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    Artikel des Monats September 2012 Teil 5

    Eine neue Marburger Studie - tatsächlich über "CFS"?

    Analyse und Kommentar von Regina Clos

    Artikel hier als pdf-Datei

    Inhalt

    Einführung

    Eine neue Studie über "CFS" steht uns ins Haus. Dem Titel nach sollen  "Biologische Marker des chronischen Erschöpfungssyndroms" erforscht werden. Der Fachbereich Psychologie, Abteilung Klinische Biopsychologie, der Universität Marburg führt derzeit diese Studie unter Leitung von Urs Nater durch. Gefördert wird diese Studie mit einem Millionenbetrag von der Volkswagenstiftung.

    Ist es nicht das, was wir immer wollten - biologische Marker für unsere Krankheit zu finden, mit der wir diese eindeutig diagnostizieren und damit "beweisen" können, dass und warum wir krank sind? Sind biologische Marker nicht genau das Instrumentarium, was uns aus unserer Lage der Entrechtung und permanenten Demütigung, der Nicht-Versorgung durch Medizin- und Sozialsystem herausbringen könnte?

    Wie verführerisch ist da der Satz aus der Infobroschüre, die die Studienmacher verbreiten: "Unser Ziel ist es, biologische Prozesse beim chronischen Erschöpfungssyndrom zu untersuchen."

    Der Wunsch danach war wohl auch der Grund, warum der Vorstand des Fatigatio zunächst auf diesen verführerischen Titel der Studie hereinfiel und die im weiteren Raum von Marburg wohnenden Mitglieder zu einer Teilnahme an dieser Studie aufforderte - bis er durch entsprechende Hintergrundinformationen aufmerksamer Vereinsmitglieder eines Besseren belehrt wurde und diese Aufforderung zurückzog.

    Schaut man sich nämlich den bisherigen Forschungsbereich des Studienleiters, die Studien, in denen er bislang mitgearbeitet hat und vor allem die in dieser und den Vorläuferstudien verwendeten Definitionskriterien für "CFS" an, dann wird klar, dass diese Studie das genaue Gegenteil erreichen wird: alle bestehenden Vorurteile und Falschinformationen, dass "CFS" eine stressbedingte Erkrankung und durch psychische Faktoren verursachte Störung sei, werden mit großer Wahrscheinlichkeit bestätigt werden. Es sieht also so aus, als würde uns eine solche Studie mehr schaden als nützen.

    In dieser neuen Marburg-Studie werden

    • wahrscheinlich überhaupt keine ME/CFS-Patienten untersucht werden, allenfalls werden sie eine verschwindende Minderheit in der ausgewählten Studienkohorte ausmachen,

    • nahezu alle bislang bereits erforschten biologischen Anomalien ignoriert bzw. nicht miteinbezogen,

    • äußerst fragwürdige Testmethodenverwendet

    • und es soll allem Anschein nach eine bereits früher auf höchst unwissenschaftliche Weise erstellte, psychologische Verursachungshypothese (die besagt: "CFS" kommt von frühkindlichen Traumata) bestätigt werden.

    Würde diese Studie von vorneherein klar sagen, was sie wirklich tut, nämlich zu versuchen, die möglichen Auswirkungen von anzunehmenden (allerdings unbewiesenen und nur durch Fragebögen mit Selbstauskunft "ermittelten") frühkindlichen Traumata auf drei oder vier Elemente der neuro-endokrin-immunologischen Steuerungsmechanismen zu untersuchen, wäre dies eine ehrenwerte Studie.

     Interessanterweise wird in dem englischen Studientitel "How Stress gets in the Body - A Psychobiological Approach to the Pathophysiology of Chronic Fatigue" auch nur von Chronic Fatigue, also von Chronischer Erschöpfung gesprochen, während in allen Vorgängerstudien und auch in dem Informationsblättchen für Patienten wird aus chronischer Erschöpfung ganz plötzlich "CFS".

    Sie wäre genauso wie ihre Vorgängerstudie [1] zunächst eine ehrenwerte und wichtige Studie, insofern, als sie die verheerenden Auswirkungen von frühkindlichem Stress bzw. frühkindlichen Traumata wie Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung und Verlusterfahrungen untersucht, die diese auf das Gehirn und evtl. auch bestimmte Elemente der neuroendokrinen Steuerung haben können (Stressachse, d.h. die HPA-Achse, evtl. auch auf autonome und immunregulatorische Systeme). Wenn ein solcher Zusammenhang wissenschaftlich belegt wird und die Schlussfolgerung ist: frühkindliche Traumata können auch zu körperlichen Veränderungen und Schädigungen führen, so ist das zunächst einmal ein Fortschritt. Ein Fortschritt, der möglicherweise auch zu Behandlungsansätzen für die armen Opfer solcher frühkindlichen Traumata führen kann.

    ABER: Verspricht diese Studie auch für uns einen Fortschritt? Eher nicht, denn bereits das Studiendesign enthält mehrere katastrophale Fehler. Schauen wir sie uns genauer an.

     

    Die Marburg-Studie: Welche Patienten werden hier tatsächlich untersucht?

    Schauen wir uns deshalb an, welche Patienten, d.h. welche Störung(en) hier denn tatsächlich untersucht werden sollen. D.h. nach welchen Kriterien, nach welcher Krankheitsdefinition wird die Studienkohorte ausgewählt?

    Es handelt sich dabei um eine Definition von "CFS", die mit den ursprünglichen Definitionen etwa von Ramsay, mit der Fukuda-Definition oder gar mit der Kanadischen und der Internationalen Definition des ME/CFS so gut wie nichts mehr zu tun hat. Von daher ist die Studie vergleichbar mit dem Versuch, die Tuberkulose zu erforschen, indem man alle Menschen mit Husten in die Studie einbezieht.

    Sowohl aus der Vorgängerstudie [1] als auch aus einem Gespräch mit einer der durchführenden Psychologinnen geht hervor, dass die verwendete Krankheitsdefinition die sogenannte "empirische" Definition des CFS durch die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) ist, die von Reeves et al. erfunden wurde und die vorgibt, einfach nur eine "operationalisierte" Form der Fukuda-Kriterien von 1994 zu sein.

     

    Die "empirische" Definition des "CFS" der CDC - ungeeignet bis betrügerisch

    Leonard Jason hat in mehreren Artikeln nachgewiesen, wie fehlerhaft diese sogenannte "empirische" Definition des "CFS" der CDC ist:

    Diese Definition schließt mehrheitlich Menschen mit einer majoren Depression, mit anderen psychiatrischen Erkrankungen und unspezifischen Erschöpfungszuständen ein, denen das entscheidende Definitionskriterium des ME/CFS fehlt: die Zustandsverschlechterung nach Belastung. Menschen mit neurologischen Störungen, wie sie für ME/CFS-Patienten typisch sind, werden aus dieser Definition ausgeschlossen. Patienten, die mit der sogenannten "empirischen" Definition von Reeves et al. identifiziert werden, erfüllen die Kriterien der Kanadischen Definition in keiner Weise. Sie können deshalb nicht als ME/CFS-Patienten klassifiziert werden (die Internationale Definition gab es zum Zeitpunkt des Erscheinens von Jasons Artikel noch nicht, aber für diese gilt anzunehmenderweise das gleiche wie für die Kanadische Definition).

    Nach einem halbstündigen Gespräch mit einer der durchführenden Psychologinnen dieser Studie hat diese eindeutig bestätigt, dass diese "CFS"-Kriterien zur Auswahl der Studienkohorte verwendet werden sollen.

    Und wenn man von vorneherein eine Gruppe von Menschen mit psychischen Störungen aussucht, braucht man sich nicht zu wundern, dass man darin dann einen hohen Prozentsatz mit negativen Kindheitserfahrungen findet - wie das in den Vorgängerstudien der Marburg-Studie der Fall war.

    Eine kleine Auswahl von Artikeln und Studien über die Fehlerhaftigkeit der sogenannten "empirischen" oder "operationalisierten" Definition finden Sie im Artikel des Monats September-12-6.

    Dass diese "empirische" CFS-Definition auf regelrechtem wissenschaftlichen Betrug basiert - und damit Studien, die auf ihr beruhen, keinerlei Aussagekraft haben - hat Mary Schweitzer in ihrer Analyse "CDC-Forschung über CFS: Offener Betrug" nachgewiesen.

    Kann eine Studie, die zentral auf diesen "operationalisierten" Kriterien beruht, irgendetwas ergeben, was von wissenschaftlicher Relevanz ist? Müssen nicht alle Ergebnisse, die sie liefert, von vorneherein ebenso falsch und unwissenschaftlich sein wie die Reeves-Kriterien? Und vor allem: Sagt sie IRGENDETWAS über ME/CFS-Patienten aus?

