Was, bitte, ist ein Rumorvirus? Ein Virus, das rumort? Oder hat der
Autor nur allzu wörtlich die Propaganda derer übernommen, die das
dritte humane Retrovirus lediglich als Gerücht (engl.: rumor) abtun
wollen?
Es sind wohl nicht die vom Autor des Artikels Stollorz gescholtenen
„Internetforen“, die hier „allerhand Halbwissen über das Syndrom
verbreiten“, sondern leider auch führende Zeitungen wie die FAZ.
Denn die entscheidende Hälfte der Informationen wurde einfach unter
den Tisch fallen gelassen, d.h. wir lesen hier nur das halbe Wissen,
und schon kommt etwas heraus, das man auch als Unwahrheit bezeichnen
könnte.
Dass Herr Stollorz in der
Online-Ausgabe seine fehlerhaften Angaben über das Alter und die
Krankheitsdauer von Andrea Whittemore, Tochter von Annette
Whittemore, der Institutsgründerin des Whittemore Peterson
Institutes, korrigiert hat, ist schön. Offenbar tat er das aufgrund
der Information einer jener Internetforenbenutzerinnen, die er des
Verbreitens von Halbwissen bezichtigt.
Leider hat er andere falsche oder
grob unvollständige Angaben nicht korrigiert. Es wäre schön gewesen,
er hätte die Symptome der schwerstkranken Andrea Whittemore
wahrheitsgemäß und nicht verharmlosend beschrieben mit „chronischen
Schlafstörungen sowie heftigen Gliederschmerzen und Kopfschmerzen“
und „Müdigkeit“. Diese Frau ist schwerstkrank, hat jahrelang weder
Schule noch Universität besuchen können und leidet unter
epileptischen Anfällen. Den Zustand mit „Müdigkeit“ zu beschreiben,
kann wohl nur jemand, der keine Information über das schwere
Krankheitsbild des ME/CFS hat und der sich auch keinerlei Mühe
gegeben hat, sich in Krankheitsdefinitionen (siehe
http://www.cfs-aktuell.de/Konsensdokument.pdf) oder die
erschütternden Beschreibungen Betroffener einzulesen (siehe z.B.
hier:
http://www.cfs-aktuell.de/september10_4.htm oder hier:
http://www.cfs-aktuell.de/Aerztemappe.pdf )
Auch wäre schön gewesen, er hätte
nicht länger verschwiegen, dass sehr wohl Antikörper gegen XMRV
gefunden werden, und zwar nicht nur vom WPI, sondern auch von
anderen Forschern. In der Tat ist der Antikörpernachweis - neben dem
Anlegen von Viruskulturen - der Goldstandard zur Bestimmung des
Virus. Und genau der wird von dem des reinen Geldmachens geziehenen
Labor VIP Dx (http://www.vipdx.com)
durchgeführt. Welches übrigens alle seine Profite wieder in die
XMRV-Forschung steckt, was auch dringend nötig ist, denn zehn
Anträge des WPI auf staatliche Forschungsgelder wurden abgelehnt.
Anstatt diesen Skandal anzuprangern, wird mit subtilen
Unterstellungen (der reinen Profitgier) und Auslassungen eine
Forschergruppe diffamiert, die den Mut hat, trotz aller Anfechtungen
weiter zu forschen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Eine
Wahrheit, die so schrecklich ist, dass Politiker, Journalisten und
Wissenschaftler sie lieber verleugnen, verschweigen und bekämpfen,
statt sich ihr und ihrer Verantwortung zu stellen, die Bevölkerung
vor einer weiteren Verbreitung eines Retrovirus mit noch unbekanntem
pathogenen Potential zu schützen.
