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Dr. Judy Mikovits sprach in ihrem Vortrag vorwiegend
über die Schwierigkeiten der Bestimmung des Virus und
weniger über die Rolle des Virus im Rahmen von
Krankheitsprozessen. Man hat das Gammaretrovirus bisher im
Prostatagewebe von Patienten mit Prostatakrebs gefunden (bei
6-27%), im Blut von Patienten mit ME/CFS (bei 67% im
Vergleich zu 3,7% der gesunden Kontrollen) und im
Atemwegstrakt von immunsupprimierten Patienten (9,9% im
Vergleich zu 3,2% der Gesunden – dies war eine deutsche
Studie von Nicole Fischer vom Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf. |
Einige Studien haben das
Retrovirus jedoch überhaupt nicht finden können, weder bei
Patienten, noch bei Gesunden. In diesen Studien wurde hauptsächlich
eine DNA-PCR der mononukleären Zellen des peripheren Blutes
durchgeführt.
Die
mehrfach geäußerte Vermutung, dass ihre Befunde über das Vorkommen
des XMRV bei ME/CFS-Patienten und gesunden Kontrollpersonen auf eine
Laborkontamination mit Mäuseleukämieviren (also dem XMRV nahe
verwandten Viren) zurückzuführen sei, ist mittlerweile widerlegt
worden. Ebenso ist die Vermutung widerlegt, man habe lediglich ein
sogenanntes endogenes (harmloses) Retrovirus gefunden, also eine
virale Gensequenz, die sich irgendwann einmal vor langer Zeit in das
menschliche Genom eingebaut hat, jetzt aber nicht mehr infektiös
ist. Man hat nämlich in der DNA von CFS-Patienten keinerlei
Mäuse-DNA gefunden.
Es gäbe mehrere Gründe dafür,
warum man in einigen Studien das XMRV überhaupt nicht habe finden
können. Es könne eine höhere Sequenzvariation geben, als man
ursprünglich angenommen hatte. D.h. das neue humane Gammaretrovirus
hat wahrscheinlich mehrere Variationen, bei denen die genetische
Information nicht zu 100% übereinstimmt. Vergleichbares findet man
auch bei anderen Retroviren.
Weiterhin könne es sein, dass das
Blut, auf das man sich in der Bestimmung des Virus stützt, nicht das
Hauptreservoir für das Virus sei, sondern andere Gewebe oder
Organe.Bislang wurde das noch nicht untersucht. Es könne auch sein,
dass das humane Gammaretrovirus ähnlich wie das Retrovirus HTLV-1
nur in manchen Gegenden der Erde auftritt. Außerdem könnten die
Diagnosekriterien, mit denen man die Patientenpopulationen für
Studien aussucht, unterschiedlich seien. Auch könnten sich die
Untersuchungsmethoden für das XMRV unterscheiden bzw. ungeeignet
sein.
Man kann das Virus mit Antikörpern
gegen XMRV-verwandte Viren entdecken wie etwa gegen Hüllproteine des
Spleen Focus Forming Virus (SFFV) und Antikörper gegen
Mäuseleukämieviren (MLV). Spezialisten für solche Antikörper sind
Sandra und Frank Ruscetti, mit denen Judy Mikovits bereits sehr
lange zusammenarbeitet. Man hat das Virus bzw. seine Gene mit sehr
vielen verschiedenen Antikörpern gesucht.
Judy Mikovits ging auf die
verschiedenen Untersuchungsverfahren zur Bestimmung des XMRV ein.
Sehr häufig findet man das Virus mit dem einen Verfahren nicht, mit
dem anderen aber doch. Die Untersuchung eines Patienten mit nur
einem Verfahren, insbesondere der PCR, ist also nicht verlässlich.
Es können falsch-negative Ergebnisse herauskommen, obwohl der
Patient tatsächlich infiziert ist. Außerdem ist es entscheidend,
nach welchen Virussequenzen man sucht, nach welchen Genen, dem „env“-Gen
oder dem „gag“-Gen. Und es ist ein großer Unterschied, ob man das
Virus in den Blutzellen oder im zellfreien Blutplasma sucht. Im
Plasma scheint man es wesentlich häufiger zu finden. Da die Anzahl
der Viruskopien in den Zellen sehr gering ist, kann es sein, dass
man das Virus nicht findet, wenn man die Proben nicht auf eine
spezielle Art behandelt, durch die die wenigen vorhandenen
Viruskopien freigesetzt und zur Vermehrung angeregt
werden.
Sie beschrieb die Tücken und
Mängel der PCR-Untersuchung und dass man hier zwei Runden
durchlaufen muss, um ein verlässlicheres Ergebnis zu bekommen. In
einer zweiten PCR-Runde ergeben sich dann sehr viel mehr positive
Befunde – wie die nachfolgende Tabelle eindrücklich zeigt. (erste
Tabelle) Und Belege für das Hüllprotein (env) finden sie so gut wie
gar nicht, obwohl die Patienten infiziert sind.
Deshalb sind Assays,(Tests), die
das Virus im zellfreien Blutplasma suchen, möglicherweise eine
empfindlichere Methode, das Virus zu entdecken. Wenn man das
Blutplasma auf eine Art Nährmedium gibt, auf eine Zelllinie (mit dem
Namen LNCaP), dann bilden sich dort wieder vollständige Viren aus –
ein Beleg dafür, dass der Patient infiziert ist. Möglicherweise, so
Mikovits, ist das Hauptreservoir des Virus in der Milz, den
Lymphknoten oder im Lymphgewebe.
Auch der im August veröffentlichte
Artikel von Lo/Alter bestätigt, dass
mehr Sequenzvariation des XMRV gibt, als ursprünglich beobachtet.