     

    ME/CFS-Patienten werden durch die verwendete "CFS"-Definition und die Teilnahmebedingungen weitgehend ausgeschlossen

    Hinzu kommen die Anforderungen zur Teilnahme, die allenfalls leicht erkrankte ME/CFS-Patienten bewältigen können: sie müssen zweimal nach Marburg fahren und dort wahrscheinlich mehrere Stunden mit dem Ausfüllen von Fragebögen, diversen Untersuchungen und der Teilnahme an einem "Stresstest" verbringen. Dabei handelt es sich laut Auskunft der Psychologin um "eine Art Schultest". Allein das schließt die Mehrheit der ME/CFS-Patienten aus, weil sie weder körperlich noch von der geistigen Leistungsfähigkeit ein solches Pensum bewältigen können.

    Schaut man sich einen von diesem Marburger Institut unter Leitung von Urs Nater erstellten Fragebogen an, dann wird klar, dass der typische ME/CFS-Patient nicht iin der Lage ist, einen solchen Fragebogen ohne massive Überschreitung seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit auszufüllen - und dieser Fragebogen zur Erfassung funktioneller somatischer Syndrome  (Auszug über "CFS" siehe unten) ist anzunehmenderweise auch Bestandteil der Erhebungen in dieser Studie.

    Versuchen sie es trotzdem, so riskieren sie die für ME/CFS typische Zustandsverschlechterung nach Belastung, die Post-exertional Malaise.

    Übrigens: die o.g. Psychologin versicherte mir, dass die Studie vom Ethikrat der Marburger Universität genehmigt worden sei und deshalb den teilnehmenden Personen kein Schaden zugefügt würde.

    Hätten Ethikrat oder Studienleiter wirklich eine Vorstellung von ME/CFS, dann wüssten sie, dass allein die Teilnahme an der Studie für ME/CFS-Patienten schädlich ist insofern, als die dazu notwendige Anstrengung die Grenzen der Belastbarkeit dieser Patienten bei weitem überschreitet und unausweichlich zu einem anschließenden Crash, einer Zustandsverschlechterung, führen muss. Das gilt bereits für die leicht erkrankten Patienten, die überhaupt in der Lage wären, das geforderte Pensum zu bewältigen (Anreise, mehrstündiger Aufenthalt, Ausfüllen von Fragebögen, Untersuchungen irgendwelcher Art, Teilnahme am "Stresstest" etc.)

    Zusätzlich eingeschränkt wird der Teilnehmerkreis durch folgende Bedingungen:

     "Teilnehmen können Frauen zwischen 18-45 Jahren, die nicht schwanger sind, nicht hormonell verhüten und nicht stark übergewichtig sind."

    ME/CFS betrifft auch Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und Erwachsene über 45 Jahren - und es betrifft vor allem auch Männer. Aus welchem Grund wird hier schon einmal mindestens die Hälfte aller ME/CFS-Patienten ausgeschlossen?

    Weiter hinzu kommt diese Teilnahmebedingung:

    "Einige körperliche und psychische Erkrankungen werden beim 1. Termin untersucht und führen möglicherweise zum Ausschluss der folgenden Untersuchung."

    Zwar ist nicht spezifiziert, welche körperlichen und/oder psychischen Erkrankungen zum Ausschluss führen. Festzuhalten bleibt: zahlreiche ME/CFS-Patienten haben außer ihrer eigentlichen, körperlichen, sprich: neuroimmunologischen Krankheit ME/CFS auch noch andere körperliche Erkrankungen, die hinzukommen. Und viele ME/CFS-Patienten entwickeln reaktiv, d.h. infolge der Verheerungen, die diese Krankheit anrichtet, auch psychische Symptome wie depressive Episoden. Und sie haben vor allem jede Menge neurologischer Symptome.

    Hier können Sie sich die Beschreibung der Symptome der schwer erkrankten ME/CFS-Patientin Klara ansehen - eine Dimension von Leid, das vorzustellen sich die Marburger Forscher wahrscheinlich nicht in der Lage sind. Sonst hätte die o.g. Psychologin auf meinen Einwand, dass schwer (und auch moderat) erkrankte ME/CFS-Patienten gar nicht teilnehmen können, nicht nur mit der lapidaren Antwort "Schade" reagiert. Immerhin gestand sie ein, dass dies die Studienergebnisse doch etwas einschränke.

    Mein Urteil: Mit diesen Einschränkung für die Teilnahme geht die Aussagekraft der Studienergebnisse im Hinblick auf ME/CFS-Patienten von vorneherein gegen Null.

    Und wir bräuchten uns eigentlich mit den weiteren schweren methodischen Fehlern nicht mehr befassen und diese Studie "abhaken". Dennoch forschen wir einmal weiter:

     

    Was ist die zu testende Studienhypothese?

    Da in dem "Informations"-Blatt für Patienten die Studienhypothese nicht beschrieben wird, habe ich die o.g. Psychologin in einem Telefongespräch mehrfach danach gefragt. Sie antwortete, man wolle bestimmte Parameter zwischen CFS, Schmerzpatienten und Gesunden vergleichen. Sie verwies auf das, was in dem Infoblättchen für Patienten steht:

    "In unserer Studie wollen wir Hormone, Immunzellen und die genetische Aktivität zwischen Frauen mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom und nicht erschöpften Frauen vergleichen. "

    Mein Einwand, das sei ja doch der zweite Schritt, also die Methode, mit der die Hypothese überprüft werden solle, aber wie denn der erste Schritt, also die Hypothese aussähe, wird nach wiederholter Nachfrage dahingehend beantwortet, dass man sich nach früheren Studien richten würde. Aber auch hier bleibt die Auskunft schwammig, und erst eine gezielte Nachfrage, ob sie sich nach Studien von Nater, Reeves, Heim et al. richten, ergab schließlich ein entsprechendes Zugeständnis, dass man sich nach diesen Studien richten würde.

    Es ist stark anzunehmen, dass die Vorläuferstudie, auf der die jetzige aufbauen soll, die von Heim/Nater/Reeves et al. ist:

    "Childhood Trauma and Risk for Chronic Fatigue Syndrome – Association with neuroendocrine dysfunction." [1]

     

    Die Vorgängerstudie

    Die Hypothese dieser Vorläuferstudie ist:

    "Wir haben bereits vorgeschlagen, dass frühe negative Erfahrungen wie Kindesmissbrauch, Vernachlässigung, Verlust und ein prädisponierender Faktor dafür sein könnte, der eine erfolgreiche Anpassung an Stress beeinträchtigt  und damit das Risiko CFS, zu entwickeln fördert." Aus [1], S. 72

    ("We previously suggested that early adverse experience such as childhood abuse, neglect and loss might be a predisposing factor that interferes with successful adaptation to stress, thereby conveying risk to develop CFS." )

    Als Literaturverweis für diesen Satz finden wir einen Artikel von Reeves et al. von 2006 mit dem Titel Early adverse experience and risk for chronic fatigue syndrome: results from a population-based study. ("Negative Kindheitserfahrungen und das Risiko für Chronic Fatigue Syndrome: Ergebnisse aus einer bevölkerungsbasierten Studie")  [2]

    Dieser Artikel von 2006 beruht jedoch ebenso auf der sogenannten "empirischen" CFS-Definition von Reeves et al. - d.h., er sagt über ME/CFS-Patienten so gut wie gar nichts aus. Da über die "empirische" Definition eine große Anzahl von Menschen mit psychischen Störungen, etwa einer majoren Depression, und anderen unspezifischen Erschöpfungszuständen ausgewählt und untersucht werden, ist es deshalb kein Wunder, wenn man im Abstract der Studie von 2009, also der Vorläuferstudie der Marburg-Studie, wir die folgende Schlussfolgerung finden:

    "Diese Studie liefert Belege für ein erhöhtes Vorkommen zahlreicher Arten von Kindheitstraumata in einer bevölkerungsbasierten Stichprobe von klinisch bestätigten CFS-Fällen verglichen mit nicht-erschöpften Kontrollpersonen. Unsere Ergebnisse lassen darauf schließen, dass Kindheitstraumata ein wichtiger Risikofaktor für CFS sind. Das Risiko war zum Teil mit einem veränderten emotionalen Status verbunden. Studien, die die psychologischen und neurobiologischen Mechanismen untersuchen, die negative Kindheitserfahrungen in ein Risiko für CFS übertragen, könnten unmittelbar Ziele für eine rechtzeitige Prävention des CFS sein." Aus [1], S. 72

    "This study provides evidence of increased levels of multiple types of childhood trauma in a population-based sample of clinically confirmed CFS cases compared with nonfatigued controls. Our results suggest that childhood trauma is an important risk factor for CFS. This risk was in part associated with altered emotional state. Studies scrutinizing the psychological and neurobiological mechanisms that translate childhood adversity into CFS risk may provide direct targets for the early prevention of CFS."

     

    Warum eine "neue" Studie, wenn deren Hypothese doch als bereits bewiesen angesehen wird?