Das Kontaminationsargument ist von zahlreichen Forschern bereits
widerlegt worden – und rein zu politischen Zwecken von einigen
Autoren in „Retrovirology“ bzw. ihren Geldgebern vom Wellcome Trust
u.a. wiederbelebt worden. In der Tat hat keine dieser im Dezember
2010 veröffentlichten Studien nachgewiesen, dass die Originalstudien
von Lo/Alter oder
Lombardi/Mikovits oder Silverman auf
Laborkontaminationen zurückzuführen sind, sondern sie haben
lediglich auf die altbekannte Gefahr hingewiesen, dass PCR anfällig
für eine Kontamination ist. Die Kommentare führender Wissenschaftler
auf diese Retrovirology-Artikel und das längst widerlegte
Kontaminationsgerücht finden sich
hier in
deutscher Sprache.
Daraus ergibt sich ganz klar, dass das Virus mit zahlreichen anderen
Verfahren als der kontaminationsanfälligen PCR nachgewiesen wurde
(Serologietest, Virusisolierung, Kokultivierung) und dass alle
Versuche, MÄUSE-DNA im Blut der mit dem HUMANEN Retrovirus XMRV/HGRV
infizierten Menschen zu finden, fehlgeschlagen sind. Nur ein HUMANES
Retrovirus kann sich in die DNA des Menschen integrieren, nicht aber
ein MÄUSEretrovirus. Und diese Integration ist bereits 2008
nachgewiesen worden. (siehe Racaniello
hier.) Und außerdem - gegen eine Laborkontamination
entwickeln Menschen keine Antikörper. Das können sie nur gegen
Erreger, die in ihrem Blut oder in anderen Geweben vorhanden sind.
Eine Kleinigkeit scheint es
dagegen zu sein, dass Herr Stollorz die Jahreszahl der Entdeckung
des XMRV in Prostatakrebsgewebe durch Robert Silverman et al. ins
Jahr 2009 verlegt - er hat es bereits 2006 entdeckt. (Siehe
hier.)
Die einseitige Darstellung der
Meinung des Herrn Denner vom RKI und das Weglassen anderer
entscheidender Informationen, die dessen Aussage infrage stellen,
ist ebenso bedauerlich. Selbstverständlich wurde das Retrovirus auch
in Europa nachgewiesen, und zwar in vielen Ländern: in Belgien,
Norwegen, Großbritannien und auch in Deutschland. Letzteres von der
renommierten XMRV-Forscherin Nicole Fischer vom Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf, und zwar im Sputum von 3,2% von Menschen aus
Norddeutschland und 9,9% von immunsupprimierten Menschen. (siehe
z.B. hier oder
hier.)
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten,
warum das RKI das Retrovirus nicht finden kann. Die Bestimmung des
Virus ist extrem kompliziert – nichts leichter, als es NICHT zu
finden. Daraus zu schließen, es gäbe es in Europa nicht, grenzt an
fahrlässige Körperverletzung - und zwar all derer, die sich infolge
der Verleugnung der Gefahr weiterhin damit anstecken werden - auf
noch ungeklärten Wegen mit in der Tat noch ungeklärten Folgen. Die
Aussage von Joachim Denner "Im Moment fehlt es an stichhaltigen
Beweisen, dass XMRV überhaupt in der menschlichen Bevölkerung
verbreitet ist." entspricht – leider – nicht der Wahrheit.
Und dass „Die Virologen am Center
for Disease Control in Atlanta (…) in Blutproben von CFS-Patienten
bisher keinerlei Hinweise auf XMRV entdecken [konnten].“ wundert
nicht, wenn man die seit 25 Jahren andauernde Verleugnungs- und
Vertuschungspolitik der CDC gegenüber ME/CFS und seinen möglichen (viralen)
Auslösern kennt: würde sich tatsächlich herausstellen, dass XMRV
eine zentrale Ursache des ME/CFS (und anderer Krankheiten) ist, so
wäre klar, dass die CDC durch ihre Untätigkeit auf fahrlässige Weise
die Verbreitung des Virus in der Allgemeinbevölkerung billigend in
Kauf genommen haben. Denn schon im Jahr 1990 wurden sie von Elaine
de Freitas, einer Virusforscherin, darauf hingewiesen, dass sie im
Blut von ME/CFS-Patienten retrovirale Partikel gefunden hat - eine
Entdeckung, die die CDC leichtfertig vom Tisch gewischt haben.
