft. Das
multidisziplinäre Team bestand aus einem örtlichen Kinderarzt und einem
beratenden Kinderpsychiater. Und bei diesen Treffen, zu denen Tiffany in einem
Rollstuhl gefahren wurde, ihr Kopf herunterhängend, musste sie den Zielen für
die kommende Woche zustimmen. Die Krankenschwestern, die ihr das Essen nicht
anreichten, stellen das Essen außerhalb ihrer Reichweite, damit sie sich
anstrengen würde. Das war nach deren Meinung alles, was sie brauchte, eine
Anstrengung machen, denn es war ja alles nur Willensschwäche. Ihre Mutter fand
sie immer wieder in einem Zustand an, in dem sie schräg da saß und das Essen ihr
aus dem Mund lief, und dann packte sie sie zurück ins Bett, zog die Vorhänge zu,
und dann sagte die Schwester: „Die Mutter kam, Tiffany brach in Tränen aus, die
Mutter bringt sie zum Weinen.“
Es ging ihr immer schlechter, was niemanden von Ihnen überraschen wird, aber da
es ihr immer schlechter statt besser ging, musste es ja die Mutter sein, die den
Fortschritt sabotierte. Deshalb erlaubte man der Mutter für die nächsten zwei
Monate erst abends um 18.00 zu kommen, und sie machten weiter mit der
Physiotherapie, und es ging ihr immer schlechter, und der
Erste-Weltkriegs-General sagte, nein, nein, ich muss sie hierbehalten. Aber der
freundliche Kinderarzt sagte nein, wir können hier nicht viel für sie tun, warum
nehmen Sie sie nicht mit nachhause. Die Mutter nahm sie mit nachhause, aber die
Schwester zwang sie zu unterschreiben, dass dies gegen ärztlichen Rat geschähe.
Dann kam die Hausärztin. Ich habe ein neues medizinisches Syndrom beschrieben,
das „angsteinflößende Ärztinnen-Syndrom“, und diese Dame bestand darauf, alleine
mit Tiffany zu sprechen, als es ihr absolut schlecht ging, und sie brachte sie
zum Weinen und rief dann das Jugendamt an und sagte, ich kann die Verantwortung
für dieses Kind nicht übernehmen. Und dann haben die Jugendamtsmitarbeiter sie
sofort zu einem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom befördert, kamen mit der
Polizei und haben sie wieder ins Krankenhaus gebracht.
Und weil es ein Fall von Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom war, erlaubte man
der Mutter nur unter Überwachung den Zugang zu ihrer Tochter, und wenn Tiffany
bei den Besuchen ihrer Mutter weinte, dann sagte die Sozialarbeiterin: “Wenn Du
nochmal weinst, werden wir die Besuche Deiner Mutter ganz verbieten.”
Ich wurde von der Verfahrensbeiständin, einer unabhängigen Sozialarbeiterin,
gerufen, und ich fand Tiffany demoralisiert, vollkommen verzweifelt vor und
fragte sie, ob sie irgendwelche Wünsche habe. Welchen Rat soll ich geben? Sie
sagte, also, könnte man mir bitte erlauben, an meinem Geburtstag in der nächsten
Woche meine Mutter vielleicht ohne die Sozialarbeiterin zu sehen? Das war das
einzige, was sie noch hoffen konnte. Sie hatte sich damit abgefunden, für sechs
Monate in eine Pflegefamilie zu gehen, wo sie dann geheilt würde, denn es war ja
angeblich ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom. Ich sagte ihr, ich glaube, wir
können mehr als das erreichen, ruf Deine Verfahrensbeiständin an und sage ihr,
was Du denkst. Sie beauftragte ihre Verfahrensbeiständin und ich unterstützte
sie und sie gewann den Fall. Sie hat sich inzwischen zu 100% erholt, hat in
Cardiff die Universität besucht und ist eine großartige junge Frau. Ihre Mutter
ging zu einer Veranstaltung in Downing Street unter einem früheren
Premierminister (Gastgeberin war Cherie Blair) und hat dort ihre Geschichte
erzählt.
Fälle wie dieser gibt es weiterhin. Das ist ein archetypischer Fall.
Um es zusammenzufassen: Ich möchte nochmals meine seit langem bestehende
Überzeugung betonen, dass ME primär eine körperliche/organische Krankheit ist,
die Patienten befallen kann, die psychisch vollkommen normal sind. Natürlich
kann es wie bei jeder chronischen Erkrankung zu sekundären psychischen Folgen
kommen. Ich bin jedoch immer wieder überrascht, dass sie im Verlauf der
Krankheit psychisch nicht unnormaler werden, aber sie scheinen es nicht zu
werden.
Derzeit haben wir kein Heilmittel, und dieses Feld ist viel zu lange
hauptsächlich der Psychiatrie überlassen worden, weil keine “ologie” sich seiner
annehmen wollte. Wenn man sich ein Allgemeinkrankenhaus ansieht, dann will keine
Fachrichtung diese Fälle haben, der Neurologe will sie nicht, manchmal
vielleicht freundlicher Rheumatologe, es gibt keine Abteilung für
Infektionskrankheiten, und das ist der Grund dafür, warum die schweren Fälle
sich selbst überlassen werden, ohne fachärztliche Versorgung. Weitere Studien zu
Immunglobulinen und Rituximab wären wichtig, ebenso wie die weitere Erforschung
möglicher infektiöser Ursachen. Es wäre natürlich phantastisch, wenn Mark
VanNess‘ Studie uns einen eindeutigen, annehmbaren Biomarker für einen Test
liefern könnte, mit dem wir tatsächlich sagen könnten, dieser Patient hat
definitiv diese Krankheit. Wir sollten der Existenz der schweren Fälle ins Auge
sehen und die Verantwortung für sie übernehmen. Vielleicht Melatonin bei einer
Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus geben. Ich habe sogar Ritalin gegen den „Brainfog“
versucht, weil einige meiner Patienten sehr nach einem
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom aussahen, sie bekommen eine Art erworbenes ADHD,
und das Ritalin scheint zu helfen. Ich hatte ein Mädchen, die bis vier Uhr
nachmittags schlief, bevor sie dann mittags aufgeweckt werden musste, weil ihre
Lehrerin zur häuslichen Beschulung kam. Ich habe ihr Ritalin gegeben, und sie
war dann sehr gut bei dieser häuslichen Beschulung.
Das war’s dann. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Weitere Artikel von Nigel Speight:
"Myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome: Review of history, clinical
features, and controversies"
http://www.sjmms.net/temp/SaudiJMedMedSci1111-4640448_125324.pdf
Und ein Handout:
http://voicesfromtheshadowsfilm.co.uk/nigel-speight-me-handout/ |