    Diese Vorgängerstudie [1] erhellt auch, warum die in Marburg jetzt eine neue Studie dieser Art durchführen wollen: Diese frühere Studie ist eine retrospektive Studie, d.h. die spätere Auswertung einer früher durchgeführten Studie von Reeves et al. Und dass sie nur auf selbstberichteten Kindheitserfahrungen beruht, nicht aber auf "objektiven" (psychologischen) Testverfahren. Und sie wurde in Georgia und Wichita durchgeführt.

    Urs Nater will also jetzt eine deutsche Studie machen, die überdies eine prospektive Studie, also eine in die Zukunft gerichtete Langzeitstudie sein wird. In diesem Papier finden wir am Schluss den Satz:

    "Langzeitstudien sind nötig, um Informationen über den kausalen Zusammenhang zwischen Kindheitstraumata, Hypocortisolismus und CFS zu liefern und um systematisch Entwicklungslinien sowie abschwächende und vermittelnde Faktoren dieses Zusammenhangs zu untersuchen." Aus [1], S.79

     ("Longitudinal studies are needed to provide information on the causal relationship between childhood trauma, hypocortisolism, and CFS to systematically evaluate developmental trajectories as well as mediators and moderators of this relationship.")

    Über weitere Gründe kann man nur spekulieren oder aus dem Zusammenhang, in dem diese Studie stattfindet, Schlüsse ziehen, die Sie unten im Fazit finden.

     

    Welche Testverfahren werden in der Marburg-Studie eingesetzt?

    In dieser Vorläuferstudie finden wir auch Hinweise darauf, welche psychologischen Testverfahren wahrscheinlich auch in der Marburg-Studie eingesetzt werden und mit denen eine psychische Störung und Kindheitstraumata ermittelt werden sollen. Man findet diese Testverfahren in der Literaturliste unter den Ziffern 23 bis 31 ([1], S. 79).

    Hier handelt es sich ausschließlich um Testverfahren, mit denen organische Erkrankungen erstens gar nicht untersucht und erfasst werden können, und zweitens deuten sie die Symptome bzw. die emotionalen Reaktionen auf eine organische Erkrankung sofort in ein psychisches Problem um. Wenn man beispielsweise die Frage "Machen Sie sich Sorgen über Ihren Gesundheitszustand?" als ME/CFS-Patient mit "JA" beantwortet, so wird das als Ausdruck von Hypochondrie oder falschen Krankheitsüberzeugungen gewertet, sprich, als ein psychisches Problem...- denn man geht ja davon aus, dass "CFS" keine organische, sondern eine "somatoforme" oder psychische Erkrankung sei.

    So "belegt" man seine eigenen Zirkelschlüsse "wissenschaftlich".

    Ob und in welchem Umfang in der Marburg-Studie andere Untersuchungsmethoden verwendet werden, mit denen die zahlreichen nachgewiesenen Anomalien bei ME/CFS nach der Fukuda- bzw. der Kanadischen Konsensdefinition erfasst werden können, bleibt unklar. Nach Auskunft der Psychologin werden die Patienten daraufhin untersucht, ob sie nicht gerade eine Grippe haben. Ansonsten wird ein Blutbild erstellt und der Blutdruck gemessen, mehr nicht.

    Ich fragte diese Psychologin nach einer Untersuchung auf die zahlreichen Erreger hin, die man immer wieder bei ME/CFS findet (diverse Herpesviren wie Epstein-Barr-Virus, HHV-6, HHV-7 etc, Enteroviren etc.), ich fragte nach einem MRT, mit dem man die bei der großen Mehrzahl der ME/CFS-Patienten vorhandenen signalintensiven Läsionen im Gehirn erkennen kann, nach einem funktionellen MRT, das die Durchblutungs- und sonstigen Stoffwechselstörungen im Gehirn sichtbar machen kann, ob auf eine Dysfunktion bzw. Aktivierung der Gliazellen hin untersucht würde, was alles ja als Ursache neuroendokrinologischer Anomalien infrage käme und deshalb untersucht werden müsste - das wird alles nicht untersucht.

     

    Das Kardinalsymptom des ME/CFS und seine molekularen und genetischen Korrelate werden außer Acht gelassen

    Ein weiterer Knackpunkt dieser Studie ist also die absolute Einengung auf biologische Marker der Stressachse. Es werden ansonsten KEINE der zahlreich nachgewiesenen Anomalien untersucht, wie sie etwa Malcom Hooper oder Anthony Komaroff in seiner Broschüre aufzählen oder wie sie in der Kanadischen Konsensdefinition als Krankheitskriterien enthalten sind. Allein die aber würden zu einer wirklichen Erfassung des ME/CFS und vielleicht sogar zu einer Ursachenforschung beitragen. Das wird in dieser Studie alles außen vor gelassen.

    Laut Auskunft der Psychologin werden Cortison, Alpha-Amylase, das Zytokin IL6, CRP und TNF alpha gemessen - vor und nach dem Stresstest.

    Den Ursachen eventueller Abweichungen dieser Parameter wird also nicht auf der Ebene der bereits vorhandenen Forschungsergebnisse in der umfangreichen medizinischen Literatur über ME/CFS nachgegangen, sondern nur unter der eingeschränkten Fragestellung, wie sich künstlich ausgelöster "Stress" auf diese ebenfalls eingeschränkten Parameter auswirkt.

    Die zahlreichen anderen Einflussfaktoren auf diese Parameter werden offenbar überhaupt nicht untersucht.

    Der für die Marburger Studienzwecke künstlich ausgelöste "Stress" besteht in "einer Art Schultest", d.h. einem psychologischen Stresstest. In dem Gespräch mit der Psychologin wandte ich ein, das entscheidende Definitionskriterium des ME/CFS sei aber doch die Reaktion auf körperliche und geistige Belastung und nicht die Reaktion auf psychischen Stress. Deshalb müsse man dann doch eigentlich die Anomalien messen, die sich infolge körperlicher und/oder geistiger Belastung ergeben.

    Hierauf bekomme ich als "Antwort" nur den Hinweis, sie würden nicht zwischen körperlicher und geistiger Belastung trennen, weil das Gehirn bei dem Stresstest ja auch belastet würde und arbeiten müsse.

    Die Marburger Forscher können also das Kardinalsymptom des ME/CFS, die Zustandsverschlechterung nach körperlicher und/oder geistiger Belastung, gar nicht messen, denn einen solchen Belastungstest führen sie nicht durch. Ein psychologischer Stresstest ist etwas anderes und hat wahrscheinlich auch andere molekularbiologische Folgen. 

    Die entscheidenden Einflussfaktoren werden demnach nicht berücksichtigt, und zwar die von der Gruppe um Alan Light und anderen nachgewiesenen, für ME/CFS typischen Anomalien infolge körperlicher/geistiger Belastung (siehe z.B. [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9]). Wenn diese Einflussfaktoren nicht gemessen werden, kann man schwerlich Schlüsse daraus ziehen, was ein (zusätzlicher) psychologischer Stress bei ME/CFS-Patienten an Veränderungen auf die von den Marburgern getesteten Parameter hat.

    Die Forscher berücksichtigen deshalb auch aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen weiteren Einflussfaktor nicht: nämlich die Auswirkungen der Belastung, die allein die Reise nach Marburg und die Teilnahme an dieser Studie auf diese von Light et al. untersuchten Parameter hätte - und damit auch auf die von den Marburger Forschern gemessenen Parameter (Cortison, Alpha-Amylase, das Zytokin IL6, CRP und TNF alpha). Es fehlt ihnen also von vorneherein eine entscheidende Einflussgröße, die berücksichtigt werden müsste, wenn die Ergebnisse der Messungen von Cortison, Alpha-Amylase, das Zytokin IL6, CRP und TNF-alpha interpretiert werden. Allein aus diesen äußerst eingeschränkten Parametern soll dann eine Schlussfolgerung für die o.g. - wahrscheinliche - Studienhypothese gezogen werden.

    Aber da aufgrund der o.g. Teilnahmebedingungen und der verwendeten "CFS"-Definition mit hoher Wahrscheinlichkeit keine oder nur ganz wenige leicht erkrankte ME/CFS-Patienten daran teilnehmen, erübrigt sich die Berücksichtigung der für ME/CFS typischen molekularbiologischen und Genexpressionsanomalien ja sowieso...

     

    Fazit: Die Marburg-Studie ist methodisch fehlerhaft und für ME/CFS bedeutungslos - wird aber dennoch eine große Bedeutung bekommen

    Sowohl die Auswahl der Studienkohorte als auch die äußerst eingeschränkte Auswahl zu messender neuroendokriner Parameter und vor allem die scheuklappenähnliche Sicht auf die bereits vorhandene biomedizinische ME/CFS-Forschung lassen diese Studie von vorneherein als obsolet erscheinen.