Stattdessen verbreiten sie mit all der ihnen zur Verfügung stehenden
Macht das Gerücht, ME/CFS sei eine vorwiegend psychogene Erkrankung.
Und auf dieses Gerücht springen Versicherungen und Regierungen nur
allzu gerne auf, spart es ihnen doch (vorläufig) eine Menge Geld,
den Kranken eine angemessene medizinische und soziale Versorgung zu
gewähren, mit dem Argument, das alles sei eine harmlose
Befindlichkeitsstörung, die mit zumutbarer Willensanstrengung zu
überwinden sei. Schön wär’s, sie hätten recht.
Aber die Wahrheit ist grausam,
und Forscher wie Judy Mikovits, Vincent Lombardi, Ila Singh, Robert
Silverman, Harvey Alter, Shy-Shing Lo, Nicole Fischer und viele
andere sind dieser ungeliebten Wahrheit auf der Spur, auch wenn in
der Tat noch sehr viele Fragen offen sind und nicht klar ist, wie
sich das dritte humane Retrovirus verbreitet, wann und wie es die
Artenschranke übersprungen hat und welche Krankheiten es
möglicherweise verursacht.
Harmlos ist dieses Retrovirus auf
keinen Fall. Es ist bekannt, dass seine Verwandten, die Mäuse
infizieren, immunologische und neurologische Krankheiten sowie Krebs
verursachen. Also, es soll alles nur eine Laborkontamination sein,
dass man es in zahlreichen Labors (die NICHT mit Mäusen arbeiten)
bei ME/CFS, bei Prostatakrebs, bei Brustkrebs, bei autistischen
Kindern, bei Fibromyalgie und auch in der noch gesunden
Normalbevölkerung findet, und zwar weltweit?
Auch dass Harvey Alter, der
Entdecker des Hepatitis C Virus, und Kollegen (siehe
hier und
hier) „vergeblich nach entsprechenden Spuren“
gesucht hätten, wie der FAZ-Artikel behauptet, entspricht nicht der
Wahrheit. Lo/Alter haben eine Sequenzvariation des XMRV entdeckt,
das PMRV, und genau das Vorhandensein verschiedener
Sequenzvariationen spricht für eine HUMANE Infektion und gegen ein
Laborphantom.
Und sie haben es bei einer
erschreckenden Anzahl von 86,5% der ME/CFS-Patienten und bei 6,8%
der gesunden Kontrollpersonen entdeckt. Insbesondere die letzte Zahl
belegt, wie bedrohlich die Entdeckung dieses Virus ist – man stelle
sich vor, hierzulande seien auch nur die Hälfte, also gut 3% mit dem
Retrovirus infiziert (so wie es Nicole Fischer vom UKE nachgewiesen
hat): das sind in Deutschland rund 2 Millionen Menschen, ein
Vielfaches der Menschen, die mit HIV infiziert sind. 2 Millionen
Menschen, infiziert mit einem Retrovirus, das nachgewiesenermaßen
über Blut übertragen werden kann, das infektiös ist, selbst wenn man
andere Übertragungswege noch nicht kennt, 2 Millionen Menschen, die
möglicherweise infolge dieser Infektion an neurologischen und
immunologischen Krankheiten und/oder Krebs erkranken werden. Wenn
das keine erschreckende Wahrheit ist, die man lieber mit
"Halbwissen", unvollständiger und tendenziöser Berichterstattung
unter dem Deckel zu halten und als „Gerücht“ zu diffamieren
versucht!