Diese Forschergruppe hat Sequenzen von Mäuseleukämievirus-verwandten
Viren (MRVs) entdeckt, die enger verwandt sind mit den polytropen
Mäuseleukämieviren, also Mäuseleukämieviren, die sowohl Mäuse als
auch andere Spezies infizieren können. Lo/Alter haben die
Virusvariation, die sie gefunden haben, deshalb als PMRV bezeichnet
– als polytropic murine leukemia virus-related virus. Sowohl das
XMRV als auch das PMRV gehören jedoch zur gleichen Gruppe der
Mäuseleukämievirus-verwandten Viren, der MRVs, und man fand bei
nachträglichen Untersuchungen an XMRV-positiven Patienten auch diese
PMRV-Variante. Judy Mikovits sagte, dass die Patienten, die beide
Varianten hätten, häufig die am schwersten Erkrankten seien. Welche
Sequenzvariationen vorhanden sind, kann möglicherweise etwas darüber
aussagen, wie pathogen, also krankmachend, das MRV ist.
Lo/Alter haben die DNA des PMRV in
86,5% der zwischen 1991 und 1994 gezogenen Blutproben von
ME/CFS-Patienten gefunden – hingegen bei „nur“ 6,8% der gesunden
Kontrollpersonen. Bei acht von neun Patienten fand man 15 Jahre
später die gleichen gag-Sequenzen wie in dem eingefrorenen Blut. Das
deutet darauf hin, dass das Virus nicht sehr stark mutiert.
Andererseits ist das Auffinden von Sequenzvariationen des Virus –
also die X- und die P-Variante – typisch für Retroviren, und
außerdem ein weiterer Beleg dafür, dass es sich bei den Befunden
nicht um eine Laborkontamination handeln kann, wie gelegentlich
behauptet wird.
Auch handelt es sich nicht um ein
Mäusevirus, sondern ganz klar um ein humanes Virus. Das hat der
Retrovirologe John Coffin bewiesen, indem er 70 verschiedene
Mäusearten auf das bei Menschen gefundene MRV untersucht und es bei
keiner gefunden hat.
Inzwischen sind empfindlichere
Methoden für die biologische und molekulare Vermehrung des Humanen
MLV-verwandten Virus (HMRV) in Blutzellen und Plasma entwickelt
worden. Diese Methoden wurden bei einer Studie an britischen
ME/CFS-Patienten eingesetzt, die alle die Diagnosekriterien der
Kanadischen Konsensdefinition erfüllten.
In Großbritannien waren relativ
kurz nach der Veröffentlichung der Science-Studie von Lombardi/Mikovits
drei Studien herausgekommen, die überhaupt kein HMRV finden konnten.
Deshalb war es besonders interessant zu erfahren, ob das Virus in
Großbritannien überhaupt vorkommt. Es wurden rund 50 Blutproben von
britischen ME/CFS-Patienten und 50 britische Kontrollpersonen
untersucht. Alle Proben wurden verschlüsselt und in zwei
verschiedenen Labors untersucht. Es wurden die Blutzellen und das
Plasma auf das Vorliegen von Virus-RNA getestet, und zusätzlich
wurde Blutplasma auf LNCaP-Zelllinien übertragen. Alle Proben wurden
mit der Western-Blot-Methode nochmals bestätigt. Man untersuchte das
Plasma auf Antikörper gegen Virusproteine des HMRV und es wurden
genomische Sequenzen isoliert und charakterisiert.
Insgesamt hat man mit den
verschiedenen Methoden mehr als 70% der britischen Studienkohorte
als HMRV-positiv getestet. Und die bei den britischen Patienten
vorwiegend gefundene Variation des HMRV ist das XMRV.
Judy Mikovits berichtete dann noch
über CFS-Patienten, die später T-Zell-Leukämien und und andere
Krebsarten entwickelten – bei allen, die man testen konnte (einige
waren bereits verstorben), fand man das XMRV. Bei Mäusen verursachen
XMRV-verwandte Viren B-Zell-Lymphome sowie chronische neurologische
Krankheiten. Sie stellte den Fall der Entwicklung eines solchen
B-Zell-Lymphoms bei einem CFS-Patienten vor, der nach langer
Krankheit im Jahr 2008 daran verstorben war. Ebenso berichtete sie
noch über Einzelheiten der Befunde bei XMRV-positiven
Prostatakrebspatienten. Man hat antivirale Antikörper in den
Flüssigkeiten von XMRV-positiven Prostatakrebspatienten gefunden,
man hat das XMRV im Stützgewebe, aber nicht in den Tumorzellen
gefunden, und man konnte Zelllinien mit den Flüssigkeiten von
Prostatakrebsgewebe infizieren.
Die Schlussfolgerung ihres
Vortrags: wenn man komplementäre Methoden zur Entdeckung der
HMRVs einsetzt, ist es möglich, diese bei CFS und Prostatakrebs
exakt zu bestimmen. Und die HMRV-Forschung ist noch ganz am Anfang –
es müssen noch viele ungeklärte Fragen erforscht werden.
Zu den Methoden zur Bestimmung des
HMRV gehören die Reverse Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion
(RT-PCR), eine vollständige Sequenzierung des Genoms, ein
Western-Blot-Test zur viralen Expression in aktivierten
mononukleären Zellen des peripheren Blutes (PBMCs), der Durchtritt
von infektiösem Virus aus dem Plasma und den PBMCs in
Indikator-Zelllinien und das Vorliegen von Antikörpern gegen XMRV im
Plasma. Entscheidend ist außerdem die Behandlung der Blutproben nach
der Entnahme – eine verzögerte Bearbeitung ist wichtig. Diese
Kombination von Untersuchungsmethoden stützt die Belege für eine
Infektion von mehr als 90% der untersuchten CFS-Patienten mit dem
XMRV. |