    Dennoch wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen großen Einfluss haben, denn sie fällt auf ein reichlich beackertes und fruchtbares Feld: das der Vorurteile und Falschinformationen über ME/CFS in Medizin, Sozialwesen und allgemeiner Öffentlichkeit. Und das der penetranten Vermischung von "Chronischer Erschöpfung" mit ME/CFS (dem WHO-ICD-Code G93.3 und der Kanadischen/Internationalen Konsensdefinition entsprechend).

    Kaum jemand wird sich in die Hintergründe, in die methodischen Fehler, in die Falschannahmen und Ursachen für falsche Schlussfolgerungen vertiefen. Was in den Köpfen von Medizinern, Gutachtern, Mitarbeitern von Rentenversicherungen und Arbeitsämtern und der allgemeinen Öffentlichkeit hängen bleiben wird ist dieser Blödsinn: "CFS" kommt von Stress und frühkindlicher Misshandlung, von Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen, sexuell missbrauchen und anderweitig traumatisieren. Und man kann das jetzt mit objektiven Messverfahren - niedriger Cortisolspiegel etc. - ermitteln und bestimmen. 

    Das hat es also auf sich mit der Erforschung "biologischer Biomarker des CFS", wie der Studientitel so großspurig verspricht.

    Solche (angenommenen) traumatischen Erfahrungen, mit dem Risiko "CFS" zu entwickeln zu verknüpfen, ist ein weiterer fundamentaler Fehler des Studiendesigns. Denn es wird aus einem statistischen Zusammenhang auch gleich eine Verursachungshypothese gemacht - also: frühkindliche Traumata verursachen all diese gemessenen Anomalien. Das bereits ist eine unzulässige Schlussfolgerung.

    Und geradezu gefährlich ist die umgekehrte Schlussfolgerung, die der naive Leser aus einer solchen unsauberen Studie zieht: Da "CFS" von frühkindlichen Traumata kommt, von sexuellem Missbrauch, von körperlicher und seelischer Misshandlung, von Vernachlässigung und Verlusterfahrungen, muss jemand, der "CFS" hat, solche frühkindlichen Traumata erlebt haben. Und Kinder und Jugendliche mit CFS werden von ihren Eltern sexuell missbraucht, misshandelt und vernachlässigt. Eine solche Schlussfolgerung ist kompletter Unsinn.

    Sie wird aber alle bereits vorhanden Vorurteile samt ihrer grausamen Folgen bestärken. Es ist bereits jetzt so, dass in vielen Ländern Eltern erkrankter Kinder und Jugendlicher von Behörden, von Ärzten und Psychiatern beschuldigt werden, die Krankheit ihrer Kinder verursacht zu haben und folglich mit dem Entzug des Sorgerechts bedroht werden, dass Jugendämter und Richter den Eltern die Kinder wegnehmen und sie ihn Pflegefamilien, Psychiatrien oder andere Kliniken stecken, in denen man ihrer Erkrankung nicht nur nicht gerecht wird, sondern ihnen durch Überlastung und falsche Behandlung auch noch schadet.

    Auch den Eltern kann eine solche Unterstellung extremen Schaden zufügen. Der Vorwurf, die eigenen Kinder misshandelt, gar missbraucht zu haben, kann zum Ende einer Berufslaufbahn und zur Zerstörung der Reputation der Eltern führen, zu sozialer Isolation - und traumatischen Erfahrungen für Eltern und Kinder gleichermaßen.

    Es erscheint absurd und zynisch, dass das Ziel der Studie die Erforschung der Folgen früher traumatischer Erfahrungen sein soll, sie jedoch in ihrem Ergebnis sie dazu führen wird, dass - zumindest die ME/CFS-Patienten und ihre Angehörigen - eine Menge der beklagten "adverse experiences" machen werden, und zwar genau durch die Auswirkungen einer solchen Studie.

    Dass ein solch unwissenschaftliches Vorgehen solch dramatische - traumatische - Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre Familien haben kann, scheinen sich die Autoren dieser Studien und auch der Marburg-Studie nicht vor Augen geführt zu haben.

    Auch das spricht dafür, dass sie keinerlei Erfahrung mit ME/CFS-Patienten zu haben scheinen - oder diesen nicht zuhören. Denn nahezu alle ME/CFS-Patienten, erst recht Kinder und Jugendliche und ihre Eltern, berichten von solch grausamen Misshandlungen, Demütigungen und Bedrohungen durch Ämter, Psychiater, Gutachter, Richter und Ärzte.

    Eindrücklich dokumentiert sind sie in dem gerade herausgekommenen Film "In engen Grenzen - Leben mit CFS" sowie der anschließenden Expertenrunde im 1. Selbsthilfe-Treff der Autoren des Films. Und wenn man sich den Film "Voices from the Shadows" ansieht, dann weiß man, dass die Autoren der Marburg-Studie offenbar keine Vorstellung von ME/CFS haben - oder vielleicht auch nicht haben wollen.

    Ich habe die o.g. Psychologin gefragt, ob sie den Film "In engen Grenzen - Leben mit CFS" denn kenne? Ganz unbeeindruckt sagte sie: Ja, den habe ich gesehen. Ist eine solche Kälte Ausdruck "professioneller Distanz" oder schlichter Zynismus?

    Im Ergebnis wird diese Studie mit ihrem bereits vorher festgelegten Ergebnis und einem Studiendesign, das ausschließlich dazu angelegt ist, dieses zu "bestätigen", eher das Ende jeglicher Erforschung der biomedizinischen Ursachen des ME/CFS in Deutschland besiegeln als diese, wie proklamiert, voranzutreiben.

     

    Noch einmal - wer führt diese Studie durch? Und warum?

    Die Studie findet an der "an der Professur für Klinische Biopsychologie der Philipps-Universität Marburg " statt. Biopsychologie setzen Autoren wie der Studienleiter Urs Nater in ihren Schriften übrigens mit Psychiatrie gleich. Und in diesem von ihm entwickelten Fragebogen zählt er "CFS" zu den "funktionellen somatischen Syndromen". (Welche Ideologie sich hinter diesem Begriff verbirgt, können sie unten in dem zitierten Artikel von Barsky und Borus lesen.)

    Die Studie wird von zwei Psychologinnen durchgeführt - laut Informationsblatt für Patienten eine Frau Susanne Fischer, M.Sc. und  die Dipl.-Psych. Charlotte Markert. Auch der Studienleiter Urs Nater ist Psychologe. Es ist also keine Studie, die von Ärzten durchgeführt wird, die irgendeine Ahnung über die zahlreich nachgewiesenen und komplexen Anomalien bei ME/CFS hätten.

    Wenn eine Studie auch nur irgendeinen Sinn für ME/CFS-Patienten haben sollte, dann müssten Fachleute mit langjähriger Erfahrung in Erforschung und Behandlung des ME/CFS wie etwa Kurt Müller, Wilfried Bieger, Wolfgang Huber oder Carmen Scheibenbogen u.v.a.m. daran mitwirken oder diese durchführen. Sie haben allesamt ein profundes Wissen über die molekularbiologischen Anomalien und die Infektionen bei ME/CFS, und sie haben vor allem eines: Erfahrung mit dieser schweren Erkrankung und Respekt vor ihren Patienten.

    Für die Lösung des Problems des ME/CFS brauchen die Betroffenen genau solche medizinische Forschung und keine psychiatrische. Man würde auch nicht auf die Idee kommen, AIDS, Krebs, koronare Herzerkrankungen, Multiple Sklerose oder Lungenerkrankungen, die in ihren Auswirkungen ähnlich verheerend sind wie ME/CFS, durch PSYCHIATRISCHE Studien erforschen zu wollen.

    Ohne Verschwörungstheorien anzuhängen, kann man sich schon fragen, welche Agenda hinter einem solchen Vorhaben steckt. Geht es hier etwa darum, eine schwere Erkrankung zu verleugnen, zu verharmlosen, damit Rentenversicherungen, Krankenkassen und Sozialsystem nicht dafür bezahlen müssen, die Kranken genauso wie alle anderen kranken Menschen zu versorgen?

    Statt das zu tun, was sie vorgeben, nämlich:

    "Dadurch können wir zur Verbesserung der Erkennung und Behandlung dieser Erkrankung beitragen."

    wird diese Studie dazu benutzt werden, die vorhandenen Vorurteile über die Entstehung des "CFS" jetzt auch noch mit "Biomarkern" zu "untermauern". Das ist noch schlimmer als die dümmlichen Aussagen eines Herrn Wessely und seiner Anhänger, denn sie geben sich den Anstrich von solider Wissenschaft. Objektiv gemessene Biomarker!

    Tatsächlich ist es aber Ideologieproduktion und der Versuch, eine schwere Erkrankung unsichtbar zu machen - ob gezielt oder aus Versehen, sei hier noch dahingestellt. Geschieht hier etwa das, was Malcom Hooper als magische Medizin bezeichnet hat, mit der man eine Krankheit zum Verschwinden bringt?