Wenn man hier die Wahrheit herausfinden will, dann muss man in der
Tat der Spur des Geldes folgen: es ist für Kranken-, Renten- und
Berufsunfähigkeitsversicherungen und für den Staat doch viel
billiger, die Millionen von Patienten mit ME/CFS als Psychofreaks
mit schwachem Willen und übermäßiger Empfindlichkeit zu diffamieren
und ihnen Behandlung und Krankengeld bzw. soziale Leistungen sowie
die Erforschung ihrer Krankheit zu verweigern. Nicht Judy Mikovits
und das Labor VIP Dx sind geldgierig, wie es Herr Stollorz
unterstellt, sondern anderen, mächtigen Institutionen geht es hier
ums Geld. Wenn es Frau Mikovits ums Geld ginge, dann hätte sie etwas
Besseres zu tun, als sich dermaßen in die Schusslinie zu begeben.
Sie hätte einen ruhigen Job in der Krebs- und AIDS-Forschung
angenommen, so wie sie das 20 Jahre zuvor auch getan hat. Wer je
Judy Mikovits live erlebt hat, der weiß, dass sie eine
blitzgescheite, fachlich äußerst kompetente, bescheidene, an der
Sache orientierte und den Kranken verpflichtete Forscherin ist.
Es ist mehr als traurig, dass
eine solide Zeitung wie die FAZ sich durch einen solch einseitigen
und wenig objektiven Artikel an der Verleugnungspolitik beteiligt
und die Bevölkerung weiterhin in der Sicherheit wiegt, das
Retrovirus sei hierzulande gar nicht vorhanden oder sei allein ein
Laborphantom. Denn genau das ist es, was bei den Menschen hängen
bleibt: alles ganz harmlos, alles nicht nachgewiesen, alles nur
Spinnerei von Cyberchondern, die Halbwissen verbreiten, alles nur
ein Gerücht, ein Laborphantom, unnötiger Alarm durch geldgierige
Forscher.
Mit der Zeit werden
entschlossene, der Wahrheit verpflichtete Forscher ans Licht
bringen, was hier auf sträfliche Weise zum Schaden von
Hundertausenden oder Millionen Infizierter verharmlost wird: die
Verbreitung des Retrovirus XMRV/HGRV und sein pathogenes Potential.
All die Benutzer von
„Internetforen“, die „allerhand Halbwissen über das Syndrom
verbreiten“, hätten sich von der FAZ etwas Besseres erwartet. Es ist
durchaus möglich, dass diese so Gescholtenen manchmal besser
informiert sind, als Herr Stollorz, seines Zeichens Träger eines
Journalistenpreises des Verbands Deutscher Medizinjournalisten (VDMJ).
Ein solcher Artikel ist für mein Gefühl beschämend – für den Autor,
für die FAZ und auch für den Verband Deutscher Medizinjournalisten.
Und er zeigt, dass man sich auf die Informationen der FAZ offenbar
nicht mehr verlassen kann. Und sich selbst informieren muss. Schade.
Wenn Sie sich informieren wollen,
was es mit dem dritten humanen Retrovirus neben HIV und HTLV I und
II auf sich hat, dann besuchen Sie diese Seiten voller „Halbwissen“:
http://www.cfs-aktuell.de
http://www.buendnis-mecfs.de
http://www.fatigatio.de
Regina Clos
Eberleinstraße 1
65195 Wiesbaden
PS. Ich bin selbst seit fast 25 Jahren an ME/CFS erkrankt, davon 4-5
Jahre sehr schwer. Seit 10 Jahren bin ich in der Selbsthilfebewegung
tätig, betreibe die Website
www.cfs-aktuell.de und bin hauptverantwortliche Redakteurin für
die Publikationen des Bundesverbandes Chronisches
Erschöpfungssyndrom, Fatigatio e.V.
Anmerkung: Dieser Leserbrief wurde
nicht veröffentlicht und es kam auch keine Antwort darauf. |