    Lesen Sie z.B. Malcom Hoopers gründliche Analyse solcher Ideologien in Form einer Kritik an den PACE Trials, die in vielen Ländern und auch Deutschland als Beweis dafür verwendet werden, dass "CFS" eine psychische Erkrankung sei, die man am besten mit kognitiver Verhaltenstherapie und körperlicher Aktivierung behandelt. In der Tat eine kostengünstigere "Behandlung" als die, die bei einer schweren neuro-immunologischen Krankheit angebracht wäre.

    MAGICAL MEDICINE - HOW TO MAKE AN ILLNESS DISAPPEAR

     

    Und lesen Sie hier etwas über das wahre Gesicht dieser Erkrankung - in ihren schweren Formen:

    Von Klara, einer schwerkranken Patientin aus Großbritannien

    Der unten verlinkte Artikel wäre zu Lachen, wenn er nicht so traurig wäre. Ich habe besonders den Abschnitt “genossen”, der empfiehlt, dass ein “klinischer Ansatz, der die biomedizinischen Faktoren überbetont und die psychosozialen ignoriert” nicht wünschenswert sei. Zu Ihrer Information: es steht KEINE biomedizinische Behandlung für Myalgische Enzephalomyelits (ME) zur Verfügung. Und es gibt seit Jahrzehnten beinahe KEINE medizinische Forschung. Nur Verleugnung und beleidigendes Psychogeschwätz. Und der unten verlinkte Artikel ist keine “Wissenschaft”, sondern eine Ansammlung von Meinungen, allerdings sehr schädlichen Meinungen, die dazu führen, dass weiterhin Millionen von Menschen weltweit geschadet wird.

    In den vergangenen zwei Wochen war ich inkontinent, habe vorrübergehend meine Sehfähigkeit verloren, meine Fähigkeit zu schlucken und zu sprechen, ich hatte Mühe zu atmen, bin aufgrund schwerer Schmerzen ohnmächtig geworden (die Schmerzen sind überall in meinem Körper: in den Muskeln, in den Haarfollikeln, den Knochen, den Adern, in jedem Organ, in den Augen… an Stellen, von denen man vorher nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt), und ich war die ganze Zeit über unfähig mich zu bewegen, habe die Fähigkeit zur Kontrolle meiner Körpertemperatur verloren, und mein Körper zuckte unkontrolliert über Stunden hinweg. Ich war nicht in der Lage, so viel zu essen, wie ich das gebraucht hätte, weil ich zu schwach bin, um die Nahrung zu verdauen.

    Wenn da nicht mein Mann wäre, der mich pflegt – bis dahin, dass er mir flüssige Nahrung gibt oder mich wäscht, wenn dies nötig ist (und wenn ich das aushalten kann, denn es ist bei dieser Krankheit möglich, dass man so schwach wird, dass selbst das Gewaschenwerden zu viel ist) – dann wäre ich schon lange tot.

    Und ich „wähle“ mir nicht aus, in einem solchen Zustand zu sein oder „ziehe“ dies „vor“ aufgrund des „Wunsches nach Rechtsstreitigkeiten“ oder irgendwelcher anderer beleidigender Blödsinn, der in der unten verlinkten „Forschungsstudie“ aufgezählt wird. Wie jeder andere Mensch auch würde ich liebend gerne das Leben führen, das ich vor beinahe einem Jahrzehnt verloren habe: ein Leben, in dem man seinen Lebensunterhalt verdient, eine Familie gründet und Hobbys hat. Niemand wählt sich ein Leben in Schmerzen und Isolation und mit einer Unzahl an anderen grauenhaften Symptomen aus.

    Bitte helfen Sie mir, ein Bewusstsein darüber zu schaffen, wie schrecklich diese Krankheit in ihren schweren Formen ist (und es gibt Menschen, denen es noch VIEL schlechter geht als mir). Das nächste Mal, wenn sich jemand Ihnen gegenüber über ME-Patienten lustig macht, können sie sagen: „Ich kenne diese Frau, die ein erfülltes Leben geführt hat, die hart gearbeitet und ihr Leben genossen hat, und dann hat sie irgendein Virus eingefangen, und ihr Leben war praktisch über Nacht in einen Alptraum verwandelt worden, der immer schlimmer wird. Das hat nichts mit einer Einstellung oder einem Mangel an Motivation zu tun. ME ist ganz ähnlich wie Multiple Sklerose oder Lupus erythematodus, aber sie kann zu noch stärkerer Behinderung führen. Und es hat in den letzten beinahe drei Jahrzehnten keine bedeutende Forschung gegeben, um herauszufinden, was da nicht stimmt geschweige denn, wie man diese Krankheit behandeln kann. Und manchmal tritt sie in epidemischen Ausbrüchen auf, und die Menschen können auch daran sterben.“

    Danke!

    Ann Intern Med. 1999 Jun 1;130(11):910-21.

    Functional somatic syndromes.

    Barsky AJ, Borus JF.

    Source

    Division of Psychiatry, Brigham and Women's Hospital, Boston, Massachusetts 02115, USA.

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/10375340

    Abstract

    ·      The term functional somatic syndrome has been applied to several related syndromes characterized more by symptoms, suffering, and disability than by consistently demonstrable tissue abnormality. These syndromes include multiple chemical sensitivity, the sick building syndrome, repetition stress injury, the side effects of silicone breast implants, the Gulf War syndrome, chronic whiplash, the chronic fatigue syndrome, the irritable bowel syndrome, and fibromyalgia. Patients with functional somatic syndromes have explicit and highly elaborated self-diagnoses, and their symptoms are often refractory to reassurance, explanation, and standard treatment of symptoms. They share similar phenomenologies, high rates of co-occurrence, similar epidemiologic characteristics, and higher-than-expected prevalences of psychiatric comorbidity. Although discrete pathophysiologic causes may ultimately be found in some patients with functional somatic syndromes, the suffering of these patients is exacerbated by a self-perpetuating, self-validating cycle in which common, endemic, somatic symptoms are incorrectly attributed to serious abnormality, reinforcing the patient's belief that he or she has a serious disease. Four psychosocial factors propel this cycle of symptom amplification: the belief that one has a serious disease; the expectation that one's condition is likely to worsen; the "sick role," including the effects of litigation and compensation; and the alarming portrayal of the condition as catastrophic and disabling. The climate surrounding functional somatic syndromes includes sensationalized media coverage, profound suspicion of medical expertise and physicians, the mobilization of parties with a vested self-interest in the status of functional somatic syndromes, litigation, and a clinical approach that overemphasizes the biomedical and ignores psychosocial factors. All of these influences exacerbate and perpetuate the somatic distress of patients with functional somatic syndromes, heighten their fears and pessimistic expectations, prolong their disability, and reinforce their sick role. A six-step strategy for helping patients with functional somatic syndromes is presented here.

     

     

    Literatur für diesen Artikel

     

    [1] Childhood Trauma and Risk for Chronic Fatigue Syndrome, Association With Neuroendocrine Dysfunction

    Christine Heim, PhD; Urs M. Nater, PhD; Elizabeth Maloney, MS, DrPH;

    Roumiana Boneva, MD, PhD; James F. Jones, MD; William C. Reeves, MD, MSc. Arch Gen Psychiatry. 2009 Jan;66(1):72-80. Volltext hier PubMed-Eintrag hier

    [2] Early adverse experience and risk for chronic fatigue syndrome: results from a population-based study. Heim C, Wagner D, Maloney E, Papanicolaou DA, Solomon L, Jones JF, Unger ER, Reeves WC. Arch Gen Psychiatry. 2006 Nov;63(11):1258-66. Volltext hier

    [3] Differences in Metabolite-Detecting, Adrenergic, and Immune Gene Expression After Moderate Exercise in Patients With Chronic Fatigue Syndrome, Patients With Multiple Sclerosis, and Healthy Controls,  Andrea T. White, Alan R. Light, Ronald W. Hughen, Tomothy A. VanHaitsma, Kathleen C. Light, 2012 http://www.psychosomaticmedicine.org/content/early/2011/12/07/PSY.0b013e31824152ed.abstract

    [4] VanNess JM, Stevens SR, Bateman L, Stiles TL, Snell CR. Postexertional malaise in women with chronic fatigue syndrome. J Womens Health (Larchmt). 2010;19:239-44. 2010 http://online.liebertpub.com/doi/abs/10.1089/jwh.2009.1507 Siehe auch deutschsprachigen Bericht auf http://www.cfs-aktuell.de/februar10_1.htm

    [5] White AT, Light AR, Hughen RW, et al. Severity of symptom flare after moderate exercise is linked to cytokine activity in chronic fatigue syndrome. Psychophysiology. 2010;474:615-24 http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1469-8986.2010.00978.x/abstract

    [6] Moderate Exercise Increases Expression for Sensory, Adrenergic, and Immune Genes in Chronic Fatigue Syndrome Patients But Not in Normal Subjects, an R. Light, Andrea T. White, Ronald W. Hughen, and Kathleen C. Light http://www.jpain.org/article/PIIS1526590009005744/abstract?rss=yes

    [7] VanNess, MJ, Snell CR, Stevens SR, Stiles TL. Metabolic and Neurocognitive Responses to an Exercise Challenge in Chronic Fatigue Syndrome (CFS). Med Sci Sports Exerc. 2007;39 (5 Suppl):S445. Siehe auch hier: http://www.cfs-aktuell.de/juli07_1.htm

    [8] M.E. Ciccolella, CR Snell, SR Stevens, TL Stiles, J.M VanNess. Chronic fatigue syndrome and the abnormal exercise stress test International Association for CFS, January, 2007 Siehe http://www.cfs-aktuell.de/juli07_1.htm

    [9] Cooper DM, Radom-Aizik S, Schwindt CD, Zaldivar F. Dangerous exercise: lessons learned from dysregulated inflammatory responses to physical activity. J Appl Physiol. 2007;103:700–709. http://jap.physiology.org/content/early/2007/05/10/japplphysiol.00225.2007.full.pdf

    Literatur von Urs Nater und seinen Forschungskollegen

    finden Sie hier - nach unten scrollen, dort ist eine Literaturliste von und mit Urs Nater

    Interessant ist hier auch die Beschreibung der sogenannten Lichtenberg Professur, in deren Rahmen auch diese Studie stattfinden. Dort lesen wir über die Forschungsinteressen dieser Gruppe:

    "Ausgangspunkt und Schnittstelle unserer Forschungsvorhaben ist das Thema Stress, durch Stress ausgelöste psychologische und physiologische Veränderungen, die unter kurzfristigen Bedingungen eine förderliche Anpassung an die Situation erlauben, unter chronischen Bedingungen jedoch pathologische Störungen zur Folge haben können.

    Unsere Arbeitsgruppe ist daran interessiert, die Mechanismen stress-bezogener Erkrankungen in einer Kombination aus verschiedenen Methoden und Strategien unterschiedlichster Forschungsrichtungen näher zu beleuchten. Hierbei vereinen sich die Erfassung psychologischer Messungen, peripherphysiologischer Stressmarker (z.B. die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse, das Autonomie Nervensystem, das Immunsystem) und modernster Technologien der funktionellen Genomanalyse. 

    Neben der Anwendung zahlreicher bereits etablierten Methoden geht es uns auch um die Entwicklung, Evaluierung und Etablierung neuer Methoden zur Erfassung psychologischer und physiologischer Reaktionen auf Stress.

    Die Bestimmung zugrundeliegender biologischen Mechanismen bietet vielfältige Möglichkeiten der verbesserten Diagnostik und Klassifikation auf der einen Seite und der Entwicklung erfolgreicher therapeutischer Interventionen (z.B. Stressmanagement-Training, musiktherapeutische Interventionen, sporttherapeutische Interventionen)."

    Aus: http://www.uni-marburg.de/fb04/team-nater/forschung

     

    KEINE EMPFEHLUNG

    Auszüge aus einer der neuesten Veröffentlichungen von Urs Nater über das, was er unter "Chronic Fatigue Syndrome" versteht

    Chronic fatigue syndrome. 2012: Urs M Nater; Christine M Heim; Charles Raison, Handbook of clinical neurology / Neurobiology of Psychiatric Disorders (Handbook of Clinical Neurology): Series, 106 Thomas E Schlaepfer Elsevier 2012, edited by P.J. Vinken and G.W. Bruyn 2012;106():573-87.
    http://www.amazon.de/dp/0444520023/ref=rdr_ext_tmb 

     

    Definition

    In letzter Zeit wurden Anstrengungen unternommen, die Falldefinitions-Symptome des CFS objektiv zu untersuchen. Personen wurden als CFS-Patienten klassifiziert, wenn sie die folgenden drei empirisch abgeleiteten Kriterien erfüllen, wie sie von psychometrisch evaluierten Fragebögen untersucht wurden (Reeves et al., 2005): (1) schwere Erschöpfung, (2) beträchtliche funktionelle Beeinträchtigung und (3) Vorhandensein von substantiellen Begleitsymptomen.

    Kognitiv-verhaltensmäßige Faktoren S. 579-580

    Kognitive-verhaltensmäßige Faktoren sind häufig mit der Ätiologie und der Aufrechterhaltung des CFS in Verbindung gebracht worden (Suraway et al., 1995), wobei sich die Forschung primär auf zwei breite Kategorien von Krankheitswahrnehmungen und Coping-Stilen konzentriert hat. Was die Krankheitswahrnehmung betrifft, so berichten CFS-Patienten oft, dass sie glauben, ihre Erkrankung sei die Folge einer körperlichen Krankheit (Clements et al., 1997; Deale et al.; 1998). Es konnte gezeigt werden, dass Patienten, die ihre Erkrankung als eine schwerwiegende Krankheit betrachteten und die glaubten, sie hätten keinerlei Kontrolle über ihre Erkrankung und die nur geringe Möglichkeiten für eine Heilung sahen, über stärkere Beeinträchtigungen und eine erhöhte Symptomlast berichteten (Heijmans, 1998). In ähnlicher Weise führte nach einer weiteren Studie (Cathebras et al.; 1995) die Neigung, die Erschöpfungssymptome somatischen Ursachen zuzuschreiben zu mehr Symptomen. Eine geringe Selbstwirksamkeit [= die Überzeugung, in einer bestimmten Situation die angemessene Leistung erbringen zu können, d.Ü.] (Findley et al., 1998) sowie eine eigennützige, mit Schutzbehauptungen durchsetzte Art der Zuschreibung und der Krankheitszuschreibung (Cresswell und Chalder, 2003) sind ebenfalls als typisch für CFS-Patienten ermittelt worden. Interessanterweise können die Krankheitsüberzeugungen die spätere Entwicklung der Erschöpfungssymptome beeinflussen. Eine Studie von Candy et al. (2003) hat gezeigt, dass die Ausprägung der Erschöpfung 3 und 6 Monate nach einer infektiösen Mononukleose [Pfeiffer’sches Drüsenfieber, d.Ü.] durch die subjektiven Erwartungen prognostiziert werden konnten, wie lange es dauern würde, bis sich der Betroffene wieder erholen würde. CFS kann aber nicht nur mit einer veränderten Krankheitswahrnehmung auf Seiten des Patienten in Verbindung gebracht werden, sondern auch mit der veränderten Krankheitswahrnehmung auf Seiten derjenigen, die den Kranken versorgen. Eine Studie von Lehrman et al. (2002) hat gezeigt, dass das Fehlen einer Legitimierung der Krankheit durch den Arzt bei CFS-Patienten zu höheren Werten an Depressivität und Angst führen kann. Was noch wichtiger ist, eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter Allgemeinärzten deckte auf, dass etwa die Hälfte der befragten Ärzte nicht glaubte, dass es die Krankheit überhaupt gäbe (Thomas und Smith, 2005). Deshalb – wenn CFS-Patienten und ihre Ärzte beide kein angemessenes Wissen über CFS haben und glauben, dass die Krankheit durch organische Faktoren verursacht würde, dann kann das Ergebnis ungünstig sein.

    Es gibt eine umfassende Literatur über dysfunktionale Coping-Stile bei CFS-Patienten, wobei etliche Studien einen maladaptiven [schlecht angepassten] Coping-Stil bei CFS dokumentieren (Ax et al., 2002). Es wurde gezeigt, dass Patienten mit CFS beträchtlich mehr Flucht-/Vermeidungsstrategien einsetzen als gesunde Kontrollen (Blakely et al., 1991; Cope et al., 1996). Zu den Flucht-/Vermeidungsstrategien gehört es, sich von stressigen Situationen und ihren verhaltensmäßigen und kognitiven/emotionalen Folgen freizumachen oder sie zu vermeiden. In Übereinstimmung mit diesem Forschungsergebnis haben Afari und Kollegen (2002) beobachtet, dass Zwillinge mit CFS oder anderer chronischer Erschöpfung mehr Vermeidungsstrategien einsetzten als ihre nicht-erschöpften Geschwister. Eine weitere Studie zeigte dass CFS-Patienten häufiger abwehrende Coping-Stile einsetzten als gesunde Kontrollen oder Patienten mit anderen chronischen Krankheiten (Cresswell und Chalder, 2001), und eine bevölkerungsbezogene Studie fand heraus, dass CFS-Fälle häufiger Flucht-/Vermeidungsstrategien einsetzten als nicht-erkrankte Kontrollen (Nater et al., 2006). Interessanterweise gab es einen Zusammenhang zwischen kognitiven Bewertungen und maladaptiven Coping-Stilen mit den klinischen Merkmalen des CFS (d.h. der Schwere der Erschöpfung, der Beeinträchtigung, der Krankheitslast, psychosozialen Problemen und psychiatrischer Komorbidität) (Antoni et al., 1994), wobei eine weitere Studie mit einer bevölkerungsbezogenen Stichprobe von CFS-Fällen spezifisch gezeigt hat, dass das Flucht-/Vermeidungsverhalten zusammenhing mit der Schwere der Erschöpfung, Schmerzen und Behinderung (Nater et al., 2006). Trotz dieser relativen Übereinstimmung der Ergebnisse hat eine andere gemeindebasierte Studie von chronischer Erschöpfung ergeben, dass es keine Unterschiede bei den Coping-Stilen von CFS-Patienten und gesunden Kontrollen gibt (Jason et al., 2003).

    Zusammengenommen lassen diese Studien darauf schließen, dass CFS zusammenhängt mit dysfunktionalen Krankheitsüberzeugungen und Coping-Stilen, die potentiell zu unangemessenen Behandlungsbemühungen und regulativer Anpassung auf Herausforderungen führen, mit der Folge von andauernder Erschöpfung und weiteren, damit zusammenhängenden Symptomen. Die Identifikation von kognitiven-verhaltensmäßigen Faktoren könnte letztendlich zu einer weiteren Entwicklung von Interventionsstrategien auf der Basis von kognitiven und verhaltensmäßigen Veränderungen führen.

    Behandlung (a.a.O., S. 580-81)

    Im Einlang mit dem Fehlen von eindeutig identifizierten pathophysiologischen Mechanismen bei CFS bleibt die Behandlung der Störung kontrovers und weit davon entfernt, angemessen zu sein. Tatsächlich bezeugt die verwirrende Ansammlung von verhaltensmäßigen, pharmakologischen und alternativen Behandlungen, die bei CFS-Patienten eingesetzt werden, wie viel noch getan werden muss im Sinne der Entwicklung, Überprüfung und Umsetzung von voll wirksamen Therapien für diese oft verheerende Erkrankung (Whiting et al., 2001).
     Von allen Behandlungsansätzen werden am besten gestützt durch randomisierte Doppelblindstudien sowie durch Metaanalysen dieser Studien kognitive Verhaltenstherapie (CBT) und Graded-Exercise [allmählich gesteigertes körperliches Training]. Die Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie bei CFS umfassen typischerweise die Organisation von Aktivitäts- und Ruhezyklen, die Einleitung allmählicher Steigerung der Aktivitäten, die Einführung eines durchgängigen gesunden Schlafverhaltens und den Versuch, die Überzeugungen über das Selbst sowie die Krankheitszuordnungen umzustrukturieren (Chalder, 2005). Es wurde gezeigt, dass kognitive Verhaltenstherapie die Erschöpfung vermindert und die Funktionsfähigkeit bei Erwachsenen und Jugendlichen verbessert, verglichen mit abwartenden und aktiven (häufig entspannenden) Interventionen. (Sharpe et al., 1996; Deale et al., 1997, 2001; Prins et al., 2001).Eine Studie fand heraus, dass der Nutzen über 5 Jahre erhalten blieb(Deale et al., 2001), während eine andere Studie keinen langfristigen Nutzen für kognitive Verhaltenstherapie fand (Leone et al., 2006). Eine weitere Studie lässt darauf schließen, dass kognitive Verhaltenstherapie auch die Selbstwahrnehmung der kognitiven Probleme verbessert, ohne die tatsächliche kognitive Leistungsfähigkeit bei CFS-
    Patienten zu verbessern (Knoop et al., 2007).

    Graded-Exercise-Therapie [ansteigendes körperliches Training] zielt darauf ab, den Patienten zu helfen, ein strukturiertes Aktivitätsprogramm zu entwickeln, dass die aerobe Aktivität allmählich steigern soll, üblicherweise in Form von Laufen (Rimes and Chalder, 2005). Genauso wie für die kognitive Verhaltenstherapie lassen randomisierte Studien hier auf eine Wirksamkeit schließen (Fulcher and White, 1997; Wearden et al., 1998; Powell et al., 2001, 2004; Wallman et al., 2004). Jedoch unterliegt auch die kognitive Verhaltenstherapie beträchtlichen Einschränkungen, u.a. einer niedrigen Rate von Krankheitsremission [Besserungsrate], einer größeren Auswirkung auf die Selbstwahrnehmung der Behinderung als auf die Funktionalität als solcher (Knoop et al., 2007) und der Unbeliebtheit bei vielen CFS-Patienten (Abbot and Spence, 2006).

    Außerdem scheint die Rate positiver Reaktionen auf kognitive Verhaltenstherapie in der klinischen Praxis deutlich niedriger zu sein als die, die in kontrollierten Studien beobachtet wurde. Im Einklang damit scheinen die Raten positiver Reaktion sogar in kontrollierten Studien niedriger zu sein, wenn vergleichsweise wenig erfahrene Therapeuten die Intervention durchführen. (Prins et al., 2001). Die Ergebnisse sowohl bei kognitiver Verhaltenstherapie als auch bei ansteigendem körperlichen Training können wahrscheinlich optimiert werden, wenn man eine angemessene Auswahl der Patienten vornimmt. Im Allgemeinen ist es unwahrscheinlicher, dass Patientenauf eine der verhaltensmäßigen Interventionen ansprechen, die eine schlechte soziale Funktionsfähigkeit haben, ein geringes Gefühl der Kontrolle in Bezug auf ihre Symptome und einen hohen Grad an somatischer Voreingenommenheit und/oder Zuschreibung der Erkrankung zu ausschließlich somatischen Ursachen haben (Rimes and Chalder, 2005).

    Die Reaktion auf alle Arten pharmakologischer Interventionen waren bei Patienten mit CFS durchweg enttäuschend. Im Unterschied zu komorbiden Erkrankungen wie etwa majorer Depression und generalisierter Angststörung führt keine gegenwärtig verfügbare pharmakologische Strategie verlässlich zu einer Remission der Symptome, und selbst das bescheidenere Ziel einer symptomatischen Besserung war nur schwer erreichbar, wenn die Substanzen in einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie untersucht wurden. Antidepressiva sind beinahe sicher die am häufigsten verschriebenen Medikamente, und dennoch lassen die mageren kontrollieren Daten, die vorliegen, darauf schließen, dass sie bei der Erkrankung nicht wirksam sind (Natelson et al., 1996; Vercoulen et al., 1996), und soweit sie vielleicht helfen, lindern sie wahrscheinlich eher die komorbiden Veränderungen der Stimmungslage als Kernmerkmale des CFS (Wearden et al., 1998). Von den Antidepressiva haben die Substanzen, die die Wiederaufnahme sowohl von Norepinephrin als auch Serotonin blockieren, möglicherweise eine höhere Wirksamkeit als Substanzen, die nur auf das Serotonin abzielen – angesichts von mehreren großen, neueren Doppelblindstudien, die nahe legen, dass der Norepinephrin-Serotonin-Hemmer Duloxetin die Kernsymptome der Fibromyalgie vermindert, einer Erkrankung, die beträchtliche Überlappungen zu CFS hat (Anrold et al., 2004, 2005). Andere psychopharmakologische Substanzen, die möglicherweise für CFS-Patienten von Nutzen sind, umfassen Psychostimulantien, Schlafmittel und den neuen, die Wachheit fördernden Stoff Modafinil, obwohl der Einsatz dieser Substanzen als empirisch betrachtet werden muss. Einige Daten lassen darauf schließen, dass eine Glucokortikoidtherapie bei CFS-Patienten möglicherweise einen Nutzen hat (Cleare et al., 1999), aber die Ergebnisse sind nicht eindeutig (Rowe et al., 2001). Obwohl Nahrungsergänzungsmittel und komplementäre/alternative Behandlungsformen von CFS-Patienten häufig eingesetzt werden, hat keine einen Nutzen gezeigt, wenn sie gut strukturierten klinischen Studien unterzogen werden (Rimes and Chalder, 2005).

    Es gibt erhebliche Überschneidungen zwischen CFS und psychiatrischen Erkrankungen. Zum Beispiel liegt die Prävalenz für aktuelle generalisierten Angststörungen bei CFS zwischen 15% und 56,6% (Buchwald et al,. 1997; Fischler et al, 1997;. Skapinakis et al, 2003a). Im Einklang mit der Tatsache, dass Müdigkeit ein häufiges Symptom bei depressiven Störungen ist, wurde eine beträchtliche Überlappung der Diagnosen CFS und Depressionen berichtet, wobei etwa 15-67% der CFS-Patienten die Diagnose einer depressiven Störung erfüllen (Wessely et al., 1996 ; Buchwald et al,. 1997; Fischler et al, 1997;. Skapinakis et al,. 2003a). Obwohl es einige Überschneidungen in den Symptomen zwischen diesen psychiatrischen Erkrankungen und CFS gibt, gibt es auch unterscheidende Symptome wie etwa Selbstmordgedanken bei der Depression und Panikattacken bei Angststörungen, die bei CFS-Patienten nicht häufiger vorkommen als in der Allgmeinbevölkerung.  Tatsächlich erfüllen zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Patienten mit CFS nicht die gegenwärtigen Kriterien für irgendeine andere [!!! Sic!!] psychiatrische Störung (Buchwald et al.; 1997; Fischler et al., 1997), was darauf schließen lässt, dass CFS nicht nur eine psychiatrische Begleiterscheinung ist.

    CFS tritt häufig zusammen mit anderen medizinisch ungeklärten Syndromen auf wie Fibromyalgie, multiple Chemikaliensensitivität, Reizdarmsyndrom und Kiefergelenkstörungen. Diese Störungen haben mit CFS gemeinsam, dass sie nach einer angemessenen medizinischen Untersuchung nicht im Sinne einer konventionell definierten medizinischen Krankheit erklärt werden können (B.arsky und Borus, 1999)

    CFS ist am besten untersucht worden im Zusammenhang mit Fibromyalgie, einem Syndrom mit charakteristischen Druckpunkten und chronischen, diffusen Körperschmerzen (Wolfe, 1990). Man schätzt, dass 21-80% der Fibromyalgie-Patienten auch die Kriterien für CFS erfüllen (Aaron und Buchwald, 2003). Bei einer anderen lähmenden Erkrankung, dem Reizdarmsyndrom, tritt ebenfalls häufig eine Erschöpfung auf (Whitehead et al., 2002; Piche et al.; 2007). Trotz der unterschiedlichen primären Symptomfoci jeder dieser Störungen fand eine Metaanalyse eine beträchtliche Symptomüberscheidung zwischen diesen Erkrankungen (Wessely et al., 1999). Die Überschneidung der Krankheitsdefinitionen, der berichteten Symptome, der Charakteristika der Patienten und der Behandlunsformen für viele medizinisch ungeklärte Syndrome hat manche Forscher zu dem Vorschlag geführt, dass diese Störungen willkürlich klassifiziert sind und als unterschiedliche Manifestationen der gleichen biomedizinischen und psychosozialen Prozesse betrachtet werden sollten. Eine logische Konsequenz dieser Sichtweise ist die Tendenz, das Fallenlassen von unterschiedlichen Krankheitskategorien zu befürworten zugunsten eines dimensionalen, symptom-basierten Ansatzes (Wessely et al., 1999). Es jedoch beachtenswert, dass es starke Gefühle auf beiden Seiten der Kontroverse um den dimensionalen symptom-basierten Ansatz einer Krankheitskategorie gibt, und dass das Problem wahrscheinlich in der nächsten Zukunft nicht zu lösen ist (Barsky and Borus, 1999; Wessely and White, 2004).

    Weitere Literatur von Urs Nater und Kollegen:

    Diesen Vortrag "Der Einfluss psychosozialer Faktoren auf chronische Erschöpfung: ein Strukturgleichungsmodell Urs M. Nater, Brian Gurbaxani, Christine Heim und William C. Reeves (Atlanta, USA)" hielt Urs Nater auf dem 28. Symposium der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) 12.05.2010-15.05.2010 Programm hier: http://www.symposium-klinische-psychologie-2010-mainz.de/a/pdf/Programm_Internet.pdf

    u.nater@psychologie.uzh.ch

    Aus: Fragebogen zur Erfassung funktioneller somatischer Syndrome S. 24-26, von Urs Nater, Letzte Aktualisierung: 05.12.2011

    Der "Fragebogen zur Erfassung funktioneller somatischer Syndrome" - ein Instrument zur Nicht-Diagnose von ME/CFS

    Wenn man sich den Abschnitt dieses Fragebogens zur "Diagnose" eines "CFS" ansieht, wird klar, dass jemand die "CFS"-Kriterien erfüllen kann, ohne das Kernsymptom des ME/CFS zu haben: die Zustandsverschlechterung nach Belastung, die post-exertional malaise. Nach dieser wird zwar gefragt (Punkt 15), aber sie ist nicht Bedingung für die Erfüllung der Kriterien.

    (Interessant ist auch, dass Nater in Frage 15 den Begriff "Unwohlsein" für "malaise" verwendet, was zwar dem Wörterbuch nach keine falsche Übersetzung ist, jedoch eine zynische Beschreibung der massiven Symptome des ME/CFS ist - also eine im Bedeutungszusammenhang eklatant falsche Übersetzung.)

    Um diese Nater-Fragebogen-Kriterien zu erfüllen, reicht es z.B. aus, wenn jemand sagt, die Erschöpfung beeinträchtige ihn bei Freizeitaktivitäten und sozialen Kontakten und er habe in den letzten 6 Monaten unter nicht erholsamem Schlaf, Konzentrations- oder Gedächtnisproblemen, an Muskelschmerzen und Gelenkschmerzen gelitten.

    Somit wird deutlich, dass dieser Fragebogen zur Erfassung funktioneller somatischer Syndrome eine ganz andere Patientenpopulation erfasst als etwa die Kanadischen Kriterien, dagegen jedoch potentiell eine große Anzahl unspezifischer Erschöpfungszustände und psychiatrischer Krankheitsbilder "diagnostiziert".

    Wird dieser Fragebogen in einer Studie über "CFS" verwendet, sagt diese mit hoher Wahrscheinlichkeit über Patienten mit ME/CFS (Kanadische Kriterien, ICD-10 G93.3) nichts aus, denn ME/CFS-Patienten machen dann allenfalls eine kleine Minderheit der Studienkohorte aus und verschwinden vollends bei der Auswertung der Daten im statistischen Rauschen. Magische Medizin, mit der man eine Krankheit zum Verschwinden bringt?

    Interessant sind auch die "Zur Routinediagnostik nicht empfohlene(n) Laboruntersuchungen" auf S. 26: Epstein-Barr-Serologie, Enteroviren-Serologie, Retroviren-Serologie, HHV-6-Serologie, Candida Albicans-Test, Immunologische Verfahren wie NK-Zellen-Analyse, Zytokin-Bestimmung, T-Zell-Aktivierungsmarker-Bestimmung und bildgebende Verfahren.

    Es werden also genau alle die Untersuchungen nicht gemacht, bei denen sich laut vorhandener, umfangreicher Forschungsliteratur immer wieder charakteristische Abweichungen gegenüber Gesunden und anderen Erkrankungen ergeben. Mit diesen Parametern wäre eine labordiagnostisch bestätigte Identifizierung von ME/CFS-Fällen durch einen einigermaßen informierten und mit ME/CFS-Patienten vertrauten Arzt möglich. Sie fällt aber unter die Kategorie "nicht empfohlen".

    Wenn man sich ansieht, welche Laboruntersuchungen hingegen empfohlen werden, so wird klar, dass genau diese das ME/CFS nicht erfassen können (S. 26, erste Tabelle linke Spalte), weil sie viel zu unspezifisch sind. Es ist längst bekannt, dass man ME/CFS nicht mit einem kleinen oder großen Blutbild, mit einer Urinanalyse oder Schilddrüsenhormonen bestimmen kann.

    Nahezu absurd erscheint es, dass auf dieser Seite 26 als "Mögliche Ursachen chronischer Erschöpfung" (sic.) auch neurologische Erkrankungen aufgezählt werden. Es scheint dem Autor dieses Fragebogens, Herrn Prof. Urs Nater, entgangen zu sein, dass ME/CFS von der WHO seit 1969 als neurologische Erkrankung klassifiziert ist.

    Schlussfolgerung: Dieser Fragebogen ist geradezu dazu angetan, wirkliche ME/CFS-Fälle nicht zu diagnostizieren, während unspezifische und/oder psychische "chronische Erschöpfung" eingeschlossen werden. Einmal abgesehen von dem grundlegenden Fehler dieses Fragebogens, der "CFS" als funktionelles somatisches Syndrom bezeichnet.

    Man fragt sich, wie es sein kann, dass ein Universitätsprofessor und angesehener Psychologe solche gravierenden Fehler macht? Dass er nicht einmal die unterschiedlichen Definitionen des "CFS" kennt und zu unterscheiden weiß zwischen "Chronischer Erschöpfung", CFS nach den "empirischen" oder "operationalisierten" Kriterien der CDC bzw. des William Reeves und ME/CFS nach der Kanadischen bzw. der Internationalen Konsensdefinition? Und dieser Fragebogen mit Sicherheit Eingang in die Diagnostik vieler Universitäten und Studien findet? Z.B. auch in die oben analysierte Studie?

     S. 24

     

    S. 25

     

    S. 26